Es ist doch nun wirklich ganz einfach, den Traumprinzen zu finden, oder? Muskulöse Gestalt, kurzes braunes Haar, umfassende Bildung, perfekte Manieren. Gibt es an jeder Ecke.
Frau geht einfach in den Supermarkt, verursacht mit ihrem Einkaufswagen einen kleinen Unfall und bekommt umgehende Hilfe von IHM. Muskulöse Gestalt, kurzes braunes ... Halt! Nicht so schnell. Meistens ist es ein grauhaariger Rentner oder ein untersetzter Regalauffüller mit spärlichem Haar, aber nicht Prinz Eisenherz.
Aber aufgeben gilt nicht, liebe Leserin. Begleiten Sie die A-Gang auf ihren verschlungenen Wegen durch die Großstadt und Sie stellen fest, dass auch andere Frauen ein ähnliches Problem mit den exotischen Wesen in der Männerwelt haben.
Das vorliegende Buch ist eine neue und erweiterte Fassung mit neuem Cover und einen kleinen Blick in die Zukunft.
Wer ist eigentlich dieser Mark?
Der kleine Mark wurde als Sohn zweier Menschen, nämlich Mann und Frau, in Riechweite (jawohl, Riechweite) der Nordsee in einer Zeit geboren, als Telefone noch schwarz und klobig waren und die wenigsten Menschen überhaupt so einen Teufelsapparat hatten. Die meisten Leute kommunizierten über den Gartenzaun, von Fenster zu Fenster, schrieben Briefe und Postkarten und fuhren mit Bahnen und Bussen zu ihren Arbeitsplätzen oder in den Urlaub, falls überhaupt jemand in den Urlaub fuhr. Es war die Zeit, als es selbstverständlich war, dass nur der Mann arbeiten ging. Die Frau hatte schließlich ihren Haushalt und die Kinder und brauchte die Erlaubnis des Gatten, wenn sie eine bezahlte Arbeit annehmen wollte. Ein Brötchen kostete 5 Pfennig, die Wohnung wurde mit Kohle und Briketts beheizt, die Miete wurde bar bezahlt und samstags wurde gebadet. Mädchen machten zur Begrüßung einen Knicks und Jungs einen Diener.
Schon früh machte Klein-Mark Bekanntschaft mit der Tücke des Objekts, als er zwischen Muttern und Großmuttern vergnügt auf der Küchenbank herumhopste, einen Fehltritt machte und von der Bank rutschte. Dies wäre sicherlich nicht weiter dramatisch gewesen, wäre nicht der Küchentisch im Wege gewesen. An diesem schlug Klein-Mark sich einen Schneidezahn aus, kaum dass ihm einer gewachsen war. Mutter war entsetzt, Großmutter noch viel entsetzter. Mit dem sofort aufgeklaubten Zahn und dem schreienden und zappelnden Mark machte man sich auf den Weg zum Zahnarzt. Der schüttelte nur den Kopf und sagte: »Der ist hin.«
Mark wuchs, die Zahnlücke wuchs mit. Mark wurde ein ernster Junge, der nur selten lächelte. Aber holla! Pünktlich zur Einschulung wuchs der Zahn wie aus dem Nichts nach. Mutter und Großmutter stießen einen Seufzer der Erleichterung aus, der Zahnarzt schüttelte wieder den Kopf und sagte: »Der wird schief.«
Diesmal sollte er Recht behalten, was Mark aber nicht hinderte, seinen Zahn besonders sorgfältig zu putzen.
Viele Sommer verbrachte der junge Mark bei Onkel und Tante in Wilhelmshaven. Wilhelmshaven liegt direkt am Jadebusen, einer Meeresbucht an der Nordsee. Hier weht meistens eine steife Brise, die nicht jeder gut vertragen kann. Wilhelmshaven hatte damals zwei Badestrände, einen mitten in der Stadt, das war der Südstrand, der wie eine kleine Strandpromenade in Südeuropa war. Auf einem Rasenstreifen lagen Freunde der Nordsee und Sonnenanbeter oder gingen auf einem Weg direkt am Wasser spazieren, aber nicht selten war dieser Weg bei Flut überschwemmt und Sand gab es dort gar nicht. Der andere Strand lag im Norden der Stadt und wurde Geniusstrand oder auch Geniusbank genannt. Der Name kam von einer Untiefe im Meer nicht weit entfernt. Dieser Strand war so, wie man sich einen Nordseestrand vorstellt: Sand, Dünen und Wellen. Dort gingen ganz früher Tante und Onkel mit ihren Hunden spazieren; Menschen traf man selten, die Hunde hatten ihren Auslauf. Den Geniusstrand gibt es heute nicht mehr, er musste einem modernen Containerterminal weichen. Aber damals, als die Telefone schon nicht mehr schwarz, sondern grau waren, verlebte Mark dort mit Onkel und Tante angenehme Sommertage.
Gerne verbrachte Mark auch herbstliche Tage bei Onkel und Tante. Die Tante war die Schwester seines Großvaters, also der Vater seiner Mutter, der aus dem Krieg nicht heimgekehrt war. Immer wieder sagte die Tante: »Mark, du siehst aus wie mein Bruder.«
Mark verstand damals nicht, warum der Tante mit den zotteligen Haaren die Tränen in die Augen stiegen, aber viel später hat er es verstanden und den unbekannten Großvater auf dem Soldatenfriedhof in Meran/Südtirol besucht. Mark war sich sicher, dass sein Großvater, ein Kind der Nordsee, sich mitten in den Dolomiten unwohl fühlte, also brachte er ihm ein Fläschchen Nordsee mit und träufelte das Wasser auf sein Grab. Im Herbst war die Zeit der Drachen. Mark und der Onkel bastelten den ganzen Vormittag an einem wunderschönen Drachen aus Knisterpapier, das über Holzstücke gespannt wurde, als Drachenschwanz wurde Zeitungspapier gezwirbelt und sowie der Drachen fertig war, machten sich Mark und der Onkel auf den Weg zum großen Drachenflugplatz. Mark legte seinen Drachen vorsichtig auf die Wiese und machte sogleich Bekanntschaft mit der Abenteuerlust eines Boxers. Der fröhliche Hund sprang mitten in den Drachen hinein und zerstörte ihn völlig. Mark und auch der Onkel waren den Tränen nahe, Herrchen nahm seinen Boxer an die Leine und verließ ohne ein Wort des Bedauerns das Schlachtfeld.
