Dieses Werk entstand aufgrund einer Aufgabe beim Spiel „Duck, Duck, Goose!“ in der Gruppe „Let’s Play“ auf Bookrix. Die gestellte Aufgabe verlieh zwei Charakteren das Leben, die mir so ans Herz gewachsen sind, dass ich diese Geschichten schreibe.
Da wäre auf der einen Seite der 20-jährige, kindische Eleazar „El“ Grey. Er liebt es, seinen Mitbewohner zu nerven, ist sehr anhänglich und kuschelbedürftig. Er liebt Schwertis dunkelbraune Augen und Haare und überfällt den Älteren gerne mit Kuschelattacken. Wenn er sich nicht gerade wie ein Kleinkind benimmt, ist er wirklich liebenswert.
Auf der anderen Seite gibt es noch den 24-jährigen Prof. Dr. Dr. Heinrich „Henry, Schwerti“ Schwertwal (Fragt mich nicht, wie er in dem Alter schon zu so vielen Titeln kommt). Er ist der zweite Mitbewohner und kümmert sich meistens sehr liebevoll um Eleazar, auch wenn dieser ihn oft bis zur Weißglut treibt. Aber wenn der Jüngere ihn mit seinen blauen, großen Augen schuldbewusst ansieht, kann er ihm nie lange böse sein. Von Eleazars Kuschelattacken ist er alles andere als begeistert, obwohl es ihm insgeheim Spaß macht, sich immer wieder mit dem Schwarzhaarigen anzulegen.
Ursprünglich waren die beiden als Werrabe-und-Werkater-Weltretterteam gedacht (anlässlich des prophezeiten Weltuntergangs am 21.12.2012), das rückt hier aber eher in den Hintergrund (zumal die Welt ja auch gar nicht untergegangen ist). Meistens geht es um kurze Ausschnitte aus dem Zusammenleben der beiden, die Großteils zur Unterhaltung dienen sollen, teilweise aber auch ein Körnchen Weisheit enthalten (das wird eine Seltenheit bleiben).
Henry lag bequem im Bett und las. Zumindest hatte er das bis vor ein paar Sekunden noch getan. Denn dann war die Person ins Zimmer gestürmt, die es immer wieder schaffte, die Ruhe zunichte zu machen.
„Schwerti!“, heulte Eleazar.
„Was ist jetzt schon wieder?“, wollte der Braunhaarige genervt rufen, verkniff es sich dann aber, als er sah, wie verängstigt sein Mitbewohner aussah.
„Schwerti, ich hab Angst“, flüsterte der. Dabei klang er so hilfsbedürftig, dass der Angesprochene gar nicht genervt sein konnte. „Was ist passiert?“, fragte er leise.
„Ich hatte einen Albtraum. Darf ich bei dir schlafen?“, bat er.
Aber das war zu viel für den Professor. „Nein, El. Du weißt, dass ich nachts gern meine Ruhe hätte.“
„Du kannst mich nicht allein lassen! Ich hab Angst! Schwerti, tu mir das nicht an! Bitte lass mich bei dir bleiben!“, flehte Eleazar. Er konnte ziemlich hartnäckig sein und das wusste Henry. Bevor er sich die halbe Nacht um die Ohren schlug, weil er mit dem Kleinen stritt, konnte er auch gleich nachgeben.
„Na gut“, grummelte er. „Wenn es unbedingt sein muss.“
„Ja muss!“
El warf sich ins Bett und begann, zu lächeln. „Danke, Schwerti.“ Dieser erwiderte das Lächeln sogar ein bisschen. Aber nur kurz, denn im nächsten Moment wurde es ungemütlich. Der Jüngere zuckte zusammen und japste auf. „Was war das für ein Geräusch?“, flüsterte er.
„Bloß die Heizung“, gab Henry zurück. „Bitte erdrück mich nicht.“
Doch Eleazar ignorierte die Worte gekonnt. Er drückte sich unter der Decke so eng an seinen Mitbewohner, dass nicht einmal ein Blatt Papier zwischen sie gepasst hätte.
Es könnte schlimmer sein, redete Schwerti sich immer wieder ein. Immerhin trägt er einen Pyjama und schläft nicht nackt. Aber langte tröstete ihn das nicht.
„El, sieh mal: Selbst, wenn böse Monster reinkommen, bringt es dir nichts, wenn du mir die Rippen brichst.“
„Es kommen böse Monster!?“, schrie der Kleine panisch. Schwerti ohrfeigte sich selbst für diesen dummen Satz. Da hatte er zwei Doktortitel und schaffte es nicht mal, einen kindischen Zwanzigjährigen zu beruhigen. Zumindest nicht mit Worten. Also begann er stattdessen, ihm über den Rücken zu streicheln.
„Hör mal, El: Wenn du von mir runtergehst, kann ich dich viel besser verteidigen, glaubst du nicht?“
Der Schwarzhaarige schien zu überlegen. Seine blauen Augen sahen sich suchend im Raum um. „Ja, wahrscheinlich schon“, nuschelte er schließlich. Und endlich rückte er ein Stück ab.
„Nicht aufhören!“, beschwerte er sich sofort, als Henry das Streicheln eingestellt hatte. Also machte dieser wohl oder übel weiter. Solange, bis der Kleine eingeschlafen war. Henrys Bewegungen wurden träger. Er konnte Els Atem hören. 57 Atemzüge später schlief auch er tief und fest.
Schwerti kam ins Wohnzimmer, wo Eleazar auf dem Sofa saß und fernsah.
„Weißt du, wo die Fernbedienung ist?“, fragte Schwerti, der diese Sendung absolut nicht leiden konnte.
„Hier“, sagte El und wedelte damit in der Luft herum.
„Danke“, sagte Schwerti und griff danach, aber da hatte der Werrabe die Hand schon weggezogen.
„Gib schon her!“, knurrte der Werkater.
„Hol sie dir!“, forderte El ihn auf und versteckte die Fernbedienung hinter seinem Rücken. Schwerti war wohl oder übel dazu gezwungen, sich halb stehend, halb kniend über den Jüngeren zu beugen, um an den wertvollen Schatz heran zu kommen. Doch Eleazar war schnell: Ehe Schwerti auch nur mitbekam, wie ihm geschah, hatte der Schwarzhaarige ihn schon am Hemd gepackt und zu sich herunter gezogen, sodass er ihn küssen konnte.
„Eleazar!“, grollte der Ältere. „Was soll das?!“
„Ich wollte einen Kuss von dir“, gab er kleinlaut zu.
Schwerti verdrehte die Augen. „Hast du ja bekommen. Jetzt gib endlich die Fernbedienung her.“
Und widerwillig gehorchte Eleazar.
Nachdem Henry seinen Kaffee getrunken hatte, erhob er sich vom Tisch und zog sich Jacke und Schuhe an.
"Du kannst nicht gehen! Bitte bleib da! Lass mich nicht allein!", flehte Eleazar den Werkater zum tausendsten Mal an.
"Nein. Ich muss dahin und du kannst nicht mit!", erklärte Henry - ebenfalls zum tausendsten Mal.
"Du kannst mich nicht allein lassen und erwarten, dass es mir gut geht! Das kannst du nicht von mir verlangen!", kreischte Eleazar unter Tränen.
Henry musste zugeben, dass sein Mitbewohner ihm leid tat, aber er konnte es nunmal nicht ändern.
"Sieh mal, du rettest die Welt und alles. Da wirst du es doch schaffen, ein einziges Mal allein zu bleiben. In zwei Stunden bin ich wieder da."
"Das werden die schlimmsten zwei Stunden meines Lebens", heulte Eleazar.
Als Henry von seinem Vortrag zurückkam, fand er die Wohnung ruhig vor - unheimlich ruhig.
"Eleazar?", rief er fragend. Stille. "Ich bin wieder da!" Keine Antwort.
"Wo steckt der denn?", fragte der Professor sich selber.
Er ging von Raum zu Raum. Langsam begann er, sich Sorgen zu machen. Aber als er die nächste Tür öffnete, bereute er es fast schon wieder. Er hatte kaum zwei Schritte in den Raum hinein gemacht, da wurde er schon zu Boden gerissen. Eleazar hatte sich unter lauten "Henry!"-Rufen mit voller Wucht auf den Werkater gestürzt.
