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Aurile hatte die zusammengefalteten Hände auf den Tisch gelegt. Stadtvogt Polder saß ihr gegenüber und blickte sie skeptisch an. Es schien fast so, als ob er Angst vor ihren Eröffnungen hätte. Seine Stirn war in krause Falten gelegt, sein Mund zusammengekniffen.
„Also“, begann er. „Ihr seid hier, um einen Vertrag unterzeichnen zu lassen, ja?“
„Sicherlich“, sagte Aurile. „Ihr solltet ja bereits alles darüber wissen, dennoch fasse ich die wichtigsten Fakten noch einmal kurz zusammen. So sind auch die übrigen Anwesenden auf dem gleichen Wissensstand.“
Dabei blickte die Halbelfe Horlt an. Der blinzelte kurz, ließ sich ansonsten davon aber nicht aus der Fassung bringen. Es war offensichtlich, dass Aurile nicht allzu erfreut von der Anwesenheit einer weiteren Person war. Horlt jedoch betrachtete es als wichtig, beim Stadtvogt zu bleiben und ihn von eventuellen Fehlern zu bewahren. Für gewöhnlich war Polder sehr fähig und gelassen in diesen Dingen, doch irgendwas an der Halbelfe schien ihn momentan arg durcheinander zu bringen.
Knapp bevor der Zeitpunkt der Unhöflichkeit erreicht wurde, nahm Aurile den Blick von Horlt. Sie begann die Punkte aufzuzählen, die im Vertrag festgehalten worden waren und bereits von allen menschenregierten Ländern und freien Städten durch Unterschriften bestätigt worden waren. Nur noch die Unterschrift Deriems fehlte. Die von Stadtvogt Polder.
Natürlich kannte Horlt schon alle Punkte des Vertrages, er war vom Vogt schon vor einigen Tagen in Kenntnis gesetzt worden. Es war offensichtlich, dass Aurile genau das wusste. Sie gab ihm durch die betont deutliche und langsame Vorlesung offensichtlich nur noch etwas mehr Zeit, seine Anwesenheit mit einer höflichen Entschuldigung zu beenden und so dem Willen der Botschafterin zu entsprechen. Horlt fühlte sich gereizt, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben.
„Ziel des Abkommens und damit dieses Vertrages ist es also, der Gilde der Assassinen durch enge Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern weniger bis keine Gelegenheiten für ihre Meuchelmorde mehr zu geben“, schloss Aurile gerade ihren Vortrag.
Der Vogt wedelte unruhig mit der Hand.
„Ja, das wissen wir. Der Vertrag wurde von uns mehrmals angestrengt durchgelesen“, sagte er mit einer Überzeugung, dass Horlt einen kleinen Moment lang sogar versucht war, es zu glauben. Er hatte den Vertrag mehrmals durchgelesen, ja. Danach hatte er mehrmals versucht, dessen Inhalt dem Vogt beizubringen, bis dieser irgendwann gelangweilt abgewunken hatte.
Aurile lächelte still vor sich hin und beobachtete Horlt aus den Augenwinkeln. Der wandt sich unwohl auf seinem Stuhl. Irgendwie fühlte er sich langsam in der Gegenwart der Halbelfe unwohl. Obwohl er nicht sagen konnte, wieso. Sie war eigentlich doch ein angenehmer und fast beruhigender Anblick. Oder?
Bevor er den Gedanken weiter verfolgen konnte, fuhr Aurile mit ihrer Ansprache fort.
„Dann lasst uns zur Unterzeichnung schreiten. Am besten handeln wir alles ganz formlos ab, dann kann ich heute Abend schon wieder weiterziehen.“ Mit diesen Worten schob Aurile den Vertrag zum Platz des Stadtvogts, der die bereitgestellte Feder nahm und sie in das ebenfalls vorhandene Tintenfässchen tunkte. In zwei schnellen, kratzenden Zügen über das Papier war es vollbracht.
Mit freudiger Miene nahm Aurile das Dokument wieder an sich und rollte es zusammen, um es wieder in der Lederhülle zu verstauen.
„Die Feder ist stärker als das Schwert, sagt der Volksmund. Dieser Vertrag besiegelt ein Bündnis zwischen beiden. Eine machtvolle neue Waffe, um Kinder und Frauen zu beschützen“, sagte Aurile und wedelte verhalten mit der Lederrolle.
„Hoffen wir, dass er viel von dem Blutvergießen beenden wird, das wir durch die Assassinengilde erfahren mussten“, sagte der Stadtvogt mit einem Seitenblick auf Horlt.
Die Halbelfe blickte Polders Diener mitleidig an. Sie schien direkt in seine Seele blicken zu können, so kam es ihm vor.
„Ihr habt Eure Familie durch die Assassinen verloren, richtig? Das tut mir sehr leid.“
Horlt verfluchte Polder und die Halbelfe, dass sie auf dieses Thema zu sprechen kamen.
„Ja, das stimmt.“ Horlt war überrascht vom gebrochenen Klang seiner Stimme. Noch überraschter war er, als Aurile plötzlich tröstend eine Hand auf seine Schulter legte.
