Der Mann hinter dem Pseudonym Theo Graufell ist tatsächlich ein großer Katzenfreund und lebt nach einer glänzenden Karriere als Baumwollpflücker in Israel und Erntehelfer auf einer Tabakfarm in Zimbabwe zurückgezogen mit Frau und seiner Katze Kümmel, die es wirklich gibt, am Rande von Berlin. Theo und seine Katze sind unzertrennlich. Sieht man einen, ist der oder die andere garantiert in der Nähe. Theo Graufell ist eher schweigsam, Katze Kümmel auch. Beide befinden sich im Herbst des Lebens, gehen selten aus und wollen ihre Ruhe haben. Das war nicht immer so, aber das ist eine andere Geschichte.
Theo liebt Pellkartoffeln mit Quark, Katze Kümmel bevorzugt rohes Fleisch. So kommen sich die beiden Freunde bei der Wahl der Nahrung nicht in die Quere.
Theo Graufell, der auch als Mark Hollberg bekannt ist, schreibt vorwiegend für weibliche Leser. Kurzkrimis und Liebesgeschichten für Frauenzeitschriften waren seine Spezialität.
Machen Sie mit diesem Roman einen Abstecher ins Heilige Land:
"Kein Ring, kein Kuss - Erinnerungen an Israel"
Dies ist Mark Hollbergs persönlichstes Buch. Der Roman entstand nach einer wahren Begebenheit.
Frauen und Männergeschichten
"Schneidige Helden"
Die schönsten Minikrimis von Mark Hollberg:
"Noch etwas Strychnin, Schatz?"
Tipps und Tricks im Umgang mit unseren Samtpfoten finden Sie in diesem eBook:
"Meine Gartenkatze"
Kleiner Katzenratgeber
Update: Wie doch die Zeit vergeht. Katze Kümmel, die es tatsächlich gibt, wird im April 2020 fünfzehn (15) Jahre alt. Mit geringem Abstand ist das brave Tier nun unser ältestes Familienmitglied.
Darüberhinaus: Das Buch „Gestatten, Kümmel. Von Beruf Katze“ hat sich zu einem kleinen Dauerbrenner entwickelt. Dafür danken Theo Graufell (Autor) und Katze Kümmel (Co-Autor) recht herzlich.
Zum Buchgeburtstag gibt es deshalb eine Jubiläumsausgabe mit einem neuen Cover und der Geschichte von dem Mann, der keine Katzen mochte, die in der Erstausgabe nicht enthalten ist. Außerdem zeigt der Autor am Ende des Buches in kurzen satirischen Betrachtungen, dass die Herren der Schöpfung nicht nur im Umgang mit dem Haustier ihre eigenen Wege gehen. Die Geschichten sind die gleichen Geschichten wie in dem Originalbuch, sind aber im Erscheinungsbild etwas aufgefrischt. Für alle, die dieses Buch noch nicht kennen: Es ist kein typisches Katzenbuch, sondern ein Theo-Graufell-Katze-Kümmel-Buch.
Es werden hauptsächlich die Untiefen der menschlichen Verhaltensweise in Bezug auf Katzenhaltung amüsant bis satirisch ausgelotet und hier und da von Katze Kümmel frech kommentiert. Theo möchte es seiner Katze immer recht machen und stolpert von einem Fressnapf, pardon, Fettnapf in den Nächsten. Die Autoren möchten nicht, dass nachher Klagen kommen, weil nicht genug niedliche Miezekatzen vorkommen und der Leser deshalb enttäuscht ist. Es kommen zum Ausgleich auch Hunde, Sandflöhe, Kater und eine dicke Gans vor.
Wir packten uns an den Händen und sanken aschfahl in unsere Sessel. Der Notar leierte mit monotoner Stimme die letzten Artikel des Kaufvertrages herunter und machte ein sattes und zufriedenes Gesicht. Die Vorbesitzer des von uns soeben erworbenen Häuschens am Rande von Berlin erhoben sich, vermieden weiteren Blickkontakt mit uns und verließen eilig die Kanzlei. An der Tür sah ich sie noch grinsen.
Wir, das sind Ulrike, später von Katze Kümmel wegen ihrer Brille Vierauge genannt und ich. Kümmel nennt mich Graufell, weil meine Haare und mein modisch kurz gehaltener Bart schon ganz leichte Spuren von Grau haben. Alle Männer in meiner Familie haben graue Haare. Besonders die Älteren. Da brauche ich mir also keine Sorgen zu machen, sagt auch mein Therapeut.
Schon als der Gedanke eines Umzugs aufs Land verbunden mit dem Ankauf eines bescheidenen Häuschens in uns keimte, war für uns klar, dass wir unser neues Heim mit einer Katze teilen wollten. Ulrike und ich sind beide mit Katzen aufgewachsen und lieben die Fellbündel sehr. Mit anderen Haustieren können wir wenig anfangen. Meerschweinchen können sich in einem mittelgroßen Haus leicht verirren und haben schon mal in einem unbedachten Moment unter dem Pantoffel des Menschen ihr Leben ausgehaucht, Hunde wollen immer rennen und riechen komisch, wenn ihr Fell nass ist und Wellensittiche veranstalten den lieben langen Tag einen Höllenlärm. Ich bin von Beruf Werbetexter und Autor, brauche Ruhe und Frieden, um meine Texte und Geschichten zu verfassen und kann nicht alle naselang mit dem Hund Gassi gehen.
Ulrike geht einem bürgerlichen Beruf nach – sie ist Ärztin – und kommt abends erschöpft nach Hause. Hunde und Wellensittiche sind zu anstrengend. Wir lieben Katzen und schon deshalb wäre eine Katze genau richtig. Dachten wir damals jedenfalls. Wir konnten ja nicht ahnen... aber ich greife vorweg.
Wo bekommt man nun eine Katze her? Unser erster Gedanke war das Tierheim. Man geht hin, lässt sich von einer oder mehreren Katzen beschnuppern und umtänzeln, entscheidet sich für ein Tierchen, erledigt die Formalitäten und holt einige Tage später die Katze ab. Das war uns natürlich viel zu einfach.
»Ich frage mal meine Mutter«, gab Ulrike bekannt.
Die Mutter von Ulrike ist Schuldirektorin und kennt viele Leute. Mutter Vierauge fragte sofort ihre Sekretärin, eine Frau mittleren Alters mit noch mehr Kontakten im ganzen Land.