"Lass los", keuchte Henry, "Ich kann nicht atmen."
Tatsächlich hatte Eleazar die Arme so fest um seinen Freund geschlungen, dass er ihm fast die Rippen brach. Das war für Schwerti nicht besonders angenehm, den harten Boden im Rücken und den Werraben auf der Brust.
"Manchmal kommst du mir vor wie ein Hund, für den die Welt untergeht, wenn sein Besitzer kurz nicht da ist."
"Glaub mir, die Welt ist untergegangen ohne dich", flüsterte er dem Werkater ins Ohr, ehe er ihn auf die Wange küsste und dann endlich von ihm abließ.
„Eleazar, kannst du…“, begann der Professor, unterbrach sich dann aber selbst. „Der Kleine ist ja nicht da“, fiel ihm ein. Noch eine Woche lang. Anfangs hatte Schwerti sich gefreut, endlich Ruhe zu haben. Er nahm sich einfach alles vor, war in absoluter Weltretterlaune und konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Sein Mitbewohner war erst seit eineinhalb Tagen weg und schon hatte sich Henrys Einstellung um 180 Grad gewendet.
Die aufdringliche, kindische Art des Zwanzigjährigen hatte ihn immer inspiriert und motiviert. Erst jetzt, da der Kleine nicht da war, merkte Schwerti, wie sehr er doch an ihm hing. Und mit jeder Stunde, die er allein verbrachte, wurde er demotivierter, auch nur irgendetwas zu machen. Er las Bücher, die er nicht verstand, schrieb Dinge, deren er sich nicht sicher war, wusste nicht, wie er sich die Zeit vertreiben könnte.
Mit jedem Tag wurde er nervöser und konnte die Rückkehr seines Mitbewohners kaum noch erwarten. Dann, am Samstag war es endlich so weit. Er tat so, als arbeite er, nur um vor sich selbst zu verbergen, dass er die Zeit eigentlich mit Warten verbrachte. Ständig lauschte er auf ein parkendes Auto, Schritte im Flur, das Geräusch der sich öffnenden Haustür. Vergeblich.
Das einzige, das er zu hören bekam, war sein Handy. Er öffnete die Nachricht in freudiger Erwartung. Aber er wurde enttäuscht. Zwar hatte El geschrieben, aber seine Worte stellten Schwerti nicht zufrieden: Komme später, warte nicht auf mich.
Henry warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon ziemlich spät. Eigentlich sollte er sich am besten ins Bett legen, um zu schlafen. Er war ohnehin so müde, dass er in einen komaartigen Zustand verfiel, sobald sein Kopf das Kissen berührte.
Am darauffolgenden Morgen wurde der Professor höchst sanft geweckt. Eine warme Hand strich ihm über die Wange. Weiche Lippen erkundeten sein Gesicht. Er seufzte wohlig.
„Ich hab dich vermisst, Schwerti“, flüsterte Eleazar ihm ins Ohr. Das brachte den Braunhaarigen zum Lächeln.
Die nächsten Worte waren aus seinem Mund gekommen, ohne dass er sie sich verkneifen hätte können. „Ich dich auch, Hübscher.“
Und dann wurde die Situation ungemütlich, zumindest für Henry. El hatte sich auf ihn gerollt, sodass der Professor den gesamten Körper des Jüngeren fühlen konnte. Von so großer Körpernähe war er sehr abgeneigt.
„Lass das, El“, knurrte er halbherzig. Doch das fiel dem Schwarzhaarigen gar nicht erst ein. Stattdessen schmiegte er sich an seinen Mitbewohner und rieb sich an ihm wie eine Katze.
„Ich bin hier der Werkater“, beharrte Schwerti. Eleazar zuckte – so gut es in seiner Position ging – die Schultern. „Niemand hat was anderes behauptet.“
Im nächsten Moment zuckte der Braunhaarige zusammen. Er war sich sicher, Els Erektion gespürt zu haben. Dieser merkte sofort, woher der Grund für diese Abwehrreaktion rührte. „Morgenlatte“, sagte er nur und ging nicht weiter darauf ein. Sein Körper aber sehr wohl. Als er dem Professor in den Schritt griff, stöhnte dieser ungewollt auf.
„Da regt sich was“, gab Eleazar kund. Schwertis Gesicht war rot angelaufen.
„Lass das, El!“ Aber er brachte die Worte nur halb stöhnend heraus, was ihnen alle Wirkung nahm.
„Warum mit etwas aufhören, das wir beide genießen?“, hauchte der Schwarzhaarige.
Genau das war eben der Grund. Henry fürchtete sich. Er wollte aufhören, bevor er anfing, das alles zu sehr zu genießen. Aber dieser Punkt war bereits überschritten. Man konnte mittlerweile jeden einzelnen Atemzug hören und das war dem Professor unangenehm. Aber Eleazar schien es noch mehr anzuspornen.
Wir tragen noch Unterwäsche, war Schwertis einziger Trost. Aber besagte Unterwäsche war so dünn, dass er trotzdem jede Bewegung haargenau spüren konnte. Und das ließ ihn nicht kalt. Bald spürte er auch seinen eigenen kleinen Freund hab Acht stehen. Und die Berührungen von Els Penis machten es nicht gerade besser. Bald war es so schlimm, dass Henry begann, seinem Mitbewohner entgegenzukommen. Er drückte das Kreuz durch und zog den anderen näher heran. Der hatte indessen begonnen, den Hals des Braunhaarigen zu küssen und zu beißen. Der Stöhnte immer lauter und versuchte umständlich, die Boxershorts loszuwerden.
Der nächste Moment fühlte sich an, als hätte ihm jemand eine Hand voll Organe aus dem Brustkorb gerissen. El war aufgesprungen und meinte bloß: „Ich hab Hunger.“
„Jetzt?“, keuchte Henry.
„Ja, jetzt“, bestätigte der Schwarzhaarige und war schon in die Küche verschwunden.
Schwerti ließ er allein im Bett zurück, wo er versuchte, den Grad seiner Erregung herunterzuschrauben. Stattdessen machte sich bald ein anderes Gefühl in ihm Breit: Zorn.
„EEEEEL!“, brüllte er. Wie hatte er den Kleinen nur vermissen können!?
"Hejj, Schwerti, Schwerti, Schwerti, Schwerti, Schwerti!", rief Eleazar durchs ganze Haus. "Wo bist du?"
Henry fragte sich, ob er sich die Mühe machen sollte, zu antworten und ließ es dann bleiben. Der Werrabe hatte ihn natürlich trotzdem nach zwei Minuten schreien und suchen gefunden.
"Da bist du ja!", schrie er und warf sich auf Henry.
"Au", brachte der Werkater hervor. Eleazar hatte irgendwann beschlossen, sich doch von ihm herunter zu bewegen, was das Atmen für ihn doch sehr erleichterte.
"Ich weiß, du willst gerne für immer und ewig aufbleiben, aber wie wäre es, wenn du ganz lieb und nett ins Bett verschwindest und mich in Ruhe lässt?", knurrte Henry.
"Aber ich hab Angst allein im Dunkeln", gab Eleazar zu.
Der Braunhaarige verdrehte die Augen und erhob sich vom Sofa. "Dann komm ich eben mit."
Die Miene des Werraben hellte sich sofort auf und grinsend folgte er Henry ins Schlafzimmer.
"Leg dich hin", befahl dieser und Eleazar gehorchte, aber nicht, ohne Henry mitzuziehen, sodass sie nebeneinander unter der kuschligen Decke lagen.
"Erzählst du mir eine Geschichte?", bat Eleazar.
"Wenn es sein muss", murmelte Henry. "Also: Da war ein kleiner Junge. Der war immer sehr, sehr anstrengend. Einmal nervte er seinen Mitbewohner so sehr, dass dieser ihn einen tiefen, tiefen, tiefen Abgrund hinunterwarf. Und er fiel und fiel und fiel und fiel und fiel und fiel. Und weißt du, was dann passierte?"
