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„Es war zu einer Zeit in einer Welt, die noch von den klaren Augen des Himmels beobachtet wurde. Als diese Augen noch alles sahen, was im Silberland geschah, da alles um sie schwarz war und nur unser Silberland glänzte unter ihrem Licht.“
Der Alte hatte allerlei zu berichten – das wussten die Jungen sehr genau. Und sie waren brennend interessiert daran, es zu hören. Zugleich aber wussten, sie, dass sie somit den Untergang des Landes ihrer Ahnen mitverfolgen würden – in den Bildern, die der Alte aussprach.
Alle nickten sie und blickten zurück in eine Zeit vor ihrer Zeit.

„Die Ahnen und Urahnen eurer Eltern wüssten Lieder davon zu singen. Damals, als das Silberland am Silberberg noch zu den schönsten Orten gehörte, das die Farbenwelt zu bieten hatte.
Der dunkle Himmel gefüllt mit den strahlenden Augen der Nacht, der helle Himmel übersät vom wunderschönen Blau der Blauwelt, durchweht mit einigen Regenbringern.
Unsere Welt war voll mit den grünen Hochwachsern, die ihre Spitzen in den blauen Himmel streckten und nach dem Überblick zu suchen schienen.
Ihre Geister – mögen sie in Frieden ruhen und dem Moder widerstehen, der ihrem Bein zugesetzt hat, nachdem es

zerschnitten wurde und die Hochwachser mit lautem Krachen zu Boden fielen.“

„Hochwachser?“, fragte einer der Jungen und blickte den Weisen unsicher an.

„Ja – sie waren einst in unserer Welt. Zu Tausenden standen sie da, friedlich, ließen ihre spitzen oder auch runden Blätter in den Windgeistern wehen. Und sie machten sich einen Wettbewerb daraus, so unterschiedlich wie möglich auszusehen.
Aber wie dem auch sei. Ihre Körper sind schon längst der Vergangenheit geweiht und der Zukunft entzogen. Sie sind tot!“, sagte der Alte und den letzten Satz sagte er so laut, dass es so schien, als ob alle, die um ihn herum saßen, von seiner lauten Stimme angestoßen und zum Zucken animiert wurden.
Der Alte räusperte sich und nahm sich vor, nun leiser zu sprechen.
„Zu jener Zeit eben lebte euer Volk in wundervoller Harmonie.
Es gab Erdsterne, die ihre Gesichter Nacht für Nacht schlossen und am Tag wieder öffneten, um sich von dem großen Wärmespender am Himmel anlächeln zu lassen.“
„Die gibt es doch heute auch noch!“, fuhr einer der Jungen dazwischen.
„Heute…“, begann der Alte und wieder war seine Stimme ungewollt laut ausgefallen.
Er mäßigte sie.
„Heute, mein junger Freund, gibt es fast nur noch falsche

Gesichter. Die echten haben sich schon lange der neuen Welt verschlossen und sind so in die Welt des Vergangenen geflüchtet. Ihre Gesichter zeigen sie schon seit langem nicht mehr.“
„Aber die neuen Gesichter sind doch auch ganz schön. Warum sind sie falsch?“, fragte eine Junge in der Gruppe und der Alte glitt einige Stücke auf und ab.
Dann drehte er sich wieder zu den Zuhörern.
„Ich wisst nicht, wie die alten und wahren Gesichter aussahen. Sie gehörten in diese Welt. Nicht diese falschen Farbenfrohen, die nur denen gefallen wollen, die ihnen ihr Leben geschenkt haben.“
Die alte, kratzige Stimme wurde wieder etwas leiser und fiel beinahe in den stillen See des Flüsterns.
„Es gab Gesichter, die dufteten wie der wunderbarste Heilsaft und manche von ihnen waren wahre…Zeitverlangsamer. Wenn Du an ihnen…“, der Alte saugte die stickige Luft ein, schloss die Augen und genoss den Duft der Vergangenheit. Es war so, als roch er tatsächlich einen wundervollen Dufthauch.
Wie versteinert blieb er da sitzen, geschlossen die großen Augen und er strahlte wahre Zufriedenheit und Ausgeglichenheit aus. Nur für jenen Moment, bis er zusammenzuckte und wie aus einem wundervollen Traum gerissen wurde, von dem Wecker der tristen Realität.
Der Alte begann von Neuem mit seinen Ausführung, nachdem er verwirrt zu jenen geblickt hatte, die ihn verwundert und fragend ansahen.
Es schien beinahe so, als wäre der Alte für einen Moment in einer völlig anderen Welt gewesen, um jetzt wieder hier