»Eine Katze? Kein Problem«, sagte die Sekretärin. Sie legte sofort los und tätigte eine Unmenge von Telefonaten. Nach nur wenigen Stunden drehte sie sich um und sagte mit heiserer Stimme: »Mein Sohn arbeitet in Dresden und kennt dort jede Menge Leute.«
Mutter Vierauge zeigte großen Respekt.
»Und haben die Freunde Ihres Sohnes auch junge Kätzchen abzugeben?«
»Soweit bin ich noch nicht.«
Die Sekretärin griff wieder zum Telefon.
Die Verkäufer unseres Häuschens waren inzwischen ausgezogen und wir unmittelbar danach eingezogen. Etwas Farbe hier, ein paar elektrische Leitungen dort und dann bestellten wir den Möbelwagen. Das Haus war sehr gepflegt und praktisch bezugsfertig. Die ersten Wochen und Monate gingen ins Land. Als wir alles soweit geregelt hatten, fragten wir Mutter Vierauge nach dem Fortschritt der Katzensuche. Sie versprach, am nächsten Morgen unverzüglich ihre Sekretärin zu befragen.
Die Ermittlungen der Sekretärin waren erfolgreich. Ihr Sohn, der bekanntlich in Dresden arbeitete, hatte einen Arbeitskollegen. Den schönen Dieter. Dieter hatte einen Schlag bei Frauen und eine seiner vielen Verflossenen kannte eine Familie, die eine Katze hatte. Dieter versprach sich darum zu kümmern, wenn die interessierte Partei – das waren wir – seine Schulden bei seiner Ex-Freundin begleichen würde. Ansonsten lehnte Elvira jedwede Gefälligkeit für Dieter ab. Wir sind keine Unmenschen und überwiesen Elvira die 500 Euro, die Dieter ihr noch schuldete. Nach Geldeingang rief Elvira die Familie an, die eine Katze hielt und teilte uns mit, dass "Purzel" kastriert sei und daher Nachwuchs für uns sehr unwahrscheinlich wäre. Als wir unsere Bitte nach Rücküberweisung vortrugen, lachte sie nur und legte den Hörer auf. Die Sekretärin fühlte sich tief in unserer Schuld und verdoppelte ihre Anstrengungen. Die gute Mutter Vierauge legte gerade die Stundenpläne der nächsten Woche fest, als ein triumphierender Schrei aus ihrem Vorzimmer ertönte. Hochrot erschien der Kopf ihrer Sekretärin im Türrahmen.
»Mitte April ist es soweit!« Sie holte Luft.
»Katze Trixi erwartet einen Wurf.«
Trixi war die (unkastrierte) Katze der Nachbarn von Familie Seidensticker. Bei Familie Seidensticker wohnte während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester eine Bekannte ihres Sohnes Thomas. Wir erkundigten uns über Mutter Vierauge, ob Thomas der Untermieterin der Familie Seidensticker Geld schuldete. Als das glaubhaft verneint wurde, schlugen wir zu.
»Wir nehmen eine.«
Mutter Vierauge gab die Botschaft sofort weiter.
»Sie nehmen eine.«
Die Sekretärin griff mit schwieligen Fingern zum Telefon. »Sie nehmen eine.«
So hatten wir auf einfachem Wege ein kleines Kätzchen in Aussicht. Telefonisch erfuhren wir von der erfolgreichen Geburt und fieberten dem Tag der Übergabe entgegen. Und dann im Juni war es endlich soweit. Die angehende Krankenschwester, die bei Familie Seidensticker zur Untermiete wohnte, kam zum Wochenende nach Berlin und würde uns unser Kätzchen mitbringen. Natürlich bei Erstattung der Benzinkosten, aber das war ja selbstverständlich.
An einem warmen Juniabend konnte die Übergabe erfolgen. Mutter Vierauge und Ulrike verabredeten über den Sohn der Sekretärin einen Treffpunkt, packten einen Katzenkorb ins Auto und fuhren los. Ich blieb zu Hause und bereitete im ersten Stock unseres Häuschens das Katzenzimmer vor. Eine Decke, etwas Katzenfutter, frisches Wasser und das Katzenklo. Aufgeregt lief ich auf unserer Terrasse auf und ab. Dann hielt Mutter Vierauges Auto vor der Einfahrt, Ulrike stieg aus und hielt ein schwankendes Körbchen fest in der Hand. Kümmel zog ein. Eine Katze ist gern für sich allein, stromert durch die Gegend, jagt Mäuse und Libellen und schläft gern. Eine ruhige Bereicherung für Leute, die hart arbeiten und nicht immer abrufbereit dem Haustier zu Diensten sein können. Wir hatten die Rechnung ohne Katze Kümmel gemacht.
Ich bin Kümmel und stecke mal wieder in Schwierigkeiten. Mein Leben ist keinen Pfifferling mehr wert und zieht an mir vorüber.
Ja, ich heiße wirklich Kümmel. Lachen Sie nicht, den Namen habe ich mir schließlich nicht ausgesucht. Den haben mir die beiden Zweibeiner verpasst, mit denen ich unter einem Dach lebe. Der mit dem grauen Fell im Gesicht ist Theo. Der andere mit den vier Augen ist Ulrike. Ulrike ist weiblich, so wie ich. Theo ist das, was wir als Kater bezeichnen.
Nun frage ich Sie, sind diese Namen besser? Theo? Ulrike? Angeblich haben Theo und Ulrike stundenlang beim Frühstück über meinen Namen gegrübelt. Natürlich ohne Erfolg. Pussy, Räuber, Mohrle waren zwar im Gespräch, aber sagen Sie selbst, sind das Namen für eine Katze, die grau-getigert ist? Gut, mit Pussy hätte ich mich anfreunden können, aber keinesfalls mit Räuber oder Mohrle. Schließlich bin ich eine Dame. Nachdem weitere alberne Namen zum Glück verworfen wurden, verlor Theo die Geduld und leierte mehr zum Spaß die Gewürze im Regal herunter.
»Oregano, Basilikum, Kümmel... » seufzte er.
»Mir fällt nichts ein.« Theo machte eine Pause. Er schien zu denken.
»Kümmel«, wiederholte er. Ulrike kniff zwei ihrer vier Augen zusammen.