"Er kam unten auf?", fragte Eleazar mit zitternder Stimme.
"Nein. Denn er war ein Werrabe."
"Ui! So wie ich?", fragte Eleazar begeistert.
"Ja. Genauso wie du. Und er verwandelte sich und flog wieder rauf. Ende."
"Das war eine schöne Geschichte", sagte der Schwarzhaarige gähnend.
Dann zerrte er den Werkater näher an sich heran und machte es sich halb auf dessen Brustkorb bequem. (Ob das für Henry auch so bequem war, ist fragwürdig.)
Seufzend ergab sich der Werkater seinem Schicksal und begann, Eleazar über den Rücken zu streicheln, sodass dieser - wäre er ein Werkater gewesen - sicher begonnen hätte, wohlig zu schnurren. Und so schliefen sie gemeinsam ein und träumten beide einen Traum von einem Werraben, der fiel und fiel und fiel und fiel und fiel ...
Henry wurde langsam nervös. Immer wieder starrte er auf seine Uhr und schrie dann: "Eleazar, beeil dich! Du kommst zu spät zu deiner Superhelden-Weltretter-Dings..äh...Preisverleihung."
Eleazar antwortete nicht und das machte dem Werkater noch mehr Sorgen. Mit gespitzten Ohren tapste er barfuß die Treppe hinauf - er trug nie Schuhe - und blieb vor der Badezimmertür stehen. Als er geklopft hatte und Eleazar immer noch nicht antwortete, öffnete er die Tür und machte automatisch einen Schritt zurück. Einerseits wegen der lauten Musik, die ihm entgegen dröhnte, andererseits auch wegen des seltsamen Bildes, dass sich da vor ihm abspielte. Eleazar hatte eine Bürste in der Hand, die er als Mikrophon missbrauchte, das einzige was er anhatte war ein Handtuch, das ihm lose auf der Hüfte hing. In dem Moment, als der Werrabe Henry bemerkte, schnellte seine Stimme etwa zwei Oktaven in die Höhe und er quietschte: "Es ist nicht das wonach es aussieht!"
Henry verdrehte die Augen, drängte sich an Eleazar vorbei und drehte die Musik ab.
"Ich will gar nicht wissen, was du hier machst, aber ich wollte dich darauf hinweisen, dass du zu spät kommst."
"Wirklich?", fragte Eleazar, während er eine Augenbraue hochzog. Er griff nach dem Handgelenk seines Helferleins und betrachtete die Uhr eingehend.
"Die haben sicher schon angefangen", sagte er. "Es sieht ziemlich blöd aus, wenn ich da jetzt aufkreuze. Am besten geh ich gar nicht mehr hin. Mir fiele da auch was sinnvolleres ein, was man in der Zeit machen könnte, als sich bei den ewigen Reden zu langweilen."
Henry stand ziemlich auf dem Schlauch - er hatte keine Ahnung, wovon der Werrabe da redete. Erst als dieser begann, ihn ziemlich offensichtlich zu bedrängen, fiel der Groschen.
"Eleazar - NEIN!", knurrte der Werkater. "Sei doch einmal verantwortungsvoll."
"Aber ich will nicht", grummelte der Schwarzhaarige.
"Und wie wäre es, wenn du eine kleine Belohnung dafür bekommst?", bot Henry an.
Jetzt war Eleazar neugierig geworden.
"Ein Kuss, wenn du jetzt widerstandslos zur Preisverleihung gehst und dich benimmst."
Der Werrabe überlegte. "Hmmm... sagen wir fünf."
"Drei", sagte Henry.
"Vier", widersprach Eleazar.
"Na gut. Aber wehe, du bist nicht brav!"
"Ohh... ich werde gar nicht brav sein", grinste der Schwarzhaarige bedeutungsvoll ...
„El, lass das!“, knurrte Schwerti wie schon so oft. Der Schwarzhaarige beschwerte sich lautstark über jeden Gegenstand, den sein Mitbewohner auf seinen eigentlichen Platz stellte.
„Hier herrscht das reine Chaos. Ich muss aufräumen, sonst werde ich noch wahnsinnig! Geh doch in dein Zimmer, wenn es dich so stört“, nörgelte Henry.
„Ich will aber bei dir sein“, argumentierte der Werrabe.
„Dann sei still“, befahl Schwerti.
„Bring mich dazu!“, forderte Eleazar ihn heraus.
„Und wie stell ich das am besten an?“
„Weiß nicht. Denk dir was aus.“
Und plötzlich lehnte der Ältere sich vor und küsste den anderen. Der starrte ihn sogleich ganz verdutzt an.
„Mund zu, die Milchzähne werden sauer“, kommentierte Schwerti.
„Du küsst mich?“, fragte El fassungslos. „Du küsst mich?“
Henry zog eine Augenbraue hoch. „Was ist so schlimm daran?“
„Du hast mich noch nie von dir aus geküsst!“, stellte der Werrabe begeistert fest. „Ich musste dich meistens fast schon zwingen – obwohl es dir dann immer gefallen hat.“
„Na, und wenn schon“, grummelte der Werkater, der seine Aktion bereits bereute. „Bist du dafür jetzt wenigstens still.“
„Na gut, ich bin still und sehe dir zu.“
„Du darfst mir gern helfen.“
Der Jüngere überlegte. „Was krieg ich denn dafür?“
Schwerti schnaubte belustigt. „Mal sehen.“
„Damit geb ich mich nicht zufrieden! Noch ein Kuss, sonst mach ich gar nichts!“
Henry kämpfte mit sich selbst. Wenn er den Kleinen nicht küsste, würde der nie Ruhe geben. Und wenn doch … naja, sicher war nichts. Also lehnte er sich vor und streifte die Lippen des anderen, nur für einen winzigen Augenblick.
„Das soll ein Kuss gewesen sein?“, beschwerte Eleazar sich sogleich.
„Woher weiß ich, dass du mir wirklich helfen willst? Nachdem wir fertig sind, überlege ich mir, ob du das überhaupt verdienst.“ Das war sogar ein recht kluger Schachzug. Schwerti konnte El etwas bieten, dass dieser unbedingt haben wollte. Die Situation war gar nicht so schlecht. Eleazar war motiviert und irgendwie würde Henry sich da schon wieder herausreden.
Tatsächlich stellte sich Eleazar als eine große Hilfe heraus. Früher als erwartet war alles blitz und blank. Die beiden Arbeiter ließen sich erschöpft am Küchentisch fallen.
„So, ich hab mir eine Belohnung verdient“, stellte Eleazar fest.
„Ja, ich schlage vor, ich koche dir was Leckeres.“
„Ich helfe!“
Dabei war der Jüngere eher eine Behinderung als eine Hilfe, aber das sagte Schwerti ihm nicht. Nachdem El als erster mit dem Essen fertig war, räumte er seinen Teller in den Geschirrspüler und setzte sich dann neben Schwerti, der auch schon ziemlich voll war, aber noch mit der Gabel in der Hand dasaß.
„Und jetzt der Kuss!“, verlangte der Schwarzhaarige.
„Ich hab dir schon Essen gekocht!“, versuchte Henry sich herauszureden.
„Aber dabei hab ich dir geholfen! Versprochen ist versprochen“, sagte Eleazar.
„Ich habe gar nichts versprochen“, wehrte der Ältere sich. Schließlich beschloss er, nachzugeben, da es sonst doch ziemlich unfair wäre. Er beugte sich zu El und küsste ihn, diesmal etwas länger. Doch selbst, als er sich wieder aufrichtete, war der Jüngere nicht bereit, schon aufzuhören. Der Werrabe zog ihn näher an sich, biss seinem Mitbewohner sanft in die Unterlippe und wurde auch mit der Zunge immer aufdringlicher. Und egal, wie sehr der Professor sich sträubte, El ließ nicht locker, bis Henry den Kuss zufriedenstellend erwiderte.
„Ich hasse Aufräumen“, murrte Schwerti, als sich der Jüngere endlich aus seinem Gesicht entfernte.
„Ich glaube, ich mag Aufräumen richtig gern“, sagte Eleazar und grinste breit.
