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„Du wirst jetzt hinübergehen und dich bei ihr entschuldigen“, sagt mein Mann mit Grabesstimme. Seine düstere Miene könnte mich beunruhigen, wenn ich ihn nicht besser kennen würde.

„Weshalb? Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt“, erwidere ich mit einem Achselzucken.

„Na und? Du gefährdest mein Erbe, nur weil dir das Sonntagsessen nicht geschmeckt hat. Du weißt doch, wie empfindlich Mutter auf Kritik an ihren Kochkünsten reagiert.“

Ich schweige, ziehe nur eine Augenbraue hoch, das macht ihn verlegen, lässt ihn etwas einlenken.

„Hast ja recht, der Braten war knochentrocken, die Sauce und das Gemüse haben scheußlich geschmeckt. Versalzen, überpfeffert und dann noch nachgezuckert! Aber deswegen Millionen aufs Spiel setzen? In unserer klammen Finanzsituation! Kannst du das miserable Essen, das sie uns vorsetzt, nicht noch eine Weile ertragen?“

„Wenn’s nur das wäre ...“, merke ich an. Mir geht das herrische Getue meiner Schwiegermutter schon lange auf die Nerven. Sie ist Witwe, lebt seit Jahren allein, hat niemanden mehr, der ihr einen Spiegel vorhalten oder sie in die Schranken weisen könnte. Tobias nimmt ihr Verhalten einfach hin. 

Vor zwei Jahren haben wir auf ihrem Grundstück gebaut. Kaum waren wir eingezogen, nahm die Kontrolle zu. Die ständigen Anrufe, das Heranpfeifen, das Verfügen über unsere Zeit, als wären wir ihre Leibeigenen. Dauernd müssen wir etwas für sie reparieren, erledigen oder besorgen, sie irgendwohin begleiten. Vor allem ich, weil ich nur halbtags arbeite.

Dazu kritisiert sie mich häufig, macht mich allein dafür verantwortlich, dass Tobias und ich keine Kinder haben. Inzwischen zeigt sie unverhohlen ihre Abneigung mir gegenüber.

Ja, Schwiegermutter ist eine äußerst schwierige Person ... In meinen Augen war es ein Fehler, neben ihr zu bauen. Auch, wenn sie Tobias das Grundstück als Köder geschenkt hat.

Er seufzt, fährt sich mit der Hand durchs volle, dunkle Haar, wischt sich dann übers Gesicht.

„Mensch, Jenny, du weißt, dass sie unter Herzproblemen leidet, die Schwächeanfälle häufen sich, sie hat Gewicht verloren. Du hast das Zittern bestimmt bemerkt! Lange hat sie nicht mehr. Denk dran: Sie hat mir das Testament gezeigt. Ich werde der Haupterbe des Vermögens sein.“

„Ja, das ist mir bekannt, Liebling“, entgegne ich etwas spitz. Es stört mich, dass er meistens von seinem zukünftigen Erbe spricht, mich nicht miteinbezieht, dabei sind wir schon lange ein Paar, feierten vor kurzem unseren dreizehnten Hochzeitstag.

„Und muss ich dich an die Klausel erinnern, die Mutter in das Testament eingebaut hat?“, fährt er fort. „Ich zitiere noch einmal: ‚Nur bei Wohlverhalten, wie ich es für angemessen halte, ist mein Sohn Tobias Wolters mein Haupterbe. Das gilt ebenfalls im Hinblick auf das Wohlverhalten seiner Lebensgefährtin, ob angetraut oder nicht‘.“

Ich lache auf. Es kratzt in meiner Kehle. Ob angetraut oder nicht ... Frechheit. Diese Formulierung klingt ja, als würde ihr Sohn die Frauen häufiger wechseln!

„Sind solch übergriffige Forderungen in einem Vermächtnis überhaupt rechtens? Die kann uns doch mal!“, platzt mir heraus. Mist. Ich will keinen Streit. Zum Glück bleibt mein Mann gelassen.

