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Man sagt, die Magie sei der Grund dafür gewesen, dass diese Welt entstanden war. Dichte, silbern schimmernde Nebelschwaden haben Gebirge, Ebenen, Flüsse und Wüsten geformt. Dort, wo die Nebelschwaden sich zur Ruhe niedergelassen haben, sind die Wiegen der Menschheit entstanden. Je nach Ort und Art der Magie, haben sich die Menschen anders entwickelt, sowohl von der äußeren Erscheinung als auch von den inneren Werten und Vorstellungen. Die Majanesen haben eine schwarze Hautfarbe bekommen und glauben daran, dass ein Teil der Magie als versteckte Wesenheit immer noch auf der Welt verweilt und die Menschheit im Stillen leitet und lenkt. Die Hulanen haben einen gelblichen Hautton und sind der Meinung, dass die Magie gänzlich verschwunden ist und den Menschen die Welt aus Großmut überlassen hat, um sie zu gestalten. Die Menganen jedoch haben weiße Haut und glauben daran, dass etwas Böses die Magie in ihrem Schaffen gestört und beinahe vernichtet hat und dadurch alle Übel auf der Welt entstanden sind. Die Überreste der Magie wurden ebenso verdorben und sind für alles Unglück auf der Welt verantwortlich. Manchmal fuhren sie in Menschen und verdarben sie ebenso. Diesen armen Wesen musste man helfen, um sie vor sich selbst zu schützen.

Davon wusste die junge, atemlos durch einen dunklen Wald hetzende Siva herzlich wenig. Sie blutete aus mehreren Wunden und war nur mit Stofffetzen bekleidet. Hätte sie gewusst, was die Männer und Frauen, die sie jagten, ihr vorwarfen, wäre sie vielleicht noch ein wenig schneller gelaufen. So jedoch lief sie nur weg, weil sie dachte, dass die Männer sie wieder einmal nehmen wollten. Wie es schon so oft der Fall gewesen war. Sie wusste, dass sie sie hübsch fanden. Ihre schlanke Figur, die zarten Hände, die feuerroten Haare. Sie hatte es schon oft geschafft, wegzulaufen. Doch dieses Mal war es anders. Alles war anders. Hätte Siva irgendwie sehen können, wie alles ausgehen würde, wäre sie wohl auf der Stelle zusammengebrochen. Vielleicht hätte sie sich auch einen besonders spitzen Ast genommen und ihn sich durch das schnell schlagende Herz getrieben. Man wird es niemals erfahren.

Dabei hatte der Tag ganz normal angefangen. Wie jeden Morgen war Siva aufgestanden, bevor die Sonne aufging, um die Arbeiten zu erledigen, die auf dem Hof schon so früh anfielen. Das Stroh, das aus der kaputten Matratze spross, hatte wie jede Nacht ihre empfindliche Haut gereizt und unschöne rote Stellen auf ihrer bloßen Haut hinterlassen. Sie streifte ihren Kittel über, der eher als Lumpen denn als Kleidung durchgehen würde. Auf dem Weg in die Stube versuchte sie wie immer den Burschen auszuweichen, um all den Hänseleien wegen ihrer toten Eltern und ihrer Herkunft zu entgehen. Das gelang ihr an diesem Tag recht gut, sie hatte nur einem geworfenen Erdklumpen ausweichen müssen, bevor die Burschen vom Bauern an den Ohren weggezogen worden waren.
Siva kniete sich vor dem Kamin in der Stube und schlichtete einige Holzscheite übereinander. Darunter kamen einige dünnere Äste, ganz nach unten dann der Zunder. Sie nahm Feuerstein und Eisen zur Hand und schlug sie viele Male aneinander, bevor der Funken übersprang und den Zunder entflammte. Siva schürzte die schmalen Lippen und blies vorsichtig ins flackernde Feuer. Als das Feuer schließlich hell brannte und genug Wärme spendete, um die vergleichsweise geräumige Stube den Tag über warm halten zu können, war bereits viel Zeit vergangen. Siva wäre in der Lage gewesen, schneller Feuer zu machen, doch der Bauer hatte ihr sehr eindringlich beigebracht, die Flammen auf ‚normale‘ Art zu entfachen. Noch heute spürte Siva die Stelle, an der ihr Arm gebrochen worden war.
Doch Siva warf dem Bauer nichts vor, so wie sie niemanden etwas vorwarf. Sie musste froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben und Tag für Tag etwas zu Essen zu bekommen. Manchmal sagte der Bauer auch, unter normalen, heiligen Umständen wäre sie gar nicht mehr am Leben. Also dachte Siva nicht viel über ihr Schicksal und jeden einzelnen Tag nach, sondern tat, wie ihr geheißen. Sie verrichtete die schwere Hofarbeit, mistete die Ställe aus, pflegte die Ackergäule, reparierte den Pflug und half der Kuh, ein Kalb zur Welt zu bringen. Ja, sie ließ sich sogar vom Bauer besteigen, weil sie wusste, dass er danach mehr Güte besaß als sonst. So ließ er sie wie jeden Sonnabend nach Erledigen der letzten Pflicht ein paar Stunden frei.
Siva klaubte ihre Kleider vom Boden des Zimmers auf und machte sich auf den Weg in die nächste Ansiedlung. Ihre Mitte schmerzte von den heftigen Stößen des Bauers, doch Siva achtete nicht darauf. Sie freute sich so sehr darauf, ihn wiederzusehen.

Als sie auf dem steinigen Weg in großen Schritten marschierte, kam ihr der Bursche entgegen, der sie früh an diesem Tag mit Dreck beworfen hatte. Siva blieb stocksteif stehen. Doch der Bursche grinste nur boshaft und ging an ihr vorüber.
Noch während das Mädchen sich langsam wieder in Bewegung setzte, und sich darüber freute, dass der Bursche sie in Ruhe gelassen hatte, brach der Feuerschein über den Horizont herein. Geblendet blieb Siva stehen und schützte die Augen mit der Hand. Der Boden bebte wie von vielen trampelnden Schritten. Schließlich erkannte das junge Mädchen, dass das Licht von dutzenden Fackeln herrührte, die von der Menge in den Himmel gerissen wurden.

Natürlich hatte Siva nicht entkommen können. Ein mit Geschmeide behangener Mann aus der Menge stand vor den anderen und sprach giftige, manipulierende aber auch freudige Worte über einen abschließenden Triumph, bevor er die Fackel warf. Die Seile schnürten Sivas Gliedmaßen ab, sie spürte die Flammen, die bald um sie züngelten, kaum. Das Blut, das aus ihren Wunden tropfte, verdampfte in der Hitze etwas früher als die Tränen auf ihrem Gesicht. Tränen, die das Mädchen nicht um ihretwegen vergoss.

Schon Tage danach hatte die Menge und auch der reich verzierte Mann die Asche und was davor gewesen war, vergessen. Und irgendwo in einer nahegelegenen Scheune bemühte sich eine gütige Hebamme, einen schreienden, tränenüberströmten Säugling zu beruhigen. Er vergoss die Tränen nicht seinetwegen.

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Texte: Alle Rechte bezügl. des Schriftstücks liegen bei mir. Das Bild ist Eigentum von DeviantArt-Benutzer X-yours-truly-X
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2011

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