Einmal kassierte Mark eine saftige Ohrfeige von der Tante, aber die hatte er sich redlich verdient. Onkel und Tante hatten einen kleinen Garten hinterm Haus. Igel, Katzen und Vögel lebten dort und etwas weiter hinten plätscherte ein kleiner Fluss, die Made. Mark versteckte sich hinter einem Busch und rührte sich nicht mehr, Tante und Onkel wurden immer aufgeregter und liefen suchend durch den ganzen Garten. Mark gab keinen Mucks von sich und kauerte sich immer tiefer ins Gebüsch, Onkel und Tante wurden immer aufgeregter, was man an den wehenden Haaren der Tante sehr gut erkennen konnte. Dann endlich trat Mark aus seinem Gebüsch heraus und lachte. Dafür bekam er eine saftige Ohrfeige. Die braven Leute dachten nämlich, Mark wäre in den Bach gefallen und ertrunken.
Aus Klein-Mark wurde mit der Zeit der etwas größere Mark, die Besuche in Wilhelmshaven nahmen ab und die Telefone wurden grün und orange.
Den anderen Teil seiner Freizeit verbrachte Mark bei den Großeltern väterlicherseits in Bremen. Bremen liegt direkt an der Weser, die Weser fließt sogar mitten durch die Stadt. Brücken und ein winziger Fährdienst verbinden die beiden Teile der Freien Hansestadt Bremen im Norden Deutschlands. Opa Bremen arbeitete sein Leben lang in der Jute, der Jute Spinnerei und Weberei als Schlosser. Jute ist eine Bastfaser, stammt aus Ostasien und aus dieser Rohjute wurden Garne für Teppiche oder starke Seile hergestellt. Da die Jute tropische Temperaturen benötigte, bekamen die Arbeiter in der Fabrik kostenlos Getränke ausgeschenkt. Oma und Opa Bremen wohnten nicht weit entfernt von der Fabrik in Arbeiterwohnungen, die der Jute gehörten und zur Mittagspause schwang sich Marks Opa auf sein Fahrrad und radelte schnell nach Hause. Dort mussten dann schon die dampfenden Kartoffeln auf dem Tisch stehen, denn Opa hatte nur eine kurze Mittagspause. Opa schlang in Windeseile sein Mittagessen herunter, legte sich eine Viertelstunde aufs Sofa und war pünktlich wieder in der Fabrik. Später hat sein Magen ihm die Schlingerei sehr übel genommen.
Auch bei Oma und Opa Bremen machte Mark wieder Bekanntschaft mit der Tücke des Objekts. Anlässlich eines Cowboy- und Indianerspiels mit den Buben aus der Nachbarschaft floh Mark als Indianerhäuptling vor den weißen Schurken. Eine sichere Zuflucht erschien ihm die Hausnummer 3, wo Oma und Opa wohnten. Mark rannte schnell, denn rennen konnte er gut, nahm die kleine Stufe vor der Eingangstür des Mietshauses, stolperte und schlug krachend mit dem Kopf an die spitze Hausecke. Angeblich hätte man den Aufschlag bis in den ersten Stock gehört, denn viele Bewohner des Hauses öffneten erstaunt ihre Türen, während sich Mark schreiend und blutend die Treppen hochschleppte. Oma kam ihm schon schreckensbleich entgegen und trug den schreienden Jungen rüber zu Fräulein Doktor, die die blutende Wunde säuberte und nähte. Mark hatte eine leichte Gehirnerschütterung und hütete zwei Wochen lang das Bett. Außerdem sagte Fräulein Doktor: »Ist doch schön, dass sein Zahn nachgewachsen ist. Auch wenn er schief ist. Das ist bei Jungs nicht so schlimm.«
Opa Bremen war ein ruhiger geduldiger Mann und nur ein einziges Mal verlor er seinen Gleichmut. Mark hatte bei den Jungs auf der Straße ein Wort aufgeschnappt und brachte es sogleich bei Opa zur Anwendung, ohne die Wirkung zu kennen.
»Opa, du bist ein fieser Hund.«
Opa erbleichte und redete mit Mark eine Woche lang kein einziges Wort, denn schlimmer hätte man den alten Mann nicht kränken und beleidigen können. Gedrängt und genötigt von Oma entschuldigte Mark sich auf offener Straße und die Sache war erledigt.
Mark wurde ein mittelmäßiger unauffälliger Schüler, trug wie alle anderen lange bis sehr lange Haare und hörte diese fürchterliche Beatmusik. Im Sportunterricht war er gut, versäumte keine Stunde und freute sich auf eine gute Zensur. Umso größer war seine Empörung, als es eine schlichte Vier gab, also nahm er all seinen Mut zusammen und sprach den Sportlehrer darauf an.
»Du bist ja nie da«, sagte dieser. So unauffällig war der Schüler damals. Mark absolvierte gleich nach der Schule seinen Wehrdienst, der damals noch Pflicht war und rückte in die Barbara Kaserne in der Kleinstadt Delmenhorst ein. Delmenhorst liegt zwischen Bremen und Oldenburg. Hervorgegangen aus einer Burg namens Delmenhorst und das erste Mal 1254 urkundlich erwähnt, ist Delmenhorst heute eine kreisfreie Stadt mit ca. 70.000 Einwohnern.
Bei der Bundeswehr traf Mark die Tücke des Objekts nachts. Der Hauptmann seiner Kompanie legte ein Nachtschießen mit dem Gewehr fest und erst wenn jeder Soldat mindestens einmal den Pappkameraden getroffen hatte, durften alle zurück in die Kaserne. Links und rechts des Ziels flackerten Fackeln, ansonsten war es stockfinster. Jeder der jungen Soldaten traf wenigstens einmal das Ziel. Alle, außer Mark. Auch bei der zweiten Runde versagte Mark und schoss daneben, obwohl er sorgfältig das Gewehr anlegte, über Kimme und Korn anvisierte und abdrückte. Er traf nicht. Man hörte erste Unmutsäußerungen der Kameraden. Mark ging in die dritte Runde und traf immer noch nicht. Die müden Kameraden wurden zornig, bis endlich der Hauptmann dem Spuk ein Ende machte und alle in die Kaserne zurückschickte. Bis heute ist Mark davon überzeugt, dass ihm jemand einen Streich spielte und ihn mit Platzpatronen versorgt hatte.
