Das Phantom im Walde
Tragikomödie in vier Akten
von Heinz-Jürgen Schönhals
Personen:
Joachim Helmers - Schriftsteller
Katrin Helmers - seine Frau
Herbert Schaffer - Schriftsteller, Verfasser von Unterhaltungsromanen
Dr. Günter Nitschmann - Rechtsanwalt, Jugendfreund von Joachim Helmers
Stefan Weigand - Studienrat, ebenfalls Jugendfreund von Joachim Helmers
Dr. Robert Steinkamp - Staatssekretär, Studienfreund von Joachim Helmers
Annegret Steinkamp - Robert Steinkamps Frau
Dr. Alfons Müller- Strehlitz - Ministerialrat, Intimus von Dr. Steinkamp
Ursula Müller-Strehlitz - Alfons Müller-Strehlitz’ Frau
Dr. Hans Stuckmann - Finanzexperte des Stadtrats, Bekannter von Joachim Helmers
Anneliese Stuckmann - Dr. Hans Stuckmanns (attraktive) Frau
Ein Theaterdirektor - Bekannter von Joachim Helmers
Walter Kabel - Kriminalkommissar
Marie-Therèse Légrande - Witwe, ehemalige Bekannte von Joachim Helmers
Irma - Hausgehilfin des Ehepaars Helmers
Ein Leibwächter - von Dr. Steinkamp
Ein Polizist / zweiter Polizist (im 3. Akt)
Stimmen von draußen (Polizisten)
Mehrere Statisten - Polizisten, andere Leibwächter
Ort - Landhaus von Joachim Helmers am Waldrand
Zeit - heute
Inhalt: Der sensible, früher erfolgreiche Schriftsteller Joachim Helmers lebt mit seiner Frau Katrin in einem Haus direkt am Brockholzer Forst, in dem ein Mörder, offenbar ein geisteskranker Unhold, sein Unwesen treibt. Joachim möchte am Abend eine große Gesellschaft geben, zu der er zwei frühere Freunde, die ihn gerade besuchen, einlädt. Auch ein Staatssekretär, ein Studienfreund von Joachim, wird an der Soiree teilnehmen. Einer der Freunde, Nitschmann, hatte Katrin einst heftig umworben. Nachdem diese jedoch Joachim geheiratet hatte, war er aus Enttäuschung nach Australien gereist und dort 5 Jahre geblieben. Jetzt bedrängt er Katrin, ihren Mann zu verlassen und mit ihm, Nitschmann, ein neues Leben zu beginnen. Joachim seinerseits hört von einem Schriftstellerfreund, dass ihn seine frühere französische Freundin, die lebensfrohe und inzwischen verwitwete Marie-Therèse, die ihn einst verlassen hat, „herzlich“ grüßen lässt. Er fürchtet ihren Besuch, da ihn dann seine dichterische Inspiration schon wieder, wie einst, im Stich lassen könnte. Am Abend findet also die gesellschaftliche Veranstaltung statt. Nacheinander werden Personen vorgeführt, die den oberflächlichen, geschwätzigen Charakter solcher Partys dokumentieren. Der Staatssekretär ist nur gekommen, um Joachim für den Wahlkampf seiner Partei zu gewinnen. Plötzlich ertönt die Alarmanlage, und das Licht geht aus. Von draußen wird ins Wohnzimmer geschossen, und ein fürchterlicher Schusswechsel beginnt, denn Joachim und Katrin haben sich auf einen solchen Überfall (des Phantoms) eingestellt. Als das Licht wieder angeht, liegen alle am Boden oder unter den Tischen, aber keiner ist verletzt. Bald erscheint die Polizei, ein Kriminalkommissar nimmt die Ermittlungen auf. - Obwohl ihm nun alle raten, die gefährliche Gegend zu verlassen, will Joachim in seinem Haus wohnen bleiben. Seinem Freund erklärt er, welche Bedeutung der Wald und das einsame Leben für ihn als Schriftsteller haben. Gleichzeitig sieht er aber auch das Bedrohliche der Natur, das sich in mancherlei unkontrollierten Ausbrüchen zeige. Auch das Phantom sei ein solcher „Ausbruch“. Ob Marie-Therèse tatsächlich bei Joachim erscheint und dieser ihr erneut verfällt, ob Katrin ihren Mann verlässt und Nitschmann auf seiner beabsichtigten Weltreise begleitet und welche Rolle das Phantom dabei spielt, wird am Schluss des Dramas geklärt.
