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Sonntagmorgen

 

 

Waldemar Schmitz und sein Sohn Gregor fahren wie alle zwei Wochen, die gut vierzig Kilometer zum Angeln. Es ist 5:30 Uhr als sie an der Rezeption des Ferienparks, im kleinen Gunderath ankommen. Wie immer holen sie sich ihre Tageskarte für 9,50 € und der freundliche Nachtportier wünscht ihnen einen guten Fang. Das gemeinsame Angeln ist seit einigen Jahren zur Tradition geworden. Sie genießen die Fahrt hinaus in die Eifel, an den Heilbachsee. Die Natur ist dort sehr schön und man braucht nicht lange warten um Rehe oder Füchse zu sehen, wenn man etwas Glück hat. Wobei jedoch viele Eifelaner diesen Tieren weniger angetan sind, da sie immer wieder mit ihnen kollidieren, da sie keine Geschwindigkeitsbegrenzung bei ihrem Fahrstil kennen.

Wie immer machen sich Vater und Sohn nach ihrer Ankunft und dem Erwerb der Tagestageskarte, zu Fuß auf den Weg an den kleinen See. Wie alle zwei Wochen nehmen sie ihren Platz an der Grillhütte ein, dort kann man seine Sachen unterstellen und vor allem ist es trocken, wenn es regnet. Danach wird Position bezogen, denn eigentlich ist es immer ein kleiner Wettkampf zwischen Vater und Sohn, wer die meisten und größten Fische an Land zieht. Die Thermoskanne mit heißem Kaffee ist stets griffbereit, dann geht es auch schon los, wie jedes Mal. Sie werfen ihre Rute aus und dann heißt es geduldig warten. Beißen Sie schnell wird es ein guter Tag, dauert es aber länger, dann sind meist die großen Fische unterwegs. Da der Heilbachsee nicht sehr groß ist, kann man nicht sagen, welche Stelle der bessere Platz ist, um die größere Beute zu machen. So muss sich jeder in Geduld üben und warten, warten, warten. Als sie nach gut einer Stunde immer noch nichts gefangen haben, wird Vater Waldemar etwas ungeduldig, prompt erntet er Spott von seinem Sohn Gregor. Als dieser die Ungeduld seines Vaters bemerkt stichelt er natürlich weiter, schließlich will er ja gewinnen und die Scharte vom letzten Mal ausmerzen. Das war eine Niederlage, fast so blamabel wie das 2:3 damals 1978 in Cordoba gegen Österreich bei der Fußball WM. Gregor zieht seinen Vater auf:

„Und du wolltest immer bei den Indianern leben?“ fragt er und sieht seinen Vater seitlich aus den Augenwinkeln an, aber sein Blick ist trotzdem starr geradeaus auf den See gerichtet. Das ist jahrelange Übung.

„Warum nicht?“ knurrt der Vater.

„Weil du keine Geduld hast, wie Zuhause, wenn du etwas reparieren sollst.“

„Jetzt fang bloß nicht so an, du willst mich nur ablenken“ meint er grinsend.

„Pass auf und konzentriere dich, sonst wirst du nass, wenn der Killerhecht an deiner Angel zieht und dich in den Teich rein holt.“

Während dessen bleibt Gregor die Ruhe selbst. Dies hatte er zur Genüge bei der Bundeswehr gelernt, in seiner Ausbildung als Einzelkämpfer. Ruhe bewahren, den Feind nicht merken lassen das er beobachtet und durchschaut wird. In solchen Momenten muss er an seinen Ausbilder denken, der in vieler Hinsicht ein richtiges Schwein war. Der war so einer, der auf niemanden Rücksicht nahm, außer auf sich selbst. Komischerweise war er ihm in solchen Situationen trotzdem dankbar, dass er ihn damals so getriezt hatte. Das brachte ihm oftmals einen Vorteil, seinem Gegenüber ein. Diesmal ist es sein Vater, ein anderes mal ein Arbeitskollege oder auch schon mal ein paar Schläger, wenn er in Koblenz aus der Disco Heim will und sie meinen morgens um 4 Uhr, jemanden ärgern zu müssen, um ihren Spaß zu haben.

Die Ruhe seines Sohnes macht Waldemar in Situationen, wie dieser unruhig und nervös. Er nimmt seine Angel, holt sie ein und wirft sie erneut aus, immer und immer wieder, als ob er damit die Fische aus ihren Verstecken locken könnte. Er versucht es nun mehr in der Mitte des kleinen Sees, dann versucht er es möglichst in der Nähe des anderen Ufers. Als auch dieses nichts bringt, nimmt er die Stelle halb links bei der kleinen Schilfinsel in Angriff.

„Irgendwo müssen die Fische sich doch versteckt halten“ denkt er, als sich sein Haken irgendwo festzieht.

Er hat heute extra einen dieser neuartigen amerikanischen Wunderhaken mit Fanggarantie, aus der Fernsehwerbung benutzt. Langsam versucht er die Schnur ein wenig einzuholen bis sie stramm zieht. Bevor sie jedoch reißt lässt er nach, versucht seine Stellung etwas zu verändern. Tatsächlich kann er jetzt wieder etwas Schnur einholen und so einige wenige Zentimeter gutmachen. Doch plötzlich, zieht es dann wieder fürchterlich an der Leine, sodass sich seine Rute fast bis ins Wasser verbiegt. Gregor muss lachen, wie sein sooo erfahrener Anglerdaddy sich abmüht. Ganz langsam geht Waldemar hin und her und versucht so den Fisch aus der Reserve zu locken. Immer wieder hört man etwas wie ein Plätschern und Waldemar denkt:

„Hartnäckiges Viech, aber warte nur, ich bekomme dich doch, egal was du tust.“

Nach einer Weile, des ständigen Stellungswechsel und des stetigen ziehen und wieder loslassen, hat er das Gefühl, es würde sich etwas tun.

„Diese Taktik beibehalten“ denkt er und vor allem sich nichts anmerken lassen, obwohl langsam aber sicher seine Arme schlapp werden. Er bekommt schon langsam leichte Krämpfe in den Unterarmen, als ihm fast die Angel aus den Händen gleitet durch die Verkrampfung. Er wendet einen nun einen alten Bauerntrick an, indem er zieht und ruckartig wieder Leine gibt. Nach dem fünften oder sechsten Versuch bemerkt er, wie sich seine Arme und Hände wieder etwas entspannen. Sofort fängt er an seine Schnur einzuholen, Windung um Windung fährt er sie ein. Irgendetwas plätschert und das Schilf an der Insel bewegt sich leicht hin und her als er zieht.

„Aha! Da steckst du also. Du kommst wohl nicht den Weg, den ich möchte, aber du musst doch, ob du willst oder nicht“ denkt Waldemar Schmitz der ehemalige Vereinsmeister im Hochseefischen.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich wirklich etwas tut.