Nach der Bundeswehr absolvierte Mark eine kaufmännische Ausbildung in einem traditionsreichen Bremer Betrieb. Die Lehrzeit verlief unauffällig (wie immer bei Mark), bis auf den Tag der Prüfung. Mark bestand die Prüfung, kündigte am selben Tage und ging für ein Jahr als freiwilliger Helfer in einen israelischen Kibbuz. Mark wollte noch in Ruhe überlegen, ob der erlernte Beruf auch wirklich der richtige Beruf fürs ganze Leben war und entschied sich für ein Jahr nach Israel zu gehen. Einfache Feldarbeit, ein interessantes Land, Menschen aus aller Welt. Die richtigen Zutaten, seinen künftigen Weg zu überdenken. Ehrlich gesagt, die Büroarbeit sagte ihm überhaupt nicht zu.
Der erste Kibbuz wurde bereits 1910 von russischen Einwanderern gegründet, die im Gelobten Land von den Erträgen des Ackers leben wollten und hatte den Namen Degania A. Eigentum gab es nicht, alles gehörte jedem. Degania liegt am See Genezareth und ist der Geburtsort von Moshe Dajan. Mark hatte sich aber nicht für Degania entschieden, sondern für den Kibbuz Ramat Yochanan in der Nähe von Haifa.
Die Tücke des Objekts traf Mark erneut und zwar am Flughafen Frankfurt bei der sehr umfassenden Gepäckkontrolle. Mark hatte sich gegen einen Koffer und gegen einen Rucksack entschieden. Mark hatte sich für einen Seesack entschieden, der einen gewaltigen Nachteil hatte: Nur durch ein Loch am oberen Ende des Seesacks konnte man packen und auspacken. Seitwärts nicht und von der unteren Seite auch nicht. Der Zollbeamte bestand auf kompletter Überprüfung sämtlicher Gegenstände. Bei Reisen nach Israel sei das Vorschrift. Also holte Mark aus dem sorgfältig gepackten Seesack zähneknirschend einen Gegenstand nach dem anderen heraus und legte ihn auf den Kontrolltisch; nach erfolgter Kontrolle packte er alles einzeln wieder durch das Packloch ein. Er war der letzte, der an Bord ging.
Mark war nicht der einzige Helfer in seinem Kibbuz. Er lernte Menschen aus aller Herren Länder kennen: Südafrika, England, Holland, USA. Sogar ein Urs aus der Schweiz lebte und arbeitete dort. Die englische Sprache war notwendig, man kam aber auch gut mit Deutsch zurecht, denn viele der Kibbuzniks stammten aus Deutschland und Österreich und hielten gerne mal ein Schwätzchen auf Deutsch. Es gab aber auch einige, die keinen Kontakt zu Deutschen wünschten. Mark arbeitete in der Avocado-Aufzucht, auf den Baumwollfeldern, in der Kantine und auf der Hühnerfarm. Sogar eine Kunststofffabrik gehörte zum Kibbuz. Dort wurden bevorzugt die Neuankömmlinge zur Arbeit eingeteilt. Die Arbeit in der Fabrik war langweilig und eintönig. Am Freitagnachmittag kam stets der Vorarbeiter auf Mark zu und fragte: »Do you know, what a broom is?«
Mark wusste und fegte den Boden der Fabrikhalle mit dem broom, dem Besen. In dieser Zeit spielt sein Roman Kein Ring, kein Kuss – Erinnerungen an Israel.
Heute ist Mark Werbetexter, schreibt für Zeitschriften, hin und wieder ein Buch wie seinen Dauerbrenner Gestatten, Kümmel. Von Beruf Katze – Fellsträubendes aus Kümmels Revier unter dem Namen Theo Graufell. Damit ist auch das letzte Geheimnis gelüftet: Der berühmte Katzenfreund Theo Graufell und Mark sind eine Person. Seinen schiefen Schneidezahn hat Mark immer noch. Und alle anderen Zähne auch noch.
Das vorliegende Buch ist eine neue und erweiterte Fassung mit neuem Cover und einen kleinen Blick in die Zukunft. Der ursprüngliche Titel war "Jung, cool, unwiderstehlich". Wenn Sie diesen Hinweis in der Vorschau lesen und Sie haben das eBook schon, ist ein Download nicht mehr unbedingt zu empfehlen. Wahrscheinlich haben Sie das Buch auch tatsächlich gelesen. Sie versäumen dann allerdings den Blick in die Zukunft, den der Autor, also ich, ganz hinten eingefügt hat.
Die A-Gang muss nicht erst vorgestellt werden; sie ist die schärfste Frauenclique in einem Umkreis von 1001 Kilometern, die Mädels der Gang lieben das Großstadtleben mit seinen Clubs, Bars, Restaurants und ihrer Lieblingswellness-Oase, stehen mit allen Beinen fest im Leben, sind aber Albernheiten und Dummheiten niemals abgeneigt, wenn es um das starke Geschlecht geht, das auf den zweiten Blick gar nicht so stark ist, wie es den Anschein hat.
Lisa Sterzenbach ist Studentin der Tiermedizin, 23 Jahre alt, hat ein freches Mundwerk, stets lackierte Zehennägel und ist natürlich blond, was aber nicht heißen muss, dass ihre aktuelle Haarfarbe auch wirklich blond ist. Ihr ist der Name A-Gang eingefallen, aber ihre Anführerin ist sie nicht. Den hat die Gang gar nicht.
Rosa Knesebeck, 24, eigentlich Rosa Knesebeck von Teutschenthal, aber auf diesen langen Familiennamen, der auch noch sehr vornehm klingt, legt Rosa keinen großen Wert. Rosa ist der brünette Typ, hat große braune Rehaugen, mag deutsche Sitten und Gebräuche, manchmal sogar Schlagermusik und träumt von einem harmonischen Familienleben. Mehrere Kandidaten hat sie schon eingehenden Tests unterzogen, aber ein Winner war noch nicht dabei. Rosa hat gerade ihre Ausbildung zur Journalistin abgeschlossen und ist bei einer großen Zeitschrift beschäftigt.
Tanja Naumann, eigentlich Tatjana, wurde vor 24 Jahren in Kasachstan geboren und kam als Kleinkind mit ihren deutschstämmigen Eltern nach Deutschland. Die Spätaussiedler haben allerlei lustige Ausdrücke und Gebräuche mitgebracht, sind aber deutscher als die Ureinwohner Deutschlands. Tanja ist frischgebackene Architektin, hat gerade ihre erste Stelle angetreten und ist auf ihre feuerroten Haare sehr stolz.
