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Die Neue

„Lasst mich durch, lasst mich durch!“ Es war ihr erster Tag und sie hatte das Gefühl im Chaos zu versinken. Wäre sie doch bei ihrem alten Job als Eisverkäuferin geblieben, aber ihre Ambitionen waren zu hoch. Natürlich musste sie sich nach einem Job umsehen, der sie mehr herausforderte. Das hatte sie nun davon.

„Hey, Kleine, wer bist du.“ Sie wandte sich dem älteren Mann zu, der sie angesprochen hatte. „Du bist sonst nie hier. Wer bist du eigentlich? Was willst du hier?“ „Ich…“ Sie wusste nicht genau was sie sagen sollte. Alles hier fühlte sich fremd an. Sie hatte das Gefühl in einen Ort einzudringen, an dem sie nicht sein sollte. „Ich arbeite ab heute hier“, kam ihr zu falsch vor, um es jetzt auszusprechen. Es klang seltsam, wenn man betrachtete wie sehr die Anderen zusammenhielten. „Ich arbeite ab heute hier – und ich heiße Fiona. Fiona Flemming.“ Der Mann sah sie irritiert an. „Wir haben schon jemanden, der uns das Mittagessen holt, oder hat Annie gekündigt?“ „Ich bin nicht deshalb hier. Ich bin nicht für das holen vom Mittagessen verantwortlich. Ich habe genau denselben Job wie Sie.“ Sie betonte das Sie extra und gab sich Mühe nicht laut zu werden. Das würde ihr gerade noch fehlen. An ihrem ersten Tag jemanden anbrüllen. „Fiona“, brummte der Mann. „Ich bin Kommissar Fletscher. Nenn mich einfach Alex.“ Sie schluckte ihren Ärger hinunter und schenkte ihm ein winziges Lächeln, während sie ihm die Hand schüttelte, anstatt ihn darauf hinzuweisen, dass sie ihm nicht genehmigt hatte sie zu duzen. „Hätte mich auch gewundert, wenn wir noch jemanden als Bedienung bekommen hätten. Bei unserem Budget. Stell dich schon mal auf schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeiten ein.“ Fiona verkniff es sich ihm von der Bezahlung und den Arbeitszeiten ihres vorherigen Jobs zu erzählen. „Tretscher hat ja erwähnt, dass wir heute jemanden neuen bekommen. Hätte nicht gedacht, dass du so schnell kommst. Oder, dass du nicht sofort wieder umdrehst, sobald du deinen neuen Schreibtisch siehst.“ Alex lachte und Fiona wandte sich zu dem Tisch um, von dem er sprach. Er war so voller Akten, dass man den Tisch fast nicht mehr sah. Hätte sie nicht schon davor in einem Chaos von Rechnungen und Verwaltungsarbeit gesteckt, wäre sie wirklich schon geflüchtet. „So leicht lass ich mich nicht vertreiben.“ Der alte Kommissar nickte ernst. „Gut zu wissen. Mal sehen wie du das in zwei Wochen siehst. Wir hatten schon drei vor dir. Markus hat nur zwei Tage durchgehalten, Tobias nur zwei Stunden.“ Fiona lächelte. „Ich bin schon seit Fünf hier und habe bereits zwölf Fallakten sortiert, acht weitere einsortiert und bin gerade dabei diese hier in der Asservatenkammer abzugeben.“ Alex lächelte. „Mal sehen wie lange du das schaffst. Aber vielleicht hältst du dich ja länger. Wie auch immer, willkommen im Club. Gib Bescheid falls du was brauchst, Kleine.“ Ihr wurde bewusst, dass er dies nicht herablassend meinte. Ihr Blick fiel auf seinen Schreibtisch, auf dem ein Foto von ihm und zwei kleinen Mädchen stand. Gib Bescheid falls du was brauchst, Kleine. Sie musste lächeln und auf einmal kam sie sich nicht mehr wie eine Fremde vor – zumindest ein wenig.

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2022

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