Guten Tag. Darf ich Sie mal was fragen?
Aber sicher doch, gerne!
Sagen Sie mal, sind Sie glücklich?
Ja, doch, soweit man das sagen kann. Sicher – es könnte immer noch besser sein. Aber alles in allem schon.
Schön, und was bedeutet Glück für Sie?
Hm, das ist gar nicht so einfach zu sagen. Ich würde behaupten, Glück heißt vor allem Gesundheit, einen guten
Job und genug Geld, um sich was leisten zu können. Dass es der Familie gut geht, und den Freunden…
Glück ist für Sie also auch das Wohl der Anderen?
Ja, natürlich!
Und warum? Was haben Sie denn davon, wenn es den Anderen gut geht?
Naja, Menschen liegen mir am Herzen. Sie sind mir wichtig. Man darf ja nicht nur immer an sich selbst denken.
Kann man also sagen, dass Ihr eigenes Glück auch mit dem Glück der Anderen zusammenhängt?
Ja sicher, in jedem Fall!
Sie sind Teil einer mächtigen Gruppe, die weltweit agiert und einen großen Teil des Geldes besitzt.
Jetzt kommen Sie mir aber nicht mit irgendwelchen Gutmensch-Argumenten, oder?
Nein, ich will es einfach nur mal verstehen. Sie stecken Geld in Kinderarbeit, Sie investieren in
Sklaverei und Ausbeutung, in Umweltzerstörung und Tierquälerei. Sie legen Ihr Geld in
Waffengeschäften an, in ausbeuterischen Unternehmen. Und das, um noch mehr Geld
einzunehmen.
Wie kommen Sie denn jetzt darauf? Das ist aber jetzt ganz schön an den Haaren herbeigezogen.
Ach ja? Schauen Sie sich doch mal Ihre Geschäfte an, die Sie jeden Tag tätigen. Haben Sie sich
zum Beispiel schon mal überlegt, wie die Kinder in den Kakaoplantagen schuften, in die Sie
investieren? Vergiftet werden sie mit Spritzmitteln, und sie arbeiten 14 Stunden lang für einen
Hungerlohn dort.
Immerhin verdienen sie was und können dadurch überleben. Sicher gibt es Verbesserungsmöglichkeiten. Und
die Betreiber sind ja auch schon dran an Verbesserungen, an Qualitäts-Siegeln.
Stimmt, das nennt sich auch Greenwashing. Aber glauben Sie wirklich, dass wir was verbessern
möchten?
Und wie ist es mit Ihrer Beteiligung an Bekleidungsfabriken in Bangladesch? Dort schuften die
Menschen, damit hier im reichen Europa und in Amerika die Kleidung billigst gekauft werden kann.
Vielleicht haben Sie ja auch selbst in diese Klamotten-Billigkette investiert, bei der vor Jahren fast
tausend Menschen bei einem Brand in einer Fabrik ums Leben gekommen sind?
Ja, das sind wirklich schlimme Zustände. Aber man hat doch gar keine andere Wahl. Und die teuren Labels
müssen auch nicht viel besser sein.
Außerdem sind die Arbeitgeber Subunternehmer, und die Hersteller haben auf die Arbeitsbedingungen nur
wenig Einfluss.
Ach so – schuld sind also nur die Anderen? Nicht etwa die Mächtigen, wie Sie es einer sind?
Nein, das habe ich so nicht gesagt. Aber so langsam habe ich das Gefühl, ich stehe hier am Pranger.
Oh, Entschuldigung, das ist nicht meine Absicht. Ich will es einfach nur mal verstehen, wie man
seinen geliebten Kindern Spielzeug schenken kann, das von anderen Kindern unter giftigen und
menschenverachtenden Bedingungen hergestellt wurde. Und wie man dann auch noch guten
Gewissens dieses Elend finanzieren kann, von den Niedriglöhnen profitiert. Wie weit reicht denn
die Nächstenliebe? Nur bis zur Ladentheke oder bis zum Bankkonto?
Das ist also wirklich jetzt sehr aufgebauscht von Ihnen. Natürlich sind mir auch die Menschen wichtig, aber man
muss schon sehen, wo man bleibt.
Sie gehören zu einer Gruppe, die 32 Prozent des gesamten Weltvermögens besitzt und kaufen
Waren aus Sklavenarbeit, weil Sie sich etwas anderes nicht leisten können? Ist das richtig?
Mir wird’s jetzt langsam zu bunt hier. Das stimmt so nicht, und ich spende außerdem regelmäßig Geld für
wohltätige Zwecke.