Jana Hecker, 23, ist eine typische Großstadtpflanze, glaubt Judo zu beherrschen, kennt eine Menge übler Kraftausdrücke, lebt seit ihrer Geburt in ihrer Heimatstadt und arbeitet in der Reparaturannahme eines großen Autohauses. Jana ist ausgesprochen tierlieb und kann treuen Hundeaugen nicht widerstehen.
Isa Yildirim-Schulz, eigentlich Isabelle Shirin Yildirim-Schulz ist 24 Jahre alt, ihr Vater ist türkischer Abstammung, ihre Mutter Ostfriesin. Bis zum Tage ihrer Hochzeit konnte sich das Ehepaar nicht auf einen gemeinsamen Familiennamen einigen, also entschied man sich für einen Doppelnamen und übertrug diese Regelung auch auf die Kinder Isabelle-Shirin, Tobias-Hassan und Sebastian-Tarek. Der Einfachheit halber erfanden die Eltern nur wenig später Kosenamen: Isa, Tobi und Basti. Isa sieht aus wie ein orientalisches Supermodel, bevorzugt aber Textilien aus der Altkleidersammlung. So sieht es jedenfalls aus. Und nein, Isa hat keinen Gemüseladen, sondern ist angehende Grundschullehrerin.
Sandra Schröter, 24, ist meistens vernünftig, denkt viel, liest viel und ist trotz ihrer jungen Jahre bereits Inhaberin eines Blumenladens, gräbt am liebsten in Blumenerde herum und hat ihre dunkelblonden Haare stets zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sandra hat eine Schwäche für schmalzige Liebesromane und Krimis und kann nächtelang durchlesen, sieht am nächsten Tag dann doch etwas verwelkt aus, was sich aber nach einem Kaffee schnell bessert.
Alle 6 kennen sich seit der Grundschule, sind unzertrennlich und stets auf der Suche nach dem einzigen und wahren Mann, der sauber, gebildet, ordentlich, fügsam, kräftig, attraktiv, liebevoll, belesen, mutig, sportlich und humorvoll ist. Um nur das Minimum aufzuzählen. Komischerweise sind alle sechs Mädels meistens Single. Sie sind die A-Gang, weil alle Vornamen auf a enden.
»Du willst da wirklich ganz alleine hinfliegen, Lisa?«
Sandra, Lisas beste Freundin, deren Name wie alle Namen der A-Gang auf a endete, schaute sich besorgt in der Abfertigungshalle des Flughafens um. Überall Gruppen von Touristen, Unmengen von Koffern, lange Schlangen an den Abfertigungsschaltern und über allem hing ein gleichmäßiger Geräuschpegel. Hin und wieder ertönte eine Ansage aus den Lautsprechern und manchmal setzte sich sogar eine der Warteschlangen in Bewegung und rückte eine Station weiter. Es herrschte Hochbetrieb an allen Schaltern. Lisas blaue Augen funkelten unternehmungslustig.
»Nur weil ich Tom wegen seiner endlosen Affären rausgeschmissen habe, lasse ich mir doch meinen Urlaub nicht verderben.«
Über zwei Jahre war Lisa mit Tom zusammen gewesen, bis sie ihm auf die Schliche kam. Gut, vielleicht schaut man nicht auf fremde Handys, aber man lässt sein Handy auch nicht einfach so auf dem Tisch liegen. Und schon gar nicht, wenn es ununterbrochen piept, summt und vibriert. Tom war nur eben in den Keller gegangen, um eine Flasche Rotwein zu holen und es war irgendwie auch verständlich, dass er für diese kurze Aktion sein Handy nicht mitnahm. Und hätte dieses alberne Handy nicht in diesem Augenblick verdächtige Geräusche gemacht, wäre Lisa nicht hinter das Geheimnis ihres sogenannten Lebenspartners gekommen. Geheimnis? Das Wort musste ja wohl in diesem Zusammenhang besser im Plural verwendet werden. Es war ja auch gar nicht geplant, dass sie zusammen eine Flasche Wein trinken wollten, ja, es war ja nicht einmal geplant, dass Lisa an diesem Tag in der gemeinsamen Wohnung sein würde. Schließlich war Dienstag und Dienstag war Mädelstag. Jedenfalls die anderen Dienstage. Jeden Dienstag zogen Lisa und ihre Gang los, um für ein paar Stunden unter sich zu sein. Ein paar Cocktails trinken, rauchen, Brad-Pitt-Verschnitten hinterher pfeifen und um wichtige Dinge wie Make-up, Kleidung und Diäten zu besprechen. Kurz gesagt: ihren Marktwert testen. Junge Frauen der A-Klasse, weil alle Vornamen auf a endeten, außer Isabelle, aber die wurde der guten Ordnung halber Isa gerufen.
Die heutige Marktforschung war ausgefallen, weil Rosa beim Kunstreiten vom Pferd gefallen war und sich den Knöchel verstaucht hatte, Isabelle heftige Regelschmerzen hatte, Tanja ihre Eltern besuchen und beruhigen musste, weil Tanjas Vater wieder eine unbekannte Krankheit an sich entdeckt hatte und Jana zur Nachprüfung in ihren Judoverein musste. Bei der regulären Prüfung war Jana durchgefallen, aber dieses Thema war absolut tabu, es sei denn, man legte Wert auf einen handfesten Streit. Also wurde die Prüfungswiederholung als Nachprüfung bezeichnet und nicht als Wiederholung. Das klang ja so, als wäre man in der 6. Klasse sitzengeblieben. »Jana wiederholt die 6. Klasse«. Wie klingt das denn. »Jana muss zur Nachprüfung« klingt gleich viel besser.