„Nur noch ein kleines Stück“ denkt er, „dann habe ich dich.“

Eine letzte Anstrengung, ein allerletzter Kraftakt und der Fisch löst sich aus seinem Versteckt. Er wird von dem Altmeister der Hochseefischer über das Hindernis hinweg gezogen. Endlich lässt sich die Rolle leichter einziehen.

„Na, wer wird wohl dieses Mal gewinnen? Wer wird der Sieger sein? Erfahrung vor der Jugend, so muss es sein. Das liebe ich.“

Mit diesem Siegesgedanken holt Waldemar seine Leine ein. Doch plötzlich ruft er Gregor zu:

„Gregor komm her und lass alles liegen, das ist kein Fisch. Es muss ein totes Tier sein, was ertrunken ist. Kannst du mal nachsehen, ob du da drüben ran kommst?“

„Okay du Superangler, dann gibt es noch einen Braten heute Abend“ scherzt er, als er an die ihm angegebene Stelle läuft.

Dort angekommen muss Gregor zweimal hinschauen, bevor er dann langsam weitergeht.

„Das kann nicht sein“ denkt er und ruft: „Komm schnell her. Du musst die Polizei rufen, du hast einen Menschen am Haken und kein Tier.“

Waldemar wird ganz blass und sieht es erst als einen Scherz seines Sohnes an, der ihn nur von seinem Sieg ablenken will. Doch als er näher kommt, ist es wieder da, dieses flaue Gefühl in der Magengegend. Dann steigt ihm die Blässe wieder ins Gesicht, er muss Kotzen, als er sieht, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelt. Er kommt etwas näher heran und sieht eine rosafarbene Bluse mit vom Körper gespreizten Armen und einen blonden Haarschopf. Als er bei Gregor ankommt, sieht er auch die beigefarbene Hose, die sich im Wasser aufgebläht hat und so die Leiche am Schilf festgehalten hatte. Sein neuer amerikanischer Haken hängt genau im Gürtel, deshalb war es auch so schwer den Fang durch das Schilf zu bekommen.

Während Vater Waldemar soweit ist, dass er sein Handy bedienen kann, um die 112 anzurufen und diesen grausigen Fang zu melden, macht sich Gregor mit einem langen herumliegenden Ast daran die Leiche ans nahe Ufer zu holen. Zumindest sie aber so in Reichweite zu bekommen, dass man sie packen kann. Es ist lange her, dass Gregor, dass letzte Mal eine Leiche bergen musste, damals war es im Totenmaar. Ein unvernünftiger Schwimmer, der trotz Warnung und Verbot dort schwimmen ging. Er hatte die Tücke dieses Maares bei weitem unterschätzt und so kostete es ihn das Leben.

„Wieder ein Verrückter weniger auf dieser Welt“ hatte er damals noch gedacht. Das Gesicht dieser Wasserleiche stand ihm jetzt wieder vor Augen.

„Nicht schon wieder! Kann man denn niemals darüber hinwegkommen? Ich dachte, es wäre ein für alle Mal geschafft. Ich darf mir nur nichts anmerken lassen. Du musst jetzt stark bleiben und dir keine Blöße geben“ sagt er sich.

Dann macht er sich daran die Leiche aus dem See zu holen. Als er sie in Reichweite hat, packt er sie an den Schultern der Bluse und zieht sie zu sich heran. Er greift zu und zieht kräftig, bis er den Gürtel fassen kann, wo immer noch der Haken fest verankert ist. Jetzt kann er die Leiche mühelos an Land ziehen und am Ufer ablegen. Er dreht sie auf den Rücken, dann legt er die Arme neben den Körper auf die Erde. Er streckt die Beine geradeaus und richtet den Kopf in die Mitte, so als, ob sie den Himmel ansehen möchte. Dann fährt er der jungen Frau mit der Hand über das Gesicht und schließt ihr die Augen. Dabei kommt ihm ein Fernsehfilm in den Sinn, wo es um einen Medizinstudenten ging, der dem Tod immer und immer wieder begegnet war. Irgendwann erzählte er einer Kollegin, dass er beim ersten Mal versucht hatte dem Toten die Augen zu schließen und diese immer wieder aufgingen, sich einfach nicht schließen ließen. „Es war schrecklich“, sagte er. „Es war grausam, sie haben alle gelogen, die Augen gingen immer wieder auf.“

„Ausgerechnet jetzt, kommt dir so ein Scheiß in den Kopf“ denkt Gregor.

Sein Vater ist fix und fertig, einem Herzinfarkt nahe.

„Nur das nicht“ schießt es Gregor durch den Kopf. Dabei fällt ihm ein, dass er noch einen Flachmann mit Cognac eingepackt hatte. Diesen flößt er seinem Vater ein. Er trinkt ihn ohne Gegenwehr und gleich geht es ihm etwas besser.

Danach schaut sich Gregor die junge Frau genauer an, die er gerade aus dem See geholt hat. Er entfernt den Haken an ihrem Gürtel und sieht jetzt erst das Abzeichen auf der Bluse, es ist vom Ferienpark.

„Sie muss eine Angestellte sein. Aber was hat sie denn hier unten am See in Dienstkleidung gemacht? Sie ist wunderschön, denn selbst im Tode macht sie noch den Eindruck eines friedlich schlafenden Engels. Ihre blonden Haare, die blauen Augen, der helle Teint ihrer Haut und die schlanke Figur ist einfach herrlich anzusehen“ denkt er noch, als sein Vater ganz nüchtern zu ihm sagt:

„Es ist die Bedienung aus dem Steakhaus, die kenne ich. Als ich mit deiner Mutter hier war, hat sie uns bedient. Schade das sie so jung sterben musste, denn sie war echt nett und zuvorkommend.“

Nach exakt sieben Minuten trifft die Feuerwehr ein. Nach weiteren dreißig Minuten, dann auch endlich die Polizei, dein Freund und Helfer. Zwanzig Minuten vor der Polizei ist Hardy Koslowski vom „Eifelexpress“ schon vor Ort. Wieder einmal ist der Journalist schneller als die Polizei. Er hat den Fundort längst gecheckt als die Herren in Grün eintreffen.

Sie nehmen die Personalien der beiden unglücklichen Angler auf und registrieren die Tote als Parkangestellte. Irgendwann viel, viel später trifft auch die Kripo aus Wittlich ein, Alfred Kowalski und sein junger Partner Gernot Gross. Kowalski schickt den jungen Kollegen an die Rezeption des Ferienparks, um die Tote junge Frau zu identifizieren. Als er den Empfang betritt, ist dieser leer, bis auf eine junge Frau ende zwanzig, stabil gebaut, mittelblond und mit leichtem holländischem Akzent. Sie sieht nur kurz beim Telefonieren auf und führt ihr Gespräch weiter. Gernot Gross wartete etwa fünf Minuten, in denen er sich mehrmals durch leichtes räuspern bemerkbar macht, jedoch gibt es keine Reaktion. Dann trommelt er mit den Fingerspitzen auf dem Empfangstresen herum, bis er die Stimme der jungen Frau vernimmt, die sagt:

„Melissa da nervt gerade Einer, komme gleich wieder.“

Säuselnd erhebt sie sich hinter dem Schreibtisch mit der kleinen Glasscheibe, legt den Hörer auf den Tisch, setzt ein Lächeln auf und sagt:

„Junge Mann was kann ich dir tun?“

„Oh“, sagt Gross, „ein bisschen Zeit widmen, damit bin ich schon zufrieden. Geht das?“

„Is de Bungalow nich sauber?“ gibt sie zur Antwort.