„Schwerti! Bau einen Schneemann mit mir!“, rief Eleazar, als er zum Fenster hinaus gesehen hatte. Über Nacht waren mehrere zig Zentimeter Schnee gefallen. „Oder ein Iglu!“, fügte der Schwarzhaarige hinzu.
„Nein, El, ich muss arbeiten.“
„Immer musst du arbeiten!“, nörgelte der Jüngere. „Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit! Du solltest mal Spaß haben.“
Unter Spaß verstand der Professor etwas anderes, als mit seinem kindischen Mitbewohner im Schnee herum zu tollen. Aber der sah ihn mit seinen blauen, großen Augen so niedlich an, dass Henry nachgab.
Zwar stand er die meiste Zeit nur nutzlos herum, mit der einzigen Funktion, die Möhre für die Nase des Schneemanns festzuhalten, damit sie auch ja nicht verloren ginge, aber trotzdem genoss er es ein wenig, Eleazar zuzusehen. Der Jüngere gab sich wirklich viel Mühe und sah herzallerliebst aus, mit den weißen Schneeflocken in den schwarzen Haaren (obwohl Schwerti ihm dazu geraten hatte, wollte er partout keine Mütze aufsetzen).
Zum Schluss durfte der Ältere dem Schneemann die Nase ins Gesicht drücken und bekam ein breites Grinsen seines Mitbewohners. Nach einer Weile fragte dieser: „Meinst du, Lippen können wirklich beim Küssen zusammenfrieren?“
Henry schnaubte belustigt. „Nein. Vor allem nicht bei diesen Temperaturen.“
„Wirklich? Ich glaube nämlich schon. Es ist sehr kalt.“
„Du hast ja auch keine Mütze auf“, argumentierte Schwerti.
„Aber kalt ist es trotzdem. Ich wette, es würde funktionieren.“
„Nein, bestimmt nicht“, beharrte der Ältere.
„Beweise es!“, forderte Eleazar.
Schwerti zog die Augenbrauen skeptisch zusammen. „Und wie bitte?“
Da hatte er schon seinen Mitbewohner im Gesicht. Mit brennendem Verlangen drückte er seine Lippen auf Schwertis. Dieser stieß ihn von sich. Vorhersehbar. Wie hatte er das nicht kommen sehen können? „Hey, was soll das!?“, knurrte er dennoch.
„Na, der Beweis“, erklärte El.
„So funktioniert das nicht. Das Wasser braucht Zeit, um zu gefrieren.“
„Das heißt, du musst mich länger küssen“, übersetzte der Schwarzhaarige zu seinen Gunsten.
„Nein, das heißt, dass es nicht geht.“ Manchmal war der Professor wirklich verblüfft von dem Kleinen. Er wusste schon, warum er ihn insgeheim mochte – obwohl er das nie zugeben würde. Der Werrabe war ein schlaues Kerlchen, wenn er nur wollte.
„Worüber denkst du nach?“, fragte er plötzlich, schon wieder gefährlich dicht an Schwertis Lippen.
„Über dich natürlich, Kleiner.“
„Bin nicht klein“, murrte Eleazar.
„Dann benimm dich nicht so“, konterte Henry.
„Küssen ist definitiv sehr erwachsen“, erklärte El. Er kam Schwerti dabei so dicht, dass dieser seinen Atem fühlen konnte. „Und eine wissenschaftliche Frage durch ein Experiment beantworten zu wollen ebenfalls.“ Sein perfekter Schlafzimmerblick hatte allerdings nicht viel mit dem Beantworten einer wissenschaftlichen Frage zu tun, fand Schwerti. Doch schneller als er reagieren konnte, küsste der Jüngere ihn schon wieder. Diesmal umklammerte er den Professor so fest, dass dieser sich dem Übergriff nicht entziehen konnte; der Stärkste war er noch nie gewesen. Eleazar schien seine Hilflosigkeit zu genießen. Erst nach unendlich langer Zeit ließ er von ihm ab und betrachtete ihn eingehend.
Eleazar legte den Kopf schief. „Du hattest Recht“, brachte er schließlich heraus.
Henry verschränkte trotzig die Hände. „Mit dir baue ich nie wieder einen Schneemann!“
Es war ein sonniger Tag und so hatte Prof. Dr. Dr. Heinrich Schwertwal spontan beschlossen, sich ein schattiges Plätzchen unter einer großen Trauerweide zu suchen, um sich dort zum Arbeiten nieder zu lassen.
Der Laptop sirrte leise vor sich hin und die klappernden Tasten durften selten eine kleine Pause einlegen. Im Baum sang ein Vogel vor sich hin und im Gras summte Insekten.
Doch schnell wurde der Professor aufgescheucht – ausnahmsweise mal nicht von seinem Mitbewohner. Nur Minuten dauerte es, bis graue Wolken die Sonne verschlungen hatten, die meisten Geräusche verstummt waren und binnen Sekunden prasselten Milliarden Regentropfen zu Boden. Selbst die Zweige der Trauerweide konnten weder den Professor noch sein Equipment vor den Wassermassen schützen.
So schnell er konnte packte Henry seine Sachen, um sie möglichst vor dem Regen zu bewahren. Hastig lief er nach Hause und war froh, als er endlich über die Türschwelle trat.
Erstmal schleppte er sein Zeug die Treppe hoch zu seinem Zimmer und schon da beschlich ihn der Gedanke, irgendetwas vergessen zu haben. Sobald er die Laptoptasche abgestellt hatte, wusste er auch, was: Er hätte Eleazar abholen sollen – verdammt.
Wie üblich hatte der Jüngere kein Handy dabei – als Henry versuchte, ihn anzurufen, klingelte das Telefon in Els Zimmer.
Hastig griff der Braunhaarige nach seiner Jacke und nach seinem Autoschlüssel. Fast hätte er einen Fußgänger überrollt, hätte dieser nicht rechtzeitig einen Satz zurück gemacht. Seine Gedanken waren heute wirklich abwesend.
Endlich kam er an. El stand da, in einem blauen Hemd, mit verschränkten Armen und rettete sich vor dem Regen ins Auto.
„Du vergisst mich einfach so!?“, beschwerte er sich ohne Begrüßung. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“
„Tut mir leid, El. Es kam etwas dazwischen.“
„Und was?“, wollte der patschnasse Schwarzhaarige wissen.
Henry presste die Lippen zusammen und begann, sich zu schämen. Da war ihm die Arbeit doch tatsächlich wichtiger als sein Mitbewohner. – Ach, Quatsch. Es war ein dummer Unfall gewesen, nichts weiter. Er musste sich keine Vorwürfe machen.
Beinahe hätte er den Kopf gegen das Lenkrad geschlagen, als ihm einfiel: „Verdammt, ich hab den Chip im Park vergessen!“
El war sichtlich verwirrt. „Was? Ist das irgendein neuer Slang oder so?“
„Nein, El. Mein Mikrochip! Den habe ich im Park aus meiner Tasche geschmissen und ihn extra auf einen Stein gelegt, um mich auch ja nicht versehentlich drauf zu setzen. Und ich habe ihn dort vergessen, ich bin mir sicher.“
„Dann müssen wir ihn wohl suchen fahren.“
„Der ist wahrscheinlich hinüber. Mein Chef wird mich umbringen“
„Beruhig dich doch! Erstmal suchen wir den Chip. Vielleicht funktioniert er ja noch.“
Im strömenden Regen liefen die beiden durch den Park, bis hin zu der Trauerweide, unter der Henry gearbeitet hatte.
„El … der Stein ist weg.“
„Der kann von selber nicht weglaufen, Schwerti. So langsam glaube ich, du wirst einfach alt und senil und hast wahrscheinlich den Chip mitsamt dem Stein mit nach Hause genommen.“
„Mach dich nicht über mich lustig, El. Ich bin nicht senil – ich bin erst 24!“
„Umso bedenklicher“, bemerkte El.
Der Schwarzhaarige ließ sich auf die Knie fallen und begann, mit den Händen über den Boden zu tasten. Der Ältere tat es ihm nach. Wie völlige Idioten krochen sie auf dem Boden herum und suchten einen winzigen Chip. Wenigstens war niemand sonst im Park, der sie hätte sehen können. War ja auch kein Wunder – wer war schon bei diesem Regen im Park? Abgesehen von El und Schwerti natürlich.
