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Die Geschichte von Ruffian, dem erstaunlichen schwarzen Stutfohlen, ist eine der besondersten Geschichten überhaupt. Walter Farley sagte einmal, das er ein Pferd wie dieses vor Augen hatten, als er die Bücher über "Blitz" schrieb (vom Geschlecht einmal abgesehen). Ein Tierarzt erzählte, er habe noch nie ein so perfektes gebautest Pferd gesehen, Ruffian habe die ausgewogensten Proportionen überhaupt besessen. Die Worte einen anderen Tierarztes, der aus der Geschichte von Devon Lochs (ein anderes berühmstes Pferd) Zusammenbruch hinsichtlich der des Aussergewöhnlichen eine Lehre zog, waren: "Je mehr man sich der Vollendung nähert, desto mehr muss man darauf gefasst sein, das etwas dazwischen kommt". Mutterlicherseits war Ruffian eine Enkelin von Native Dancer (ein Stammbaum, der auch Northern Dancer hervorgebracht hat). Sie war ein flinkes und temperamentvolles Pferd. Ihre Grazie täuschte über ihre Grösse hinweg, und ihre Schnelligkeit war einfach überwältigend. Bestimmt war es ihr langer und fließender Schritt, der ihren ersten übungsreiter auf der Rennbahn verwirrte. Der ehemalige Jockey Yates Kennedy was damals 59 Jahre alt und hatte sein ganzes Leben mit Pferden verbracht. Ruffians Ritt war so mühelos, das Kennedy glaubte, das Pferd habe die drei Achtelmeilen in 37 Sekunden zurückgelegt. Wie viel Jockeys und Springreiter besaß er so etwas wie eine innere Stoppuhr. Eigentlich irrte er sich nur selten, doch an diesem Tag lag er weit daneben - und zwar um fast 2 Sekunden. Später benutze er ein aussagestarkes Bild, um den Ritt mit Ruffian zu beschreiben: Ihm war, als hätte sie ein unsichtbares Segel gehißt, als würde sie mit dem Wind im Rücken vorwärts fliegen, wenn ihre Hufe zwischen den Schritten den Boden nicht mehr berührten.

Ruffian wurde im April 1972 auf der Claiborne Farm geboren, einem der großen alten Gestüte in Kentucky. Mormalerweise dominieren die jungen Hengstfohlen bei den Zuchtrennen für Vollblutpferde, doch dieses Stutfohlen war eine Ausnahme. Es gibt Leute, die in Ruffian nicht nur die großartigste Stute aller Zeiten sehen, sondern es sogar als das beste Rennpferd überhaupt bezeichnen.

Ihre Besitzer hatten den Namen Ruffian, also "Raufbold", bereits für ein ganz bestimmtes Hengstfohlen reserviert, aber als dieses verkauft wurde, ging der Name auf das kleine Stutfohlen über. "Auch Mädchen können Ruffians sein", meinte ihre Besitzerin Barbara Janney. Die Stute war ziemlich groß und nicht gerade zart gebaut. Die Stallburschen gaben ihr den Spitznamen Sofia, eine Anspielung auf "Sofa". Ihre Größe mag zwar an eine Couch erinnert haben, dennoch war sie nicht plump, wie es große Pferde sonst oft sind. Ganz im Gegenteil. Bevor Trainer Frank Y. Whiteley Jr. ihr überhaupt das erste Mal einen Jockey für einen Trainingslauf auf den Rücken setzte, lobte er sie schon über den grünen Klee und verstieß damit gegen ein abergläubisches Gebot des Rennsports.

Beim Pferderennen hängt viel von Glück ab. Die Startposition wird vor dem Rennen ausgelost, man braucht also Glück, um eine gute Ausgangsposition zu erwischen. Auch andere, wichtige Faktoren, die über Sieg oder Niederlage entscheiden, wie die Bodenbeschaffenheit, die Witterungsverhältnisse, die Laune des Pferdes und der richtige Zeitpunkt für den Endspurt sind oftmals reine Glücksache. Kluge Menschen respektieren daher die Tradition, sich mit Lobpreisungen zurückzuhalten, bis das Pferd sie sich auch wirklich verdient hat. Und schließlich sollte man die Glücksgöttin ja auch nicht verärgern.