Erster Akt
Landhaus des Schriftstellers Joachim Helmers, in einer Waldbucht gelegen. Wohnzimmer, elegant eingerichtet, mit den üblichen Interieurs, eine Terrassentür mit Blick auf eine Waldlandschaft. Es ist Weihnachtszeit; ein Weihnachtsbaum ist auf der Terrasse teilweise sichtbar.
Vorhang. Drei Männer kommen von der Terrasse, von wo sie den Garten und den angrenzenden Wald inspiziert haben. Aus der (nicht sichtbaren) Küche ertönt getragene Weihnachtsmusik. Hausgehilfin Irma geht ständig zwischen Küche und (ebenfalls nicht sichtbarem) Esszimmer hin und her, trägt Teller und Besteck etc. auf Tabletts; bleibt manchmal längere Zeit in einem der Zimmer, so dass die drei Männer unter sich sind.
1. Szene
Günter Nitschmann: Mein lieber Achim, ich bin überrascht, um nicht zu sagen: perplex!
Joachim Helmers: Wieso?
Nitschmann: Dass ihr so einsam wohnt, so ..... direkt am Wald......
Weigand: ihm ins Wort fallend ....eigentlich ist das schon mehr ein Wohnen im Wald, Achim!
Joachim: Na, ihr übertreibt. Der Wald beginnt hinter unserem Haus, ungefähr 10 Meter weiter. - Zugegeben: seine Ausläufer dringen manchmal bis zum Garten vor. Plötzlich steht da in irgendeiner Ecke ein finsterer Busch. Doch das macht nichts: ein paar kurze Schnitte mit der Gartenschere, und schon ist der Angriff des Waldes abgeschlagen.
Nitschmann: Aber ein bisschen gefährlich ist es hier draußen – glaube ich – schon.
Joachim: Du spielst auf das Phantom an!?
Nitschmann: Ja, man liest immer wieder in der Zeitung davon.
Weigand: Soviel ich weiß, gehen schon etliche Morde auf das Konto dieses Monsters.
Joachim: Natürlich geht auch uns der unheimliche Waldschrat etwas an die Nieren, aber, wir vertrauen auf die Polizei: bald sitzt der Kerl hinter Schloss und Riegel, und es wird wieder Ruhe in den Wäldern einkehren. Und was die Morde angeht: Die passierten weit weg von hier, am anderen Ende des Brockholzer Forsts. Hier, bei uns, ist nicht das Revier des Unholds.
Nitschmann: Na, solche Argumente würden mich aber nicht beruhigen. So ein Revier lässt sich leicht ausdehnen....
Joachim: etwas ungehalten: Wir sind auch durchaus vorsichtig, Günter. Wir stecken nicht den Kopf in den Sand und tun so, als sei die Welt hier in Ordnung.
Nitschmann: Vor fünf Jahren wohntest du noch in der Stadt, und jetzt auf einmal dieses Haus hier, weit weg von der Zivilisation! Eure Devise lautete wohl 'Zurück zur Natur'!?
Joachim: Kann man so sagen. Wir lieben die Natur, das heißt, vor allem ich liebe sie; Katrin weniger.
Weigand: 'Zurück zur Natur'! Das Wort lag mir die ganze Zeit auf der Zunge. - Ja, genau so empfinde ich euer Wohnen hier, Achim; dieses wunderschöne Haus am Eingang des Waldes - es ist für mich ein einziger symbolhafter Ausdruck des Rousseauschen Gedankens: Gib zu, ihr hattet Sehnsucht nach dem unverbogenen, freien Leben, ihr wolltet weg von der naturfernen Zivilisation! Die unverbrauchte Natürlichkeit des Waldes zog euch hierher. Das Ursprünglich-Gute unseres Menschseins....
Nitschmann: mit Helmers Blicke wechselnd; ungehalten: Oh bitte nicht, Herr Studienrat Weigand! Dein Drang zum Philosophieren in Ehren, aber so kurz vor dem Weihnachtsfest bitte keine Probleme, kein Weltschmerz! Wir wollen uns heute doch freuen, wir wollen lachen, Witze reißen......und auch nicht weiter an das Phantom denken.
Joachim: Nein, das schon gar nicht! Bitte nicht! - Ja, du hast Recht, Günter, erzählen wir uns besser etwas Lustiges, damit wir auf andere Gedanken kommen
Nitschmann: Ich weiß schon ’was Lustiges! Doch zunächst etwas anderes, Notwendiges, Achim: ein herzliches Dankeschön, dass du uns heute zu eurer Abendgesellschaft eingeladen hast.
Weigand: Ja, von mir auch, Achim! Herzlichen Dank für die Einladung!