Der Schwarzhaarige erhob sich vom Boden und stapfte zum Professor, der nun ebenfalls aufstand und die Hand ausstreckte. El ließ den kleinen grauen Stein hinein fallen.
„Das ist ein Stein, El“, wies ihn der Professor miesepetrig hin. Also doch noch weitersuchen.
„Das weiß ich“, sagte der Jüngere. „Ich bin doch kein Idiot.“
„Ich suche aber keinen Stein, sondern meinen Chip!“
„Ooooh … ich dachte, es ging dir um den Stein, auf den du den Chip gelegt hast“, teilte El ihm in ernstem Tonfall mit.
Der Professor knirschte mit den Zähnen. Schon war er wieder auf die Knie gesunken, als El breit zu grinsen begann und: „Scherz“, rief.
Henry sah auf und tatsächlich hielt sein Mitbewohner den kleinen Chip in der Hand. Ein breites Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Älteren.
„Danke, El!“, Er war sogar so dankbar, dass er den Jüngeren umarmte – was äußerst selten vorkam.
„Und mein Finderlohn?“, wollte Eleazar wissen.
Der Professor seufzte. „Ich nehme an, du willst das Übliche. Aber wie wäre es stattdessen mit meiner Jacke?“, bot er an.
„Beides?“, fragte El bittend.
Wortlos zog Prof. Dr. Dr. Heinrich Schwertwal seine Jacke aus und zog sie dem zitternden Eleazar über. Henry war in dem Moment so fröhlich, dass er den Kleinen auf die Wange küsste.
Dieser zuckte die Schultern. „Besser als gar nichts.“
„Sehr gut. Jetzt ab nach Hause, die nassen Sachen ausziehen und warm duschen.“
„Duschen zu zweit spart Wasser und Zeit“, schlug El vor.
„Vergiss es“, entgegnete Henry.
„Einen Versuch war’s wert.“
„Schwerti, mir ist langweilig!“ Die Stimme des 20-Jährigen dröhnte durchs Gebäude.
„Wir können etwas spielen, wenn du willst. Ich habe gerade Zeit.“
„Und was?“
Der Professor zuckte die Schultern. „Schach?“
„Zu langweilig“, kommentierte Eleazar.
„DKT?“, schlug Henry vor.
„Zu großer Streitfaktor. Letztes Mal wolltest du sogar eines meiner Häuser klauen.“
„Das war mein Haus! Mühle?“
„Es war mein Haus. Nein, da gewinnst du immer.“
So langsam war der Ältere mit seinem Latein am Ende. „Stadt, Land, Fluss?“, fiel ihm noch ein.
Der Schwarzhaarige nickte begeistert. Dieses Spiel machte ihm immer Spaß. Immer wieder hatte er etwas gefunden, womit er seinen Mitbewohner ärgern konnte. So auch heute.
„Mittelerde ist kein Land, El!“, knurrte Henry.
„Natürlich ist es das.“
„Es existiert in der Realität nicht einmal!“
„Davon war ja auch nie die Rede. Steht da etwa „real existierendes Land“ auf dem Zettel? – nein – Also ist meine Antwort gültig. Zehn Punkte für Mittelerde.“
„Und Magersüchtiger ist auch kein Beruf“, tadelte Henry.
„Warum nicht?“, wollte Eleazar wissen.
„Weil es nicht den Kriterien dafür entspricht. Man wird weder dazu ausgebildet noch bekommt man Geld dafür.“
„Was ist mit den Magermodels?“
„Deren Beruf ist ja nicht Magersüchtiger, sondern Model“, erklärte Henry.
„Gut, dann nehme ich eben Model.“
„Du kannst dich im Nachhinein nicht umentscheiden, El!“, widersprach Henry.
„Wieso nicht?“, wollte der Schwarzhaarige wissen.
„Weil das nicht den Regeln entspricht.“
„Welchen Regeln?“
Der Professor begann, sich mit den Fingern über den Nasenrücken zu streichen. „Den Spielregeln, El. Es entspricht nicht den Spielregeln.“
„Woher hätte ich das denn wissen sollen?“, murmelte Eleazar.
Der Ältere fing an, sich die Schläfen zu massieren. „Welche Pflanze hast du?“ Seine Stimme klang müde und resigniert.
„Mehl“, gab El stolz kund.
„Das ist keine Pflanze, El!“
„Und woraus wird Mehl gewonnen, Professorchen?“
„Aus Getreide.“
„Was eine Pflanze ist. Und damit wäre bewiesen, dass Mehl eine Pflanze ist“, erklärte der Jüngere stolz.
„Nur weil etwas aus einer Pflanze gemacht wird, ist es noch lang keine Pflanze. Dann könnte man ja auch sagen, dass Zigaretten Pflanzen sind. Jetzt mach mich nicht wahnsinnig, El!“
„Zigaretten fangen aber nicht mit M an“, stellte Eleazar fest. „Aber wenn du darauf bestehst: dann ist Mehl eben keine Pflanze. Dafür habe ich den besten Fluss mit M.“
Auf das Schlimmste gefasst fragte der Professor kleinlaut: „Und der wäre?“
„Meer.“, präsentierte El seine Antwort.
Henry konnte seinen Kopf nur noch fest auf die Tischplatte hauen und erwachte drei Tage später aus seiner Bewusstlosigkeit. El hatte die Zeit genutzt, um seinen wehrlosen Mitbewohner mit Edding zu verzieren.
Die Sonne schien mal wieder vor sich hin. Die warmen Strahlen kitzelten Els Gesicht und streichelten sein Haar. Um ehrlich zu sein, gefiel ihm das alles überhaupt nicht, denn es hatte 37° Celsius, was es ihm unmöglich machte, auch nur daran zu denken, einen einzigen Muskel zu bewegen. Es war viel! zu! heiß!
Der Schwarzhaarige verzog sich nach drinnen und suchte sich das kühlste Plätzchen, dass er finden konnte. Jenes befand sich praktischerweise in Schwertis Zimmer, da die beiden Fenster von den großen Bäumen im Garten beschattet wurden. „Praktischerweise“ deshalb, weil Schwerti sich gerade in seinem Zimmer aufhielt und der Jüngere folglich Gesellschaft hatte, an seinem kühlsten Plätzchen.
„El, ich arbeite!“, murrte der Ältere, als der Schwarzhaarige das Zimmer betrat.
„Seh ich“, gab El zurück.
„Dann lass mich bitte in Ruhe. Du hast nämlich die Angewohnheit, mich ständig vom Arbeiten abzuhalten, wenn du dich im selben Zimmer befindest. Manchmal sogar, wenn du dich in einem anderen Zimmer befindest.“
„Vielleicht hast du auch einfach Konzentrationsprobleme. Schon mal daran gedacht?“, entgegnete El keck. Darauf ging der Ältere allerdings nicht ein und so waren die einzigen Geräusche, die in den nächsten Minuten zu hören waren, die klappernde Tastatur, ab und unterbrochen vom Kratzen eines Stifts auf Papier.
„Mir ist heiß“, beschwerte sich der Jüngere.
„Da kann ich dir leider nicht helfen. Ich habe keinen Einfluss auf das Wetter“, murmelte der Professor, ohne von seinem Laptop aufzuschauen.
„Aber ich halte die Hitze nicht mehr aus!“, jammerte El.
„Ich wieder mich ungern: da kann ich dir nicht helfen. Dusch kalt oder nimm meinetwegen ein Bad in Eiswasser“, schlug Henry vor. „Hauptsache, ich hab Ruhe“, fügte er leise hinzu.
„Das ist Wasserverschwendung“, erklärte der Jüngere.
Der Professor atmete deutlich hörbar aus, verkniff sich aber seinen Kommentar.
Ein paar Sekunden hielt El die Ruhe aus, dann griff er nach der Fernbedienung.
„Ich arbeite, El!“, knurrte der Ältere.
„Kannst du ja trotzdem.“
„Geh doch in dein eigenes Zimmer“, bat Henry.