»Ja, Kümmel«, sagte sie. »Das klingt gut.«
So jedenfalls will es die Legende. Ich habe diese Geschichte jetzt schon mindestens 300 Mal gehört. Immer wenn andere Menschen zu Besuch kommen, höre ich: »Wie seid ihr denn auf diesen Namen gekommen?« Ich liege auf meinem Sessel und stelle mich schlafend. Ich kann es nicht mehr hören. Und wehe, mich fasst jetzt einer von den Fremden an. Diese ewige Streichelei zu unpassenden Zeiten. Ich bitte doch um etwas Respekt vor einer schlafenden Katze. Im Moment wäre es mir allerdings sehr recht, wenn ein Zweibeiner meinen Namen rufen oder mir helfen würde. Aber nein, da kann ich um Hilfe schreien so viel ich will...
Ich muss gestehen, mein Einzug in dieses Revier liegt etwas im Dunkeln. Es ist ja schon eine Ewigkeit her und ich kann mich nicht mehr so genau daran erinnern. Oder können Sie sich an jedes Detail aus Ihrer frühesten Kindheit erinnern? Na also. Jedenfalls lag ich mit zwei meiner Geschwister in einem Korb und dieser Korb befand sich in einem großen Kasten, der ständig brummte. Inzwischen habe ich viele von diesen brummenden Kästen gesehen und, ehrlich gesagt, sie gefallen mir ganz und gar nicht. Ja, und plötzlich war ich allein in diesem Korb. Meine beiden Geschwister waren spurlos verschwunden. Dann hörte das Brummen auf, es wurde angenehm ruhig und zwei warme, aber völlig nackte Tatzen hoben mich aus meinem Korb. Nicht mal Krallen waren zu sehen. Sechs Augen starrten mich an.
»Kümmel. Du bist Kümmel. Hier wohnst du jetzt«, sagte der Mensch mit den vier Augen.
»Die ist aber noch klein«, sagte der mit dem grauen Fell im Gesicht. Sie rochen fremd, alles roch anders hier. Ich sagte kurz »Entschuldigung« und drängelte zur Toilette. Ich war immerhin viele Stunden unterwegs gewesen. Aufmerksam waren die beiden ja. Es gab einen kleinen Imbiss, frisches Wasser und eine saubere Toilette.
»Sie hat Miau gemacht!« Graufell zeigte seine Zähne. Will er jetzt schon Streit? Später dann lernte ich, dass Theo und Ulrike oft ihre Zähne zeigen und sich nichts Böses dabei denken. Sie nennen es Lächeln.
Jetzt könnte Theo doch wirklich bald kommen. Ich habe oft genug nach ihm gerufen. Langsam wird es brenzlig. Stellt er sich taub? Oder hat er wieder diese komischen Stöpsel im Ohr, während er im Garten arbeitet? Menschenmusik. Nun ja, Kultur kann man nicht kaufen. Und ich hocke hier oben und könnte eine helfende Hand gebrauchen.
Die ersten Nächte waren komisch. Mutti war nicht mehr da und mein Bruder und meine Schwester kamen auch nicht. Dabei habe ich mich doch lautstark bemerkbar gemacht. Vielleicht waren sie beschäftigt oder verhindert. Sie kamen nicht. Was blieb mir übrig, als mich auf der flauschigen Decke zusammen zu rollen und erst mal zu schlafen. Diensteifrig hatte Graufell noch mein Klo gesäubert. Aber das ist ja wohl das Mindeste, was ich erwarten kann, oder? Auch die ersten Tage waren sehr aufregend. Mein lieber Herr Gesangsverein, viele Räume, ganz andere Möbel, viele Fenster, weicher Boden. Und mitten im Haus Treppen. Zwei Treppen. Wie sollte ich denn da herunterkommen? Wie haben sich die beiden Menschen das vorgestellt? Für diese langbeinigen Wesen ist das alles sehr einfach. Für mich nicht. Ich bin klein. Damals jedenfalls. Theo sagt zwar, ich hätte große Ohren. Aber damit kann ich keine Treppen steigen. Die Neugier trieb mich nach unten. Mein Empfangszimmer lag im ersten Stock, aber was war unten? Von meiner Warte hier oben sah ich noch mehr Türen. Es half alles nichts, ich musste irgendwie nach unten kommen. Gut, es sah zwar albern aus, aber ich nahm all meinen Mut zusammen und begann den gefährlichen Abstieg.
»Guck mal, Theo«, quietschte Ulrike.
»Sie hoppelt wie ein Häschen von Stufe zu Stufe.«
Sehr witzig. Heute bin ich drei Mal so schnell oben wie Ulrike. Ich hocke grinsend ganz oben, während sie schwer atmend Stufe für Stufe erklimmt. Gut, erschwerend ist der Wäschekorb in ihren Armen. Aber wenn man kein eigenes Fell hat ... Nicht meine Schuld.
Theo! Verdammt noch mal, nimm die Stöpsel aus den Ohren. Du musst doch wittern, dass hier etwas nicht stimmt. Ich brauche Hilfe. Lange halte ich nicht mehr durch. Ich muss gestehen, ich fürchte mich. Aber werden Sie mal von Dracula verfolgt.
Zwei Wochen lang erkundete ich das Haus von oben bis unten. Das Treppenhüpfen war lästig, aber unvermeidlich. Ich bewegte mich frei in allen Räumen. Ganz unten in einem großen ungemütlichen Raum stand so ein Kasten, mit dem ich hergekommen war. Aber komischerweise brummte er nicht. Er stand völlig ruhig da. Erst mal drunter kriechen und untersuchen. Sicher ist sicher. Durch die vielen Fenster in meinem neuen Revier hatte ich freien Ausblick nach draußen. Wundern Sie sich nicht, wenn ich Ihnen wie selbstverständlich von Bäumen, Büschen, Rasen und Blumen berichte. Damals hatte ich keinen Schimmer. Heute gehören der Garten und alle Gärten in der Nachbarschaft zu meinem Revier. Hier bin ich die Königin. Hier gehe ich spazieren, hier jage ich und hier erschrecke ich die Hühner von Nachbar Erich. Erich ist nett, aber langsam. Er denkt, ich bin ein Kater. Hat der Mann keine Augen im Kopf?
Warum sind die Zweibeiner nur so langsam? Jetzt endlich dreht sich Theo in meine Richtung. Wahrscheinlich hört seine Musik da in seinen Stöpseln auf zu spielen und er kann wieder klar hören. Bitte etwas schneller, Graufell! Oben ist der Baum zu Ende. Da geht es nicht mehr weiter. Ich werde mal zur Sicherheit kreischen. Das macht ihm Beine.