her zurückzukehren.
„…Wenn man an ihnen roch, dann…“ – er musste sich augenscheinlich intensiv beherrschen, um nicht erneut in jene Welt vorzustoßen. „… auch nur ein wenig roch…, blieb die Zeit… beinahe stehen. Alles lief um Dich… herum ab wie in einem… Zeitraffer. Nichts und niemand konnte Dich stören. Dich und das bunte Gesicht.“
Die Jungen blickten den genießenden Alten völlig verwundert an.
„Wie kann man durch eine Blume…“, begann einer der Jungen und der Alte schrie energisch auf.
„Tu das nicht! So hat alles begonnen! Das Ende des Silberlandes hat so begonnen! Das war der Anfang allen Endes!“, donnerte er los und glitt aufgeregt über den staubigen und graubraunen Boden.
Dabei sprach er unverständliche Worte, die etwas von Xontraxoniax und Horpinalia sprachen. Worte, die keiner der Umstehenden verstand.
Wie auch – sie hatten alles verlernt! – ging es dem Alten durch den Geist und er schimpfte innerlich weiter vor sich hin. Denn, wenn er die Worte laut sprach, machten sie eh keinen Sinn. Niemand würde ihn verstehen! Keiner! Denn sie waren alle schon zu Staub zerfallen oder zu Stein erstarrt – jene, welche noch seine Sprache sprachen. Die Sprache seines Volkes…!

Er atmete ein Mal tief durch und begab sich wieder in die Mitte der Zuhörer.
„Unser Volk…“, begann er und ein gewisser Stolz war ihm deutlich anzusehen.

„Euer Volk! Es war stolz, stark und groß. Wir hatten einst Kräfte, die einfach unglaublich waren.
Wir haben den Zauber der Welt erkannt und ihn für uns genutzt. Wir haben aber auch unseren Zauber genutzt, um die Welt zu erkennen und ihr zu helfen.
Zaubertrank! Heiltränke!“
„Wo ist das jetzt alles, wenn unser Volk so stark war?“, fragte einer der Jüngeren und der Alte platzte heraus.
„Weg! Verschwunden! Weil wir schwach geworden sind! Und alles begann mit… Jo´nalis!“, entgegnete er mit bebender Stimme und begann die Geschichte zu erzählen.

„Der große Wärmespender stand – wie so oft – am Himmel und gab uns das Licht. Es war ein ganz normaler Tag. Eigentlich!
Jo´nalis – ein Junger – er konnte in etwa in eurem Alter gewesen sein. Dieser Jo´nalis durchglitt unser Land. Das Silberland.
Er genoss – wie alle damals – die herrlich duftenden Tagesgesichter oder auch Erdsterne genannt, sah den kleinen Duftsaugern zu, wie sie in den Tagesgesichtern landeten und ein Stück ihres Duftes zu einem anderen Tagesgesicht transportierten, damit der Duft des einen Gesichts sich mit dem des anderen Gesichts vereinigen konnte.
Doch jener Tag war anders. Jo´nalis hatte gerade den ersten Hügel des Silberberges überschritten, da tauchte ein sehr seltsames Wesen vor ihm auf.
Zwei Stämme reichten von ihm bis zum Boden und zwei weitere dünnere Stämme hingen aus einem