„Dafür wird der Anwalt, ihr langjähriger Freund, gesorgt haben. Und falls es nicht rechtens ist: Sie kann das Testament jederzeit ändern! Momentan bin ich als Haupterbe eingesetzt, nicht Noah. Wäre ja noch schöner, wenn sich das änderte, wo er nur an Feiertagen bei Mutter aufkreuzt, während wir uns permanent um sie kümmern!“

Tobias hält den jüngeren Bruder für einen Nichtsnutz, der kaum was auf die Reihe kriegt. Noah wiederum begründet seine ständig wechselnden Jobs oder Phasen der Arbeitslosigkeit mit Work-Life-Balance. Wenn er überhaupt mal bei Mutti vorbeischneit, dann meist nur, um Geld zu schnorren. Was ihm erstaunlicherweise auch jedes Mal gelingt, denn er zeigt sich gnädig im Hinblick auf ihre Kochabgründe, ist allgemein ein Meister der Diplomatie.

Dennoch hat Gertrud Wolters Prinzipien, die sich unter anderem in ihrem Testament abbilden. Dort soll Noah nur mit einer kleineren Summe bedacht werden. Der Zweitgeborene besitzt in Mutters Augen zwar eine Menge Charme, aber keinen Biss, ist nicht erfolgreich. Und vor allem lässt er sich für ihren Geschmack viel zu selten bei ihr sehen ...

Ich verziehe mein Gesicht. Was ist Gertrud doch für eine unangenehme, alte Zippe! Aber das spreche ich natürlich nicht aus. Wie gesagt, ich will keine Zankerei mit Tobias. Allerdings machen mir seine folgenden Worte das Ruhebewahren nicht leichter.

„Du gehst jetzt sofort 'rüber zu ihr. Ist doch nicht so schwer. Nimm die Blumen mit, die ich dir Freitag geschenkt habe. Setz dein lieblich-zerknirschtes Sünderlächeln auf, das du so perfekt beherrschst und sag, dass dich gestern eine schreckliche Migräne plagte und du deshalb nicht gut drauf warst. Und dass wir gerne Sonntag wieder zum Essen kommen.“

Jetzt funkele ich ihn wütend an. Was für eine Farce!

„Wegen Geld muss ich lügen und mich verbiegen, deiner übergriffigen Mutti in den Allerwertesten kriechen? Oh, nein, ohne mich!“

Ich verschränke die Arme vor der Brust und presse die Lippen zusammen. Doch ich weiß, dass ich den Kürzeren ziehen werde. Tobias atmet laut durch, eine Falte bildet sich zwischen seinen Augenbrauen.

„Du willst nicht wirklich wegen deiner Sturheit Millionen opfern! Überleg‘ doch mal, welche Möglichkeiten wir mit diesem Riesenvermögen haben.“ Er greift nach meiner Hand, drückt sie sacht.

Diese Geste, sowie das ‚wir‘ im Satz, besänftigt mich etwas.

„Du weißt, sie ist nachtragend“, fährt er eindringlich fort. „Sie wartet auf deine Entschuldigung. Und wenn du nicht in Kürze erscheinst, ruft sie womöglich ihren Anwaltsfreund an und teilt ihm neue Interpretationen des Testaments mit. Bitte, Schatz, zick nicht 'rum und geh jetzt!“

Also füge ich mich, obwohl es mich ungemein wurmt, dass ich mich gegen meinen Willen bei der alten Hexe entschuldigen soll. Dafür, dass mich der gestrige Fraß würgen ließ, ich es nicht über mich brachte, den Teller leer zu essen, und auf Gertruds Nachfrage hin nur eine ehrliche Antwort gab.

Die Wut sitzt wie ein heißer, drückender Klumpen in meiner Brust.

„Aber meinen Strauß bekommt sie nicht“, denke ich und verlasse unser Haus mit leeren Händen.

Widerwillig setze ich einen Fuß vor den anderen, stapfe durch unseren Garten hinüber zu ihrer Jugendstil-Villa. Nur am Rande nehme ich den warmen Sonnenschein, den Duft der von mir angepflanzten Blumen und den Vergiss-mein-nicht-blauen Himmel über mir wahr. Ich lege mir Worte zurecht, und hoffe, gleich die Fassung zu bewahren. Denn meine Schwiegermutter wird es mir nicht leichtmachen, das weiß ich von früheren Begegnungen, bei denen ich zu Kreuze kriechen musste. War ja gestern nicht das erste Mal, dass ich ihr recht unverblümt meine Meinung sagte.

