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Karl

Wieder ein Tag wie jeder andere. Karl liegt auf dem Rücken und sieht an die Decke. Es bleibt ihm ja auch nichts Anderes übrig. Seit seinem letzten Schlaganfall kann er nicht mehr sprechen. So sehr er es auch immer wieder versucht, mehr als ein Stöhnen kommt nicht über seine Lippen. Er kann Arme und Beine nur noch langsam bewegen, aber die Hände wollen ihm gar nicht mehr gehorchen. Und dann noch der Kopf! Manchmal fallen ihm die einfachsten Dinge nicht mehr ein. Wie heißt seine Tochter? Wann hatte er Geburtstag? Wann war seine Frau gestorben?
An anderen Tagen wacht er auf und weiß wieder Bescheid, jedoch wenige Stunden später erscheint alles wieder wie im Nebel zu liegen.

„Hallöchen!“ Pfleger Achim schaut zur Tür herein und winkt Karl fröhlich zu. „Mmh“ ist alles was Karl dazu zu sagen hat. „Was meinen Sie zu diesem tollen Wetter? Heute soll es bis zu 25 Grad geben, und zwar alle auf einmal!“ Achim lacht laut über seinen eigenen Witz, Karl würde ihm gerne sagen, dass er den jetzt schon zum dritten Mal zum Besten gegeben hat. Naja, der Achim ist schon in Ordnung, da sei ihm das verziehen. „Dann wollen wir mal mit dem Waschen anfangen, bevor das Wasser kalt wird.“ Er hat eine kleine Wanne mit Wasser und Waschutensilien mitgebracht. Achim zieht ihn behutsam aus und wäscht Karl von oben bis unten.
Karl ist jetzt schon ein paar Wochen im Altenheim, aber er findet es immer noch unangenehm von Fremden angefasst zu werden. Überall! Und oft wechselt das Personal, sobald man sich an einen gewöhnt hat.
„Bald gibt es Frühstück, sind Sie schon hungrig, Herr Abel?“ Achim ist einer der Wenigen, der ihn mit dem Nachnamen anspricht, und gerade ihm würde er gerne das Du anbieten.
„Dann, bis später!“ Achim verabschiedet sich mit einem Tätscheln auf die Schulter von Karl.

Ratsch! Was war das? Karl fährt erschrocken zusammen, er muss wohl eingenickt sein. Jemand ist im Zimmer. Eine Schwester? Nein, die klopfen vorher an, bis auf… Natürlich, Schwester Anna!
„Was ist denn das für ein mief hier drin, wenn ich nicht ab und zu lüften würde täts keiner!“ Schon reißt sie beide Fensterflügel auf. Wie immer ist sie schlecht gelaunt. Ihre Lippen sind fest zusammen gekniffen und ihre Augen nur noch Schlitze.
Was kann ich dafür, dass dir deine Arbeit hier nicht gefällt, such dir doch eine andere.
„Frühstück!“ mit diesem einen Wort pfeffert sie das Tablett auf die Ablage und schon bekommt er den ersten Bissen von einem ungetoasteten Weißbrot in den Mund geschoben. Marillenmarmelade. Ich mag keine Marillenmarmelade. Karl kaut und schluckt tapfer, es bleibt ihm ja nichts anderes übrig.
„Hat der Achim auch die Salbe auf den Po gegeben?“ Erwartest du jetzt eine Antwort? Selbst wenn ich reden könnte, was weiß ich was der da hinten macht. „Der vergisst das gern und dann heilt das ja nie und dann krieg ich wieder einen Anschiss.“ Kann einem keiner verübeln. Dir würde ich so gern mal einen Anschiss verpassen, du patzige Kuh. Karl kaut weiter sein ungeliebtes Frühstück und Anna schimpft weiter vor sich hin.
„Wonach riecht das denn hier? Das darf doch wohl nicht wahr sein, Karl! Frisch gewaschen und gewindelt und da kackst du gleich ein?“ Wenigstens so eine Art Anschiss kann ich dir verpassen. „Man, und das beim Frühstück! Schmeckt´s dir jetzt besser oder was?“ Anna rollt genervt mit den Augen, doch sofort sind sie wieder zu Schlitzen verengt. „Glaubst du, ich habe nichts anderes zu tun? Na, danke!“ Sie schiebt ihm den letzten Bissen in den Mund und während Karl noch kaut dreht sie ihn schon auf die Seite um ihn auszuziehen.