Doch der alte Whiteley glaubte, das Ruffians Stern lang und hell am Pferdehimmel erstrahlen werde, da die Götter selbst sie ja mit ihrem großartigen Talent beschenkt hatten. "Ich habe ein großes, schwarzes Stutfohlen für dich", sagte Whiteley zu seinem Jockey. "Ich bin sicher, das du noch nie auf einem schnelleren Pferd geritten bist."

Bei einem kurzen Wettrennen gegen andere Pferde aus dem Stall hielt der Jockey Jacinto Vasquez Ruffian sogar etwas zurück - dennoch fegte sie wie der Wind an den anderen vorbei. Und das trotz eines schlechten Starts, nach dem sie die führenden Pferde ganz außen überholen musste. Bei Ruffian kam es nicht darauf an, das Gaspedal zu finden, sondern die Bremse. Vasquez muste noch das letzte Quentchen seiner beträchtlichen Körperkräfte aufwenden, um Ruffian davon abzuhalten, nach der Ziellinie immer weiter zu rennen. Er war damals einer der führenden Jockeys, 30 Jahre alt und allseits als harter Knochen bekannt. Doch wen er Ruffian zügeln musste, wurden selbst seine Hämde und Arme taub. Old Witheley hatte offenbar recht.

In ihrem ersten Rennen am 22. Mai 1974 lief Ruffian gegen andere, ebenfalls noch unerprobte Fohlen. In diesem Rennen hatte sie einen Vorsprung von 15 Längen und kam in ihrer Zeit an den Bahnrekord heran. Ihr zweites Rennen gewann sie mit 7 Längen, ihr drittes mit 13 Längen. Diese deutlichen Siege wurden zu ihrem Markenzeichen. Bei 9 ihrer 10 Rennen erreichte oder übertrumpfe sie den jeweiligen Bahnrekord, und nur einmal musste sie dabei angetrieben werden (dieses Rennen war das einzige, in dem ihr Jockey eine Reitpeitsche verwendete, und er knallte auch nur viermal damit). Bei ihrem 10ten Rennen war Ruffian noch geschwächt von einer Verletzung. Der Jockey hatte die ausdrückliche Anweisung, mit möglichst wenig Kraftanstrengung zum Sieg zu laufen und keine Rekorde zu brechen.

Rennzeitschriften bezeichneten sie als "ein Wunder" und schrieben, sie sei "unbesiegbar". "Immer noch Geschwindigkeitsreserven!", jubelte die Daily Racing Form. "So etwas hat man noch nie gesehen", trompetete die Zeitschrift Bloodhorse und bewunderte ihre fast mühelose Beschleunigung. Beim Rennen in Saratoga versuchte der Jockey, sie auf der Zeilgeraden zurückzuhalten, weil der Vorsprung zu riesig war. Trotzdem rannte sie die 6 Achtelmeilen als schnellste Zweijährige in der Geschichte dieser Rennbahn, und die reicht bis in den Bürgerkrieg zurück. Trotz alledem war sie jedoch noch nie wirklich auf die Probe gestellt worden, und sie war noch nie gegen einen Hengst angetreten. Wie schnell, so flüsterten die Leute, konnte sie also tatsächlich laufen?

Irgend jemand schlug vor, das Ruffian gegen den besten Hengst antreten sollte, und das war damals Foolish Pleasure, der Gewinner des Kentucky Derby. Das große Rennen sollte am 6. Juli 1975 in Belmont Park in New York stattfinden. Das Hengstfohlen des Jahres gegen das Stutfohlen des Jahres. Das Rennen das Jahrhunderts.

Die Zuschauer trugen Anstecker mit dem Bild ihres Favoriten, darunter stand der Name des Tieres und darüber der Schriftzug "Das große Rennen". Manchmal las man auch einfach nur "Er" oder "Sie". Die 50 000 Zuschauer, die sich an diesem Tag auf der Rennbahn aufhielten, waren klar entlang der Geschlechtergrenzen geteilt. Männer und Jungen trugen Anhänger von Foolish Pleasure, Frauen und Mädchen jedoch wollten Ruffian unterstützen und trugen darum deren Button. Eine Zeitung veröffentlichte einen passenden Cartoon: Bekannte Frauenrechlerinnen, darunter Gloria Steinm, Betty Friedan und Billie Jean King, schrien begeistert: "Auf geht's Ruffian!"