Ich läute an der Haustür. Warte. Da ihr Wagen vor der Garage steht, nehme ich an, dass sie zu Hause ist und klingele ein weiteres Mal.

Beobachtet sie mich etwa, durch eine Gardine lugend, mit gehässigem Grinsen, will mich zappeln lassen? Oder sitzt sie bei dem warmen Wetter hinten, auf der Terrasse, wiegt das Telefon in der Hand, kurz davor, ihren Anwalt wegen der Testamentsänderung zu kontaktieren ...

Alberner Gedanke, doch er bringt mich dazu, das Haus im Laufschritt zu umrunden. Ja, Gertrud hält sich im Garten auf. Sie wendet mir den Rücken zu, rührt mit einem Kescher im Goldfischteich herum. Auf dem Terrassentisch steht eine Teekanne mit zwei Tassen. Demnach erwartet sie mich, hat garantiert wieder diesen Earl-Grey-Tee gekocht, um mich zu ärgern, weil ich ihn verabscheue.

„Mahlzeit, Gertrud!“, rufe ich.

Keine Reaktion. Ich weiß, dass sie mich gehört hat, aber sie zieht weiter den Kescher durchs trübe Wasser, hebt giftgrüne Entengrütze heraus, lässt sie in einen Gartensack plumpsen. Dann dreht sie sich endlich zu mir um.

„Da bist du ja, Jennifer.“ Wie immer spricht sie meinen Namen nahezu angewidert aus, als wäre ich eine Kakerlake oder ein Hundehaufen.

Ich nähere mich über den Rasen, bleibe mit neutraler Miene neben ihr stehen. Sie ist einen Kopf kleiner als ich, wirklich dünner geworden. Das graue Leinenkleid schlottert um den Leib, ihre Hände, die den Kescher umklammern, wirken knochig.

„Kann ich dir helfen?“, frage ich, es soll eine Art Friedensangebot sein.

„Nein, das erledige ich lieber selber. Du rupfst mir nur die Seerosen raus.“ Ihre Miene und die steife Haltung sagen deutlich: Ich warte auf eine reuevolle Entschuldigung.

Ich öffne den Mund, schließe ihn wieder. Bekomme die Worte einfach nicht heraus. Ich schlucke, wende meinen Blick von ihr ab, auf den Teich.

„Also ... wegen gestern, das, was ich sagte ...“, bringe ich hervor, stocke erneut, unterdrücke ein Räuspern und versuche, mich zu sammeln. Gertrud ist eine scharfsinnige alte Frau. Sie weiß genau, was in mir vorgeht und das bereitet ihr eine boshafte Freude. Sie sitzt am längeren Hebel und lässt es mich sogleich spüren.

„Ich will offen sprechen: Dass ich nicht sonderlich viel von dir halte, ist dir bekannt. Tobias hat etwas Besseres verdient. Das zeigte mir deine gestrige Unverschämtheit wieder deutlich. Nun, es ist einerlei, ob du dich jetzt noch halbherzig entschuldigst oder nicht ... „

Sie macht eine Kunstpause, das lässt mich ihr wieder zuwenden. Sie stützt sich auf den Stiel des Keschers wie ein General auf sein Schwert und ihre Augen bohren sich jetzt mit einer Kälte in meine, die mich innerlich frösteln lässt. Die Verachtung in ihrer Stimme ist dunkel und beißend wie Teer.

„Ich habe mir eine weitere Klausel für mein Testament überlegt. Die werde ich meinem Anwalt heute noch mitteilen.“

Wieder hält sie kurz inne, um die Spannung zu steigern. Dann lässt sie die Bombe platzen.

„Tobias wird nur mein Haupterbe sein, wenn er sich von dir scheiden lässt oder - vorerst - zumindest einen Ehevertrag unterschreibt, der dich gänzlich vom Vermögen ausschließt.“

Mir entgleisen die Gesichtszüge. Sie schenkt mir ein selbstgefälliges Lächeln, so dünn wie die Klinge eines Skalpells. Das hat gesessen! Ich habe mit den üblichen Sticheleien gerechnet, aber nicht damit.