„Keine Ahnung, ich war in keinem Bungalow, ich komme unten vom See“, erwidert Gross und kramt in seiner Jackentasche herum.

„Ah, Vissen aan de Zee, hast Gluck met de vissen gehabt?“ schnurrt sie ihn an.

„Nee“, sagt er und findet endlich seinen Ausweis, den er ihr vor die Nase hält.

„Oh Politie. Sorry, was kann ich für sie tun?“

„Na endlich! Können sie mir sagen, ob sie eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren aus dem Park kennen? Sie ist circa einmeterundsechzig groß, schlank und Schätzungsweise Anfang zwanzig“.

„Ja, das könnte Lisa Müller sein. Sie arbeitet manchmal hier an der Rezeption oder oben im Service“ meint sie und setzt ihr süßestes lächeln auf.

„Wie lange arbeitet diese Lisa, wie war noch ihr Familienname, schon hier?“

„Lisa Müller heißt sie. Seit gut zwei Jahren ist sie hier im Park beschäftigt. Sie ist eine unserer zuverlässigsten Kolleginnen und vor allem sehr flexibel einsetzbar und unkompliziert. Ist etwas mit ihr?“ Sagt sie, legt den Kopf etwas schief, schlägt die Augen einmal, zweimal dezent auf und zu und verzieht ihren Mund zu einem spitzen Lächeln.

Gross antwortet aus seiner unkomplizierten Art heraus, ebenso süffisant:

„Ja sie war ihre Kollegin. Sie wird nämlich nicht mehr kommen, weil wir sie gerade unten aus dem See gefischt haben. Und jetzt sorgen Sie bitte dafür, dass ich sofort den Chef hier herbekomme“ und fügt nun energisch hinzu: „Beenden Sie sofort ihr Privatgespräch mit ihrer Kollegin! Ist das klar?“

Nun fällt ihr die Farbe aus dem Gesicht. Sie sagt nur noch:

„Ja sofort.“

Unerwartet hat Gernot Gross wohl den richtigen Ton bei ihr getroffen. Zwei Minuten später steht ein Mann, ende dreißig in einem dunklen Anzug, mit weißem Hemd und quergestreifter Krawatte vor ihm.

Er ist etwa einmetersiebzig groß und hat ein gekauftes Lächeln aufgesetzt, als er seine Hand Gross entgegenstreckt und sagt:

„Boris Egerland, ich bin hier der Manager, der geschäftsführende Direktor dieses Parks. Wobei kann ich behilflich sein?“

Gross hält ihm seinen Ausweis unter die Nase und möchte wissen, wo sie sich in Ruhe unterhalten können. Daraufhin wird er links von der Rezeption durch eine Holztüre mit einer großen Glasscheibe, in ein dahinter liegendes kleines Büro geführt. Gross erkundigt sich nun ohne Umschweife nach der Angestellten Lisa Müller. Der Manager meint nur, dass er nicht jeden Mitarbeiter mit Namen kennen würde und deshalb die Personalabteilung anrufen müsse.

Er telefoniert kurz und nach wenigen Minuten steht eine Frau, was heißt eine Frau, ein Knaller von Frau in der Türe des kleinen Büros, was man hier Office nennt. Sie hält eine Akte in der linken Hand und streckt die Rechte zur Begrüßung hin und stellt sich vor:

„Guten Tag. Monica Belucci, Personalchefin dieses Parks.“

Gross bekommt schweißnasse Hände und denkt nur:

„Oh weia! Jetzt nur nicht zittern vor Aufregung und ganz ruhig bleiben.“

Sie nehmen Platz und sehen sich die Personalakte an. Nichts Außergewöhnliches. Er notiert sich die Adresse in Gunderath und möchte noch wissen:

„Hat Frau Lisa Müller einen Freund oder ist sie verheiratet? Ist sie hier aus der Gegend? Hat sie Verwandte, welche ihnen bekannt sind?“

Monica sagt:



„Sie ist nicht verheiratet, das müsste ich wissen, wegen der Steuerklasse. Freund? Weiß ich nicht und ja, sie ist nicht von hier. Sie kommt aus Chemnitz, dort wohnen auch ihre Eltern noch. Als sie hierherkam, gab sie die Adresse der Eltern mit an.“

Gross notiert die Adresse der Eltern, bedankt sich und geht wieder zum See zurück. Sofort empfängt ihn sein Chef von weitem mit den Worten:

„Wo bleibst du denn? Man du hast wieder eine Leitung heute. Ich schicke dich nur eine Kleinigkeit erledigen und du kommst zur neuen Bundesligasaison zurück. Hast du denn etwas erfahren können?“

„Ja Chef, machen wir später. Wisst ihr schon näheres über den Todeszeitpunkt und wie es passiert sein könnte?“

„Die Befragungen laufen noch und Dr. Brandner meint, dass sie schon fünf oder sechs Stunden im Wasser gelegen haben muss. Mehr bekommen wir nach der Obduktion.“

„Was sagt die Spusi? Haben die denn mal was Brauchbares gefunden?“

„Noch nicht, aber sie sind fleißig auf der Suche, wenn sie sich nicht wieder einmal alles selbst zertrampeln. Manchmal wünschte ich mir, nie diesen Posten hier angenommen zu haben. In solchen Situationen weiß ich wie gut ich es in Wattenscheid hatte.“

„Chef erzählen sie mir nichts von Wattenscheid, sonst muss ich ihnen von meinem Kollegen aus Gelsenkirchen erzählen.“

„Lieber nicht“, sagt Hauptkommissar Alfred Kowalski lachend. „Aber tue mir einen Gefallen und kümmere dich um Koslowski, den Journalisten, der schnüffelt schon wieder zu lange hier herum.“

„Mach ich Chef“, sagt Gross und geht auf die Suche nach besagtem Koslowski.

Beide kennen sich schon gut fünf Jahre und gehen ab und zu gemeinsam mal ein Bier in Kirchweiler, im Gasthaus „Zum Idderjen“ trinken. Dort hat der Wirt Reisdorf Kölsch vom Fass. Manchmal arbeiten sie auch zusammen, nur darf es niemand erfahren. Sie haben ein Abkommen, wenn einer etwas hat was der Andere gebrauchen kann, dann spielen sie es sich gegenseitig zu. So hat jeder seinen Nutzen von der Arbeit des Anderen. Bei Hardy Koslowski ist es die Story, bei Gross die Spur oder eine fehlende Information. Schließlich will auch er weiterkommen und nicht für immer der kleine Assistent vom großen Kommissar Alfred Kowalski aus Wattenscheid bleiben.

