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Das Mädchen folgte dem Pfad, der sie tiefer in den dunklen Wald führte. Ab und zu lies sie ihren Blick durch den Wald schweifen, doch sie sah nichts ungewöhnliches. Ihre Mutter hatte sie zwar schon oft gewarnt, allein durch diesen Wald zu gehen, doch nun blieb ihr keine andere Wahl. Ihre Mutter war krank und sie musste den Arzt des nächstgelegenen Dorfes holen, welches außerhalb dieses Waldes lag – der nicht besonders klein war. Doch schon als kleines Kind war sie immer gerne in diesen Wald gegangen. Er war zwar groß und dunkel und es schien sie ständig jemand zu beobachten, doch sie mochte einfach das sanfte rascheln des Windes in den hohen Baumwipfeln und das leise murmeln des Baches, der sich überall durch den Wald schlängelte. Und die Stille mochte sie am meisten. Keine lärmenden Menschen, keine Hühner oder bellende Hunde. Nur ab und zu hörte sie einige Vögel pfeifen. Dann blieb sie stehen und lauschte erfreut. Sie mochte es, wenn die Vögel sangen.
Doch sie war nicht hier, um die Vögel singen zu hören. Sie musste diesen Arzt finden, und zwar schnell. Deshalb beschleunigte sie ihre Schritte noch ein wenig, wobei sie merkte, das sie nun direkt in der Mitte des Waldes angekommen war, der dichteste und dunkelste Teil des Waldes. Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Vor zwanzig Jahren hatte man in diesem Teil des Waldes mal eine Kinderleiche gefunden. Doch es war damals Winter gewesen und so war es verständlich, dass das Kind wohl erfroren sein musste. Mehr wusste sie nicht, ihre Mutter schwieg hartnäckig zu diesem Thema, doch sie ahnte, dass dieses Kind wohl nicht nur erfroren war, sondern noch etwas schlimmeres passiert war damals.
Sie versuchte, diese Gedanken in den hintersten teil ihres Kopfes zu verbannen und schritt weiter zügig aus. Sie hoffte, dass sie diesen Teil des Waldes bald hinter sich gebracht hatte. Sie fing an, eine Melodie zu summen. Unbewusst hatten die Töne große Ähnlichkeit mit „ Hänschen klein“. Sie lächelte kurz, denn dieses Lied hatte ihre Mutter ihr früher immer vorgesungen, wenn sie bereits im Bett lag und am einschlafen war.

So lief sie dahin, durch diesen dunklen Wald, summte ein Kinderlied und lauschte gleichzeitig angstvoll auf ein Geräusch. Doch der Wald war nun wie ausgestorben. Kein einziger Vögel sang mehr, kein Wind rauschte mehr und auch der Bach war verschwunden. Kalte Angst legte sich wie eine Faust um das Kinderherz. Doch sie lies sich ihre Angst nicht anmerken, sondern starrte nun nur noch vor sich auf den Weg, nicht nach rechts und auch nicht nach links in den Wald blickte sie, aus Angst vor dem, was sie vielleicht erblicken könnte.

Doch plötzlich hörte sie etwas. Es war kein Tierlaut – es hörte sich zumindest nicht so an – aber es schien auch kein menschlicher Laut zu sein. Nun drehte sie ihren Kopf doch nach rechts – die Richtung, aus der das Geräusch kam – und nahm nun war, das es sehr wohl menschliche Töne waren. Es war ein Kinderweinen. Hohe, Angstvolle Töne. Entschlossen verlies das Mädchen den Wag und kämpfte sich einige Meter durch das dichte Gebüsch.
Und genauso plötzlich wie es angefangen hatte, hörte es auch schon wieder auf. Die Angst krampfte sich erneut um ihr Herz und sie hielt den Atem an. War da nicht etwas? Ein Lachen? Oder bildete sie sich dies nur ein? Doch sie wurde wie magisch angezogen durch die plötzliche Stille und dem Wunsch, zu sehen, das dies alles zu bedeuten hatte. Sie brach noch durch ein letztes Stück dichtes Gestrüpp, dann stand sie auf einer kleinen, runden Lichtung. Mitten in dieser Lichtung lag etwas, das sie aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Zögerlich trat sie einige Schritte näher und erkannte was es war. Es war eine Puppe. Eine Kinderpuppe um genau zu sein. Sie sah sich um. Das Kind, dem die Stimme und diese Puppe gehören konnte, war nirgendwo zu sehen. Dafür gewahrte sie nun einen Schatten, der am Rande der Lichtung entlangschlich. Es schien sich um ein Tier zu handeln – ein Fuchs? Sie kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Nein – es war kein Fuchs, sondern ein Hund. Ein hässlicher schwarzer, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie schauderte, als er nun langsam auf sie zukam, die lose Leine hinter sich herziehend.

