Manifest zur Arbeiterliteratur
Die wahre Literatur ist die Arbeiterliteratur
Die wahre Literatur ist die
Wo von die Arbeiter geschrieben wurde
Weil die über jeden seine Arbeit geschrieben haben
Aber jeder ebend ganz für sich alleine
Mein ich
Mein Ich
Haha
Kleines Wortspiel
Und so eine Arbeiterliteratur
Die gehört bei die Literatur mit dabei
Aber nur die eine wahre
Arbeiterliteratur
So von Straßenbau
Und Unter Tage
Und vielleicht noch so von son Fliesenleger
Aber die sind meistens alkoholabhängig
Das ist dann keine Arbeiterliteratur mehr
Das ist Suchtstoff
Aber zurück
Zur Arbeiterliteratur
Kann man auch über die BILDzeitung
Schreiben wenn man da mal
Getarnter Redakteur war
Mit falschen Bart und so
Kann man auch vom Hochofensaubermachen
Schreiben wenn man sich als
Türke umoperieren lässt
Also
Kann man eigentlich alles so von schreiben
Braucht man eigentlich keine andere
Literatur mehr…
Ährlich nich
Aus: Gunvaldt P. Schellinger, Wanne-Eickeler Manifest zur Arbeiterliteratur, Wanne-Eickel: Hoppenstedt, 1982, S. 17 (ziemlich unten da auf der Seite 17, ist nicht leicht zu finden auf der S.17, aber steht da drin, ehrlich, ist auf S. 17 ziemlich unten).
Beton
Gib es mir
Gib es mir heftig
Gib es mir heftiger
Mehr
Mehr mehr mehr davon
Gib mir einfach mehr Beton
Das Bauloch schreit Schmerz
Der leere Krater gähnt uns an
Ödeme der Konsumgesellschaft
Schreien nach Heilung
Ja
Ja, ich geb’s Dir Du Sau
Auf dem Bau
Mit Beton
Immer mehr, immer mehr
Nimmermehr
Das Loch ist voll
Blubb
Ich halte den Schlauch
Zum Belüften
Und sinke bis zum Stiefelrand
In die Mutter der Bausuppe
Zwei Wochen Sonne
Und leichtes Wässern
Du bist so hart
Du bist so schön
Hell weiß unschuldig
Mein Beton
Johnny Karnickel
Johnny Karnickel hieß er
Suchte am Rand der Baustelle
Immer Löwenzahn Spitzwegerich und so
Für seine Tiere zuhause
Johnny Karnickel war der Beste
Im Eisenflechten damals
Schnell mit der Zange und dem Bindedraht
Der rödelte und rödelte was das Zeug hielt
Kleine Kunstwerke machte der Johnny
Immer dazwischen
Bog so kleine Fahrräder aus Draht
In die Stürze mit rein
Wenn ich dann mit dem Betonkübel …
Und der dicke Brei übers rote Eisen …
Danach sah man Johnny Karnickel immer schnell
Löwenzahn Löwenzahn Spitzwegerich und so
Für seine Tiere zuhause schneiden neben der
Baustelle
…und ein oder zwei kleine Tränen kullerten
hätten wir auch nicht gedacht
weiß aber auch heute keiner mehr
daß da kleine Kunstwerke drin sind
beispielsweise im Rathaus von Castrop
Der Engländer
Wir riefen immer ßeimen
ßeimen lass das mit dem Hammer sein
ßeimen kam aus Böhrminkhem