„Nein, da ist es noch heißer.“
Da es praktisch unmöglich war, einen Streit gegen Eleazar zu gewinnen, durfte der Braunhaarige sich in den nächsten zwei Stunden Zeichentricksendungen, Trash TV (oder Assi-TV, wie er es nannte), hirnlose Dauerwerbesendungen (Wer würde seine Messer NICHT gern an einer Magnetschiene an die Wand hängen, vor allem wenn man mit Kindern, Haustieren oder jemandem wie El zusammenwohnte? Schließlich zählte es zu Henrys Lieblingsbeschäftigungen, seinen schreienden, blutenden Mitbewohner ins Krankenhaus zu bringen, das war gleichauf mit „sich erhängen“.) und Seifenopern („Bitte heirate die Schlampe. Oder bring sie um. Hauptsache, sie gibt endlich Ruhe und hört auf zu schreien.“) ansehen.
Dann kamen die Nachrichten – wieder die üblichen Katastrophen, ein Beitrag über das arme, hilflose Bärenbaby im Zoo, dass mit Wasserspielen beschäftigt werden musste, um nicht zu überhitzen und im Anschluss das Wetter. Während sich Henry überlegte, den Fernseher endgültig zu entsorgen (oder an Bedürftige zu verschenken …), erklärte die Wetterfrau die genaue Situation. Schließlich gab sie die erste gute Nachricht des Tages preis: es würde am Nachmittag regnen und damit um gut zehn Grad abkühlen. El war kurz davor, Luftsprünge zu machen.
Kaum eine Stunde später war es dann tatsächlich so weit. Graue Wolken erstickten die Sonne unter ihren Massen und die Bäume zitterten im kühlen Wind. Die ersten Regentropfen, die den Boden erreichten, schienen kleine Explosionen auszulösen, die Erde war so trocken, dass kleine Staubwölkchen wie Rauchwolken aufbarsten. Schon bald waren die Staubpartikelchen durchnässt und blieben am Boden kleben.
El freute sich wie ein Schnitzen, als die Temperatur, die das Thermometer anzeigte, langsam sank.
„Schwerti, es wird endlich kühl!“, setzte er den Professor schreiend in Kenntnis.
„Das ist toll, El“, erwiderte Angesprochener im selben Ton, mit dem er die Zeichnung eines Kindes kommentiert hätte. Aber wenn der Professor gedacht hatte, jetzt hätte er endlich Ruhe, dann hatte er sich geirrt.
„Ich hab Hunger, Schwerti“, teilte El ihm mit.
„Dann koch etwas“, murmelte der Ältere teilnahmslos.
„Is‘ gut“, sagte El.
Endlich! End-lich hatte der Professor seine Ruhe. Er erhob sich, griff nach der Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten, da verstarben Bild un Ton plötzlich von selbst, ehe er den Knopf gedrückt hatte. Auch der Laptop war aus. Um sich ganz sicher zu sein, betätigte Henry den Lichtschalter, doch noch ehe er zur Lampe schauen konnte, ertönte ein Schrei aus der Küche: „Schweeerti, der Herd ist kaputt!“
„Der Herd ist nicht kaputt, der Strom ist ausgefallen.“
Keine fünf Sekunden später war der Jüngere wieder in Henrys Büro.
„Ich hab aber Hunger, Schwerti“, erklärte er mit trauriger Miene.
„Dann bestelle eine Pizza oder so“, schlug der Professor vor. „Für mich auch, wenn du schon dabei bist.“
„Is‘ gut“, verkündete der Schwarzhaarige. Und so endeten die beiden schließlich in der Küche. Der Ältere zupfte die Ananasstückchen und Champignons von seiner Pizza, von denen El genau wusste, dass er sie nicht mochte, die er aber eben darum bestellt hatte. Endlich satt gab der Schwarzhaarige nun Ruhe. Zumindest für die nächsten zehn Minuten. Danach begann er erneut, zu nerven.
„Schwerti, mir ist langweilig.“
„Geh nach draußen, es ist ja noch eine Weile hell.“
„Da ist mir doch genauso langweilig. Außerdem ist es draußen nass und windig.“
„Was machst du denn sonst den ganzen Tag lang?“, erkundigte der Ältere sich.
„Fernsehen, Computer spielen, dich nerven ….“, zählte Eleazar auf.
„Warum liest du nicht mal ein Buch? Oder spielst mit dem Handy rum oder am Laptop?“
„Nein, Akku fast leer, kein W-Lan und folglich kein Internet ohne Strom.“
Henry war ratlos. „Was machen denn andere Leute bei Stromausfall!?“
„Das zum Beispiel“, sagte El und ehe der Professor reagieren konnte, hatte ihn sein Mitbewohner schon an die Wand gedrückt und geküsst.
„Lass das, El!“, beschwerte der sich, während er den Jüngeren von sich schob. „Ich rede davon, was Leute ALLEIN machen.“
El zuckte mit den Schultern.
„Denk du mal in Ruhe darüber nach. Für mich wird es höchste Zeit, wieder zu arbeiten.“
Der Professor schlurfte in sein Zimmer, kramte den Akku aus der Laptoptasche und schon ihn in den Laptop. Da er es sich angewöhnt hatte, alle zwei Minuten zu speichern, war nichts von seiner Arbeit verloren gegangen.
„Mir fällt nichts ein, was man alleine bei Stromausfall machen kann“, meldete El sich schon bald.
„Warum zeichnest du nicht mal wieder?“
„Keine Lust.“
„Wie wäre es mit Musik hören?“
„Äh … nein.“
„Musik machen?“
„Computer sagt nein.“
„Was basteln?“
„No.“
„Du bist aber auch wählerisch!“
„Ich weiß. Du könntest mit mir spielen.“
„Wie wäre es mit Wer am längsten still sein kann?“, grummelte der Professor.
„Da gewinnst du immer“, beschwerte sich El.
„Warum wohl?“, murmelte Henry halblaut, ehe er – lauter – hinzufügte: „Übung macht den Meister.“
„Will nicht.“
„Dann kann ich dir auch nicht helfen“, sagte der Ältere.
Muss man noch erwähnen, dass der Professor an diesem Abend nicht mehr zum Arbeiten kam? Doch noch schlimmer sollte die Nacht werden …
„Geh in dein eigenes Bett, El!“, knurrte Henry.
„Du weißt genau, dass ich Angst allein im Dunkeln habe.“
„Dann musst du diese Angst heute wohl überwinden. Ich bin wegen dir schon nicht zum Arbeiten gekommen und jetzt willst du wohl auch noch verhindern, dass ich zum Schlafen komme.“
„Ich könnte dafür sorgen, dass du zu etwas ganz anderem kommst …“, gab Eleazar in eindeutigem Tonfall zurück. Dafür fing er sich eine von seinem Mitbewohner.
„Hör auf mit den dummen Witzen!“, verlangte der Professor.
„Du provozierst es ja förmlich“, verteidigte sich der Jüngere.
„Ich müsste dich nicht zu dummen Witzen provozieren – geschweige denn überhaupt reden –, wenn du in deinem eigenen Zimmer wärst.“
„Gut, ich gehe in mein Zimmer ….“, sagte El.
„Endlich!“, freute Henry sich (zu früh, wohlgemerkt).
„Unter einer Bedingung: Du gehst auch in mein Zimmer.“
Der Professor schnaubte ernüchtert. „Das ist doch um nichts besser, als mit dir hier in meinem Zimmer zu sein!“
Der Jüngere zuckte die Schultern. „Tja. Ich wäre dann halt in meinem Zimmer.“
Langsam aber sicher fand der Professor sich mit seinem Schicksal ab. Es fiel ihm schwer, einzuschlafen, da El alle zwei Minuten fragte: „Schläfst du schon?“ Aber irgendwann konnte er doch noch ins Land der Träume flüchten. Er schlief sogar so tief, dass er weder bemerkte, wie sein Mitbewohner sich an ihn kuschelte, noch, dass der Kühlschrank schnaubend anlief, um die Arbeit wieder aufzunehmen und das Licht im Raum aufflackerte …
„Nein, ich kann heute wirklich nicht“, wimmelte Prof. Dr. Dr. Heinrich Schwertwal seinen Chef zum dritten Mal ab. Auch ihm selbst passte diese Situation nicht wirklich, aber er konnte sie nicht ändern. Sonst hatte niemand Zeit und Nerven und allein lassen konnte man den Kleinen auf keinen Fall in seiner Unselbstständigkeit, schon gar nicht in diesem Zustand. Also musste der Professor wohl oder übel zu Hause bleiben, um sich um seinen kranken Mitbewohner zu kümmern.