„Wir werden sie vernichten, dessen könnt Ihr sicher sein. Die besten Krieger werden den Kampf gegen sie aufnehmen“, sprach die Halbelfe ihm zu.
Aus einem unerklärlichen Gefühl heraus wollte Horlt gerade protestierend die Hand heben, als Polder, für sein Wesen schon viel zu lange ruhig, losdonnerte: „Ha! Horlt war früher selbst einmal einer der besten gewesen und hat gegen diese Teufel gekämpft! Nicht wahr?“
Horlt knirschte mit den Zähnen. Er wollte nicht an diese Zeit denken und noch weniger wollte er sie von einer fremden, unheimlichen Halbelfe aufdecken lassen. Doch Aurile blickte ihn an, als ob sie bereits alles über seine Vergangenheit wüsste. Plötzlich huschte ein anderer Ausdruck über das makellose Gesicht der Halbelfe. Es war nur ein kaum wahrnehmbarer Augenblick, doch hatte Horlt so etwas wie Triumph in ihren Augen gesehen?
Noch bevor er sich seinen Gedanken weiter klar werden konnte, wurde die Tür des Versammlungsraums aufgerissen und ein Elf stürzte herein.
„Herrin“, begann er etwas atemlos. „Feareth ist tot.“
Aurile stand langsam auf, in ihren Augen lag Unverständnis.
„Wie konnte das passieren, Regis?“, fragte sie den Elfen. „Wir sind in Deriem, einer sicheren Stadt.“
Als Aurile das Wort ‚sicher‘ aussprach, zuckte Polder unwillkürlich zusammen. Auch Horlt konnte sich eines plötzlichen unguten Gefühls nicht erwehren.
Der Elf namens Regis ergriff wieder das Wort: „Er wurde von Dieben und Raubmördern überfallen. Sie konnten ihm offensichtlich nichts von Wert abnehmen, also haben sie sich mit seinem Leben begnügt. Offensichtlich hatten sie reichlich Zeit dazu, seinem Leichnam fehlt jedes Gliedmaß.“
Die Stille, die sich ausbreitete, hielt nur kurz an. Polder schluckte hörbar und stand auf. Er versuchte, sich mit möglichst demütiger Stimme zu entschuldigen: „Ehrenwerte Aurile, es tut mir aufrichtig leid, was passiert ist. Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um Euch und Euren Begleitern einen sicheren Aufenthalt bieten zu können. Dass dennoch solch eine tragische Tat verübt wurde, kann ich kaum mehr gutmachen. Dennoch biete ich Euch jede Wiedergutmachung an, die ich leisten kann. Sagt es einfach, und es soll geschehen.” Er deutete eine leichte Verbeugung an und wartete auf eine Antwort von Aurile.
Die Elfe ließ sich damit jedoch etwas Zeit. Es schien, als ob sie sich sammeln müsste. Sie blinzelte mehrmals und wrang die feingliedrigen Hände ineinander. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder.
“Feareth war nicht nur ein guter Freund, der geschworen hat, sein Leben für diesen Auftrag zu geben. Er war vielmehr auch unser Führer. Er kannte sich sowohl in den Menschen- als auch in den Elfenlanden so gut aus wie kaum ein anderer. Ja, er war als einstmaliger Soldat bei vielen Scharmützeln und Gefechten dabei gewesen, und kannte das Land daher auch von seiner kriegerischen, strategischen Seite. Es ist nicht leicht, ihn zu ersetzen. Genau das aber müssen wir tun, wollen wir den Auftrag im Namen unser beiden Völker rechtzeitig vollenden”, sagte Aurile mit leiser Stimme. “Dabei müssen wir außerdem schnell vorgehen, denn wir haben nicht ewig Zeit, die Schrift unversehrt zu überbringen. Sobald die Gilde der Assassinen davon erfährt - und das wird sie irgendwann, je länger wir warten - werden wir ein ganzes Regiment und noch mehr brauchen, um heil in die Lande der Elfen zu kommen.” Aurile verstummte. Sie hatte die schmalen Lippen aufeinandergepresst, dass sie nurmehr als weißer Strich in ihrem unbewegten Gesicht standen. Die Elfe schien nun eine Reaktion Polders zu erwarten. Horlts ungutes Gefühl hatte sich seither verstärkt. Er wusste, dass Aurile auf irgendwas hinauswollte. Es lag direkt vor ihm, er konnte es nur nicht fassen.
In Polders Gesicht arbeitete es. Schließlich atmete er tief ein, knirschte einmal mit den Zähnen und sagte: “Dann bin ich froh und stolz, Euch Horlt als Wegbegleiter und Führer als Ersatz für den Verstorbenen anbieten zu können.”
Horlt zuckte zusammen. “Nein, das ist -”, begann er und blickte zuerst Polder an, dann die Elfe. Sie lächelte fast unmerklich. ‘Total logisch und durchdacht’, beendete er seinen Satz in Gedanken.

Impressum

Texte: Alles hier gehört mir :D
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2011

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