Da hörte sie hinter sich ein pfeifen. Es klang sehr nach „Hänschen klein“. Sie drehte sich um und vergas dabei völlig den Hund. Das Pfeifen schien aus dem Wald zu kommen, der gegenüber des Weges lag. Sie biss sich auf die Lippe, doch sie wollte nun einfach wissen, was dies alles bedeutete. Also folgte sie dem Pfeifen und der Hund wiederum folgte dem Mädchen in einigem Abstand.
Sie hielt die Puppe immer noch fest in den Händen und hatte auch nicht vor, sie loszulassen. Doch ein eisiger Schreck durchzuckte sie, als plötzlich direkt vor ihr einige Vögel panisch davon flatterten und sie lies die Puppe fallen. Als wieder Stille – vollkommene Stille – in den Wald eingekehrt war, bückte sie sich, um die Puppe wieder aufzuheben. Als sie sich wieder aufrichtete, stand eine hochgewachsene Gestalt vor ihr. Das Gesicht konnte sie nicht erkennen, denn es war unter einer albernen Fuchsmaske versteckt, die man vielleicht höchstens an einem Fasching aufsetzte. Sie Gestalt streckte die hand aus und das Mädchen Machte einen Schritt auf sie zu.

Einige Zeit später gellte ein hoher markerschütternder Schrei durch den Wald, der die Tiere aufschrecken lies und die Vögel in die Lüfte scheuchte.


Kapitel 2.

Emelie hüpfte pfeifend durch den Wald. Ihr Hund Tschanko schnüffelte einige Meter vor ihr durch das Gebüsch, auf der verzweifelten Suche nach einem Hasen, den er sowieso nciht finden würde. Emelie lächelte. So war er immer. Sie sah sich um - bald müsste sie wieder im Dorf sein, bei ihrem Bruder und ihrer Mutter. Dann würde sie sich als erstes an den warmen Kamin setzen, den nun war es doch schon recht kalt geworden im Freien. Fröstelnd zog sie ihren Mantel enger um ihre für ihr Alter mageren Schultern. Es war nicht so, das sie extrem mager war, nur, das sie das Essen einfach nicht mochte, aber auch nicht gerne aß. Vor allem in letzter Zeit widerte sie das Essen sehr an. Ihr Bruder hatte sie bereits mehrere Male aufgefordert, doch mehr zu essen doch sie wollte einfach nciht. Sie wollte sich nciht zwingen lassen. Sie liebte ihren Bruder zwar sehr, doch manches konnte er eben nicht bewirken. Bei dem Gedanken an ihren Bruder zog es sie umso mehr nach Hause. Sie und ihren bruder verband etwas stärkeres als nur Geschwisterliebe. In ihm, der drei Jahre älter war als sie sah sie auch etwas wie einen Vater, einen Beschützer, der immer über sie wachte. Meistens jedenfalls. Sie musste grinsen, als sie sich an einen Fall vor einigen Jahren erinnerte, als sie von einigen der Dorfjungen geärgert wurde und sich ihrer nicht wehren konnte. Doch er war gekommen und hatte sie beschützt.

Ein Bellen Tschankos lies sie zusammenzucken. er stand einige Schritte vor ihr und sah sie lauernd an. Sie blieb stehen und schaute ihn überrascht an. Der große Schäferhundmischling war normalerweise ein sehr gutmütiges und liebes Tier. Er hatte noch niemanden angefallen und hatte immer gehorcht. Doch nun sah er sie mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen an. Das kannte sie an ihm gar nicht. Er machte einen Schritt auf sie zu und sie ging in die Hocke, um ihm die Hand hinzustrecken. Er musterte ihre Hand und kam noch einige Schritte näher. Plötzlich machte er einen Satz nach vorn und schnappte nach ihrer Hand. Emelie zuckte erschrocken zurück, im ersten Moment zu nicht mehr fähig als einem erschrockenen Quietschen. Doch dann starrte sie ungläubig auf ihren blutigen Armstumpft und begann zu schreien. Tschanko stieß ein knurren aus und fletschte die Fänge. Emelie drehte sich um und begann, in richtung Dorf zu rennen. Hinter sich hörte sie schnelles Atmen und das Trommeln von Tschankos Pfoten auf dem harten Waldboden. Als sie den Waldrand fast erreicht hatte, der an ihr Dorf grenzte, fühlte sie noch, wie sich etwas schweres auf ihren Rücken warf und sie wurde zu Boden geschleudert. Sie schrie noch auf, dann fühlte sie brennenden Schmerz in ihrem Rücken, dann fühlte sie nichts mehr.

Zwei Stunden später fand ihr Bruder ihre Leiche, als er sie suchen wollte, da sie bereits dasein sollte. Ihr Hund saß daneben und hatte sich an sie hingeschmiegt. Traurig sah er zu ihrem bruder auf und winselte. Das Blut auf seinen Zähnen war bereits getrocknet und durch Wasser abgespült worden.

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Tag der Veröffentlichung: 04.07.2010

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