Meist laufen Hengste im Rennen schneller als Stuten. Sie sind oftmals größer und stärker und schüchtern die Stuten manchmal schon vor dem Startschuß so ein, das sie nicht am Limit laufen. Aber damals setzten auch viele Experten auf Ruffian: Sie war 8 Zentimeter größer und 30 Kilo schwerer als der Hengst. Selbst Vasquez, der die voherigen 9 Rennen auf Foolish Pleasure geritten war, kam für dieses Rennen wieder zu Ruffian zurück. Bei einem übungslauf vor dem Rennen sagte der zuständige Zeitnehmer der Daily Racing Form über Vasquez und Ruffin: "Wenn er sie ungehindert laufen ließe, würde meine Uhr explodieren. Ich treibe mich nun schon seit 50 Jahren auf den Rennbahnen herum, aber ich habe noch nie ein Vollblut gesehen das so mühelos in Gang kommt." Aber auch Foolish Pleasure war ein beeindruckendes Pferd. An der Bahn herrschte eine unglaubliche Spannung, und 20 Millionen Menschen verfolgten des Rennen vor dem Fernseher.

Barbara Janney erinnert sich daran, das Ruffian einen Moment lang stehenbleib, als sie an der Haupttribüne vorbeigeführt wurde. Die Menge brüllte ohrenbetäubend - und das schon vor dem Rennen. Die Stammgäste der Rennbahn erzählten später, sie hätten noch nie eine so begeisterte Zuschauermenge erlebt. Ruffian hielt inne und betrachtete das Publikum, als wüsste sie genau, das sie im Mitelpunkt des Interesses stand. Diesen kostbaren Augenblick bewahrte Janney für immer tief in ihrem Herzen. Vielleicht wollte sie Ruffian gerne so in Erinnerung behalten: gefaßt und selbstsicher, sich der eigenen Größe voll und ganz bewußt.

Als sich die Startbox öffnete, übernahm Foolish Pleasure sehr geschickt die Führung auf der Außenseite, doch trotzdem lag Ruffian nach wenigen Schritten auf der Innenseite der Bahn einige Zentimeter vorne. Sie war soviel größer als der Hengst, das die Zuschauer auf der Mitteltribüne den Hengst nicht sehen konnten, als die zwei Pferde in die Kurve liefen. Es sah so aus, als würde die Stute das Rennen alleine bestreiten.

Kurz vor der Hälfe der Strecke lag Ruffian etwa eine halbe Länge vorne. In diesem Moment geschah das Unfaßbare. Beide Jockeys hörten ein lautes Krachen. Es klang wie ein berstender Ast bei einem Sturm. Es war das Geräusch eines brechenden Knochens, und diejenigen, die diesen Klang auch nur einmal gehört habem, werden ihn nie vergessen und darum beten, ihn niemals wieder zu hören.

Das Vollblut ist wahrhaftig ein bemerkenswertes Tier. 6 Schritte, nachdem sich die Startbox geöffnet hat, eilt das Pferd schon mit einer Geschwindigkeit von 65 Kilometern pro Stunde dahin und verbraucht dabei pro Sekunde 20 Liter Luft. Die Kraft, die dabei auf die Mittelfußknochen der Vorderbeine drückt, entspricht etwa einem Gewicht von 4500 bis 5500 Kilo. Deswegen ist die oberste Belastung auch immer in gefährlicher Nähe: Spätestens bei 8000 Kilo kann der Knochen der Belastung nicht länger standhalten.

Ruffian hatte, um in der Sprache der Vollblutzüchter zu sprechen, "einen schlechten Schritt" getan. Dieser eigenartige Ausdruck scheint dem Pferd oder dem Schicksal die Schuld für einen lähmenden und oftmals tödlichen Unfall zuzuschreiben. Ruffians rechter Vorderhut hing plötzlich lose herab, er schlenderte nur noch hin und her und konnte das Bein nicht länger tragen. Sie lief nun auf ihrem bloßen Knochen, und dieser zersplitterte wie in Eiswürfel unter einem Hammerschlag.