sprach aber gut Deutsch und war Maurer auch
Mauerte uns flink immer die Schächte aus
Fürn Anschluss an den Kanal
Beim Straßenbau überhaupt wichtig
So ein flinker Maurer
Dann ließ Otto den Kompressor
Unbeaufsichtigt
ßeimen wollte mal mit dem Hammer
dem Presslufthammer
rattattattatt
Rattatttattattattatttatttatttattta
Machte mächtig Eindruck
Als dann noch Elvira F. vorbeiging
War es geschehen um den Hammer
Und ßeimens Fuß war auch kaputt
Die F. ging einfach weiter…
Versteh ich bis heute nicht
Die Frau
Gotthold
Der hieß so
Aber wir nannten ihn
Immer Gottoltt
Der fuhr nen Magirus
Achtzehntonner
Mit Methanolpumpe
Bei starker Kälte
Gottoltt war echter Masure
Hatte kleine Schweinsaugen
Und im Winter
Bei starker Kälte
Wurden die noch kleiner
Hatte dann immer ne Pelzjacke an
Klar
Der war früher Kampfflieger
Haben uns immer lustig gemacht über ihn
Daß er nie was getroffen hatte
Mit den kleinen Schweinsaugen
Bei der Kälte
Aber
Unsern Rheinsand
Zum Verputzen
Körnung nullkommazwei
Konnte der Gottoltt
Immer
Punktgenau
Abkippen
Groschen-Jupp
Damals kam sein neuer Kran
Liebherr Form 50 HB
Baujahr 61
Jupp klimperte immer
Immer mit seinen Groschen
Für nen Jägermeister danach
Wenn er oben war
Kostete das Gefühl
Immer
Aus
Irgendwie
Wenn er oben über uns war
Eingehüllt in seine Duftwolke
Aus Batavia
Stieg er innen hoch in seinem
Liebherr fuffzich
Kam nich mal zum Pinkeln runter
Und immer zwei Jägermeister
Aber der Jupp war zielgenau
Bis auf seinen letzten Tag dann…
Haben wir ihn im Bergmannsheil besucht
Jeder nen Groschen in der Tasche
Dann den Jägermeister auf sein Tischchen
Hat er gegrinst der Jupp
Aus seiner Halskrause heraus
Beton II
Giulio kam aus Palermo
Zu uns zum Helfen
Giulio war gelernter Zimmermann,
schwang den Hammer
und traf den Nagel auf den Kopf
immer
Giulio kannte sich aus mit Verschalungen
Giulio lernte fleißig
Mit dem Ersparten ging Giulio fort
Eines Tages
Zurück nach Palermo
Machte dort in Beton
Baute wohl auf Sand
Haben nichts mehr von ihm gehört
Dabei klang seine Stimme so
Wunderschön
Fast jeder Italiener kann gut singen
Besonders auf dem Bau
Aber in Palermo schweigen sie
Auf der Baustelle (1964)
Wir bauen das Haus
Hoch
Voller Hochachtung
Denn es wird ein
Hochhaus
Stahlträger
Blinken im Gegenlicht
Und tragen unsere Schweißtropfen
Eingebrannt
Für eine Weile von
100 Jahren Ewigkeit
freie Oberkörper
schwitzen unter freiem Himmel
Freitagmittag dann
Der Geruch von Schweiß,
Bier und Qualm
Die fade Farbe des Geldes
Durch die Tüte besehen
Verlustanzeige
Liebes Fundamt,
habe gestern morgen
meinen Hammer verloren
in der Baugrube für’s neue Karstadt.