Zurzeit lag jener schlafend und hörbar schwer atmend in seinem Bett, was Henry Gelegenheit gab, zumindest von zu Hause aus ein wenig zu arbeiten. Die Tastatur klapperte munter vor sich hin, Buchstaben erschienen auf den weißen Seiten, der Cursor blinkte unermüdlich. Zumindest eine Weile lang. Als der Professor hörte, wie sein Mitbewohner sich regte, sah er vom Bildschirm auf.
Els glasiger Blick schweifte im Raum umher.
„Wie geht es dir? Brauchst du etwas?“, begann Henry den Jüngeren zu umsorgen.
„Ein Glas Wasser?“, murmelte er bittend, mit zitternder Stimme. Dieses kippte er auf ex und nippte auch noch an dem zweiten, das Henry ihm brachte.
„Miris k.kalt, Schwwerti.“
Ohne zu zögern brachte der Ältere eine zweite Decke, die er über dem zitternden Eleazar ausbreitete. Dann begab er sich in die Küche, um Tee zu kochen. Diesen mochte der Jüngere gar nicht gern, weshalb der Professor ihm die Flüssigkeit löffelweise einflößen musste.
Für vierzig Minuten versank der Kranke wieder in einen unruhigen Schlaf, ehe er erneut erwachte. Die Haare klebte ihm schweißnass auf der Stirn und er atmete geräuschvoll. Der Kleine tat Henry richtig leid, wie er da so lag, völlig hilflos und schwach … zumindest noch.
Nachdem er ein weiteres Glas Wasser getrunken hatte, krächzte er heißer: „Hilfst du mir aufs Klos, Schwerti?“
Der Professor seufzte leise, dann half er dem Kranken auf und stütze ihn bis zur Toilette, da er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Aber der Jüngere ließ ihn nicht los, sondern schleifte ihn mit aufs Klos.
„Kriegst du das allein hin?“, fragte Henry vorsichtig.
„Nein“, stöhnte El. „Geh jetzt bloß nicht weg.“
Peinlich berührt, begann der Professor in der nächsten Minute die Fließen an der Wand zu zählen. Diese Scham schien El zu amüsieren, aber vor Unwohlsein blieb ihm selbst der blöde Spruch, den er aussprechen wollte im Hals stecken.
Die zweite Hälfte des Tages verlief im Großen und Ganzen gleich wie die erste und vom Krankenpfleger-Spielen war Henry so müde geworden, dass er wie ein Stein ins Bett fiel und fast augenblicklich einschlief, während El lange Stunden wach lag oder sich im Halbschlaf im Bett wälzte.
Am nächsten Morgen wurde der Professor nicht wie üblich von seinem Wecker geweckt. Obwohl er ihn ausgeschalten hatte, wachte er um dieselbe Zeit wie sonst auf.
Nachdem er festgestellt hatte, dass Eleazar noch schlafend in seinem Bett lag, wusch er sich das Gesicht mit kaltem Wasser, trank eine Tasse Kaffee und putzte sich die Zähne. Gerade hatte der Professor es sich mit einem Buch bequem gemacht, hörte er Eleazars heißere Stimme seinen Namen rufen. Er legte das Buch weg, schlurfte die Treppe hinauf und öffnete Els Zimmertür. Nachdem er dem Kleinen geholfen hatte, zur Toilette zu kommen, wartete noch viel Schlimmeres auf ihn.
„Ich würde gern duschen, Schwerti“, brachte El krächzend heraus. „Mir klebt vor Schweiß schon der Pyjama auf der Haut.
Wie ein kleines Kind musste Henry seinen Mitbewohner entkleiden und hatte es endlich geschafft, ihn in die Dusche zu verfrachten. Doch dieser wollte ihn nicht mehr gehen lassen.
„El, lass los“, bat der Professor.
„Ich kann nicht. Ich falle um.“
„Aber ich bin angezogen, El,. Ich kann nicht mit dir duschen.“
„Dann zieh dich aus“, schlug der Jüngere vor.
„Ich hole meine Badehose“, sagte der Professor.
„Nein Schwerti, du kannst mich nicht allein lassen, ich kippe um!“
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte der Ältere eingesehen, dass er wohl keine Wahl hatte und musste sich überwinden, sich zu entkleiden. Er zögerte, spielte mit dem Gedanken, die Unterhose an zu lassen. Aber das würde ihm ewig nachhängen. Er wollte sich nicht von El damit aufziehen lassen. Schon gar nicht, da dieser ja krank war und ganz andere Sorgen hatte. Dachte Henry zumindest.
So schlecht El sich auch fühlte – erst, wenn er tot war, würde er aufhören, den Professor in Verlegenheit zu bringen. Die Situation, in der sie sich befanden war einfach zu wertvoll, um sie nicht auszunutzen. Erst unauffällig, dann immer aufdringlicher lehnte er sich an den Älteren, angeblich unfähig, sich aufrecht zu halten. Henry wurde die Situation immer unangenehmer und so langsam wünschte er sich, doch nicht auf seine Unterhose verzichtet zu haben.
„Lass das, El!“, grummelte er, allerdings weniger schroff als sonst. Und endlich war es so weit, den Kleinen aus der Dusche hieven zu können und ihm ein riesiges Handtuch um die Schultern zu legen. Er hatte Mühe, sich selbst ein weiteres um die Hüfte zu binden, ohne den – schon wieder zitternden – El loszulassen. Es dauerte eine Weile, den Kranken wieder anzuziehen – obwohl er sich gar nicht so anstellte – und ihn wieder in sein Bett zu bekommen.
„Lass mich los, El!“
Der Jüngere hatte beim Hinlegen die Hände um den Nacken seines Mitbewohners geschlungen und zog ihn mit sich aufs Bett. Er konnte den Professor geradeso nahe genug für einen flüchtigen Kuss heranziehen, als dieser sich losriss.
„Steck mich bloß nicht an, El!“, knurrte er, nun etwas gereizt.
„Tut mir leid, Doktor Schwertwal.“
Diese Formulierung ließ Henry aufhorchen. „Was?“
„Du bist ein guter Doktor. Du kümmerst dich schließlich um das arme kranke Eleazarchen; hast mich gebadet, mir …“
„Ich kam mir eher vor wie ein Krankenpfleger.“
„Auch gut“, nuschelte der Jüngere schon ganz schläfrig.
Der Professor versuchte, sich loszureißen, aber Eleazar klammerte sich an ihn. Er seufzte nachgiebig und flüsterte seinem Mitbewohner ins Ohr, er solle ihm zumindest Platz machen, was dieser auch tat. Noch immer zitterte er, obwohl seine Haut sich heiß anfühlte. Aber nach einer kleinen Weile war der Jüngere – den Kopf auf Henrys Brustkorb liegend – eingeschlafen und auch der Krankenpfleger / Doktor konnte die Augen nicht mehr länger offen halten.
Einige Stunden später wachte er mit dröhnendem Kopf auf und fühlte sich, als hätte man ihn über einem Lagerfeuer geröstet, anstatt ihn im Bett schlafen zu lassen. Die Decke schob er von sich und auch von Eleazar wollte er Abstand gewinnen – was sich als nicht so einfach erwies. Schließlich schaffte er es, sich aus dem eisernen Klammergriff zu befreien.
Er konnte nicht krank sein. Nein, das konnte er sich nicht leisten! Der Chef brauchte ihn. Und El ging es bestimmt auch noch schlecht, um den musste er sich ebenfalls kümmern. Heinrich. Schwertwal. war. nicht. krank.