Karl´s Blick fällt auf die Bilder an der Wand. Da ist ein Foto von Maren, seiner Tochter, mit ihrem Sohn Jannik und ihrem bescheuerten Ehemann Torsten. Torsten sitzt lässig auf einem Stuhl, sein Lächeln herzlich und offen. Das muss ein älteres Bild sein. Torsten sieht gut aus, das ist es wohl was Maren so an ihm faszinierte. Er kann auch verdammt charmant sein wenn er will. Darum kriegt er jede rum und das nutzt er aus wo er kann, dieser elende Mistkerl. Wie oft ist Maren schon weinend zu Maria gekommen, Karls Frau, und hat ihr von Torstens neuestem Seitensprung erzählt. Doch wenn er dann wieder kam und ihr sagte sie sei doch die Frau mit der er alt werden wolle, ist sie wieder weich geworden. Wie kann man sich das gefallen lassen! Maren ist doch intelligent, sie könnte viel bessere Männer haben. In letzter Zeit hat er auch noch das Saufen angefangen. Und was ist das für ein Vorbild für den Bub! Jannik ist jetzt 14 (oder schon 15?), der kriegt doch schon alles mit was da läuft.
Auf dem Foto ist Jannik höchstens 10. Das Lächeln hat er vom Vater, das blonde Haar von Maren. Maren steht neben Torsten und lehnt sich an seine Schulter an. Ihr Gesicht ist noch so frisch, nicht müde wie das von Karl. Auch sie lächelt fröhlich in die Kamera. „So, das hält jetzt hoffentlich für eine Weile.“ Anna reißt Karl auf den Rücken und aus seinen Gedanken. Ohne ein weiteres Wort ist sie aus der Tür.

Klopf, klopf! Karl war wohl wieder eingenickt, wie viel Zeit wohl inzwischen vergangen ist? Hat er schon zu Mittag gegessen? Hier verlor er jegliches Zeitgefühl. Und auch manche Erinnerungen. Jim. Warum ist ihm dieser Name jetzt eingefallen? Er hämmert richtig in seinem Kopf. Da geht die Tür auf. „Hallo Paps!“ Maren, seine Maren ist zu ihm gekommen. „Wie geht’s dir heute?“ Sie lächelt ihn an mit ihrem warmen Lächeln, das er so an ihr liebt. Sofort erhellt sich auch sein Gesicht. „Habe ich dich geweckt?“ Bei diesen Worten öffnet sie die Fenster, ein warmer Windhauch weht herein. Es duftet nach frisch geschnittenem Gras. „Jannik wollte nicht mit heute, du weißt ja wie die Jungs in diesem Alter sind. Mit Familie nichts im Sinn.“ Sie holt sich einen Stuhl und setzt sich zu ihm. Ihr Mund lächelt beim Reden, aber ihre Augen schauen traurig. „… hab ich ihn mit einer Flasche Bier erwischt. Ich war vielleicht sauer.“ Was habe ich verpasst? Sie redet wohl von Torsten. Dabei spricht sie selten von Torsten, weil sie weiß dass Karl das aufregt. Nach einer halben Stunde (oder war es länger?) geht sie wieder. Sie verspricht am Samstag wieder zu kommen. Ist das morgen oder in drei Tagen? Karl seufzt. Es macht ihn immer wieder fertig, wenn er merkt, dass sein Gehirn ihm einen Streich spielt.

Am nächsten Morgen kommt Rita mit dem Frühstück. Sie ist so Mitte 40, hat breite Hüften und redet nie viel. Sie scheint immer in Gedanken weit weg zu sein. Ihr Blick ist sehnsüchtig und traurig. Was wohl in ihr vorgeht? Komisch, seit Karl hier liegt, sich nicht äußern kann und viel Zeit zum Beobachten hat, kann er die Menschen viel besser einschätzen. Früher hat es ihn nicht interessiert was Andere denken und fühlen. Er lächelt sie zur Aufmunterung an, doch sie kann das Lächeln nicht sehen. Auch wenn Karl sich bemüht, seine Mundwinkel gehorchen ihm nicht. Ihm entfährt ein tiefer Seufzer.