»Was ist denn hier los?« Nicht nur Theo eilt herbei, wenn man das eilen nennen darf, sondern auch Erich. Theo erkennt meine Notsituation als Erster.
»Schon wieder dieses rote Luder!« Er klammert sich an den Zaun und was soll ich Ihnen sagen? Er fängt an zu bellen. Denkt er allen Ernstes, mit seinem albernen Gebelle dieses Monster zu verscheuchen?
Dicht hinter mir, fast schon auf Pfotenlänge und mit Mordlust in den Augen, das »rote Luder«. Eine riesige und sehr starke Katze ohne festes Zuhause, die schon Dutzende Vögel, Mäuse und vielleicht sogar kleine Hunde auf dem Gewissen hatte. Und jetzt ich. Gut, ich kam später, aber jetzt ist es mein Revier. Sie soll sich nicht so gemein benehmen und mir aus dem Wege gehen. Mit Toni von gegenüber legt sie sich ja auch nicht an. Aber der ist noch größer und stärker als sie selbst. Ich nicht. Wie auch in meinem zarten Alter?
»Warte, ich hol einen Besen!« Na endlich, Erich ergreift die Initiative. Das Drama spielt sich ja auch auf seiner Seite des Zauns ab. In unserem Baum. Theo bellt weiter und rüttelt am Maschendrahtzaun. Ich muss doch sehr bitten.
Das hat die rote Hexe nun nicht erwartet. Umständlich, weil zu dick, hangelt sie sich auf den Erdboden zurück und verschwindet mit ein paar Sätzen im Gebüsch. Erleichtert bin ich schon, das können Sie mir glauben. Die hätte Hackfleisch aus mir gemacht. Abwarten, bis ich ausgewachsen bin. Die Rote steht jetzt ganz oben auf meiner Liste. Gleich nach der gemeinen schwarzen Katze, die mein Revier als Durchgang benutzt und mir sogar schon den Zugang in mein eigenes Haus verwehrt hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt steht er da, mein Graufell und guckt betreten. Das kommt davon, wenn man nichts hört und seine Schutzbefohlenen nicht im Auge behält.
»Die Rote ist überall«, sagt Erich. »Habe sie letzten Sommer im Nachbarort gesehen.«
Er guckt in die Fluchtrichtung der Roten.
»Gut genährt, das Biest. Frisst sich überall durch.« Er grinst Theo an.
»Anna dachte erst, sie ist schwanger.« Anna ist seine Frau und bei uns heißt es trächtig. Meine Güte.
»Haste keine Augen im Kopf, hab ich gesagt. Das ist ein Kater.«
Ich protestiere energisch von oben. Es ist eine Katze. Weiblich. Das werde ich ja wohl beurteilen können. Theo, sag was! Ich muss von diesem Baum runter. Die dünnen Äste schwanken schon. Ich mag es nicht, wenn es schwankt. Vorsichtig versuche ich den Stamm zu erreichen. Mein Schwanz hilft mir, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Erst mal nach unten. Mir zittern immer noch die Pfoten. Viele Zweibeiner denken, wir Katzen schaffen es nicht, einen Baum hinunter zu klettern, wenn er keine Äste hat. Ich meine, wenn nur der Stamm da ist. Gut, einige Artgenossen versagen hier und die Zweibeiner dieser »Experten« holen Leitern oder gar den Katzennotdienst, um die Verzweifelten vom Baum zu pflücken.
Dabei ist es doch ganz einfach. Vorausgesetzt, der Stamm ist nicht zu dick. Sie brauchen ein paar Muskeln und scharfe Krallen. Der Rest ist nach ein paar Übungen ein Kinderspiel. Zuerst schauen Sie nach unten, ob der Weg frei und sicher ist. Dann strecken Sie Ihren Körper und auch die Pfoten nach unten. Soweit es geht. Sie fahren Ihre Krallen aus, halten sich so am Stamm fest und lassen in einer eleganten Drehung Ihr Hinterteil direkt am Stamm hinunterschwingen. Sie drücken Ihre Krallen noch fester in den Stamm, damit ihr eigenes Körpergewicht Sie nicht nach unten zieht. Sowie Sie den Baumstamm spüren, fahren Sie auch an Ihren Hinterpfoten die Krallen aus und drücken Sie in das Holz. Das war schon alles. Sie kleben jetzt förmlich am Stamm, lösen vorsichtig Ihre Krallen und rutschen den Baum abwärts. Geht es zu schnell, bremsen Sie durch Ihre Krallen etwas ab. Es ist ganz einfach, wenn man den Dreh raus hat. Auf diese Art und Weise komme ich unten an und drücke mich erst mal an Theos Bein. Da fühl ich mich sicher. Wie wäre es, Graufell, wenn du jetzt deiner Versorgungspflicht nachkämest? Wenn du mir Herzragout servierst, will ich dir keinen Strick aus deiner vernachlässigten Aufsichtspflicht drehen.
»Na, Kümmel, was hältst du von einer kleinen Mahlzeit?«
Na bitte, geht doch. Theo guckt zur Uhr. Bei ihm läuft alles nach Plan ab.
»Ist ja auch schon Zeit, was?«
Theo ist immer rührend um meine Ernährung besorgt. Liest Ratgeber, treibt sich in Internet-Foren herum, die nur uns Katzen als Thema haben und führt lange Gespräche mit Berta. Berta hat ein Geschäft für Tierbedarf und weiß Bescheid. Theo immer noch nicht.