vierecksteinartigen Gebilde, das von einem Melonenartigen überragt wurde.
„Wer bist Du?“, fragte Jo´nalis interessiert, denn unser Volk war schon immer aufgeschlossen gegenüber andersartigen Wesen. So unterhalten wir uns schon seit Jahrtausenden mit den Beeren-Heimern und Rhein-Heimern.
Doch der Riese antwortete nicht.
Er schien Jo´nalis gar nicht zu erkennen.
Doch Jo´nalis war neugierig. Sehr neugierig.
So folgte der schnell dem Riesen, weg von dem großen Silberberg, hin zu einem Tal, in dem einer unseres Volkes noch nie gewesen war, da es dort immer so laut geschallt hatte.
Der Riese war sehr schnell, sodass Jo´nalis ihm nicht sehr lange folgen konnte und ihn irgendwann aus den Augen verlor.
Er blickte sich schließlich um, wohin ihn seine Verfolgungsjagd nun geführt hatte.
Und er war überwältigt!
Direkt vor ihm tat sich ein riesiges Gebiet auf mit allerlei in die Höhe strebenden Gebilden. Ja, einige dieser seltsamen Wesen, mit einem solchen er zuvor Bekanntschaft gemacht hatte, hangelten sich in den Gebilden herum und schienen ihnen beim Wachsen zu helfen. Immer weiter, immer breiter und immer höher wurde jenes eine Gebilde, vor dem Jo´nalis einige Zeit ausgeharrt hatte.
Er war so lange dort geblieben, hatte knatternden und ratternden Zauberdingen zugesehen, wie sie Stein einfach

so zerschlugen und sehr hart aussehende Materialien einfach mit einem blauen Zauberstrahl durchtrennten.
Weiter hinten hielt eines der seltsam anmutenden Wesen offensichtlich einen Drachen in der Hand, der Feuer spuckend der Erde so aufheizte, dass sie davon floss und den Boden zu bedecken begann wie eine klebrige Baumblutmasse.
Sie waren magisch – diese neu entdeckten Wesen.

Ehe der Wärmespender seinen Weg hinter den großen Silberberg suchte, um der Schwärze und den unzähligen Nachtaugen Platz zu machen, glitt auch Jo´nalis so schnell wie möglich wieder zurück ins Silberland.
Er erzählte dort allen von dem, was er gesehen hatte.
Die Jüngeren jubelten über die Neuentdeckung. Endlich einmal ein anderes Wesen, endlich nicht mehr ewig diese langweiligen Beeren-Heimer oder die nassen Rhein-Heimer.
Doch die Alten warnten.
„Wir sollten ihnen mit Vorsicht begegnen. Sie müssen sich erst noch unser Vertrauen verdienen!“, sagten sie.
Die Jungen hörten nicht auf den Rat der Alten und sahen zu, wie das Licht des Tages schwand und die dunkle Nacht hereinbrach, während sie feierten.
Sie schüttelten die großen Glockenblumen, sodass Blütenstaub aus ihnen heraus fiel und berauschten sich an dem überwältigenden Duft jener Schönheiten.
Die ersten Augen am Himmel tauchten auf und das größte Auge zeigte sich in ganzer Pracht.
Beinahe jede Nacht zeigte es sich von einer anderen Form,

nahm in seiner Größe zu, bis es so rund war, wie die Beeren der Beerenheimer, nur um dann wieder abzunehmen und für eine kurze Zeit dann völlig in der tiefschwarzen Nacht zu verschwinden.

Die Zeit verging und man traf noch auf viele weitere jener seltsamen Wesen.
Drachen kannten sie, Nachtflatterer mit ihren glühenden Hinterleibern und ihrem wundervollen Gesang auch.
Doch diese Wesen mit stammartigen Gliedmaßen, die vom viereckigen Körper hinab hingen – das hatten sie zuvor noch nicht gesehen.
Jetzt tummelten sich fast jeden Tag jene Wesen im Silberland – sie erkannten jedoch keine von den kleinen Wesen, die im Boden hausten.

Eines Tages – Jo´nalis war gerade dabei Früchte für den Zaubertrankbrauer zu sammeln – kam eines der fremd anmutenden Wesen direkt auf ihn zu.
Der Kleine schreckte zurück, um zu verhindern, dass der Stamm des Riesen ihn traf.
Doch diese Absicht hatte das Wesen offenbar nicht.
Es machte sich vielmehr an dem uralten Hochwachser zu schaffen, streckte seine Hand nach ihm aus und begann damit, die Arme von jenem mit seinen grünen Blättern abzuschneiden.
Der Hochwachser schrie, so laut er nur konnte und Jo´nalis glitt zurück ins nahe Silberland.
Noch ehe er dort angekommen war, spürte er die Erschütterung, woraus er schloss, dass der große