Erst zierte sich Lisa, als besagtes Handy klingelte, aber sie zierte sich nicht sehr lange. Wenigstens einen Blick auf das Display wollte sie werfen. Darin konnte sie keine Verletzung irgendeiner Privatsphäre erkennen. Lisa stand auf und guckte diskret von oben auf Toms Handy und fühlte auch sogleich, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Der Name Gerlinde prangte unübersehbar auf dem Display. Doch nicht etwa diese Gerlinde? Hatte Tom Lisa nicht hoch und heilig versprochen, jeden Kontakt zu dieser Männerdiebin abzubrechen und nie wieder herzustellen? Was hatte diese Gerlinde, was Lisa nicht hatte? Natürlich, Gerlinde hatte etliche Jahre mehr auf dem Buckel als Lisa und hätte die Mutter von Tom sein können. Damit konnte Lisa mit ihren 28 Jahren tatsächlich nicht dienen. Tom hatte seine Affäre mit der Greisin gestanden, echte Reue gezeigt und geschworen, dass so ein Ausrutscher nie wieder vorkäme. Mit vor Wut zitternden Händen nahm Lisa das verräterische Handy und wartete ab, bis diese Gerlinde aufgab. Natürlich stöbert man nicht in den Kontakten seines Wohn- und Lebenspartners, aber ein Lebenspartner empfängt auch keine Anrufe von aufgemotzten Lustgreisinnen, die ihn bestimmt nicht bitten wollen, schwere Einkaufstüten in den fünften Stock zu schleppen. War das überhaupt Toms Handy? Die Namen im Adressbuch klangen alle harmlos und waren Lisa durchaus bekannt. Lisa warf einen schnellen Blick zur Tür und vergewisserte sich, dass sie immer noch alleine war. Sie kam sich vor wie eine Spionin, die das erbeutete Telefon vom Staatsfeind Nummer Eins untersuchte und damit verhinderte, dass Doktor Morlock sich die Welt untertan machte. Mit offenem Mund kam Lisa an diesem schwarzen Dienstag hinter Toms Geheimnis. Der liebe Tom, der sie mit Blumen und Konfekt verwöhnte, benutzte eine zweite SIM-Karte! Ein Dual-Handy. Natürlich. Praktisch eine zweite Identität. Hier war auch diese Gerlinde gespeichert. Und Alicia. Und Romina. Sophie, Marie und Susanne. Lisa plumpste auf das Sofa zurück. Unbekannte Namen, die ganz sicher nicht zu ihrem gemeinsamen Bekanntenkreis gehörten, aber wenigstens moderner klangen als Gerlinde mit dem Charme der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Außer Susanne vielleicht, aber dieser Name war eher zeitlos, was aber völlig egal war. Auch dieser Name war ein Indiz gegen Tom, der soeben fröhlich grinsend mit einer Flasche Rotwein in der Hand ins Wohnzimmer trat.
Toms Grinsen verschwand genauso schnell aus seinem Gesicht wie seine Klamotten am nächsten Tag aus dem gemeinsamen Kleiderschrank. Er leugnete erst gar nicht, als Lisa ihm die Namen an den Kopf warf, dass es sich um intime Bekanntschaften handelte. Wenigstens wusste Tom, wann das Spiel aus war. Es verstand sich von selbst, dass Lisa und Tom die Flasche Wein nicht mehr gemeinsam austranken.
Und so kam es, dass Lisa ohne ihren ehemaligen Lebenspartner in der Abflughalle stand und zum hundertsten Mal ihr Ticket überprüfte. Natürlich war sie etwas aufgeregt, aber den Urlaub brauchte sie und Griechenland war ihr absolutes Lieblingsland. Es verstand sich von selbst, dass Sandra sie zum Flughafen begleitete und nun tränenreich Abschied nahm. Wer die beiden Frauen aus der Ferne beobachtete, musste annehmen, dass Lisa eine hochgefährliche Reise in unerforschtes Amazonasgebiet unternahm, von wo bisher keiner zurückkam.
»Ich habe mich das ganze Jahr auf Griechenland gefreut. Dann fliege ich eben alleine nach Rhodos.« Sandra tätschelte die Hand ihrer Freundin; ihr steckte ein großer Kloß in der Kehle.
Das Gedränge vor den Schaltern wurde immer dichter und Sandra wurde zum dritten Mal beiseite geschubst, als wäre sie aus Luft. Lisa konnte gerade noch einem Rollkoffer ausweichen, bevor sie zermalmt wurde. Jetzt reichte es ihr.
»Haben Sie keine Augen im Kopf, Sie Feuerwehrhauptmann?«, rief Lisa wutentbrannt einem Mann in knallrotem Hemd hinterher. »Sie hätten mich beinahe überrollt«, fügte sie laut und vorwurfsvoll zu.
Das knallrote Hemd blieb stehen und drehte sich um. Unrasiert war dieser Typ auch noch, aber das war ja heute hochmodern. Lisa bedauerte diese Modeerscheinung sehr, sahen doch die meisten Männer mit ihrem Bartwuchs wie die Neandertaler aus und benahmen sich auch so. Deshalb erwartete sie von dem Rüpel auch nicht mehr als ein dumpfes Grunzen.
»Sie stehen mitten im Weg«, sagte der Hemdträger ruhig.
»Wir stehen nicht im Weg, wir stehen an, mein Lieber«, schnauzte Lisa aufgebracht.
Die Warteschlange hatte sich in der Zwischenzeit weiter nach vorne bewegt, sodass Lisa und Sandra plötzlich tatsächlich mitten auf dem Gang standen. Der Hemdträger deutete mit hochgezogener Augenbraue auf die Lücke.
»Wenn Sie hier anstehen, werden Sie nicht weit kommen«, spottete der freche Kerl.
Sandra musste Lisa beruhigen. Sie wusste, dass Lisa hin und wieder etwas aufbrausend war.
»Lass den Idioten. Wir wollen beide hoffen, dass deine Zimmergenossin nicht genauso ein Trampel ist.«
Entgegen den Ratschlägen ihrer besten Freundin, ihrer Kollegen und sogar ihrer Eltern hatte Lisa eine kleines halbes Ferienappartement auf Rhodos in einer schönen Hotelanlage gebucht. Alle Kritik hatte sie abgewimmelt. Es wäre billiger, sie hätte ja ein eigenes Zimmer, ihre Zimmergenossin wäre im gleichen Alter und vielleicht könne man ja sogar gemeinsam etwas unternehmen. Sympathie vorausgesetzt. Die ganze Wahrheit behielt Lisa für sich. So ganz alleine war es ihr doch etwas unheimlich in einem fremden Land. Aber das ging keinen etwas an.
Die Abfertigung am Schalter kam endlich vorwärts, der Einstieg ins Flugzeug erfolgte fast unmittelbar danach. Sandra hatte tränenreich Abschied genommen, Lisa hatte ihr Grüße für die Mädels aufgetragen und nun war Lisa ganz auf sich alleine gestellt. Irgendwo ganz hinten blitzte noch ein knallrotes Hemd auf, aber der unverschämte Kerl konnte ihr egal sein.