In diesem Augenblick, als das Bein brach, schien Ruffian Foolish Pleasure zu schubsen. Aber die Viedeoaufzeichnung zeigt, das sie sich in Wirklichkeit nur gegen ihn lehnte. Sie versuchte, einen Ausgleich zu finden und auf drei Beinen weiterzurennen. Irgendwie lief sie noch fast 500 Meter weiter, während Vasquez verzweiflet versuchte, sie zu zügeln. Endlich schwenkte sie nach rechts ab und kam taumelnd zum Stillstand. An ihrem Bein sah man den bloßen Knochen, und Blut strömte aus einer entsetzlichen Wunde hervor. Der Jockey sprang ab und versuchte, Ruffian zu stützen. Die Stute schrie vor Schmerzen.

Auf der Tribüne verwandelte sich unglaubliches Entsetzten in eine erschrockene Grabesstille. Der Lärm hörte abrupt auf, als hötte jemand einen Hahn zugedreht. Sogar der Sprecher stockte, als ob auch er nicht ganz befreifen konnte, was er vor sich sah. Einige Menschen in der Menge begannen zu schuchzen - Frauen und Mädchen in T-Shirts, die mit Ruffians Kopf und dem Frauenzeichen bedruckt waren, ebenso wie Männer und Jungen, die einen Moment zuvor noch den scheinbaren Vorstoß von Foolish Pleasure bejubelt hatten.

Indem sie mit ihrem lahmen Bein weiter gerannt war, hatte Ruffian die Verletzung noch extrem verschlimmert. Auf der Bahn hoben inzwischen einige Männer das unglückliche Tier in eine Pferdeambulanz.

Ruffian schlug wie wild um sich und schüttelte den vorläufigen Gipsverband wieder ab, den man ihr angelegt hatte. Als sie nach einer Notoperation wieder wieder aus der Narkose erwachte, lag sie auf der Seite auf einem weich gepolsterten Lager. Sofort versuchte sie wieder loszurennen - vor Schmerzen vielleicht oder um Foolish Pleasure einzuholen. Hilflos drehte sie sich dabei immer nur im Kreis herum, wie ein mit einer Nadel aufgespießter Schmetterling. "Genau die Eigenschaft die ihr immer zum Sieg verholfen hatte, was letzten Endes auch für ihren Tod verantwortlich", sagte ihr Tierarzt. Auch die kräftigen Tierpfleger des Krankenhauses, die sie festzuhalten versuchten, wurden von ihr herumgeschubst, als wären sie aus Watte.

Schließlich fragen die ärzte die besorgte Barbara Janney, ob sie noch eine weitere Operation durchführen sollten. Janneys Antwort lautete: Beendet Ruffians Qual! Am nächsten Abend wurde die Stute nach einer bewegenden Trauerfeier unter Auschluß der öffentlichkeit in Belmont beigesetzt. Ein großer Flaschenzug legte den in weißen Tücher gewickelten Körper sanft in das drei Meter fünfzig tiefe Grab. Ruffians Kopf zeigte zur Ziellinie. Anwesend waren ein von Trauer überwältigter Whiteley, einige übungsreiter und Stallburschen sowie der schwarz gekleidete Vasquez. Ein Assistenztrainer legte Ruffian die zwei Decken über, die sie immer getragen hatte. Ihr Trainer strich die Decken noch einmal zärtlich glatt, dann bedeckten die Maschinen sie mit Erde, und ein hufeisenförmiger Kranz wurde auf ihr Grab gelegt.

Im Park steht heute ein Gedenkstein, auf dem Ruffians Siege eingraviert sind. Manchmal schicken Menschen Blumen nach Belmont mit der Bitte, sie an Ruffians Stein niederzulegen. Die Absender erinnern sich bestimmt mit Freude und Trauer daran, wie diese wunderschöne Stute zwischen ihren langen und eleganten Schritten die Segel hißte und mit dem Wind im Rücken auf das Ziel zusegelte.

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Tag der Veröffentlichung: 04.08.2011

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