»Theo«, sage ich. »Das ist nett. Aber ich möchte selbst bestimmen, wann ich fresse. Begreif das endlich.«
Und nach einer winzigen Pause: »Gut, jetzt passt es zufällig. Aber bitte Herzragout.«
»Na, was willst du mir sagen, Kleinchen? Katzensprache versteh ich doch nicht.«
»Dann lern sie!«
»Komm erst mal mit. Ich suche dir was Feines aus.«
»Ich will mein Herzragout!«
Er streichelt meinen Rücken. »Wie niedlich du Miau machen kannst.«
Sie fragen sich natürlich, warum mein Graufell am helllichten Tage zu Hause ist. Warum geht er nicht arbeiten? Warum verlässt er nicht wie andere Leute morgens um sieben das Haus und steht bis abends an der Werkbank oder sitzt am Schreibtisch in einem Büro? Er ist zu Hause. Ich habe lange gebraucht, herauszufinden, warum das so ist. Ulrike Vierauge geht auch jeden Morgen aus dem Haus und kommt abends wieder. Sie ist Ärztin und fährt jeden Morgen mit der S-Bahn in die Stadt. Wir wohnen ländlich, aber die Stadt ist nicht weit entfernt. Vierauge arbeitet in einem Krankenhaus und bringt jeden Abend neue Gerüche mit. Graufell und ich begleiten sie morgens bis zur Gartenpforte, ich schlüpfe unterm Zaun durch und laufe ihr ein Stückchen hinterher. Wenn ich schon mal auf der Straße bin, untersuche ich auch gleich Müllkübel, Bäume und Büsche. Graufell holt die Zeitung aus dem Briefkasten und geht wieder zurück. Natürlich nicht ohne ständig zu rufen.
»Kümmel!« Die ganze Nachbarschaft kennt meinen Namen. »Kümmelchen!« Peinlich.
»Kümmel! Rein jetzt.«
Sorry, ich bin beschäftigt. Dann stapft Graufell Theo den Gartenweg zurück. Er stapft betont laut, pfeift und klimpert mit seinem Schlüsselbund. Das soll mich dazu bewegen, ihm zu folgen. Er findet die Straße zu gefährlich für Katzen. Ich gebe zu, ich überquere ungern die holprige Straße, aber drüben bei Toni, dem dicken gefleckten Kater, ist es sehr interessant. Und diese Kästen brummen hier nur sehr selten vorbei. Graufell soll mir meine Freiheit lassen. Ich misch mich ja auch nicht in seine Angelegenheiten. Nur manchmal, wenn er allzu lange vor diesem Bildschirm in seinem Arbeitszimmer sitzt, werde ich ungeduldig. Besonders wenn schönes Wetter ist. Da gehe ich schon mal nach oben, gucke ihn an und sage: »Es wäre nett, wenn du deinen Hintern nach unten bewegen würdest. Komm in den Garten und spiel mit mir.«
Er tippt weiter auf diesem Brett mit den vielen Knöpfen.
»Es ist schönes Wetter! Los jetzt.«
Graufell seufzt dann und sagt: »Wenn ich nur wüsste, was du willst, Kümmel.«
Er reckt sich und sagt: »Wollen wir eine Runde im Garten spielen?«
Na, endlich. So eine lange Leitung. Ich lauf schon mal vor.
So langsam hatte ich dann verstanden. Graufell arbeitet zu Hause. Ja, wirklich. Er sitzt an einem Tisch, starrt auf diesen Bildschirm und murmelt immer wieder: »Mir fällt nichts ein.«
Ich beobachte ihn und überlege, wie ich ihm helfen kann. Ich habe ihn doch gern. Mit all seinen Macken. Er sitzt auf einem schönen Sessel, der sich nach hinten bewegt, wenn man einen Hebel löst. Nach hinten gekippt, hat man genug Platz für zwei. Also springe ich immer, wenn er so verzweifelt aussieht, auf seinen Schoß und beruhige ihn. Ich schnurre, trete mit meinen Pfoten auf seinen Bauch und stupse ihn an.
»Ach, Kümmel, bis morgen muss ich diesen Text abliefern. Mir fällt einfach kein runder Schluss ein.«
Ich schnurre, Theo streichelt meinen Rücken. Er lehnt sich noch weiter mit dem Stuhl zurück.
»Gut. Eine kleine Pause kann nicht schaden.«
Wenn er spricht, sehe ich seine schiefen Zähne. Die könnte er auch mal richten lassen. Da hat er wohl in seiner Jugend was versäumt. Ich gähne herzhaft und zeige ihm mein makelloses Gebiss. Seine Beine sind eher knochig. Es ist wirklich schwierig, so eine angenehme Position zum Dösen zu finden. Warum hört er jetzt auf, meinen Nacken zu kraulen?
Ja, Graufell verdient sein Geld von zu Hause aus. Er ist das, was man als Schreiberling bezeichnet. Er textet für Werbung und schreibt Geschichten aller Art, die er dann Zeitungen und Zeitschriften anbietet. Ob Sie es glauben oder nicht, aber seine Geschichten werden auch wirklich veröffentlicht. Und dafür bekommt er Geld. Ich merke, dass Geld da ist, wenn er mit einem Zettel in der Hand durchs Haus hüpft und immerzu »Mein Honorar ist da! Schon auf dem Konto« jauchzt. Mit diesem Honorar in der Tasche geht er zu Berta und kauft meine Leibspeisen. Ulrike Vierauge sorgt für den Rest. So jedenfalls habe ich es verstanden. Meine beiden Menschen müssen sich ja auch ernähren. Ich finde es gut, dass Graufell zu Hause arbeitet. Er hat immer Zeit für mich.
Aber jetzt möchte ich mein Herzragout nach dem Schreck mit der roten Katze. Theo Graufell steht schon in der Küche und öffnet eine von diesen Dosen. Kaum macht es klick, riecht es auch schon gut. So gut, dass ich schnurre und meinen Kopf an Theos Bein reibe. Wenn ich besonders gute Laune habe und auch sehr großen Hunger, lasse ich mich einfach zwischen seinen Füßen fallen und rolle mich hin und her. Oder ich gehe ein paar Schritte nur auf meinen Hinterpfoten und hangele mit den Vorderpfoten nach der Schüssel in Theos Hand. Er zeigt dann wieder seine schiefen Zähne und sagt solche Sachen wie: »Ich komme ja schon. Hat mein Kümmelchen denn solchen großen Hunger?«
Ja, hab ich! Oder: »Na komm, jetzt gibt es lecker lecker Happi.«
Bin ich ein Kleinkind, das man in Babysprache anglucksen darf? Nein. Warum sagt er nicht: »Hier bitteschön, deine Leib- und Magenspeise. Herzragout. Lass es dir schmecken.«
Weil es beispielsweise kein Herzragout ist, was er mir da gerade vor die Nase stellt, sondern Nierchenragout. Ich starre wortlos in meinen Napf. Ich will mein Herzragout. Nierchen sind auch schmackhaft, aber heute will ich Herzragout. Als ob ich das nicht laut und deutlich gesagt hätte. Ich setze mich vor meinen Napf. Theo Graufell kann sich auf den Kopf stellen, Nierchen fresse ich jetzt nicht.