Hochwachser zu Boden gefallen war – wie nach einem starken Sturm, von dem die Ahnen seiner Ahnen schon berichtet hatte.
Verstört ging der Junge zu den anderen und berichtete über die Erlebnisse.
Die konnten nicht glauben, was sie hörten.
„Das war sicher nur ein Missverständnis… Warum sollten diese Wesen Hochwachser töten?...“
Jo´nalis wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er wusste nur, was er gesehen und gehört hatte.
Man entschloss sich daraufhin, noch einmal zum Ort des uralten Hochwachsers zu gleiten, um zu sehen, was sich dort zugetragen hatte.
Als die Gruppe unseres Volkes dort ankam, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung.
Überall lagen Körperteile des Hochwachsers, hier einige Blätter, dort ein paar Arme und jede Menge Blut. Blut, das aus dem Herz des Hochwachsers quoll, das man schlicht durchtrennt hatte. Völlig gerade.
Die Gruppe schaute sich um und stellte sehr bald fest, dass es kein Missverständnis gewesen sein konnte.
Schließlich fanden sich rundherum ebenso Unmengen an Hochwachsern, die entweder vollständig am Boden lagen, oder aber nur noch in Teilen.
Wie hatten diese fremden Wesen es nur wagen können, ein derartiges Massaker anzurichten? Hatten sie denn nicht die Schreie gehört? Die fürchterlichen Schreie der Geschundenen? So fragten sich viele – doch die Antwort fand keiner von ihnen.
Außer die Vermutung, dass sie vielleicht tatsächlich nicht

das Schreien der Hochwachser vernommen hatten, weil sie ja auch – so sprach einer von unserem Volk – unsere Stimme wohl nicht wahrnehmen können.
Die Gruppe bewegte sich langsam davon und kehrte zurück in das Silberland.
Und man beratschlagte sich.
Hatten diese neuen Wesen tatsächlich feindselige Absichten? Hatten sie den Hochwachsern den Krieg erklärt? Und sollte man sich in diesen Krieg einmischen?

Nein – so lautete die allgemeine Meinung. Die Hochwachser waren uns sowieso schon lange suspekt gewesen mit ihren arrogant geschwungenen Armen und den in den Himmel strebenden Nasen.
Sollten sie zusehen, was sie taten und wie sie sich erwehrten. Unser Volk war davon überzeugt, dass es nicht nötig war, ein Krieg deswegen anzuzetteln.

So warteten sie ab und das Leben ging sehr bald wieder den gewohnten Gang.
Keinem fiel mehr das Fehlen der Hochwachser auf.
Eines Tages machten Jo´nalis und einige andere Junge einen Ausflug. Sie wollten zum nahen großen Wasser und dort einige Kräuter für den Zaubertrank sammeln, die ausschließlich dort auf einer großen Fläche mit vielen Gesichtern wuchsen.
Als sie dort jedoch ankamen, sahen sie plötzlich eine brach liegende Fläche.
Keinerlei Gesichter mehr, nur noch welkende und faltige Fratzen des Todes!

Mehr nicht!
Irgendwer hatte hier ein Massaker veranstaltet – und sie konnten sich sehr schnell denken, wer es gewesen sein musste.
Diese seltsam anmutenden Wesen mit ihren Zaubermaschinen hatten wohl auch den Gesichtern jetzt den Krieg erklärt.
Alle waren heilfroh, dass sie nicht auch ihnen den Kampf angesagt hatten und zogen sich unverrichteter Dinge zurück.
Sie nahmen noch einige Samenkapseln der Kräuter mit, die sie eigentlich hätten sammeln wollen und pflanzten diese direkt im Silberland.

Als sie dort ankamen und mit den anderen sprachen, brach eine Diskussion los.
Die Alten waren der Meinung, man sollte den alten Gefährten – also den Gesichtern und den Hochwachsern zu Hilfe kommen. Schließlich kenne man sich nun schon so lange und man sei ja quasi Nachbarn.
Doch die Jungen verneinten energisch.
Warum sollten sie sich einmischen? Weshalb? Ihnen hatten die Neulinge nichts angetan. Sie hatten kein Interesse daran, ihr Leben in einem Krieg aufs Spiel zu setzen.
Und vor allem war der Zauber dieser Wesen unserem Volk zu unheimlich.
Schließlich konnten die Riesen sogar Drachen bändigen – etwas, wovon nur die Wenigsten behaupten konnten, dass sie dazu in der Lage waren.
Nein! Sie würden sich nicht einmischen!