Er hatte einen blanken Stiel
Und einen Gummigriff
Von meinem starken Arm geführt
Schlug sein Kopf immer
Treffsicher
Zu
Schmerzlich sein Verlust
Schmerzlicher noch die Aussicht
Ihn nicht wieder bei mir zu haben
Finder
Erhält
Lohn –
Dieses Gedicht
Damals
Damals im Winter
War die Straße vereist
Und Willi fuhr den Zwanzigtonner
Mit Flüssiggas
Weil er Notdienst hatte
Wir hatten gefeiert
Den Abend vorher
Hatten von Jupp dem Wirt
Immer Kreuze machen lassen
Auf unsere Bierdeckel
Die waren rund
Und voller Kreuze am Ende der Nacht
Und Willi hatte Notdienst
Musste raus
Mit dem Zwanzigtonner
Voll Flüssiggas
War Glatteis
Damals im Winter 62/63
Und Kreuze waren auf den Bierdeckeln
Noch heute stehn da zwei Kreuze
Auffem alten Friedhof
Anner Herner Straße
Erinnern mich immer wieder dran
Wie das war
Damals im Winter 62/63
Grundstein
Bau
Steine
Erden
Wir stehen zusammen
Auf der Baustelle
Die Bonzenprominenz
Kommt im dicken Merzedes
Günther
Der Bürgermeister
Gibt uns nen Kurzen aus
Zum Aufwärmen
Dafür zeigen wir ihm
Wie der mit der Kelle
Mal den letzten Stein
Draufsetzt
Und den Speis richtig verteilen soll
Bau
Steine
Erden
Der Grundstein ist fertig
Die Zeitung von heute
Soll drin sein angeblich
Von uns mal wieder kein Wort
Aber es gibt Kurze und Bier
Und heute früher Feierabend
Unter Tage
Unterdessen
War ich unter Tage
Schon aufgestiegen
Und durfte immer mit den anderen
Beim Buttern
Auf der Gezähekiste sitzen
Dann kam der Neue
Er hieß Max
Und war nicht aus unserer Gegend
Aber er war zäher als wir
Arbeitete hart
Und hatte einen Bleistift dabei
Und schrieb auf kleinem Papier
Immer wenn wir
Auf der Gezähekiste
Saßen
Mit Max
Der schrieb dann
Geschichten
Ich glaub
Über uns
Unter
Tage
Horst
Als sie damals den braven Horst
Nach oben holten
Also ganz nach oben
So an das Tageslicht
Das er sein Lebtag
Nicht mehr gewöhnt war
Da röchelte er kurz
Sein altbekanntes und uns
Wohlvertrautes Röcheln
Als wollte er sich von uns
Verabschieden
Hat dann aber noch lange
Beim Wilhelm Breuker
Auf der Weide gestanden
Horst – das letzte Grubenpferd
Von Zeche Ewald Schacht drei
Splittaktion
War wieder Splittaktion
Angesagt morgens
Der Gottolt und ich
Hinten aufem Magirus stand ich
Drauf
Das wackelte
Aber der Gottolt fuhr langsam
Immer schön gleichmäßig
Mit der Schüppe schwingend
Den Split verteilen
Das war schon eine Kunst
Der Gottolt fuhr langsam
Dann musste er bremsen
Wohl wegen dem Ball
Oder war es ein Dreirad
Drei Wochen lag ich im Gips
Auspuff-Jürgen
Morgens um halb vier, wenn noch alles schläft
Ging der Jürgen immer schon mal in seine Garage
Das war son kleiner Schoppen
Eigentlich
Ging der immer darein und pollierte
Den Auspuff an sein Mopped
Weil:
Dann kam der Kreidler-Blues
Den man einfach mithörn muss
Der Auspuff hinten offen
Blues hat jedes Trommelfell getroffen
Dann kam der Kreidler-Blues
Den man einfach mithörn muss
Samstachmorgen keine Schicht
Wo brennt im Schoppen früh dat Licht?
Bein Jürgen
Bein Jürgen
Geht noch früher außem Bett
Alles wegen sein Florett
Son Auspuff?
Kannze doch nich mehr als putzen
Den Lärm tut dat nich nutzen
Dann kam der Kreidler-Blues
Den man einfach mithörn muss
Der Auspuff hinten offen
Blues hat jedes Trommelfell getroffen
Dann kam der Kreidler-Blues
Den man einfach mithörn muss
Texte: Ich Gunvaldt P. Schellinger habe das Recht an allen hier Texten, auch wenn die schon einmal im Hoppenstedt Verlach, Wanne-Eickel 1964, 1972 und 1987 veröffentlicht wurden...aber leider heute vergriffen
Tag der Veröffentlichung: 18.04.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Gewidmet meiner Familie, den Einwohnern Südwest-Norwegens und alle Arbeitern, die immer arbeiten müssen.