Blitzschnell war er aufgesprungen, putzte sich die Zähne, duschte erneut, gurgelte irgendein antibakterielles Zeug, dass er im Badezimmerschrank fand, trank ein Glas Erkältungsbrause.
Henry hatte einmal einen Kurs über autogenes Training besucht. Er wollte nichts unversucht lassen und war so verzweifelt, dass ihm selbst das eine annehmbare Lösung zu sein schien.
Leise vor sich hin murmelnd fand Eleazar seinen Mitbewohner am Küchentisch sitzen. Da er die Augen geschlossen hatte und scheinbar vollkommen konzentriert war – die Aufmerksamkeit auf seine Worte richtete – bot sich El eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte. Er trat dicht an Schwerti heran, legte ihm erst eine, dann die andere Hand seitlich ans Gesicht. Tatsächlich war dieser so vertieft, dass er die Berührung gar nicht wahrnahm, denn er reagierte absolut nicht darauf.
Eleazar musste nicht lange überlegen. Schon hatte er sich hinunter gebeugt und begonnen, seinen Mitbewohner zu küssen. Auch das schien ihn nicht zu stören. Plötzlich – drei Sekunden später – zuckte der Braunhaarige zusammen als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen.
„Lass das, El!“, fauchte er. „Du störst mich gerade.“
„Was machst du denn?“, fragte der Jüngere mit deutlicherer Stimme als am Vortag – wenn man auch noch hören konnte, dass seine Nase verstopft war.
„Ich versuche, nicht angesteckt zu werden. Und du kleines Bazillchen bist da im Moment nicht sehr hilfreich.“ Als er Els geknickten Blick sah, versuchte er, zurück zu rudern: „Wie geht’s dir überhaupt? Willst du was zu essen, El?“
„Naja, geht so. Was hast du denn anzubieten?“
„Was hättest du denn gerne?“
„Was gibt es denn?“
„Sag mir mal, was du haben willst, dann seh ich nach, ob es das gibt.“
„Aber ich weiß ja gar nicht, was zur Auswahl steht!“, beteuerte El.
Der Ältere musste sich mächtig anstrengen, um den Impuls, die Augen zu verdrehen zu unterdrücken.
„Wie wäre es mit einer Scheibe Brot?“, bot er stattdessen an.
El überlegte kurz. „Nein.
„Toastbrot?“
„Nein.“
„Müsli?“
„Nein.“
„Kakao?“
„Nein.“
„Kaffee?“
„Nein.“
Der Professor schnaubte und knirschte mit den Zähnen. „Milch?“
„Nein.“
„Was denn sonst?“
El legte angestrengt denkend den Finger an die Unterlippe. „Wenn ich es mir recht überlege, hätte ich doch gern eine Scheibe Brot und eine Tasse Kaffee.“
Hätte Henry Feuer speien können, wäre ihm in diesem Momemtn bestimmt eine Flamme aus dem Mund entwichen. Da er dazu jedoch nicht in der Lage war, schaltete er bloß resigniert die Kaffeemaschine ein und schnitt eine Scheibe Brot ab.
„Was willst du aufs Brot?“ Diese Frage bereute er noch im selben Atemzug, in dem er sie ausgesprochen hatte.
„Was hast du anzubieten?“
„Eeel …“, zischte Henry bedrohlich.
„Ich will doch nur wissen, was wir so da haben“, verteidigte er sich.
„Mach. mich. nicht. wahnsinnig. Du wohnst hier seit fünf Jahren. Mittlerweile weißt du, was üblicherweise so da ist.“
„Aber es macht mir doch solchen Spaß, dich wahnsinnig zu machen“, hauchte der Jüngere halb lächelnd.
„Das sehe ich.“
„Für einen Kuss höre ich auf, dich zu nerven“, versuchte El, Profit aus der Sache zu schlagen.
Henry schaltete schnell. Die Bedingungen bei so etwas sollten gut ausgehandelt sein, sonst wäre er wieder derjenige, der nachher blöd aus der Wäsche gucken würde. „Für wie lange?“
„Eine Stunde“, bot El an.
„Eine Woche“, forderte der Professor.
„Zwei Stunden“, handelte El.
„Heute.“
„Bis die Sonne untergeht.“
„Nein, den gesamten heutigen Tag.“
„Na gut, dafür dauert der Kuss aber mindestens zehn Sekunden lang.“
„Eine einzige. Höchstens.“
„Fünf“, bestand El.
„Eine“, blieb der Professor dabei.
„Drei – mein letztes Angebot.“
„Eineinhalb.“
Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme, nicht, ohne vorher nochmal deutlich „drei“ mit den Fingern anzuzeigen.
Drei Sekunden opfern für einen Tag Ruhe und Frieden? – Das war es wert, entschloss Prof. Dr. Dr. Heinrich Schwertwal und nickte schließlich langsam. „Vielleicht sollten wir das schriftlich machen“, überlegte er laut.
„Ach komm schon, Schwerti. Vertraust du mir wirklich so wenig?“ El schaute beleidigt drein.
„Na gut“, nuschelte der Braunhaarige. Er begann, sich auf seinem Stuhl zu verkrampfen und biss sich auf die Innenseite der Wange.
„Nur nicht so schüchtern“, motivierte El seinen Mitbewohner. „Kopf hoch!“
Langsam, ganz langsam hob der Professor den Kopf. Sein Blick fiel auf Eleazars blaue Augen. Der Kleine war ihm für seinen Geschmack schon viel zu nahe. Er konnte schon seinen Atem fühlen.
„Na komm schon. Mach endlich, bringen wir’s hinter uns.“
„Augen zu!“, flüsterte der Jüngere in gebieterischem Ton. Wiederwillig gehorchte der Professor dem Befehl und wartete angespannt. Er spürte weich die Lippen des anderen auf seinen. Eleazar legte ihm eine Hand in den Nacken und lehnte sich immer dichter an ihn. VIEL zu dicht. Henry versuchte, seine Situation zu ignorieren und begann stattdessen, die Sekunden zu zählen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Er hatte damit gerechnet, seinen Mitbewohner mit einem Stemmeisen wieder von sich wegkratzen zu müssen, doch zu seiner Überraschung beendete dieser den intensiven Körperkontakt von selbst.
„Siehst du, Schwerti?“, flüstere er. „Genau drei Sekunden. Ich halte mich an Verträge.“
„Mal sehen, wie lange das anhält. Du musst jetzt noch den übrigen Tag brav sein, um den Vertrag einzuhalten.“
„Keine Sorge. Vertrau mir, ich halte mich dran.“
Prof. Dr. Dr. Heinrich Schwertwal war positiv überrascht. Natürlich hatte er darauf vertraut, dass sein Mitbewohner sich ein wenig zurückhalten würde, doch niemals hätte er mit einer dermaßen angenehmen Ruhe gerechnet, die er an diesem Tag erlebte. Manchmal musste er nachsehen, ob El überhaupt noch da war, so still war es. Selbst, wenn er sich im gleichen Zimmer befand, benahm er sich ruhig und zurückhaltend. Würde er nicht immer absolut rational denken und keinesfalls an Aliens glauben, so hätte der Professor bestimmt gedacht, welche von ihnen hatten den Jüngeren entführt und durch ein schlechtes Duplikat ersetzt.
Abends fiel der Braunhaarige ins Bett, las ein wenig und schlief bald ein. Sogar seine Träume waren angenehm ruhig.
Plötzlich schreckte er aus dem Schlaf.
„Schwöööörti!“, brüllte Eleazar und begann grundlos, lauthals zu lachen. „Wie geht’s dir, liebster Mitbewohner?“
Henry atmete lange aus. Wäre auch zu schön gewesen. „El, du hast doch versprochen, mich heute nicht zu nerven.“
„Falsch, lieber Professor. Es ist eine Minute nach Mitternacht, somit ist der Tag, an dem der Vertrag seine Gültigkeit hatte, vorbei.“
Der Braunhaarige zog sich die Decke über den Kopf.
„Vielleich“, schlug der Jüngere vor, „Fällt dir ja etwas ein, womit du einen neuen Vertrag aushandeln kannst. Mir käme da so einiges in den Sinn …“
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Tag der Veröffentlichung: 20.03.2013
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