Die Tage vergingen und eines Tages verschwand der Wärmespender – wie gewohnt – hinter dem Silberberg und die ersten Augen dort droben tauchten auf. Wie immer! –Eigentlich!

Denn etwas stimmte nicht. Die Himmelsaugen blieben stumpf und blind. Es war, als sei ein weiterer Wärme- und Lichtspender in den Himmel gestiegen und hätte das Dunkel der Nacht ein Stück weit vertrieben.
Und wenn nicht alles täuschte, befand sich der neue Wärmespender direkt hinten, wo die Neuwesen hausten.
Ein Lichtkegel strahlte in den Himmel empor und selbst das große, sich stets wandelnde Riesenauge am Himmel war blass gegen jenes Licht, das von dort drüben kam.

Flatterwesen taumelten – sonst stets das große Auge ansteuernd – nun direkt zu den riesigen Neuwesen und ihrem Licht.
Scheinbar gefiel ihnen dieses Besser, um es zu genießen, als das Licht des Riesenauges, das schon seit Ewigkeiten am Himmel seine Bahnen zog.
Die Nacht verging und am nächsten Morgen kehrten nur wenige heim.
Jene, die heimkehrten, waren selbst kräftemäßig völlig am Ende. Sie berichteten von vielen neuen Augen, die diese seltsamen Wesen aufgestellt hätten und die die Flatterwesen umkreisten, bis sie schließlich völlig entkräftet zu Boden fielen oder der Hitze der Feueraugen verbrannten.

Man sprach davon – doch keiner wollte wirklich etwas unternehmen.
Alle saßen sie da und fragten Jo´laris immer und immer wieder nach dem Gesehenen.
Und der berichtete von Zaubertricks, die selbst unsere eigenen Weisen und Zauberer nicht durchführen konnten.
Drachenbändigung zum Beispiel!

„Wir müssen etwas gegen diese Wesen unternehmen. Sonst werden sie zur Gefahr.“, sagte einer der Weisen und die anderen – hauptsächlich die Jungen – verneinten vehement.
Nein, keiner wollte wirklich Widerstand gegen die plötzlichen Eindringlinge leisten.
Nur einer fragte, wie es denn sein konnte, dass nun diese Wesen wie aus augenklarem Himmel hinab gefallen waren, wie stürzende Augenfeen – auch Flatterwesen genannt -, wenn sie das stets wandelnde Auge am Himmel suchten Nacht für Nacht. Und ihnen dabei eben ein Flügel brach.
Keiner wusste eine Antwort. Auch nicht der alte Weise.
Der aber sagte, „ihr müsst Widerstand leisten! Das seid ihr unseren Mitgeschöpfen schuldig, die schon ihr Leben verloren haben.“
Die Umstehenden aber taten so, als hätten sie die Aussage nicht gehört.
Einige sagten sogar, die Gesichter zwischen dem Gras, die nun ihre Farbe verloren hatten und sommerdürr am Boden lagen, seien schließlich nur Gesichter. Und denen musste man bekanntlich keine große Hochachtung entgegenbringen.

„Sie bringen uns mit ihrem Zauber vielleicht auch noch mehr Glück! Hohe Gebilde! Vielleicht schaffen wir dann den Weg in den Himmel. Den Weg ins große Goldland! Bei den Himmelsaugen!“
Der Weise ging sofort dazwischen, fragte den Jungen, ob er denn vollkommen iwwernzwerch sei.
„Die Silberwelt kann eine Goldene sein. Sie ist unsere Welt! Die Goldwelt ist nur für das Ewige. Es steht uns nicht zu, die Ewigkeit der Unzeit zu stören! Berauscht euch an dem Duft eines Gesichts inmitten des grünen Grases und ihr werdet ein Stück der Goldwelt erhaschen! Entreißt es nicht dem Gesicht, sondern lasst es euch schenken! Dann – und nur dann – seht ihr das Goldland!“
Die Jungen glitten davon. Keiner hatte offenbar Lust, dem alten Weisen zuzuhören.

Die Diskussion war beendet und die Zeit verging.
Er Weise spürte, es würde etwas geschehen. Er wusste, sie mussten wegziehen. Zu nah waren die unbekannten Wesen ihrem Silberland schon gekommen, hatten schon zu viele ihrer magischen Gegenstände hier her gebracht – mit allerlei Lärm und Gestank.