»Wahrscheinlich ein Ballermann-Tourist, der 14 Tage lang Sangria aus Eimern trinkt«, dachte Lisa, lehnte sich behaglich in ihrem Sessel zurück und schlief ein. Als sie aufwachte und aus dem Fenster blickte, sah sie bereits das blaue Mittelmeer unter sich.
»Traumhaft, nicht wahr?«, sagte der ältere Herr mit der Glatze neben ihr und seine Frau stimmte ihm zu.
»Wir kommen jedes Jahr nach Rhodos«, ergänzte sie. »Sie haben ja wie ein Engel geschlafen, Kindchen.«
Lisa lächelte verlegen und strich über ihre zerzausten blonden Haare.
Die Hotelanlage auf Rhodos war traumhaft schön, der Empfang sehr herzlich und auf deutsch und zum Strand waren es nur ein paar Minuten.
»Ich bin Basilea«, erklärte die rundliche Dame hinter dem Empfang. »Kommen Sie zu mir, wenn Sie Hilfe brauchen.« Lächelnd überreichte sie Lisa den Schlüssel. »Die Appartements sind dort hinten. Gleich neben den Olivenbäumen.«
Es roch nach Meer und Gewürzen und Lisa war rundum zufrieden. Vor lauter Übermut machte sie ein paar Sirtaki Tanzschritte und schloss die Tür zu ihrem Appartement auf. Wenn nun auch noch ihre Zimmergenossin einigermaßen erträglich wäre, stünde einem Traumurlaub nichts im Wege. Vielleicht hatte sie ähnliche Interessen, war an Kultur interessiert und ging gerne spazieren. Lisas Appartement bestand aus einem schmalen dunklen Flur, einer Kochnische, einem Badezimmer und zwei Schlafzimmern. Sie begutachtete beide Schlafzimmer und entschied sich für das Zimmer mit Blick auf die Gartenanlage. Wer zuerst kommt, hat die freie Auswahl. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Das musste diese Paula, ihre Zimmergenossin für die nächsten 14 Tage sein. Lisa sah es als gutes Zeichen an, das der Name ihrer Zimmergenossin auch auf a endete. Fröhlich lief Lisa ihr entgegen und erstarrte mitten im Flur zur Salzsäule. Der unhöfliche Kerl im knallroten Hemd vom Flughafen stand im Türrahmen.
Lisa war völlig baff und brachte im ersten Moment kein einziges Wort heraus. Sie glotzte den Mann, der nicht viel älter als sie selbst sein konnte, wie einen Geist aus der Flasche an. Jetzt betrat er auch noch ihr Appartement, kramte in den Hosentaschen und reichte ihr zwei Euro.
»Alles gut sauber?«, fragte er betont langsam.
Er hielt sie wohl im ersten Moment im Halbdunkeln für das Zimmermädchen. Wie unter Hypnose streckte Lisa die Hand aus und nahm die Münze. Jetzt erst gewöhnten sich die Augen des Hemdträgers an das gedämpfte Licht im Flur und er schreckte zurück.
«Sie?«
Auch Lisas Lebensgeister kehrten zurück. Sie ließ die Münze fallen, als hätte ihr das Geldstück einen elektrischen Schlag verpasst.
»Verlassen Sie sofort mein Appartement, sonst...«, drohte sie.
»Was sonst?«
Der Eindringling kam doch tatsächlich näher.
»Das ist mein Appartement,« sagte er knapp.
»Unmöglich.« Lisa gab sich kampfbereit. Sie war im Recht.
»Ich habe ein halbes Appartement mit einer gewissen Paula Sowieso gebucht.« Zorn stieg in ihr hoch. »Weiblich versteht sich.«
Der Mann im roten Hemd machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Paula?«, fragte er.
»Ja, Paula. Schwerhörig sind Sie also auch noch«, blaffte Lisa ungehalten zurück.
»Das ist merkwürdig«, meinte der ungebetene Gast. »Ich heiße nämlich Paul. Und das ist mein Appartement.«
Kreidebleich rannte Lisa zurück zur Rezeption. Diesmal hatte sie überhaupt keinen Blick für die Schönheiten der Natur und hoffte nur, dass dieser Albtraum sofort ein Ende finden würde. Ruhig und würdevoll ging es in der kühlen Ankunftshalle zu; die neu angekommenen Urlauber waren alle auf ihren Zimmern verschwunden und die brave Basilea arbeitete konzentriert am Computer. Lisa stürzte auf die Rezeption zu.
»Basilea«, keuchte sie. »Sie müssen mich von diesem schrecklichen Menschen befreien.«
Ganz außer Atem erzählte sie der netten Empfangsdame, dass sie auf gar keinen Fall in ihr Appartement zurückginge, solange dieser unverschämte Lümmel im roten Hemd sich dort breitmachte.
»Alles der Reihe nach«, fiel ihr Basilea ins Wort, die zwar die Worte, nicht aber den Sinn verstand. Lisa redete zehn Minuten lang, dann nahm Basilea einen tiefen Schluck eisgekühltes Wasser und sagte: »Ich verstehe. Schauen wir doch erst mal im Computer nach.«
Ungeduldig schaute Lisa zu, wie Basilea in den Gästelisten nach einem Anhaltspunkt für Lisas Tragödie suchte.
»Ich glaube, ich habe etwas gefunden«, sagte Basilea nach einer Weile. »Moment noch.«
Basilea griff zum Telefon und führte ein kurzes Gespräch mit dem deutschen Reiseveranstalter. Dann gab sie der verzweifelten Lisa das Ergebnis kund. »Offensichtlich ein Übermittlungsfehler. Der Mann heißt Paul A. Lehmann. Der Computer hat das als Paula gedeutet und Ihnen diesen Mitbewohner als weiblich zugeteilt.«
Lisa starrte Basilea entgeistert an. »Ja, gut. Und jetzt?«
Basilea hob bedauernd die Schultern.
»Wir haben Hochsaison. Kein einziges Bett ist frei.«
Lisa musste sich festhalten.
»Versuchen Sie sich zu arrangieren. Sie haben doch zwei Schlafzimmer. Das nächste freie Bett gehört Ihnen.«
Deprimiert wankte Lisa zu ihrem Appartement zurück. Paul A. Lehmann packte pfeifend seinen Koffer aus.
»Wann ziehen Sie also aus?«, fragte er frech.
»Ich ziehe nicht aus«, antwortete Lisa tonlos und erklärte ihm die Situation. Paul nahm die Angelegenheit ziemlich gelassen.