*

Nach kurzem Suchen findet er ihn mitten im Gewühl der Beamten mit seinem Notizblock und der Canon D40 über der Schulter. Koslowski, ein Mann um die fünfzig, etwas weiß-grau meliert, mit Bart und Brille. Seinen Bauch kann man auch nicht übersehen, er ist halt ein echter Feinschmecker, ein ganz gemütlicher. Aber wehe, wenn er einen Lauf hat, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt es kein Halten mehr. Schnell ist Gross bei ihm und begrüßt ihn.

„Und......hast du schon was Brauchbares gefunden, alter Halunke?“

„Noch nicht.“ meint Koslowski „Wie sieht es bei dir aus?“

„Niete“ kommt die Antwort.

„Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Die Tote hat keine Anzeichen von äußerer Gewalt, das ist sicher.“

„Unfall durch Ertrinken meinst du?“

„Vielleicht?“, erwidert Koslowski

„Wenn ich das Ergebnis aus der Gerichtsmedizin habe gebe ich dir Bescheid.“

„Dann bis dieser Tage Gross“, sagt er und macht sich vom Acker.

Gernot Gross geht zurück zu seinem Chef.

„Ist er weg?“, fragt dieser.

„Klar.“

„Könntest du noch einmal zur Rezeption gehen und dort nachfragen, ob die Tote eine Personalwohnung im Park hat?“

Wie gerufen kommt Gernot dieser Auftrag, obwohl er die Adresse ja schon hat. Vielleicht wird er ganz zufällig noch mal zu dieser Monica geschickt, der Personalchefin.

Wieder geht er zu der säuselnden Rezeptionistin mit dem holländischen Akzent, wenn sie keine Lust auf Gäste hat. Doch kommt man ihr auf die Schliche, dann spricht sie perfekt Deutsch ohne jeglichen Akzent. Als er eintritt, sagt sie, dieses Mal ohne ihn lange warten zu lassen:

„Noch etwas vergessen?“

„Ja. Hat diese Lisa Müller im Park eine Personalwohnung oder so etwas Ähnliches?“

„Nein, sie wohnt unten im Dorf, gleich links, erstes Haus Nummer zwei bei Meier.“

„Danke schön für diesen Hinweis. Ach, noch etwas. Könnten sie mir für Morgen nochmal einen Termin bei ihrer Personalchefin machen, so gegen vierzehn Uhr?“

„Mache ich, geht klar. Trinken wir hinterher einen Kaffee zusammen? Ich lade sie ein.“

„Können wir drüber reden“, sagt Gross, dreht sich zum Gehen um und grinst vor Freude. Erst mal die Personalchefin, dann die Rezeptine. Der Tag ist also noch zu retten.

Zurück bei Kowalski, erkundigt er sich den nach Neuigkeiten. Dieser bestätigt ihm nur, was er eh schon von Koslowski erfahren hatte: keinerlei Gewaltanwendung sichtbar.

„Vielleicht ist sie gestolpert und in den See gefallen“ denkt er gerade als sie wieder bei den beiden Anglern ankommen.

„Sie haben wirklich niemanden hier gesehen? Herr… Äh Schmitz“ meint Gernot wie abwesend.

„Nein, wirklich nicht. Wir beide waren ganz alleine hier, bis diese Frau bei mir an der Angel hing“ erwidert Vater Waldemar.

„Schon gut“, sagt Gernot, „Ich glaube ihnen, sie brauchen sich nicht aufzuregen.“

„Dann erzählen sie, das auch bitte ihren Kollegen. Die sind nämlich der Meinung, wir hätten sie umgebracht. Mein Sohn Gregor und ich gehen alle zwei Wochen hier angeln, doch so etwas ist uns noch nie passiert.“

„Ich werde mich darum kümmern Herr Schmitz, ganz bestimmt. Das verspreche ich ihnen. Sie können bald nach Hause.“

„Danke“, sagt er nur kurz, bevor er den Tränen nahe in sich zusammensinkt. Gregor sein Sohn eilt sofort an die Seite seines Vaters. So kennt er seinen Vater nicht, er ist viel gewohnt, aber das schien ihm doch zu viel zu sein. Ein kerniger aber liebenswerter Mensch ist er stets gewesen, sein Vater. Doch das ihn schon eine bloße Anschuldigung dieser Dorftrottel so aus der Bahn bringen kann, hat er sich auch nicht träumen lassen.

Gross macht sich mit Kowalski auf den Weg ins Büro. Wie immer sitzt Gernot Gross am Steuer des Dienstwagens, als Kowalski wie beiläufig zu ihm sagt:

„Schlag dir die Personalchefin aus dem Kopf und geh einen Kaffee mit der molligen Holländerin trinken.“

Es kracht im Getriebe und der Wagen springt und ruckt, bis er mitten auf der Straße stehen bleibt. Gross ist schweißgebadet und sagt zu seinem Chef:

„Was erzählen sie da?“

„Gross hör mir einfach nur einmal zu. Der Ferienpark hier ist wie eine Bildzeitung, nur viel schneller. Hier wird mit dem Telefon und dem Handy getrommelt per SMS. Lass die Finger von ihr, das ist eine Nummer zu groß für dich. Hör auf meinen Rat.“

„Chef kennen sie die Personalchefin eigentlich? Das ist die Frau meines Lebens, die muss ich einfach wiedersehen.“

„Mach was ich dir sage, sonst hast du schneller ärger, als dir lieb ist.“

„Sie sind wie meine Mutter. Wissen sie das?“

Das ist das Letzte, was Gernot Gross während der Fahrt noch mit seinem Chef spricht.

Es ist noch nicht einmal Mittag, der halbe Dienst liegt noch vor ihnen und dann auch noch diese blöden Ratschläge. Der Alte weiß wohl alles.

„Er ist schneller als ein Buschfeuer“ denkt Gross und gibt Gas.

Nach einer Weile bemerkt er, dass Kowalski ihn immer wieder aus den Augenwinkeln ansieht.

„Warte ab, ich bleibe diesmal hart“ denkt er.

Dann kommen sie vor ihrem Büro an und gehen hinein.

„Kaffee?“, fragt Gross.

„Mmmmh“, brummt Kowalski.

Als er ihm den Kaffee bringt, Milch und Zucker hinstellt, meint er:

„Frieden Chef? Sie haben ja wieder mal Recht, ich werd’s beachten. Danke für den Hinweis.“

„Schon gut, nimm’s nicht so tragisch. Kann jedem einmal passieren.“

Danach plätschert der Tag nur noch dahin, bis der Feierabend endlich da ist.

 

Spurensuche

 

 

 

Am anderen Morgen klingelt das Telefon im Büro der Mordkommission und Gross hebt ab. Schön das die Pathologie endlich mal von der etwas schnelleren Truppe ist.

„Nicht am Telefon“ hat Dr. Brandner gesagt.