Joachim: Na, das dürfte sich doch von selbst verstehen! Wenn schon mal zwei Schulfreunde bei mir anrufen, die man lange nicht gesehen hat, und es trifft zufällig mit einem solchen Gesellschaftsabend zusammen - dann spreche ich selbstverständlich eine solche Einladung aus, ganz spontan!
Weigand: Na, hoffentlich wirken wir beide nicht deplaziert, unter deinen erlauchten Gästen!?
Joachim: Nö, überhaupt nicht! Meine Gäste sind lockere, spontane Leute. Auch Staatssekretär Steinkamp ist sehr umgänglich.
Weigand: Was? Ein Staatssekretär kommt heute Abend?
Joachim: Also, ihr braucht da keine Angst zu haben. Ich kenne Dr. Steinkamp von früher; wir haben zusammen studiert. Er ist ein ganz liebenswerter, angenehmer Mensch, frei von Allüren.
Weigand: Na, das beruhigt mich aber!
Nitschmann: So, dann schlage ich also ein lustiges Thema vor: unsere Schulzeit, die Pauker! Also bitte, meine Herren, erinnert euch, da gab es doch sicher viele komische Erlebnisse!
Joachim: Man braucht nur den Namen Wolters zu nennen.......
Nitschmann: ...... und schon fallen uns die komischsten Sachen ein! Ja, ja, das Karlchen: Wisst ihr noch, die Englischarbeit damals? Karlchen Wolters, weil er so klein war, stellte sich auf einen Stuhl, blickte mit gerecktem Kopf in die Runde und sagte: 'Meine Herren, ich sehe alles, mir entgeht nichts! Wagen Sie es ja nicht zu täuschen!' - Und du, Achim, hattest dein Vokabelheft auf den Knien und schriebst seelenruhig ab. Lachen
Joachim: Mein Gott, hatte ich damals noch Nerven! Aber man wusste ja, das Karlchen war ein gutmütiger Lehrer, er hätte mir bestimmt nichts zuleide getan, wenn er mich erwischt hätte.
Nitschmann: Nö, nur das Vokabelheft hätte er dir weggenommen und dich dabei streng angesehen.
Weigand: Aber das Strenge in seinem Blick wäre doch wieder von einem gutmütigen Glanz überlagert worden, und mit belegter Stimme hätte Karlchen gesagt: 'Das machen Sie mir nicht noch einmal, Helmers, sonst setzt' s was auf die Birne!' Lachen
Nitschmann: Ja, eine Seele von Mensch war Karlchen. Leider konnte er sich nicht richtig durchsetzen. Er war halt zu gut für diese Welt.
Weigand: Erst recht für die heutige Welt war er zu gut! Bei uns Lehrern ist es jetzt leider genauso wie bei euch Freiberuflern: es herrscht Wettbewerb, gnadenloser Kampf um die Beförderungsstellen, und das weckt die Machtinstinkte: die Ellenbogenmenschen treten auf den Plan und die menschliche Güte bleibt auf der Strecke - erst recht der gütige Mensch, mit Namen....!
Nitschmann: ihm ins Wort fallend: Ach ja, armes Karlchen! - Aber lassen wir doch die unerfreulichen Geschichten. Schließlich haben wir jetzt Weihnachtszeit - wie gesagt! Friede und Freude sollen überall herrschen....
Joachim: .... und Eierkuchen! Darf ich euch einige anbieten?
Er reicht einen Teller voller Gebäck.
Nitschmann: Richtig: die Eierkuchen! Die gehören natürlich auch zur Weihnachtszeit! Danke!
Er nimmt von dem Gebäck; die Weihnachtsmusik schallt aus der Küche.
Nitschmann: Dass es weihnachtet, ist ja nicht zu überhören. Euer Hausmädchen ist wohl ein Fan von Weihnachtsliedern!?
Joachim: zu Irma, die gerade aus dem Wohnzimmer kommt: Kann man wohl sagen, nicht wahr, Irma?
Irma: Bitte? Was kann man sagen, Herr Helmers?
Joachim: Dass Sie Weihnachtslieder sympathisch finden!
Die Musik schallt aufdringlich.
Irma: Och, es geht; habe jedenfalls nichts dagegen....aber ich kann ja die Musik abstellen, Herr Helmers, wenn es die Herren stört...
Nitschmann: Nein, lassen Sie nur, Fräulein Irma; ich finde diese Musik sehr stimmungsvoll, sehr romantisch. Lassen Sie sie nur an!
Irma: Wie Sie wünschen, meine Herren!
Sie geht ab in die Küche.
Joachim: Was macht Karlchen eigentlich? Lebt er überhaupt noch?
