Es gruselte sie, als sie den Gang hinunter schritt, aber hatte sie wirklich eine Wahl? Sie kannte die Antwort darauf nur zu gut. Das Gebäude selbst wirkte nicht unheimlich, oder bedrohlich. Nein, es war eine ganz einfache Wohnhausanlage. Nicht heruntergekommen und auch nicht protzig, einfach nur ganz normal. Sie konnte nicht glauben, dass hier die Lösung ihrer Probleme lag.
Ihre Füße bewegten sich immer weiter in die Richtung der Wohnung. Sie warf einen Blick auf den Zettel in ihrer Hand. 15. So lautete die Türnummer. Sie hätte nicht auf den Zettel schauen müssen. Die Adresse hatte sich in ihr Gehirn gebrannt, auch wenn sie es noch so sehr versuchte sie zu verdrängen. „Hier bekommen Sie Hilfe. Die beste, die Sie kriegen können“, hatte die nette Kassiererin im Supermarkt zu ihr gesagt, als sie ihren verzweifelten Blick gesehen hatte. Sie hätte nicht gedacht, dass sie ihr so offensichtlich aufs Gesicht geschrieben war, aber offenbar schaffte sie es doch nicht sie so gut zu verbergen, wie sie gedacht hatte.
Sie blieb vor der Tür stehen und starrte sie eine Weile stumm an. Sie zwang sich tief ein- und auszuatmen, mehrere Male, immer wieder. Erst als sie ein falsches Lächeln aufgesetzt hatte, läutete sie. Die Tür ging surrend auf und unsicher warf sie einen Blick in die Wohnung. Niemand war zu sehen, nur am Boden war ein großer Pfeil aufgemalt worden. Zögerlich betrat sie die Wohnung und schloss die Tür leise hinter sich. Dies würde ihr zwar einen Fluchtweg versperren, aber sie wollte nicht, dass jemand wusste, dass sie hier war. Es beunruhigte sie, dass die Kassiererin ihr nicht mehr zu dieser Hilfe, die sie bekommen könnte, gesagt hatte, aber mit dem Thema, dass ihr auf dem Herzen lastete, wollte sie auf jeden Fall von keinem gesehen werden.
Sie betrachtete den Pfeil noch eine Weile lang, bevor sie in diese Richtung ging. Die Wohnung war schön eingerichtet. Es gab eine kleine Küchenzeile und einen Kühlschrank in dem Zimmer, in das sie der Pfeil geführt hatte. Es war eher eine Wohnküche, denn in der Mitte stand ein Esstisch mit mehreren Sesseln. Allen in allem machte es einen sehr gemütlichen Eindruck – bis auf die Tatsache, dass es ziemlich staubig war. Als wenn jemand die Wohnung nicht zum Wohnen nützen würde. Ihr Blick fiel sofort auf den Tisch, der so zentriert da stand, dass dies gar nicht anders möglich gewesen wäre. Auf ihm lag ein Kärtchen, das so zusammengefaltet war, dass es stand. Vorsichtig griff sie danach. Ihr war bewusst, dass man nicht die in Sachen anderer durchsuchte, doch sie konnte sich nicht davon abhalten es aufzuklappen und den Text zu lesen. Augenblicklich wurde ihr klar, dass dies auch die Absicht dahinter gewesen war.
Dies ist die offizielle Stelle für ungewöhnliche Fälle, die Hilfe auf andere Wege bedürfen. Nehmen Sie sich eines der Kuverts auf dem Schreibtisch und schreiben Sie ihr Anliegen auf einesder Blätter Papier. Stecken Sie es anschließend in das Kuvert und schreiben Sie Ihren Namen darauf. Ihr Anliegen wird nach einer Untersuchung bearbeitet, oder abgelehnt.
Sie wusste nicht wieso, aber sie tat was darauf geschrieben war. Fluchtartig verließ sie die Wohnung wieder. Sie hatte das ungute Gefühl, dass dies ein großer Fehler gewesen war. Dennoch war sie aus irgendeinem Grund erleichtert.
Bildmaterialien: Anthea Rainel
Tag der Veröffentlichung: 04.01.2022
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