»Was ist denn jetzt schon wieder?« Theo geht in die Hocke. »Du magst doch Nierchen so gerne.«
»Aber nicht heute! Hast du mich nicht verstanden?«
Graufell rührt mit meinem Löffel in meinem Napf.
»Lecker Nierchen. Du musst doch was fressen. Es ist nach zwölf.«
Wieder diese schreckliche militärische Disziplin. Nach zwölf. Und wenn ich jetzt gar keinen Hunger hätte? Oder keinen Appetit? Auf Nierchen zum Beispiel?
Erinnere dich mal, mein lieber Graufell, als ich noch ganz klein war. Es war Sommer und brütend heiß. Ich war gerade ein paar Monate alt und erst einige Wochen bei euch. Irgendwo hast du gelesen, dass kleine Katzen viele kleine Mahlzeiten zu sich nehmen müssen. Damit sie vernünftig wachsen. Und dass die Abstände zwischen den Mahlzeiten nicht sehr lang sein dürfen. Schön und gut. Aber kleine Katzen sind keine Mastgänse!
Jedenfalls, wir haben den ganzen Vormittag im Garten getobt. Ich auf die Bäume, Graufell blieb unten. Ich sauste los über den Rasen, Graufell kam langsam nach. Ich hatte beste Laune, tanzte und sprang vor Graufell hin und her, rannte auf ihn los, zwischen seinen Beine durch, wieder zurück und griff ihn von hinten an. Graufell machte den Fehler, den ich einkalkuliert hatte. Er ging in die Hocke. Ich bin ja klein und er ist groß. Mit einem Satz hüpfte ich auf seine Schenkel, von da weiter auf seine Schultern und auf der anderen Seite wieder auf den Rasen zurück. So schnell, dass Graufell überhaupt nicht reagieren konnte. In sicherer Entfernung blieb ich stehen, stellte mich quer und machte einen riesigen Buckel. Graufell kam auf Knien näher. Fangen wollte er mich. Lachhaft. Aus dem Stand heraus sprang ich in die Luft, drehte mich und verschwand mit Turboantrieb im nächsten Gebüsch. Die Sonne brannte auf meinen Pelz und Graufell trug einen lustigen Hut. Er hat empfindliche Haut und kann Sonne nicht gut vertragen. Diese Tage liebe ich. Ich trieb Graufell den ganzen Vormittag durch mein Revier und ganz plötzlich blieb er stehen und sagte: »Jetzt ist Zeit für Mittagessen. Wir spielen danach weiter.«
Meinte er mich oder sich selbst? Er meinte mich. Gutwillig folgte ich ihm in die Küche, wo er schon mit meinen Näpfen klapperte. Wirklich, Theo, ich habe bei der Hitze keinen großen Hunger. Spielen will ich mit dir.
»Warum frisst du das denn nicht?«
Ich liebe Geflügelcocktail mit Shrimps, aber nicht jetzt. Er hielt mir doch tatsächlich einen Brocken unter die Nase. Gut, ihm zuliebe.
»Das machst du fein. Und den noch.«
Wie kann man nur so aufdringlich sein? Gut, den auch noch.
Graufell war zufrieden.
»Du musst doch groß und stark werden.«
Aber erst mal wurde mir übel. Was hetzt er mich auch gleich nach der erzwungenen Mahlzeit die Treppen rauf und runter? Nach dem Essen soll man ruhen. Weiß doch jeder. Mir wurde schlecht. Ich setzte mich hin und jammerte.
»Was singst du denn so komisch, Kümmel?«
Nun war er doch besorgt. Ich jammerte immer lauter. Meine Stimme war ganz tief. »Ach du je!«
Graufell stürzte los und holte Zeitungspapier. Leider zu spät. Mein Leib zog sich zusammen, ich beugte mich ganz weit nach vorne. Wenn ich mich schon übergeben musste, dann nicht auf meine Pfoten. Was soll ich sagen? Es kam alles wieder raus. Im letzten Moment wich ich der Zeitung aus und spuckte alles auf den braunen Flurteppich. Theo umkreiste mich wie der Mond die Erde. Nur schneller.
»Ist alles in Ordnung?« Er streichelte meinen Rücken.
»Jetzt nicht, Tollpatsch! Ich muss brechen.« Das hatte er von seiner übertriebenen Fürsorge.
Und jetzt will er mir Nierchenragout andrehen. Nicht mit mir. Ich kann auch bockig sein. Theo klopft auf seine Armbanduhr.
»Mädchen, es ist Mittag. Ich möchte, dass du drei Mahlzeiten täglich frisst.«
Erzähl was Neues, Graufell.
»Morgens, mittags und abends.«
Ich starre weiter angestrengt in den Napf. Meine Nierchen fresse ich nicht.
»Dann kriegst du vor heute Abend nichts mehr, mein Frollein.«
Ich hasse es, wenn er »mein Frollein« sagt. Die verschiedenen Spitz- und Kosenamen, die mir Theo und Ulrike verpasst haben, stinken mir ganz gewaltig. Kümmelchen. Na ja. Kümmelito. Tanz ich etwa Flamenco? Ito. Bin ich japanisch? Wie die beiden auf Gutschi gekommen sind, will ich gar nicht wissen. Aber dieses »Frollein« mit der besonderen Betonung ist das Allerschlimmste. Ich stehe dann mal auf und scharre auf den Fliesen neben meinem vollen Napf. Natürlich weiß ich, dass ich unter Fliesen nichts vergraben kann, aber das ist nun mal mein Instinkt. Nicht genehme Nahrung wird bei uns vergraben. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Bleiben Reste nach der Mahlzeit übrig, würde ich sie auch gern verscharren. Erstens muss man auf Notzeiten vorbereitet sein und zweitens muss kein Feind wissen, dass ich hier vor kurzem noch geschmaust habe.
Graufell, nimm deine Nierchen bitte wieder weg. Er tut es. Ganz sicher geht er gleich in den Keller und holt aus dem zweiten Regal eine Dose mit Herzragout. Ich bleibe mal einfach hier sitzen. Er setzt sich hin und liest Zeitung. He! Ab in den Keller und hole Herzragout. Er ignoriert mich. Wo gibt es denn so was? Dann lass mich raus, ich weiß schon, wo ich mich versorgen kann, wenn du es nicht tust. Ich sitze vor der Terrassentür, starre den Türgriff an und sage: »Würdest du mir bitte die Türe öffnen?« Graufell steht auf.