Klingt geheimnisvoll, also fahren sie hin. Brandner führt sie in den Sezierraum, wo die junge Lisa Müller auf dem kalten Stahltisch liegt, nur mit einem Leinentuch zugedeckt. Er führt sie an den Tisch, zieht das Tuch etwas zurück und sagt:

„Es gibt tatsächlich keine Anzeichen von äußerer Gewalt, keine Stiche, keine Würgemale, nicht einmal großartig blaue Flecken. Außer den Schrammen von dem Angler, der sie durch das Schilf gezogen hat, ist wirklich nichts zu finden. Es sieht fast so aus, als hätte sie jemand ganz sanft in den See gelegt.“

Kowalski geht um den Tisch herum, immer und immer wieder, aber er sieht auch nichts Auffälliges. Dann meint er Brandner ansehend:

„Kann es auch möglich sein das es einfach nur ein dummer Unfall war?“

„Was Besseres fällt mir im Augenblick auch nicht ein“, entgegnet Brandner „aber ich werde mich weiterhin anstrengen, damit wir ganz sicher sein können. Eigentlich findet man Tod durch Herzversagen nur bei Leistungssportlern in diesem Alter.“

„Das war sie ganz sicher nicht. Danke“ sagt Kowalski und deutet Gross anzugehen.

Als sie wieder im Auto sitzen fragt Kowalski:

„Wann hast du deinen Termin bei dem Superweib?“

„Heute um vierzehn Uhr, warum?“

„Weil ich mitkomme und mich noch einmal in Ruhe umhören möchte, wenn du erlaubst. Ich werde dein Date, wie man heute sagt nicht stören, du musst selber wissen, was du tust.“

„Gerne“, sagt Gross mit einem Lächeln im Gesicht.

„Geht doch“ grinst Kowalski.

Während der Rückfahrt überlegen beide, ob es nun Selbstmord oder vielleicht doch Mord war. Wer hatte ein Interesse diese junge Frau umzubringen? Ein Exfreund, ein neidischer Kollege oder gar eine Kollegin, wer weiß? Hübsch genug war sie ja, vielleicht zu hübsch.

Kurz bevor sie in ihre wohl verdiente Pause gehen wollen, klingelt das Telefon erneut. Die Schreibkraft brüllt:

„Kowalski, der Brandner ist am Telefon.“

„Schon gut, leg ihn in mein Büro Melli.“

Der Coole Dr. Brandner, zumindest tut er immer so, hat eine Neuigkeit. Das muss was Wichtiges sein, denn für seine Verhältnisse ist er fast schon aufgeregt.

„Kowalski eine Neuigkeit, die Kleine ist schwanger, im dritten Monat.“

„Das ist ja interessant Brandner. Hast du auch herausbekommen von wem?“

„Soll ich dir auch noch den Namen verraten, den das Kind bekommen sollte?“

„So genau muss es nun auch wieder nicht sein. Der Name des Vaters genügt eigentlich, aber nichts für ungut. War ein Scherz, danke das du angerufen hast.“

Nachdem er aufgelegt hat, sagt er zu Gross:

„Hast du das mitbekommen? Diese Lisa Müller ist im dritten Monat schwanger. Kannst du nicht mal deine Traumfrau ein wenig ausquetschen oder deine kleine mollige Freundin von der Rezeption?“

Er nickt und sie gehen in die verdiente Pause. Danach ist ihre erste Amtshandlung, die Fahrt in den Ferienpark. Ausgerechnet heute fängt die Gemeinde damit an die Straße aufzureißen, um neue Leitungen zu verlegen.

„Das kann Monate dauern, bis die fertig sind“ denkt Kowalski und er sollte Recht behalten. Als Gross den Empfang betritt, sind gerade fünf Gäste dort. Schnell flötet Miss Moppel dieses Mal direkt und ohne Akzent:

„Willst du einen Cappuccino oder lieber einen Milchkaffee nachher? Du vergisst unsere Verabredung doch nicht etwa?“

„Nein, nein“, ruft er im Vorbeigehen.

Dann steht er vor der Türe der Personalabteilung und klopft.

„Herein“ meldet sich eine Stimme, aber nicht die vom Superweib Monica Belucci, dessen ist er sich ganz sicher. Er geht rein und meldet sich an. Richtig erkannt, es ist ihre Assistentin Karina Brinkmann. Nach etwa zehn Minuten kommt Monica Belucci mit dem Direktor und führt Gross in ein Besprechungszimmer. Dort stehen standardmäßig, eine Kaffeekanne, so wie Tassen und Kekse auf dem Tisch.

Der Direktor eröffnet das Gespräch mit der Beteuerung, dass so etwas noch nie vorgekommen sei. Er könne sich dies alles gar nicht erklären. Er habe auch noch nie etwas davon gehört, dass das Personal Streit unter einander hätte, kleinere Sticheleien ja, aber richtigen Streit, nein. Dann verabschiedet er sich so schnell wie er gekommen war und ist weg. Irgendetwas stimmt mit diesem Direktor Egerland nicht, dessen ist sich Gross ganz sicher. Vor allem hat er herausgefunden, dass der Direktor Egerland gerade mal ein Jahr hier ist. Also warum ist der so oben auf? Der kann doch vieles gar nicht wissen? Warum nimmt man einen solchen Posten hier in der Prärie an, wenn man doch angeblich bessere Möglichkeiten hat?

„Endlich ist er weg. Endlich allein mit ihr“ denkt Gernot Gross.

Das Gespräch verläuft etwas sehr fruchtlos. Monica die Personalchefin weiß ebenfalls nichts oder sie will nichts wissen. Bevor er geht, sagt er noch:

„Die Sachlage ist etwas schwieriger, als es den Anschein gibt. Ist es möglich, dass ich sie zum Essen einlade und wir uns einmal etwas näher über einige Details in Ruhe unterhalten können?“

Mit einem Lächeln sagt sie:

„Ich rufe sie an.“

„Mhhhmm“ macht er und ist draußen.

Was will die auch mit einem Kripoassistenten, die ist eher was für einen Juwelier oder einen Scheich, zumindest aber für einen Banker. Trotzdem bleibt sie, ein Traum von Frau für Gernot Gross, mit seiden braunen Haaren, schönen braunen Augen und einer tollen Figur, fast eine Hollywoodschönheit und sie weiß was sie will, da ist er sich sicher.