In Sekundenschnelle ziehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf. Was sind die Wolters doch für eine auf Geld fixierte Familie! Nicht nur die dominante Patriarchin, auch ihre beiden Söhne. Der ewig schnorrende Noah. Mein Mann, der mich immer wieder darauf hinweist, dass ich Wohlverhalten zeigen muss, die zu erwartende Erbschaft aber sein Geld ist.

Wird sich Tobias wegen des Vermögens gar von mir scheiden lassen? Oder diesen Ehevertrag unterschreiben?

Dass ich das nicht kategorisch ausschließen kann, erschüttert mich. Denn es zeigt mir mit einem Mal, dass ich mir der Loyalität meines Mannes trotz all der gemeinsamen Jahre nicht sicher bin ...

Gertrud reißt mich aus meiner Starre, sie ist noch nicht fertig mit mir.

„Ich weiß etwas, dass dir das Einwilligen in die Scheidung erleichtern kann ...“ Sie hat wieder meine volle Aufmerksamkeit. Angespannt ziehe ich die Finger zusammen, bohre die Nägel in die Handflächen, versuche, ruhig zu atmen. In Erwartung des nächsten Schlages.

„Tobias hat eine andere. Ich habe ihn im Garten mit ihr telefonieren, ha, was sag' ich ... zärtlichst turteln hören, als du einkaufen warst, letzte Woche. Klang eindeutig danach, als wäre mein Junge schwer verliebt. Hoffe, die Neue hat etwas mehr Benimm und Stil als du ... und sie könnte mir endlich Enkel schenken.“ Sie lacht leise.

Mir stockt der Atem, gefolgt von einem zischenden Einsaugen der Luft durch die Zähne, es fühlt sich an wie ein jäher, körperlicher Schmerz. Dann brennt mir eine Sicherung durch.

Halt dein elendes Schandmaul!, brüllt es in mir. Zeitgleich verselbständigen sich meine Hände, fahren vor, verpassen der Alten einen heftigen Stoß. Mit einem leisen Aufschrei lässt sie den Kescher fallen, kippt vornüber in den flachen Teich. Das kalte Wasser versetzt ihr ebenfalls einen Schock, sie reißt den Kopf hoch, schnappt nach Luft, aber ihr kreidiges Gesicht sackt zurück unter Wasser. Mit Anstrengung hebt sie es wieder, um mit einem Gurgeln „Jennifer!“ zu rufen.

Sie ist nicht in der Lage aufzustehen, hat sie einen Infarkt erlitten? Zwei weitere Male gelingt es ihr, den weißhaarigen, mit Entengrütze bedeckten Kopf aus der Brühe zu hieven, sie stöhnt meinen Namen. Die Stimme wird kraftloser, ist zu leise, als dass irgendwer außerhalb dieses Gartens sie hören könnte.

Nur einen Moment lang bin ich auch erschrocken, will ich ihr reflexartig helfen. Aber die Gewissheit, dass sie mich noch mehr hassen, mich anzeigen und fertigmachen wird, wenn sie überlebt, hält mich zurück. Ich verfolge ihren Todeskampf ohne Mitleid. Andere Gefühle toben in mir. Puzzleteile setzen sich zusammen. Klick. Klick. Und dann ist mir alles klar. Gertrud besitzt viele miese Charaktereigenschaften, aber lügen gehört nicht dazu.

Tobias hat eine andere! Deshalb bringt er mir seit einiger Zeit hin und wieder Blumen mit. Aus schlechtem Gewissen? Oder will er mich einlullen? Darum war er in den letzten Monaten so häufig außer Haus gewesen. Hat er öfter gewirkt, als wäre er mit den Gedanken weit weg. Legt er mehr Wert auf sein Aussehen.

Von wegen Überstunden, geschäftliche Termine außer der Reihe und Wochenendseminare ... Die klassischen Ausreden, wenn Menschen ihre Ehepartner betrügen. Was bin ich blind und vertrauensselig gewesen! Mein Mann ist dabei, sich aus unserer Ehe abzuseilen ...