Weigand: Ja, aber er ist schon lange pensioniert. Vor einem Jahr traf ich ihn einmal. Er sagte zu mir: 'Hat unser pädagogisches Bemühen doch einen weithin sichtbaren Erfolg gehabt, denn immerhin ist aus euerem Abiturientenjahrgang ein bedeutender Schriftsteller hervorgegangen!'
Joachim: Na ja, bedeutend? - Er hat übertrieben!
Nitschmann: Nein, überhaupt nicht! Er hatte vollkommen recht, Achim: Du bist bedeutend - und erfolgreich! Fast würde ich sagen: international renommiert!
Joachim: Halt, jetzt reicht' s aber!
Nitschmann: Dein Erdbeben-Roman war ein großer Wurf, ein Bestseller!
Joachim: Lang ist' s her!
Weigand: Macht doch nichts! Dein Ruhm ist ungebrochen.
Joachim: Findest du?
Weigand: Finden wir! Ehrlich, Achim! Und das fand das Karlchen auch! Als er von deinem Roman in höchsten Tönen schwärmte, glühten seine Augen geradezu vor Begeisterung!
Joachim: Dabei hatte er von mir als Schüler überhaupt nichts gehalten: 'Helmers, Helmers', näselte er immer wieder, 'Ihre Phantasie eilt Ihnen wie ein blitzendes Dampfross voraus, aber Ihr Stil. ... Ihr Stil! Der keucht und scheppert hinterher, wie ein wackeliger Lumpensammler! Lachen
Nitschmann: Na, inzwischen hat aber dein Stil das Dampfross glänzend eingeholt und brilliert mit ihm donnernd die blitzende Strecke entlang!
Joachim: Halt, meine Herren, jetzt fange ich gleich an, mir selbst auf die Schulter zu klopfen, und anschließend hebe ich ab!
Katrin Helmers erscheint.
2. Szene
Katrin: Was ist das doch für eine fröhliche Runde hier! Und wie angeregt die Herren miteinander plaudern!
Nitschmann: Es wäre noch um ein Vielfaches anregender, Katrin, wenn du bei uns mitplauderst.
Katrin: So, so....
Weigand: ..... ja, er hat recht, Frau Helmers, unsere Runde wäre garantiert fröhlicher!
Katrin: Ach ja? Ich wusste gar nicht, dass ich so ein fröhliches Haus bin. Eigentlich bin ich eher ernst.
Nitschmann: Da siehst du, welch unbekannte Talente noch in dir ruhen....,
Weigand: .....die nur noch geweckt werden wollen! Wir beide täten nichts lieber, Frau Helmers, als das Gold Ihrer Fröhlichkeit ans Tageslicht zu befördern.
Katrin: Na, meine Herren, übernehmen Sie sich mal nicht! - Übrigens, es war schon eine Überraschung, dass du vorgestern hier angerufen hast, Günter ...., nach so langer Zeit!
Nitschmann: Ja, du hast recht, Katrin, es war eine lange Zeit, und wenn man sie irgendwo in Fernost verbracht hat, ist man vor Heimweh fast vergangen.
Katrin: überrascht, beinah bestürzt: Du warst....in Fernost?
Nitschmann: .... ja, in Fernost. Genauer: Fern-Südost: Sydney!
Joachim: Was? Sydney?
Katrin: Ach!
Nitschmann: Ein Freund hatte mir dort eine Stelle am deutschen Generalkonsulat vermittelt, als Mitarbeiter in der Pass- und Visa - Abteilung. Ich dachte.... du musst hier mal heraus. Deutschland ist so eng und immer so kalt....außerdem übervölkert. Die vielen Menschen ....die ewig verstopften Straßen..; also..., habe ich das Angebot angenommen, bin in einen Flieger der Australien-Air gestiegen, versehen mit dem Nötigsten, und ab ging es, ans andere Ende der Welt, hinein ins weite australische Land, wo es so sonnig und warm ist, wo die Eukalyptusbäume wachsen und das Meer noch an einsamen Stränden rauscht.
Joachim: Davon wussten wir gar nichts! - Irgend jemand sagte mir einmal, du machst eine große Reise....
Nitschmann: Es war in der Tat eine große Reise; fünf Jahre hat sie gedauert!
Weigand: Viele reisen so weit weg - um vor der Kälte zu fliehen; allerdings vor der Kälte der Menschen! - Ich kenne einen Kollegen, der hat sich nach Südamerika abgesetzt, nach Brasilien. Aber er floh nicht vor dem Gerangel auf den verstopften Straßen,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 29.10.2012
ISBN: 978-3-95500-550-4
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