»Wo willst du denn jetzt hin?«
»Das geht dich nichts an.«
Er versteht mich ja nicht.
»Ach, Ito, du bist ein unruhiger Geist.«
»Raus will ich, weil ich hier ja nichts zu fressen kriege!«
Endlich öffnet Theo die Tür. »Na, dann hau ab!«
Selbst ist die Katze. Ich weiß mir schon zu helfen. Schnell die Terrassentreppen runter, an der Eingangstür vorbei und zum Zaun. Ich zwänge mich zwischen den Mülltonnen durch und schlüpfe durch das Loch im Zaun. Schon bin ich in Nachbars Garten. Hier ist es auch toll. Allerlei geheimnisvolles Gerümpel. Stundenlang kann ich hier schnüffeln und untersuchen. Aber heute nicht. Ich springe auf säuberlich zusammengelegte Bretter und kann so das ganze Gebiet übersehen. Etwas Vorsicht kann nicht schaden. Der Nachbar heißt Paule und er mag Katzen nicht besonders. Zu blöd. Paule läuft auf seinem Grundstück herum. Da bleibe ich lieber hier sitzen, bis die Luft rein ist. Wenn ich mich nicht bewege, sieht er mich nicht. Ich kann warten.
Ich weiß noch, wie Graufell mich den Nachbarn vorgestellt hat. Sogar mit Namen. Dann wissen alle, wohin ich gehöre. Alle haben sich gefreut und gelacht und merkwürdige Geräusche gemacht, als sie mich gesehen haben. Ich saß nämlich daneben. Schließlich kann man kein Phantom vorstellen. Nur bei Paule war das anders.
»He, Paule«, rief Graufell über den Gartenzaun. Ich strich um Theos Beine und war neugierig, wer Paule ist.
»He, Theo, alles klar?«
Die Zweibeiner sagen ständig »alles klar«.
»Ja. Darf ich dir Kümmel vorstellen? Kümmel ist unsere kleine Katze.«
»Noch eine Katze?«, platzte es aus Paule heraus. »Wir haben schon mindestens 15 Stück hier herumlaufen.«
Stück? Seit wann redet man von Lebewesen in Stückzahlen? Ob das wirklich stimmt? 15 Artgenossen. Da bin ich ja in guter Gesellschaft. Damals wusste ich nicht, was für grobe und ungebildete Typen darunter sind. Theo lächelte freundlich.
»Sie ist noch ganz klein.«
Aber nicht mehr lange, Graufell.
»Im Sommer hole ich die Katzen immer aus den Büschen. Da sind Amselnester. Da sind die Viecher ganz scharf drauf.« Welche Viecher? Warum ist Paule unfreundlich? Habe ich ihm etwas getan? Was sind Amseln? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Aber woher sollte ich als kindliche Katze wissen, was Amseln sind. Doof bin ich nicht. Heute weiß ich sehr gut, was Amseln sind. Eine schmackhafte Nahrungsergänzung. Nicht leicht zu fangen, aber es geht.
»Aber Kümmel ist noch so klein und kümmert sich nicht um Amseln. Außerdem wird sie ja auch kastriert. Da werden Katzen grundsätzlich ruhiger.«
Hä? Was werde ich? Kastriert? Was ist das schon wieder? Theos Stimme hatte einen gewinnenden Unterton. Dieser alte Schleimer.
»Hm, na ja. Dann noch einen schönen Tag«, brummelte Paule und verzog sich wieder in seine baufälligen Schuppen. Was treibt der nur da drinnen? Irgendwann finde ich es heraus. Graufell ging in die Hocke und streichelte meinen Rücken.
»Oh oh, Kümmel. Paule mag Katzen nicht so gern. Halte dich lieber fern von seinem Grundstück.«
Warum sollte ich? Sein sogenanntes Grundstück befindet sich schließlich in meinem Revier. Die Rechtslage ist eindeutig. Jetzt beobachte ich Paule. Paule in seinem karierten Holzfällerhemd geht geschäftig hin und her. Rein in die Schuppen, raus aus den Schuppen. Ich war schon oft auf seinem Grundstück. Bei Dunkelheit versteht sich. Aber die Schuppentüren sind stets und ständig geschlossen. Wir Katzen haben eine Engelsgeduld. Ich komme da schon noch rein. Paule verschwindet im Haus. Die Zweibeiner halten es nie lange draußen aus. Es ist ihnen vermutlich zu kalt. Besonders im Winter, wenn alles weiß ist. Paule hat mich nicht gesehen. Noch ein paar Augenblicke warten. Jetzt geht es los. Das ging ja einfacher als ich dachte. Ich hab ihn, ich hab ihn! Hoffentlich ist mein Zaunloch nicht zu eng. Ich passe ja gut durch. Allein meine ich. Aber mit der Beute im Maul wird es schon etwas schwieriger. Ich drücke mich ganz auf den Boden und schlüpfe hindurch. Größer darf die Beute aber auch nicht sein. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Maul zusammen. Aber ich muss zur Terrasse zurück. Dort ist es sicher und nur dort fresse ich. Eine Katze hat eben auch so ihre Prinzipien. Ich habe in meinem Revier Plätze, die alle eine gewisse Bedeutung für mich haben. Das Haus und die Terrasse sind mein Fress- und Schlafplatz. Da fühle ich mich geborgen und sicher. Dann habe ich in meinem Revier noch verschiedene geheime Beobachtungs- und Ruheplätze. Von dort kann ich genau kontrollieren, was oder wer sich wo bewegt und wenn es das Wetter erlaubt, auch mal ein Nickerchen halten. Schnell am Schuppen vorbei, die Treppen wieder hoch zur Terrasse und jetzt kann das Festmahl beginnen. Ist der herzhaft und fast noch frisch. Nierchenragout aus der Dose, da pfeife ich doch heute drauf. So macht Fressen viel mehr Spaß. Wie viele schaffe ich davon wohl? Zwei? Vielleicht sogar drei? Erst mal den hier, dann sehen wir weiter.
»Was hast du denn da?« Theo ist aufgeregt. Ja, was wohl, Graufell?
»Wo hast du den her?« Graufell umhüpft mich wie Rumpelstilzchen sein Feuer.