Am Nachmittag ist Maren wieder da. Heute sieht sie nicht gerade fröhlich aus. Sie sieht Karl nie direkt an. „Na, Papa, wie geht’s dir heute?“ Immer die gleiche Frage. Was soll sie sonst auch fragen. Karl nickt einfach. „Jannik habe ich nicht mitgenommen, er hat gestern ganz schön Ärger bekommen, mit mir und Torsten. Dieses Mal war er mit ein paar Freunden unterwegs und sie haben sich in Torstens Weinkeller bedient. Du weißt ja Torsten kennt da keinen Spaß wenn es um seinen Rotwein geht.“ Oder seinem Bier oder Schnaps oder Whiskey, denkt Karl, ich wusste sowieso nicht dass Torsten Spaß versteht. „Jetzt hat er erst mal Hausarrest.“ Maren läuft unentwegt auf und ab, setzt sich nicht zu Karl ans Bett wie sonst. Da steckt mehr dahinter als sie erzählt. „Mmmh!“ Karl versucht sie fest zu halten. Sie nimmt seine Hand: “Ach Papa!“ sprudelt es aus ihr heraus, schluchzend stürzt sie an seine Brust. „Torsten ist so wütend geworden und hat Jannik verprügelt, ich wollte dazwischen gehen… du kennst Torsten ja, wenn er mal wütend wird kann er sich nicht bremsen.“ Jetzt sieht sie Karl an und er kann denn Riss über ihrer linken Augenbraue sehen. Wie der Rest des Auges aussieht kann er nicht erkennen, sie hat vorsorglich eine Sonnenbrille aufgezogen. Dieser miese Schweinehund, vergreift sich an Frau und Kind! Karl hätte nie die Hand gegen jemanden in der Familie erhoben. Jim! Wieder schoss ihm dieser Name ins Gehirn, er konnte nichts damit anfangen. „Es tut mir leid, dass ich dir das überhaupt erzählt habe, ich belaste dich nur unnötig mit meinen Problemen.“ Sie trocknet ihre Tränen, tupft nur vorsichtig am Augenrand. In Karl steigt eine unbändige Wut auf, doch wie könnte er ihr Luft verschaffen! Er kann nicht einmal die Faust ballen, geschweige denn damit auf den Tisch oder besser noch in Torstens Gesicht schlagen. Es ist so unfair, er liegt hier und seine Tochter muss hilflos diesen Mistkerl ertragen. Lauf weg, hol die Polizei, nur trenne dich von diesem Ungeheuer! Schlag ihn tot, ich kann es leider nicht mehr für dich tun. Warum habe ich ihn nicht totgeschlagen als ich das noch konnte? Karls Lippen beginnen vor Aufregung zu zittern. „Paps, reg dich nicht so auf, es wird alles wieder gut.“ Sie streichelt ihm über die Wangen. „Ich werde schon eine Lösung finden. Ich weiß, du wolltest dass ich mich von Torsten trenne, du hast ihn nie gemocht.“ Karl ist verblüfft wie gut sie ihn kennt. „Doch bedenke, vielleicht war das der Grund warum er zur Flasche gegriffen hat. Wir haben so lange unter einem Dach gewohnt und du hast es ihm nicht leicht gemacht. So lange Mama noch gelebt hat, hat sie dich oft noch beschwichtigt, doch seit sie tot war hast du Torsten deine Verachtung täglich spüren lassen.“ Sie tätschelt ihm auf die Brust und steht auf. „Ich gebe dir nicht die Schuld, ich hätte auf Torsten hören sollen und woanders hinziehen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.“ Wieso gibt sie sich für alles die Schuld? Habe ich ihr das etwa beigebracht? Sicher nicht! „Wie dem auch sei, ich muss eine Lösung finden, und das werde ich. Glaubst du mir?“ Karl schließt zustimmend die Augen. „Danke, Paps. Das gibt mir Kraft. Nächstes Mal bringe ich Jannik mit, ob er Hausarrest hat oder nicht. Bis bald!“

Es ist ein schöner Morgen. Karl sieht die Sonne aus seinem Fenster. Kein Wölckchen befleckt den Himmel, aus dem geöffneten Fenster kommt morgenkühle Luft, die nach Heu riecht. Die Bauern waren wohl schon am Werk. Es klopft und Rita kommt herein. Heute lächelt sie sogar ein bisschen. „Guten Morgen, Herr Abel!“ Das schöne Wetter scheint auch auf Ritas Gemüt abzufärben. Karl hätte nicht gedacht, dass ihn so etwas glücklich machen könnte. Bei so einem Wetter kann alles gut werden, denkt Karl und nickt wieder ein.