Miss Moppel mit den blauen Augen steht schon in der Warteschleife, kaum ist Gross in Sicht, da jodelt sie schon:

„Hallo hier rein.“

So gehen Sie beide in eines der Restaurants und bestellen sich einen Cappuccino. Währenddessen versucht Gross sie ein wenig auszuhorchen. Er schaut auf ihr Namensschildchen und sagt:

„Frau van der Graaff, wissen sie ob Lisa einen Freund hat?“

„Swantje, sag einfach Swantje zu mir, das reicht.“

„Gut Swantje. Was weißt du von Lisa privat?“

„Eigentlich nichts. Sie ist, Entschuldigung, sie war eine super nette Kollegin. Doch nach der Arbeitszeit war sie immer wie in Luft aufgelöst, man sah sie nie. Keine Ahnung wie sie das gemacht hat, in so einem kleinen Ort. Klar auf Ausflügen und Partys war sie immer mit dabei.“

„Und wie war sie da?“

„Der Mittelpunkt natürlich. Schön, jung, anziehend und blond. Die hätte jeden Tag fünf Kerle haben können, wenn du das meinst. Kein Kind von Traurigkeit würde ich sagen. Aber du fragst mich ja nicht oder doch?“

Schon wieder dieses geheimnisvolle Lächeln, mit den Grübchen auf ihren Wangen und dann die leuchtenden, besitzergreifenden Augen.

„Bringt nichts“, denkt Gross, „mach einen Abgang, sonst bis du noch in ihrem Bett ehe du dich versehen hast.“



Drei Tage sind seit dem Auffinden von Lisa Müller vergangen und noch immer hatte sich nichts getan. Also machen sich Kowalski und Gross auf nach Chemnitz, zu ihren Eltern. Wo sie auch nach langen fast sieben Stunden Autobahn und Bundesstraße, endlich ankommen. Eine kurze Erfrischung, etwas zu essen und ein Zimmer für die Nacht besorgt.

„Das muss sein“ meint Kowalski „noch mal sieben Stunden zurück, das halte ich nicht aus.“

Bei Lisa Müllers Eltern angekommen, hat Kowalski die Aufgabe, diesen die Nachricht vom Tod ihrer Tochter zu überbringen. Sie sind ganz außer sich über den plötzlichen Tod ihrer Tochter. Die Mutter sitzt nur da und weint, während der Vater das Ganze eher mit Abstand zu betrachten scheint. Dann kommt die Frage von Kowalski:

„Wussten sie, dass ihre Tochter schwanger war?“ sagte er.

Beide schütteln den Kopf.

„Auch das noch“, ruft die Mutter aus, es ist für sie wie ein Donnerschlag.

„Wissen sie wer der Vater sein könnte?“, fragt Herr Müller.

„Nein, aber wir werden ihn finden, ganz sicher“ gibt Kowalski zur Antwort.

„Hatte ihre Tochter einen Freund?“ meint Gross.

Wieder schütteln beide den Kopf und Frau Müller sagt:

„Deswegen wollte sie ja immer weg von hier. Aus diesem Grund hat sie auch eine Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau gemacht. Sie wollte einfach etwas erleben, neue Menschen kennenlernen. Sie wollte ja nicht auf uns hören und hier bleiben. Hier war ihr ja keiner gut genug. Sie wollte was Besseres und jetzt ist sie Tod.“

Schluchzend legt sie den Kopf in ihre Hände.

„Hatte ihre Tochter in letzter Zeit Probleme oder Angst?“ meint Kowalski.

„Nein, nicht dass ich wüsste“, sagt Herr Müller etwas nachdenklich.

„Lisa hat schon lange nicht mehr mit uns über Probleme gesprochen, die zu lösen waren. Früher war das alles anders, da hat sie mir immer ihr Herz ausgeschüttet“ sagt die Mutter.

„Hat ihre Tochter noch ein Zimmer bei ihnen?“ schaltet sich Gross in das Gespräch ein.

„Sicher hat sie ihr Zimmer noch hier. Ich habe ja immer gehofft, dass sie irgendwann wieder vor der Türe steht und hier bleibt. Wenn sie uns besucht hat, was sehr selten war in den letzten beiden Jahren, dann hat sie in ihrem alten Zimmer geschlafen“ erwidert die Mutter.

„Dürfen wir uns das Zimmer einmal ansehen Frau Müller?“, sagt Kowalski.

„Ja, es ist alles noch genauso, wie sie es bei ihrem letzten Besuch verlassen hat“, antwortet Frau Müller.

Es ist ein ganz normales Zimmer einer jungen Frau, die noch bei ihren Eltern wohnt. Ein Zimmer wie tausend andere, nichts Außergewöhnliches fiel ihnen auf. Helle Kiefermöbel, ähnlich wie bei IKEA, die Wände weiß gestrichen. Auffällig viele Bilder und Poster aus fernen Ländern, hängen an den Wänden und dazwischen ein großes Robbie Williams Poster, das war alles. Am Schreibtisch unter dem Robbie Williams Poster finden sie ein abgeschlossenes Fach. Auf die Frage nach dem Schlüssel meint Frau Müller:

„Den Schlüssel für dieses Fach hat sie immer mitgenommen, da durfte niemand dran.“

Das weitere Gespräch ergibt nicht wirklich etwas mehr und so verabschieden sich Kowalski und Gross. Sie machen sich auf den Weg ins Hotel, besser gesagt, in ihre kleine Pension mit Gastwirtschaft. Vielleicht erfährt man ja rein zufällig etwas Brauchbares am Tresen. Sie bestellen sich ein Radeberger vom Fass und ein Jägerschnitzel mit Pommes und Salat. Als sie gerade bezahlen wollen, tritt Gross seinen Chef unter dem Tisch mit dem Bein und deutet mit dem Kopf zum Tresen und meint:

„Hast du das mitbekommen, Chef?“

„Was?“, fragt Kowalski mit noch vollem Mund.

„Siehst du den da vorne, mit dem Holzfällerhemd und der Jeansjacke am Tresen?“

„Mmmhh“ nickte sein Chef mit aus den Mundwinkeln heraus schauenden Salatblättern.

„Der hat doch eben ganz deutlich zu seinem Nebenmann gesagt, dass er Lisa Müller heiraten wird. Hast du das wirklich nicht gehört?“

„Spendier ihm ein Bier und hole ihn an den Tisch zu uns.“

Gross geht zu ihm hin und meint:

„Hallo junger Mann, ich habe gerade mitbekommen, dass sie bald Lisa Müller heiraten. Darauf müssen wir anstoßen, kommen sie doch zu uns an den Tisch. Ich bin übrigens der Gernot aus Daun in der Eifel und war gerade bei Lisas Eltern.“

„Sie kennen Lisa? Wie klein die Welt doch ist. Ich bin der Mirko.“

Nachdem sie ihm zwei große Bier eingeflößt haben, wird er gesprächig und Kowalski fängt an ihn auszuhorchen. Dabei erfahren sie etwas sehr Interessantes, als dieser Mirko sagt:

„Lisa ist von hier weg in diese Pampa, Eifel genannt, um Karriere zu machen. Sie hat mich einfach hier zurückgelassen. Was soll ich denn in der Eifel als Ossi? Sie hat nur immer ihre scheiß Karriere im Kopf. Den Ring von mir hat sie auch abgelehnt.“

Kowalski sagt:

„Ich denke sie heiraten sie bald.“

„Ja……, wenn ich sie zurückgeholt habe, aus den Klauen dieser Wilden in dem Park. Ich muss sie davon befreien, dann…… Ja dann werde ich sie heiraten und dann hat sie keine andere Wahl mehr.“

„Warum hat sie dann keine andere Wahl mehr?“ meint Gross.