»Gib ihn sofort her!«
Keep cool, Theo. Nun frage ich Sie, werden Sie gerne beim Essen gestört? Können Sie tolerieren, dass man ständig in Ihre Mahlzeit reinquatscht? Aber es ist sowieso zu spät. Ein letzter Happen und weg ist das gute Stück.
»Kümmel, das kann doch wohl nicht wahr sein? Wo hast du den her?«
»Sag ich nicht.« Ich recke mich. »Ich hole mir gleich Nachschub.«
Also, fürsorglich sind die beiden schon, mein Vierauge und mein Graufell. Vielleicht ein wenig übertrieben, aber so sind die Zweibeiner. Denken immer, wir Katzen wissen uns nicht zu helfen. Zugegeben, manche Dinge sind schwierig. Wir können zum Beispiel nicht alleine zum Tierarzt gehen. Wir wollen das auch gar nicht. Wir müssen aber, sagen unsere Zweibeiner.
Da machten auch Theo und Ulrike keinen Unterschied. Ich hatte mich kaum in meinem neuen Revier eingelebt, da hörte ich eines Tages, wie Theo zu Ulrike sagte: »Wir müssen Kümmel dem Tierarzt vorstellen.«
Wieso vorstellen? Will der meine Bekanntschaft machen? Vierauge war einer Meinung mit Theo.
»Kümmels erster Arzttermin. Bestimmt muss dies und jenes gemacht werden.«
Im Gegensatz zu Theo hat Ulrike schöne gerade Zähne. Ulrike Vierauge habe ich auch lieb, aber anders als Theo. Ulrike fuhr fort: »Wir können uns auch gleich einen Termin zum Kastrieren geben lassen.«
Hä? Schon wieder dieses Wort. Einen Termin wofür bitteschön?
Wenn Theo mal nicht im Hause ist, zeige ich Ihnen, was er so heimlich über mich schreibt. Er denkt, ich weiß nicht, dass er über mich kleine Berichte schreibt. Manchmal ist er doch etwas naiv, aber so süß. Aber jetzt weiter. Einen zweiten Happen werde ich mir noch gönnen und dann gehen wir in Theos Arbeitszimmer stöbern.
Das war lecker. Entschuldigung. Aber nach so einer Mahlzeit ist ein kleines Bäuerchen unumgänglich. Theo werkelt irgendwo auf dem Grundstück herum. Der hat auch kein Sitzfleisch. Paule scheint nichts gemerkt zu haben. Besser so. Kommen Sie jetzt erst mal mit. Vielleicht finden wir etwas, was Theo geschrieben hat. Hier ist sein Arbeitszimmer. Die Tür ist nur angelehnt. Für mich absolut keine Hürde. Erst stoße ich die Tür mit dem Kopf an, dann richte ich mich auf und drücke mit meinen Vorderpfoten dagegen. So einfach ist das. Hier ist der Apparat, mit dem Theo schreibt. Und hier in der grünen Mappe liegen die Berichte über mich. Wofür das gut ist, weiß ich nicht. Schreib ich vielleicht Berichte über Graufell und Vierauge? Aber lesen Sie selbst:
Die ehemalige Tierarztpraxis ist ganz nett gewesen, die Helferin hat unverzüglich nach unserem Erscheinen gekündigt. Ihr war die heftig bebende Transportbox, die wir mit ein paar starken Jungs aus der Nachbarschaft anschleppten, unheimlich. Das anhaltende Kreischen aus der Box gab ihr den Rest.
Just in time brachte dann die Spedition ein paar Minuten später Kümmels Kotproben, wegen der von mir gewünschten Untersuchung auf Wurmbefall. Also, es war eine junge aufgeschlossene Tierärztin. Mag keine Zeckenhalsbänder und auch keine jährlich wiederkehrenden Impfungen.
Klein-Kümmel hat Ohrmilben und Würmer. Ärztin hielt Kümmel mit geübtem Griff fest und träufelte ihr etwas in die Ohren. Danach knetete sie die Öhrchen, was Kümmel gut gefiel. Eine Woche lang jeden Abend müssen unsere etwas weniger geübten Hände nun die Tropfen in Kümmels Ohren kippen.
Außerdem haben wir heute Abend also die Ehre, unter Kümmels Geflügelcocktail eine geheimnisvolle Anti-Wurm-Pille zu mogeln. Ist Kümmel dann morgen früh drei Meter groß, war es die falsche.
Gut. Sowie Kümmel frei von Parasiten ist, bekommt sie Impfungen gegen Tollwut und Katzenseuche. Mehr nicht.
Nur bei der Frage der Kastration waren wir nicht einer Meinung. Tierärztin schlug den siebten Monat vor. Das war uns zu spät. Soll vor der ersten Rolligkeit über die Bühne gehen. Haben uns auf den 6. Monat geeinigt. Nächsten Montag nächster Termin. Kosten heute: 25 Euro.
Wir haben Klein-Kümmel überlistet. Mit größtem Behagen hat sie ihre halbe Wurmpille geschluckt. Dazu war aber ein Plan wie in einem James-Bond-Film notwendig.
Heute Abend dann Operation "Ohr-Milbe".
Haben Sie das gelesen? Also, zuerst war ich schockiert. Die haben mich ja regelrecht reingelegt mit dieser Pille. Andererseits habe ich ungern Würmer im Bauch. Also Schwamm drüber. Außerdem glaube ich, dass Graufell immer übertreibt. Aber ich habe deutlich gesehen, dass Sie beim Lesen gegrinst haben. Und denken Sie nicht, ich hätte auch gegrinst. Wir Katzen sehen immer aus, als grinsten wir. Es geht aber noch weiter:
Unsere erste Erfolgssträhne in Sachen Ohrenmilbenbeträufeln ging von Tag zu Tag abwärts. Am letzten Tag der Behandlung sagten wir einfach, Kümmel hat jetzt keine Milben mehr. Träufeln war unmöglich geworden. Kümmel hatte plötzlich 17 Tatzen, miaute jämmerlich und wand sich wie ihr ehemaliger Wurm. Dabei fing alles so gut an. Gestern dann beim Tierarzt war Frollein Kümmel wieder die friedfertigste aller Katzen. Ärztin griff zu, streichelte, murmelte ein paar Formeln und steckte ihr das kleine Fernrohr
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: © Theo Graufell
Bildmaterialien: Coverdesign Torsten Jurai tomjay.de; Bildmaterialien © Regisser.com – fotolia.com/ © inferio - fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9935-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen leidgeprüften Katzenfreunden gewidmet