Als Karl wieder erwacht steht Maren an seinem Bett. Sie lächelt nervös. „Hallo Paps, haben wir dich geweckt?“ Sie drückt ihm einen Kuss auf die Wange. „Sie her wen ich dir heute mitgebracht habe.“ Sie tritt zur Seite und Jannik erscheint in Karls Gesichtsfeld. „Hallo Opa“ murmelt Jannik gelangweilt, reicht ihm aber artig die Hand. Er schaut dabei zu Boden, sein Blick wütend und traurig zugleich. Eine Minute später geht er zum Fenster und schaut gelangweilt hinaus. Maren holt sich einen Stuhl heran und setzt sich zu Karl. „Er hat ab heute Ferien, ich hab ihm versprochen wenn er mir zu Hause öfters hilft lockere ich seinen Hausarrest“, flüsternd fügt sie hinzu: „ Torsten braucht es ja nicht zu wissen.“ Dabei lächelt sie keck. Als sie geht ist Karl beruhigt. Maren wird sich gegen Torsten durch und ihn an die Luft setzen. Wenn nicht regelt das Jim. Jim? Er kennt gar keinen Jim. Dieses verdammte Gedächtnis! Es funktioniert immer schlechter. Würde er bald gar nichts mehr denken? Wer weiß was ihn noch erwartet.

Die Vorhänge werden aufgerissen. „Aufwachen Karl! Freu dich, deine Schwester Anna ist für dich da.“ Halleluja! Das hat mir gerade noch gefehlt! Mit wie immer grober Hand wäscht sie ihn und zieht ihn um. Da klopft es und Achim kommt mit dem Frühstück herein. „Guten Morgen, Herr Abel!“ Mit einer schwungvollen Verbeugung setzt er das Tablett auf dem Tischchen ab mit den Worten: „Das Frühstück wird serviert!“ „Was machst du jetzt schon hier mit dem Frühstück, ich bin noch nicht mal dazu gekommen ihn zu rasieren. Komm später noch mal.“ Schnauzt Anna ihn an. Bitte Achim mach du das lieber. Doch es gibt keine Gnade für Karl. Anna rasiert ihn im Schnelldurchlauf. Dann darf Achim noch einmal mit dem Frühstück kommen. „Haben Sie sich bei uns schon eingelebt?“ fragt Achim beim Füttern. „ Jetzt sind sie schon die sechste Woche bei uns.“ Was? Erst sechs Wochen? Karl kann es nicht fassen. „Na, was ist, schmeckt´s heute nicht?“ Achim steht auf. „Dann komme ich später noch einmal, bis gleich!“ mit diesen Worten ist er auch schon aus der Tür. Wieso dachte Karl er sei schon ein halbes Jahr hier? Sein Zeitgefühl war jetzt vollends dahin. Er muss sich einmal umschauen ob irgendwo ein Kalender hängt. Da neben den Familienbildern an der Wand. Das Kalenderblatt vom September ist zu sehen. Hoffentlich ist das auch aktuell, er sollte den Kalender öfters im Auge behalten.

„Hallo Paps, wie geht’s dir denn heute?“ Maren ist wieder da. Sie trägt heute keine Sonnenbrille. Der Riss über der Braue ist verschwunden, am unteren Augenrand ist nur noch ein gelblicher Schatten zu sehen. „Mir geht es besser, seit Jannik keinen Hausarrest mehr hat und…“ sie kommt dicht an sein Ohr und flüstert: „Torsten jede Menge Überstunden macht.“ Sie zwinkert Karl verschwörerisch zu. Das freut ihn, er weiß aber auch dass das keine Lösung für die Probleme ist. Hauptsache Maren geht es gut. Wenn nicht wird es Jim schon richten. „Was ist Paps, du siehst verwirrt aus!“ was sollte jetzt wieder der Gedanke an diesen Jim? Ach, es ist grausam wenn man nicht mehr alle Sinne beieinander halten kann. „Komm, ich gebe dir einen Schluck zu trinken. Vielleicht geht’s dir dann besser.“ Mit der Schnabeltasse gibt sie ihm etwas kalten Tee. Es tut ihm wirklich gut. „Jannik ist tagsüber meist unterwegs, wenn Torsten nach Hause kommt, geht er gleich in sein Zimmer. So gibt es wenigstens keinen Streit zwischen den beiden.“ Richtig glücklich scheint Maren jedoch nicht mit dieser „Lösung“ zu sein. Als die beiden gehen denkt Karl, vielleicht gibt es diesen Jim wirklich und er löst das Problem mit Torsten, wie auch immer.

