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Im Mondschein

Er sah nach oben. In das Licht. Den runden, hellen Ball am Himmel. Er mochte ihn lieber, als den grellen, der zu einer anderen Tageszeit am Himmel hing. Der hier war schöner. Er blendete ihn nicht und man konnte ihn viel besser sehen. Er versuchte ihn mit der Pfote zur Seite zu schieben. Unbeirrt blieb dieser auf seiner Position. Es überraschte ihn nicht, immerhin hatte er dies schon öfters versucht, dennoch ärgerte es ihn. Warum konnte er mit diesem tollen Ball nicht spielen? Frustriert betrachtete er ihn. Wieso schaffte er es nie? Er probierte es erneut. Schon wieder nichts. Er wechselte die Pfote, doch auch dieses mal schaffte er es nicht. Er wusste nicht wieso, aber heute würde er es schaffen. Heute war der Tag, an dem er den Mond vom Himmel fegen würde.

Er richtete sich auf und griff mit beiden Pfoten nach dem Mond, doch auch dieses Mal versagte er und fuchtelte bloß hilflos mit den Pfoten in der Luft herum. So würde das nichts werden. Geschmeidig sprang er vom Sessel aufs Fensterbrett. Dieses war ins Mondlicht getaucht und er konnte seinen Schatten in dem Licht klar und deutlich abgebildet, erkennen. Er sah edel aus. Vielleicht würde es von hier aus funktionieren.

Schon wieder nichts. Auch hier versagten seine Pfoten. Wenn er doch nur ein kleines Stück weiter… Seine Pfoten stießen an die Fensterscheibe und zu seiner Überraschung gab sie nach. Mit einem leisen, knarrenden Geräusch schwang das Fenster ein kleines Stück auf. Stolz wallte in ihm hoch und begeistert drückte er es weiter auf. Vielleicht würde er es dann schaffen. Wenn das Fenster im Weg gewesen war, war klar warum er nicht mit dem schönen hellen Ball hatte spielen können. Doch jetzt stand ihm nichts mehr im Weg. Zufrieden stieß er das Fenster ganz auf und die kühle Nachtluft kam ihm entgegen. Selbstsicher fuhr er mit den Pfoten in die Luft, um den Ball erreichen zu können. Dann fuhr er mit ihnen hindurch und auf einmal drehte sich die Welt um ihn herum. Er wollte wieder zurück hinunter auf das Fensterbrett, doch der Windzug hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Nun baumelte er am Fensterbrett und krallte sich verzweifelt am Holz fest. Er fragte sich für eine Sekunde, wie es so weit gekommen war, dass er nun an der Hauswand hing. Er pfauchte laut und stieß einen knurrenden Schrei aus, dann nahm er seine ganze Kraft zusammen und zog sich wieder hinauf. Schnell schob er sich von dem Stück Fensterbrett, dass außerhalb des Fensterrahmens lag in den Bereich des Innern. Er atmete einige Male tief durch und betrachtete den Mond verärgert. Wieso ließ er sich auch nie fangen? Wieso wollte er nie mit ihm spielen? Genervt betrachtete er die Vase neben ihm am Tisch. Er entschied blitzschnell. Seine Instinkte übernahmen sofort. Wenn der Mond schon nicht für seine Unverschämtheit bezahlen konnte, dann musste wenigstens sie daran glauben. Mit dem befriedigenden Klirren legte er sich auf das Fensterbrett und begann zu schnurren. Der Mond hatte vielleicht gewonnen. Die Vase jedoch nicht.

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2022

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