„Weil ich dann alle diese Partybumser kaltgemacht habe. Lässt sich da von fast jedem bumsen, um schneller weiter zu kommen und bei mir hat sie immer irgendeine Ausrede! Trotzdem wird sie mich heiraten, das steht fest, egal wie und wann. Ich habe Zeit.“

„Und wenn sie gar nicht mehr zurückkommen will, was machen sie dann?“ plätschert es aus Gernot Gross, der mittlerweile auch schon zwei große Bier intus hat.

„So, so“ denkt Kowalski, „dann wird es also bald Ärger in der schönen Eifel geben.“

Kurzer Hand gibt er Gross zu verstehen, dass es Zeit ist zu gehen.

„Was will der mit einer Frau wie Lisa Müller? Die passt doch gar nicht zu diesem Holzklotz“ sagt Gernot Gross zu seinem Chef, nachdem sie gegangen sind.

Morgen früh müssen sie zeitig raus, sieben lange Stunden zurück und Berichte schreiben. Oh, wie sie diesen Teil ihrer Arbeit hassen. Kann man dafür nicht eine Aushilfe als Schreibkraft, zwei Tage die Woche holen oder jemanden von der Polizeischule im Praktikum nehmen? Berichte schreiben ist einfach eine Qual.



Einen Tag später sind sie wieder zurück im Büro. Gleich darauf kommt der Abteilungsleiter Dr. Dr. Schmidt, mit der Neuigkeit, dass die Kripo Daun, den beiden Anglern Vater und Sohn Schmitz nicht glaube. Sie nehmen ihnen die Geschichte vom gemeinsamen Angelausflug nicht ab. Sie verdächtigen den Sohn des Drogenhandels und behaupten er hätte Lisa Müller umgebracht, weil sie ihn bei seinen Geschäften gesehen habe. Warum sollte dieser Gregor Schmitz hier im Park Drogengeschäfte abwickeln und was für eine Rolle spielt sein Vater Waldemar dabei?

Gernot Gross findet, das nun wirklich ein bisschen sehr überspannt und sagt:

„Chef, das glaube ich einfach nicht. Die wollen doch nur ein Erfolgserlebnis haben, das ist alles. Wenn sie den Vater erlebt hätten, wüssten die, dass er die Wahrheit sagt und der Sohn ebenfalls.“

„Du hast Recht, die Beiden machen wirklich nicht den Eindruck von Dealern“ schaltet sich Kowalski ein.

„Wenn alle wie Mörder aussehen würden, dann hätten wir ein leichtes Spiel, meine Herren“, entgegnet Dr. Dr. Schmidt.

„Das ist wieder typisch, wenn die Argumente ausgehen kommt so was“ wirft Gross ein „es ist immer dasselbe, mit denen.“

„Wissen sie eigentlich, dass die Tote Frau im dritten Monat schwanger war, Herr Dr. Dr. Schmidt?“ schaltet sich Kowalski in diese Kampfansage ein. „Die ist sicher nicht vom Sohn, diesem Gregor Schwanger und auch nicht von seinem Vater. Da gehe ich jede Wette ein.“

„Sie Wetten? Seit wann das denn?“ meint Dr. Dr. Schmidt.

„Merken sie sich eines Schmidt, ich Wette, nur wenn ich ganz sicher bin, dass ich gewinne“, sagt Kowalski ernst.

„Dann glauben sie doch nicht etwa, dass ich auf eine Wette mit ihnen eingehe, Kowalski? Bringen Sie mir Beweise, dann kann ich etwas unternehmen. Hören sie, ich brauche Beweise.“

„Okay, die bekommen sie, ihre Beweise.“

Kowalski zieht Gross am Arm aus dem Büro. Sie machen sich auf den Weg in den Park. Es ist der fünfte Tag nach dem Fund der Leiche und immer tut sich noch nichts. Während der Fahrt sagt Kowalski:

„Gross halte dich an Moppelchen, von der kannst du sicher mehr erfahren. Die scheint neugierig zu sein und hat eine lose Zunge, im Gegensatz zu deiner Super Moni.“

„Oh Chef, hör endlich auf damit. Wieso Super Moni? Woher wissen sie, wie die Personalchefin heißt?“

„Ich will ja nicht prahlen, aber man hat schon noch seine Zuträger für das Nachrichtensystem.“

Gernot Gross meint etwas genervt:

„Schon gut Chef, ich sag nichts mehr.“

Als sie dann im Ferienpark ankommen, steht ein älterer Herr auf der Straße, Halbglatze und Schnäuzer. Er will mit aller Gewalt verhindern, dass sie vor der Rezeption Parken. Sie sollen auf den großen Parkplatz durchfahren. Immer und immer wieder redet er auf sie ein, stellt sich dann mitten in den Weg vor ihr Fahrzeug und versperrt die Weiterfahrt. Dann sagt er:

„Freunde, einen Schritt weiter und ich haue euch ’nen Knüppel in den Wagen.“

Jetzt reicht es Kowalski, er zeigt seinen Ausweis und sagt:

„Du kleiner Scheißer kannst froh sein, dass wir dich in Ruhe lassen. Denk an die Anzeigen die bei der Sitte liegen. Haben wir uns jetzt verstanden, Herr Gugelhupf?“

„Schon gut Herr Minister, fahren sie vor die Rezeption“ meint der Angesprochene ältere Herr.

„Was war das denn? Heißt der wirklich Gugelhupf? Und was heißt hier Herr Minister? Das musst du mir aber jetzt näher erklären, kennt ihr euch?“ meint Gross.

„Natürlich heißt der nicht so, das ist dir doch klar. Das ist der örtliche Staatsfotograf, Fritz Saalmann. Er nennt sich in seinem Metier, Joe Lennox. Du kennst die Akte ja. Deswegen auch Herr Minister……ach ich erzähle dir das ein anderes Mal, muss jetzt nicht sein.“

Das Auto steht nun doch vor der Rezeption und Kowalski macht sich auf die Spurensuche im Park. Gross marschiert direkt ins Büro der Personalchefin. Diesmal ist sie alleine und Gross sagt ohne Umschweife:

„Wissen sie warum ich hier bin?“

„Ja, wegen der Toten Mitarbeiterin Lisa Müller“, sagt Frau Belucci und nickt dabei.

„Nein“ meint Gross.

„Nein?“, fragt Frau Belucci zurück und sieht ihn etwas von unten nach oben schauend an.

„Nein“, antwortet er, „ihretwegen, nur ihretwegen bin ich hier.“

„Ich verstehe nicht ganz, wollen sie etwa sagen, dass ich unsere Mitarbeiterin umgebracht haben soll?“

„Sie verstehen wirklich nichts“, sagt Gernot Gross und wendet sich schon wieder zum Gehen ab.

Kurz bevor er die Türe erreicht, hört er ein schallendes Lachen. Er bleibt stehen und dreht sich um.