Heute ist Rita dabei Karl zu waschen. Sie dreht ihn zur Wand. Da fällt sein Blick auf die Familienbilder. Es sind zwei Bilder vom Fotostudio und drei private. Auf einem sind sie in einem Vergnügungspark, das zweite ist von Weihnachten und das dritte im Garten, Torstens Geburtstag. Wann hatte er noch mal? Verdammtes Gedächtnis! Karl ist mit auf dem Bild, er hält ein Geschenk in der Hand und lächelt. Klar, für die Kamera bemüht sich jeder um ein Lächeln. Das Geschenk sieht nach einer Flasche aus, damit kann man Torsten immer eine Freude machen, solange Alkohol drin ist.
Rita ist fertig und verabschiedet sich, wie immer mit wenigen Worten. Karl nickt noch einmal ein.
Später am Tag ist Maren wieder da. Ihre Augen sind verquollen, man sieht sofort, dass sie geweint hat. Sicher ist Torsten wieder daran schuld. „Hallo Papa, wie geht’s?“ sie dreht sich gleich weg, Karl hört sie Schluchzen. Er streckt eine Hand nach ihr aus und schafft es tatsächlich ihren Arm zu berühren. „Tja, du hattest mal wieder Recht.“ Sie zückt ein Taschentuch und tupft über ihre Augen. „Torsten ist und bleibt ein Mistkerl. Seine vielen Überstunden, von wegen! Er hat mal wieder eine Freundin, ein ganz junges Ding. Da kann ich nicht mithalten!“ Jetzt sieht sie Karl fest in die Augen, er fühlt sich unwohl bei diesem Blick. „Ich werde mir das nicht länger gefallen lassen, heute noch werde ich ihm sagen er soll sich zum Teufel scheren. Da kann er dieses Mal betteln so viel er will, ich nehme ihn nicht mehr zurück. Soll er doch zu seiner Tussi ziehen! Dann haben Jannik und ich unsere Ruhe.“ Karl ist verblüfft, so entschlossen hat er Maren noch nicht erlebt. Als sie geht ist er beruhigt, jetzt wird Maren endlich das Richtige tun.

Heute wird Karl in den Rollstuhl gesetzt. „Die Fußpflegerin kommt.“ Informiert ihn Achim, „sie quatscht ein bisschen viel, ist aber ganz nett. Wir machen schon mal ein Fußbad!“ Karl sieht nach unten, dort steht eine Wanne halb mit Wasser gefüllt. Achim steckt behutsam Karls nackte Füße hinein. Das warme Wasser ist angenehm.
Eine Weile später kommt eine Dame mittleren Alters, mit hochgestecktem Haar herein und begrüßt Karl. „Ich bin Frau Bauer, ich werde mich um ihre Füße kümmern.“ Sogleich nimmt sie seine Füße aus dem Wasser und trocknet sie ab. „Ich hoffe Sie haben sich hier schon eingelebt. Sie sind erst seit Mitte August hier, stimmt´s?“ Sie achtet gar nicht auf sein Gesicht, wohl eher eine rhetorische Frage. „Meine Tante war auch viele Jahre hier. Ihr Mann war schon lange vor ihr gestorben. Herzinfarkt. Das war damals sehr überraschend, wir waren alle geschockt. Er war erst 62! Stellen Sie sich mal vor! Und seine Tochter, die Elke…“ Achim hatte Recht, die plappert wirklich ohne Unterlass. August, jetzt fällt es ihm wieder ein. Torsten hat im August Geburtstag. War das Bild von diesem Jahr? Dann hat Karl den Tag noch zu Hause erlebt. Wie und wann er hierher kam weiß er nicht mehr. „Und stellen Sie sich vor, mit einer Whiskeyfahne ins Krankenhaus eingeliefert worden…“ Jim war auch beim Geburtstag. Woher weiß Karl das auf einmal. „…In der Zeitung steht, man weiß noch nicht ob er überleben wird.“ Jim wird’s schon richten.