Und investieren es gleichzeitig in Firmen, die ganz offen gegen Menschenrechte verstoßen oder es
tolerieren, dass ihre Subunternehmer das tun?
Man kann nicht überall helfen und muss auch an die eigene Haut denken. Das ist in der heutigen Welt so: Alles
wird teurer.
Naja, das Essen schon mal nicht. Fleisch war nie so billig, auch Milch nicht. Und schauen Sie sich
mal die Billigbäcker an. Vieles, was früher wertvolles Lebensmittel war, ist heute keinen Pfifferling
mehr wert. Und wussten Sie eigentlich, dass man in der Massentierhaltung Pflanzen verfüttert, die
man in Entwicklungsländern angebaut hat? Dort sind sie auf billigsten Feldern gewachsen, die den
Bauern enteignet oder abgeknöpft wurden. Man hat sie mit vielen Giften und Düngern behandelt,
die Umwelt vor Ort verseucht. Dann hat man die Pflanzen zu Futter verarbeitet, es nach Europa
transportiert, dort an Schweine, Rinder und Hühner verfüttert. Und nur, um dann mit dem billigst
produzierten uns allen unser tägliches Fleisch zu ermöglichen, die Märkte der Entwicklungsländer
zu fluten, und so die dort regionalen Bauern in den Ruin zu treiben.
Ja, das ist ein Teil der Globalisierung.
Und, meine Güte - es fließen doch auch Milliarden an Entwicklungshilfe in die armen Länder, um den Menschen
vor Ort zu helfen.
Das sind weniger als ein Prozent vom Bruttonationaleinkommen.
Aber mal ganz davon abgesehen: Den Menschen wäre schon mal deutlich mehr damit geholfen,
wenn man sie nicht immer weiter ausbeuten würde! Wer ihnen die Felder stiehlt für den Anbau
von Futter- oder gar Energiepflanzen für die Herstellung von Biosprit, während die Menschen vor
Ort Hunger leiden, der hilft ihnen doch nicht! Wer in Afrika Seltene Erden für die Handy- und
Computerproduktion ausbeutet, sich eine goldene Nase verdient, und den Menschen vor Ort nur
einen Sklavenjob in den Minen, verseuchte Natur und eine ruinierte Gesundheit hinterlässt, der ist
kein Wohltäter. Und der kann mit Entwicklungshilfegeldern bei weitem nicht den Schaden decken,
den er verursacht hat. Und mal ganz nebenbei – auch hier finanzieren Sie kräftig mit. Oder wie oft
haben Sie in letzter Zeit Ihr Handy gewechselt?
Das Handy gewechselt? Na, man muss doch mit der Zeit gehen…
Und mit der Zeit geht dann auch alles kaputt - bei dieser Einstellung. Haben Sie nicht vorhin
gesagt, dass die Menschen Ihnen wichtig sind? Und dass man nicht immer nur an sich selbst
denken darf?
Sicherlich, aber deshalb kann ich ja nicht in Askese leben, und nur von Luft und Liebe. Man muss sich ja auch
mal was gönnen, sonst wird man unglücklich.
Ach, und Sie glauben, der Konsum macht glücklich? Ja, das sagen sie uns, um immer mehr
Umsätze zu generieren. Aber haben Sie sich mal gefragt, wieviel Zeit man in den Konsum steckt,
denn erst die Zeit wird zu Geld. Unsere Lebenszeit müssen wir investieren, um zu Geld zu kommen
und es dann wieder ausgeben zu können für Zeug, was wir nicht brauchen. Die Zeit gibt uns
keiner zurück.
Es macht doch Spaß, wenn man sich was leisten kann. Ein neues Handy, einen neuen Fernseher oder neue
Möbel. Und Spaß macht glücklich.
Ja, die Frage ist nur für wie lange das glücklich macht. Ist es nicht so, dass wir immer mehr hinter
diesem Konsum her laufen? Wenn wir etwas gekauft haben, sind wir für nur kurze Zeit glücklich,
und streben schon wieder nach etwas Neuem? Ist es nicht die Zufriedenheit, die erst glücklich
macht? Nicht das Streben, sondern das Leben?
Mag sein… Aber wissen Sie, ich habe eigentlich gar keine Zeit. Der Discounter dort vorne hat heute Kaffee zum
halben Preis, und der ist immer so schnell weg. Er macht gleich auf, ich muss dann mal.
Schön mit Ihnen als Vertreter einer der konsumträchtigsten und mächtigsten Gruppen in Europa
gesprochen zu haben. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Otto
Normalverbraucher.
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2018
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