„Sie sind wirklich meinetwegen hier, das merke ich jetzt. Es tut mir wirklich leid, manchmal stehe ich etwas auf der Leitung. Steht ihre Einladung zum Essen noch?“

„Wollen sie mich jetzt verarschen?“, sagt Gross zu ihr und schaut in zwei braune Rehaugen, welche einen Glanz ausstrahlen wie die Sonne. Das Lächeln auf ihrem Gesicht entblößt ihre makellosen weißen Zähne, als sie sich mit der Zunge kurz die Lippen benetzt.

„Nein ich meine es ehrlich“, sagt sie. „Steht die Einladung noch? Dann nehme ich sie gerne an.“

„Haben sie einen Vorschlag wohin wir gehen können?“ meint Gross.

„Ja! Ich hörte sie schwärmen so vom Holzschnitzer in Dreis“ sagt sie.

„Tu ich das?“ meint Gross.

„Ja, das tun sie. Also was ist?“

„Okay, um 19 Uhr hole ich sie unter an der Straße, vor der Auffahrt zum Park ab.“

„Gut, dann bis heute Abend“, sagt sie und vertieft sich wieder in ihre Arbeit.

Kurz bevor Gross das Büro der Rezeption erreicht, begegnet ihm dieser mysteriöse Direktor. Wie hieß er doch gleich? Ach ja, Egerland, Boris Egerland. Als beide auf gleicher Höhe sind, sagt er zu Gross:

„Herr Polizeirat kommen Sie bitte kurz hier ins Büro.“

„Was will der Vogel?“ denkt Gross auf dem Schritt in das Büro.

Egerland schließt die Türe rasch und sagt:

„Hören sie mir gut zu sie Witzfigur, lassen sie die Finger von der Belucci. Sie sind einfach eine Nummer zu klein, sie ist anderes gewohnt als sie.“

„Etwa so einen Pausenclown wie sie?“

Egerland kommt ganz dicht an Gross heran, sodass sie sich Auge in Auge gegenüberstehen und meint:

„Hände weg von Monica. Wenn ich sie gebumst habe und sie nicht mehr brauche, dann können wir darüber verhandeln, ob du sie haben kannst. Halte dich lieber an die kleine mollige von der Rezeption, die frisst dir aus der Hand, das sieht doch jeder hier. Sie passt auch besser zu deiner Gehaltsklasse. Haben wir uns richtig verstanden?“

„Leiden sie immer an einer solchen Eigenüberschätzung? Wenn sie nicht wollen, dass ich ihnen zeige, wo sie hingehören, dann machen sie ab sofort einen großen Bogen um mich, wenn ich hier bin, Herr Egerland. Haben sie mich jetzt richtig verstanden oder muss ich deutlicher werden?“

Egerland dreht sich um und verlässt den Raum. Gross schüttelt nur den Kopf, als er aus dem Büro auf den Gang tritt. Just in diesem Augenblick, als hat sie darauf gewartet, erscheint Swantje auf dem Flur und flötet:

„Gernot bist du fertig? Kaffee?“

Er will nicht unhöflich sein und geht mit ihr einen Milchkaffee trinken. Während sie den Kaffee trinken himmelt sie Gross mit ihren Stahlblauen Augen die ganze Zeit an. Nervös spielt sie mit ihren Händen, als ob sie etwas weich kneten muss. Kurz bevor sie ausgetrunken haben fragt sie ihn ohne Umschweife:

„Würdest du mit mir am Samstag ins Kino gehen? Ich habe Samstag Frühdienst und Sonntag frei.“

„Was läuft denn?“

„Nicht lachen. Es gibt eine Sondervorstellung von dem berühmter Klassiker Casablanca.“

„Aha…. Eine Sondervorstellung von Casablanca. Warum nicht?“

„Abendvorstellung 20 Uhr. Abgemacht?“

„Ja ist okay. Jetzt muss ich aber los, sonst meint der Alte noch, ich mache Urlaub. Dann bis Samstag.“

Damit entschwindet Gross aus ihrem Umfeld. So merkt er nicht, wie sie einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstößt und mit einem selbstzufriedenen Lächeln zurück an ihren Arbeitsplatz schwebt.



Es dauert gute zwanzig Minuten, bis er seinen Chef in diesem riesigen Gelände gefunden hat. Zwischen diesen 450 Häusern mit Straßen, Sträßchen, Gassen, Sackgassen und Wegen, braucht man eigentlich ein GPS-Gerät um sich zu Recht zu finden. Gross denkt gerade darüber nach, wie viele Möglichkeiten es hier wohl gibt, um aneinander vorbeizulaufen, ohne das er seinen Chef findet. Da erklingt, auch schon seine Stimme aus der Ferne vernimmt.

„Schon gut“, denkt er, „ich komme, hab dich gesehen und vor allem gehört.“

Bei Kowalski angekommen meint dieser:

„Schätze einmal wie viele Leute hier im Park arbeiten? Na? Sag schon, was meinst du?“

„Fünf bis sechshundert vielleicht“ schätzt Gross.

Kowalski grinst und meint:

„Hast du Betriebswirtschaft studiert? Aber im Ernst, so viele müssten hier arbeiten. Doch das Ganze wird mit, sage und schreibe nicht einmal einhundert Leuten betrieben. Weißt du, was das heißt?“

„Nein habe ich nicht. Trotzdem weiß ich, das es hier viel zu wenig Personal gibt und dadurch viel zu viel Stress. Der dadurch entstehende große Druck auf die Angestellten lässt einen großen Konkurrenzkampf um jeden Posten entbrennen.“

„Da werden auch die besten Freunde schnell zu Konkurrenten und Streit ist damit vorprogrammiert“ meint Kowalski.

„Geschürt wird das Ganze auch noch durch den Chef des Parks. Dieser nutzt alles, was ihm möglich ist aus und gegebenenfalls spielt er den Einen gegen den Anderen aus.“

„Von wegen“, sagt Kowalski, „es gibt keinen Streit unter den Angestellten. Wer es glaubt, wird selig.“

„Hast du sonst noch etwas erfahren können?“

„Irgendwie ist es schon alles etwas seltsam. Angeblich will niemand etwas wissen, jeder hat Angst den Mund aufzutun, hab ich das Gefühl. Das nur, weil niemand seinen Arbeitsplatz nicht verlieren möchte. Also hält jeder schön den Mund und sagt lieber nichts.“

„Wenn du mich fragst, würde ich sagen, dass man hier ganz schön im Dreck wühlen kann, wenn man möchte“,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Jürgen Böhm
Bildmaterialien: Jürgen Böhm
Cover: Jürgen Böhm
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2017
ISBN: 978-3-7438-4735-4

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Einem guten Kollegen und Ideengeben, Helge Schulz. Mit beiden Füßen auf dem Boden stehen. Für alle, die Erfolg haben und den Boden unter ihren Füßen nicht verlieren. Ähnlichkeiten mit lebenden Person sind zufällig und nicht beabsichtigt, fiktive Orte schon.

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