»Ich bin pflegeleicht. Sie werden mich gar nicht wahrnehmen.«
Er lächelte, während er sprach. Kleine lustige Fältchen bildeten sich dabei unter seinen Augen.
»Wir brauchen Regeln«, sagte Lisa bestimmt. »Das Bad gehört mir von neun bis zehn abends und von acht bis neun morgens. Klar?«
»Klar.«
Lisa fügte sich vorerst in dieses schreckliche Schicksal und tat das, was alle Touristen am ersten Tag taten. Sie packte ihren Koffer aus, erkundete die herrliche nähere Umgebung, ließ sich die Füße mit Mittelmeerwasser umspülen und nahm einen Milchkaffee an der Hotelbar. Es wäre der perfekte Urlaub, wenn dieser Typ nicht da wäre. Die Regeln beachtete er wenigstens; sie hörte und sah nichts von ihm.
Am nächsten Tag stand Lisa früh auf; sie wollte die Stadt selbst erkunden. Aufstehen, duschen, los. Das war ihr Plan. Mit noch halb geschlossenen Augen schlurfte sie im Morgenmantel über den Flur, öffnete die Badezimmertür und prallte sofort zurück. Dort stand dieser Paul splitterfasernackt vor dem Spiegel und rasierte sich. Glücklicherweise sah sie ihn nur von hinten, aber das reichte ihr. Lisa war sofort hellwach.
»Jetzt ist meine Zeit! Ziehen Sie sich was über und verschwinden Sie.«
Der Rasurkünstler war ebenso erschrocken und drehte sich nackt wie er war reflexartig um. Eine gefühlte Ewigkeit starrten sich die unfreiwilligen Zimmergenossen entsetzt an, bevor Paul seine Stimme wiederfand.
»Entschuldigung. Soll nicht wieder vorkommen.«
Lisa wusste überhaupt nicht, was sie sagen sollte, und öffnete immer und immer wieder ihren Mund wie ein Karpfen, der nach Luft schnappte. Ganz automatisch glitt ihr Blick wie ein Scanner über den nackten Paul, bis er, der Blick, nur noch wie festgewurzelt auf seinem Gesicht verweilte. Lisa holte tief Luft, drehte sich um, verließ den Ort des Schreckens und wartete wutentbrannt auf dem Flur.
Die Badezimmertür öffnete sich und Paul kam heraus. Er hatte jetzt ein großes Badehandtuch um die Hüften gewickelt, einen Rest Rasierschaum im Gesicht und schaute ziemlich schuldbewusst aus der Wäsche, die er nicht anhatte.
»Tut mir aufrichtig leid«, stotterte er und machte Anstalten, sich in seine Gemächer zu verziehen. Lisa warf einen prüfenden Blick ins zwangsgemeinsame Badezimmer und was sie dort sah, überstieg ihre Vorstellungskraft. Der Toilettendeckel stand offen! Das ging ja gar nicht. Wenn Lisa etwas von ihrem Vater geerbt hatte, dann sein cholerisches Temperament.
»Sie ungezogener Lümmel, Sie Badbeschmutzer, Sie lästiger Eindringling! Sie können doch den Toilettendeckel nicht offen lassen!« Ihr kam ein fürchterlicher Verdacht. »Sie haben doch nicht etwa … also im Stehen ...«
Pauls Blick sprach Bände. Lisa kochte innerlich über und sah rot, auch wenn Paul sein aufreizendes Hemd noch gar nicht trug. Und so ganz langsam und unaufhaltsam stieg ihr Wutpegel, bis er ganz überschwappte. Voller Wut und Ärger schnappte sich Lisa den nächstbesten Gegenstand, eine schöne Vase mit antiken Motiven, und warf sie in Pauls Richtung. Paul sah aus dem Augenwinkel die Bewegung, streckte die Arme, machte einen kleinen Hechtsprung und fing die Vase noch im Flug auf, bevor sie irgendwo zerschellen konnte. Es muss der guten Ordnung halber gesagt werden, dass Lisa nicht direkt auf Paul gezielt hatte. Sie wollte ihm nur zeigen, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Die Vase ging nicht zu Boden, dafür aber Pauls Hüfthandtuch, das durch die unerwartete Bewegung seinen Halt verlor und den Gesetzen der Schwerkraft folgte. Lisa sah nun ihren ungebetenen Mitbewohner das zweite Mal innerhalb weniger Minuten in seinem Werkzustand und wurde immer wütender.
»Wie wäre es, wenn Sie Ihr Handtuch ordentlich festzurren würden, damit es nicht ständig runterrutscht? Und stellen Sie endlich die blöde Vase an ihren Platz. Und vor allem, bedecken Sie sich«! Lisa tippte sich an die Stirn, während Paul die Vase auf die Kommode zurückstellte und sein Handtuch um seine knochigen Hüften schlang.
»Wenn Sie noch ein einziges Mal unsere Vereinbarung brechen, dann vergesse ich mich«, zischte Lisa und bemerkte überhaupt nicht, dass sich ihr Bademantel dank ihrer Wurftätigkeit gelockert und geöffnet hatte und nichts mehr verbarg, was er eigentlich verbergen sollte. Der höfliche Paul zeigte wortlos mit dem Zeigefinger auf die textile Unpässlichkeit seiner Mitbewohnerin.
»Was?«, fauchte Lisa.
»Ihr Morgenmantel steht offen. Aber vielleicht stört es Sie ja gar nicht«, erklärte Paul doch etwas schadenfroh. Lisa erbleichte, raffte die Enden ihres widerspenstigen Bademantels zusammen und machte einen drohenden Schritt auf Paul zu.
»Kommen Sie mir nicht näher, Sie Furie. Ich kann Judo«, meinte Paul nur.
Lisa guckte ihn spöttisch an. »Judo kann er«, äffte sie ihn nach und zog das u ganz lang. »Das werden Sie auch brauchen«, meinte sie knapp, verschwand im Badezimmer und knallte die Tür zu, dass die Wände wackelten. Aber nicht nur die Wände wackelten, sondern auch die gerettete griechische Vase, die erst auf der Kommode hin und her schwankte und dann langsam und gemächlich in die Tiefe fiel und unten in tausend Stücke zersprang.
»Haben Sie es doch noch geschafft, Sie Zerstörerin!«, hörte Lisa Paul rufen. »Das wird teuer. Das gute Stück war bestimmt antik«, ergänzte er sachkundig. Lisa öffnete kurz die Badezimmertür, besah sich wortlos den Schaden, schloss die die Badezimmertür sorgfältig von innen und widmete sich endlich ihrer Morgentoilette.