So zog der Weise an einem trüben Morgen mit einigen Fürsprechern davon, ins Land Beeren-Heimer.
Der Rest von unserem Volk blieb zurück.
Nur wenige Tage später kamen die seltsamen Wesen mit noch seltsameren Geräten.
Sie machten Boden zu Stein, kreisten unsere Mitwesen ein – alle, die zuvor über die Warnungen des Weisen gelacht

hatten.
Oder aber sie überzogen unsere Mitwesen direkt mit Stein.
So hatten jene, die das Goldland erreichen wollten, es letzten Endes doch geschafft. Aber nicht lebendig!“
Der Alte glitt langsam wieder zurück die die Gegenwart und sah sich umgeben von den interessiert zuhörenden Jungen.
„Diese unbekannten Wesen hatten also tatsächlich den Weg zum Goldland gefunden?“
„Ja,…“, lachte der Weise mit kritischem Unterton laut auf.
„Ja, sie ebneten unseren Mitwesen ebenso den Weg ins Goldland, wie des gesamten Lebens. Denn ihre Art tötete alles, was sich ihrem Plan in den Weg stellte. Und sie vergifteten und töteten auch sich selbst.
Sie schufen eine schwarzgraue Welt – und töteten damit alles Leben, alle Lebensgeister, jegliche Farben. Ja, sie ebneten den Weg ins Goldland! Aber sie zerstörten dafür das Silberland völlig!“
„Was ist mit dem Weisen geworden?“, fragte ein anderer.
„Der hat sich im Land der Beeren-Heimer niedergelassen und hier eine Kolonie gegründet. Die erste und einzige Kolonie – der Boden-Heimer.“

„Ich verstehe aber eines nicht.“, gab eine andere der Jungen zum Besten.
„Wieso hatte man vorher nie von diesen Wesen etwas gehört oder gesehen? Haben sie sich einfach durch Zauber verschwinden lassen?“
„Das frage ich mich seit damals auch immer und immer wieder.“, sagte der Weise mit flüsternder Stimme und

starrte auf den großen und grau-diesigen Ort, wo sich Gebilde bis in den Himmel hervorwagten.
„Ich glaube, es war der Glaube. Wenn Du an etwas nicht glaubst, siehst Du es auch nicht. Du nimmst es einfach nicht wahr. Es ist wie die Luft. Keiner nimmt sie wahr – und doch ist die um uns herum. Und der Zauber der Wesen…“
Der Weise lachte verbittert auf.
„Der Zauber war ein fauler Zauber. Die Wesen sind dabei, ihre eigene Welt auszulöschen. Sie töten sich selbst – kurzsichtig, wie sie sind und vergiften alles, von dem sie leben.“
Er schwieg einen Moment.
„Nur ein fauler Zauber…!“, sagte er leise und man hörte Wehmut und Traurigkeit in seiner Stimme.
„Sag, dieser Weise, der unsere Mitwesen ins Beeren-Heim führte. Der Weise warst Du?“

Der Alte zischte leise.
„Ja. Ich habe ihnen immer gesagt, sie sollen unsere Mitgeschöpfe schützen, ihnen helfen.
Als die Wesen die Hochwachser töteten, taten wir nichts, denn wir waren keine Hochwachser. Als die Gesichter im Gras verdorrten nach einem wahren Gemetzel, rächten wir sie nicht. Denn was interessierte uns, was mit ihnen war. Als die Flatterwesen getötet wurden – Nacht für Nacht – stellten wir uns nicht dagegen. Wer brauchte schon Flatterwesen.
Und heute? Heute blicken wir auf eine öde Fläche, die einst unser Silberland war. Heute schauen wir dort hin und

bedauern, dass wir nichts getan haben. Und wir haben keinen mehr, der uns helfen könnte, weil wir ihnen allen nicht zur Seite gestanden haben, als sie uns brauchten.“, sagte er und er war sich sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis diese Killerwesen auch das Gebiet der Beeren-Heimer angreifen würden und somit der letzte wahre Boden-Heimer für immer das verlassen würde, was man einst Silberland genannt hatte…

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Tag der Veröffentlichung: 02.10.2011

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