Am Nachmittag kommt Anna herein, ihr Gesicht ist rot, sie schein aufgeregt zu sein. „Herr Abel, Ihre Tochter kann die nächsten Tag nicht kommen, ihr Sohn ist krank.“ Auf einmal so förmlich? Was ist mit Anna los? „Machen Sie sich mal keine Sorgen, das wird schon wieder!“

Heute ist Rita mal wieder da. Sie schaut Karl nicht in die Augen. Sie gibt ihm das Frühstück und sieht dabei auf seine Decke. Als sie geht sagt sie schnell: „ Es tut mir leid, Herr Abel“ und ist schnell aus der Tür. Karl macht das veränderte Verhalten nervös, was ist nur los?

Es klopft zaghaft. Die Tür öffnet sich leise und langsam nähern sich schwere Schritte. „Hallo Karl!“ Karl traut seinen Augen nicht, Torsten steht vor ihm! Er sieht wirklich sehr schlecht aus. Seine Augen liegen tief in den Höhlen, er wirkt abgezehrt. Er räuspert sich. Karl sieht ihm an, dass er nicht weiß wie er anfangen soll. „ Ich weiß, wir haben uns nie gut verstanden, ich weiß nicht einmal wie viel du von dem mitbekommst was ich dir jetzt sage. Viele haben mir abgeraten dir alles zu erzählen, aber ich bin der Meinung du musst es wissen.“ Verlegen kratzt er sich im Nacken. „Also, die Maren hat erfahren, dass ich fremdgegangen bin. War auch blöd von mir. Es war auch nichts Ernstes.“ Was faselt Torsten da? Will sich herausreden wegen des Mädels. Komm zur Sache, ich kann mich nicht lange konzentrieren. „ Maren hatte dieses Mal ganz anders reagiert, nicht wütend, eher… entschlossen. Sie meinte wir sollten uns endgültig trennen. Ich wollte nicht, aber dieses Mal war sie nicht davon abzubringen. Nun… wie soll ich es sagen….“ Mach schon, spann mich nicht auf die Folter. Torsten sieht Karl in die Augen und scheint darin etwas zu erkennen. „Du willst alles wissen. Okay, also: Am Dienstag rief mich Maren aus dem Krankenhaus an, Jannik hat wohl von dem Whiskey getrunken den du mir zum Geburtstag geschenkt hast. Er verlor das Bewusstsein. Die Ärzte vermuteten zuerst eine Alkoholvergiftung, doch dann stellten sie fest dass der Whiskey vergiftet war.“ Jim! Schlagartig fiel Karl alles wieder ein. „Mein Gott! Maren wollte mich vergiften und hat Pflanzenschutzmittel in den Whiskey getan.“ Jetzt stehen ihm dicke Tränen in den Augen. „Jannik ist vorgestern gestorben.“ Jim ! „ Sie haben gestern Maren verhaftet und sie hat sich in ihrer Zelle erhängt!“ Torsten schlägt beide Hände vors Gesicht und weint schluchzend. Jim Beam! Jim sollte alles richten. Karl sieht zum Bild an der Wand. Deshalb hat er so strahlend gelächelt. Er hat Torsten die Flasche zum Geburtstag geschenkt, Torstens Lieblingsmarke! Er hatte genug Pflanzenschutzmittel hinein gegeben um Maren von diesem Scheusal zu befreien. Karl atmet heftig und greift nach Torsten. Könnte er jetzt seiner Wut freien Lauf lassen und sie auf Torsten entladen. Karl zittert, alles in ihm krampft sich zusammen, er spürt einen heftigen Schmerz. Torsten wird blass. „Schwester, schnell, kommen Sie!“ Er läuft auf den Gang, Anna kommt ihm schon entgegen. Doch es ist schon zu spät, Karl ist tot.


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Tag der Veröffentlichung: 26.01.2010

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