Lisa verbrachte trotz des unangenehmen Starts in den Tag einen wunderbaren Vormittag. Ohne Hast und Eile spazierte sie inmitten der anderen Urlauber durch die Altstadt von Rhodos, erfreute sich an den malerischen Gassen und den alten Stadtmauern von Rhodos, die man gut zu Fuß erforschen konnte. Hin und wieder betrat sie einen der vielen Läden. Natürlich wusste sie, dass die ganzen Vasen, Gläser und landestypischen Jacken nur für die Touristen produziert worden sind. Aber Spaß machte es trotzdem. Sämtliche Sprachen der Welt schwirrten durch die heiße Luft. Etwas traurig war Lisa schon, dass sie ihren Urlaub alleine verbringen musste. So langsam machte sie sich etwas erschöpft auf den Heimweg in ihre Hotelanlage und freute sich jetzt schon auf das kristallklare Wasser am Strand. Den bevölkerten Strand wollte sie meiden und fragte die fleißige Basilea nach einem Stückchen Natur, wo man in Ruhe entspannen konnte. Also möglichst wenig Touristen, himmlische Ruhe, Meer, Sand und Sonnenschein. Kurz: das Paradies. Zu Lisas größtem Erstaunen nickte Basilea nur und sagte: »Sicher. Das gibt es. Nur wenige gehen an diesen Strandabschnitt. Die Touristen bleiben lieber in der Nähe des Hotels und der Strandbar. Nehmen Sie ein Fahrrad. Das geht schneller.«
Basilea beschrieb der verdutzten Lisa genau den Weg und fügte noch hinzu: »Achten Sie aber auf die Schilder am Strand. Dort gibt es … » Basilea wurde durch eine laute und empörte Touristengruppe unterbrochen, die irgendeine Meinungsverschiedenheit über eine Strandliege hatte. Lisa nickte brav, winkte Basilea zu und ging auf ihr Zimmer, um ihre Badesachen zu packen. Leise öffnete sie die Tür, spähte in alle Richtungen und trat erleichtert ein. Kein Störenfried namens Paul zu sehen. Bikini, Handtuch, Sonnenöl und eine Flasche Wasser waren schnell in Lisas Rucksack verstaut und sie machte sich wohlgelaunt auf den Weg zum Fahrradstand. Sie suchte sich ein schönes bequemes Fahrrad aus und radelte pfeifend in die Richtung, die ihr Basilea erklärt hatte. Nach einer guten halben Stunde erreichte sie den von Basilea beschriebenen Strandabschnitt und musste anerkennend sagen, dass ihre freundliche Helferin vom Empfang nicht übertrieben hatte. Natur, Sonne, Meer und vor allem Ruhe und ganz selten eine menschliche Gestalt. Wahrscheinlich war den meisten Touristen der Weg in dieses kleine Paradies zu weit, was Lisa überhaupt nicht bedauerte.
Überall standen Schilder, die Lisa aber nicht entziffern konnte, da sie ausnahmsweise nur in griechischer Schrift geschrieben waren. In den Hochburgen der Touristen war alles mehrsprachig ausgeschildert, hier hatte man sich auf griechisch beschränkt. Ein gemütliches Plätzchen war schnell gefunden, Lisa schlüpfte in ihren Bikini und machte sich lang. Das Meer rauschte und lockte Lisa, die gar nicht widerstehen wollte, mit langen Schritten rannte Lisa zum Wasser und warf sich jubelnd in die Wellen. Das war Urlaub, wie sie ihn haben wollte, nur schade, dass niemand da war, der ihren Rücken mit Sonnenmilch einrieb. Tropfnass kam Lisa aus dem Wasser, trocknete sich sorgfältig ab und beschloss, ein paar Meter zu gehen und sich umzusehen; sie passierte die für sie unleserlichen Schilder, schaute neugierig nach links, dann nach rechts und erfreute sich an der Natur. Lag es an der Hitze oder warum wurde Lisa plötzlich etwas fußlahm? Ihre Schritte wurden schwerer und schwerer; Lisa blieb stehen, um sich kurz zu erholen und staunte über die imposante und nachhaltige Naturlandschaft, die ihr immer gewaltiger vorkam. Wie klein ist doch der Mensch, fuhr es Lisa durch den Kopf. Etwas reales hatte dieser Gedanke tatsächlich, denn alles um sie herum wurde irgendwie größer und höher und sie, Lisa, wurde immer kleiner. Es dauerte noch einen Wimpernschlag, bis Lisa realisierte, dass sie im Sand versank.
Erst lachte sie, aber als Lisa merkte, dass sie immer tiefer sank, verging ihr das Lachen. Bis zu den Knien steckte sie bereits im Sand und jede Sekunde verschwand ein weiterer Zentimeter ihres Körpers. Lisa stampfte mit den Füßen auf, was zur Folge hatte, dass sie schneller im Sand versank. Langsam geriet Lisa in Panik und schaute sich Hilfe suchend um. Aber wen oder was konnte sie hier außer Wasser, Sand und Sonnenschein schon erspähen? Nichts und niemand. Außer vielleicht diesen roten Fleck am Horizont, der langsam näher kam. Lisa steckte inzwischen bis zu den Hüften im Sand und schrie laut um Hilfe, dazu wedelte sie wild mit beiden Armen. Als Lisa bis zur Brust im Sand verschwunden war, entpuppte sich der rote Fleck als ein Herrenhemd und dieses Hemd gehörte Paul A. Lehmann, der dieses Kleidungsstück auch trug.
»Sie kommen gerade im richtigen Moment«, keuchte Lisa, von der nur noch der Kopf und ein Arm aus dem Sand ragte. »Retten Sie mich!«
»Haben Sie denn die Schilder nicht gesehen?«, fragte Paul vorwurfsvoll und zog sein rotes Hemd aus. »Hier ist überall Treibsand, Sie Unglücksvogel.«
»Ich kann kein griechisch!«, fauchte Lisa.
»Auf der Rückseite steht eine Warnung auf Deutsch«, belehrte Paul das Sandopfer sehr sachlich.
»Ziehen Sie mich endlich hier raus!«, herrschte Lisa ihren Retter an. »Was machen Sie überhaupt hier? Verfolgen Sie mich,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Mark Hollberg
Cover: Cover Design by James, GoOnWrite.com (neue Fassung)
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2022
ISBN: 978-3-7554-2439-0
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Männer sind seltsam