Ich erstarre. Warum hat er dann vor drei Wochen einen Versicherungsvertreter eingeladen und mich Papiere unterschreiben lassen, in denen wir uns im Todesfall gegenseitig als Begünstigte einsetzen? Die Versicherungssumme von dreihunderttausend Euro erschien mir hoch. Er hatte gesagt, dass man sich mit so etwas - wie auch mit Testamenten - frühzeitig beschäftigen müsse. Herzkrankheit läge in seiner Familie, er hätte so viel Stress bei der Arbeit. Dass er mich absichern wolle, weil er mich liebt  ...

Mir wird kalt. Und mein Herz ganz hart. Eine Eisschicht legt sich auf mein Fühlen und Denken.

Bis heute hatte ich mich geborgen gefühlt im Kokon unserer Beziehung. Hatte geglaubt, mich bis an mein Lebensende hineinkuscheln zu können. Trotz unserer kleinen Differenzen und der Fehler, die Tobias besitzt, wie auch ich sie habe, wie jeder Mensch, dachte ich, wir gehören zusammen. Ich habe ihm vertraut.

Ha! Dieser geldgierige Heuchler! Was die Verlogenheit angeht, kommt er nicht nach der Frau Mama ... deren Leiche jetzt kopfunter im Goldfischteich treibt.

Es sieht aus wie ein Unfall. Beim Keschern das Gleichgewicht verloren oder einen Schwächeanfall erlitten. Tragisch!

Das einzige, wofür ich der Alten überhaupt dankbar bin, ist, dass sie mir die Augen über meinen Mann öffnete. Wenn sie mit ihrem Ausplaudern auch andere Absichten verfolgte ... Aber das ist jetzt unwichtig.

Ich blicke mich um. Diese Ecke des Gartens ist wegen der dichten Hecken nicht einsehbar. Weder von der Straße, noch von unserem Haus aus. Das ist beruhigend.

Wird Zeit, meinem treulosen Gatten die traurige Nachricht zu überbringen. Ich eile los.

Oh, sicher gibt er sich gleich schockiert und betreten, wenn ich ihm berichte, wie ich seine Mutti vorgefunden habe, dass sie einen tödlichen Unfall erlitten hat, denke ich, während ich über unseren Rasen haste.

In Wahrheit wird er innerlich einen Freudentanz veranstalten, weil er jetzt Millionär ist.

Soll er das Gefühl noch eine Weile genießen. Denn ich habe vor, mich seiner in Kürze zu entledigen. Eine Scheidung kommt nicht in Frage. Es würde ein übler Rosenkrieg werden, er würde alle Geschütze auffahren, die besten Anwälte engagieren, um mich mit möglichst wenig abzuspeisen. Aber das erscheint mir unfair. Besser, er scheidet aus dem Leben und dann streiche ich nicht nur die Erbschaft, sondern auch die Summe der Lebensversicherung ein.

Ja, diesen Entschluss habe ich soeben gefasst. Allerdings geht es mir nicht primär um das viele Geld. Wirklich nicht. Das ist nur eine angenehme Begleiterscheinung.

Vor allem will ich frei sein. Ich selbst sein. Luft zum Atmen haben. Mich sicher fühlen ...

Schrecklich genug, dass mein Mann mich nicht mehr liebt und betrügt, mich nur noch hinhält. Aber was mich vor allem mitnimmt, ist, dass er höchstwahrscheinlich seit Wochen - oder schon, seit er sich neu verliebt hat? - Gedanken in Bezug auf mein Ableben wälzt. Doch ich werde mir nichts anmerken lassen, auf der Hut sein. Ihm zuvorkommen.

Atemlos ziehe ich unsere Haustür auf und rufe: „Tobias! Komm schnell! Es ist was Schreckliches passiert!“

Gut, die Panik habe ich glaubhaft herübergebracht.

Sein Dahinscheiden werde ich exakt planen. Bestens durchdenken. Wenn es so weit ist, darf niemand Verdacht schöpfen, dass ich dafür verantwortlich bin.

Und dann wird es endlich keine Lügen, kein Verbiegen mehr geben, weder lästige Pflichten noch Misstrauen und Furcht, sondern nur noch meine Wahrheit ...

Als ich meinen Mann die Treppe herabpoltern höre, setze ich eine bestürzte Miene auf.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.02.2022

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