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So ein Sauwetter! Nina rannte durch den Regen zur Haltestelle. Mist, der Bus hatte bereits den Blinker gesetzt, gleich würde er anfahren! Die junge Frau erhöhte die Laufgeschwindigkeit, sie war spät dran. In der Firma gab es eine wichtige Besprechung.

»Stopp!« Mit den Armen fuchtelte sie wild hin und her, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Glücklicherweise ließ der Busfahrer die vordere Tür nochmal aufschnellen.
     Außer Atem stieg sie ein. »Danke.«

Puh, alle Plätze besetzt, dichtes Gedränge im Gang. Ich muss wohl neben dem Fahrer stehenbleiben.
      »Bitte etwas zusammenrücken!«, sprach der ins Busmikrofon.

Ungern bewegten sich die Stehenden von der Stelle. Keiner hatte Lust, seinen ergatterten Platz mit Festhaltemöglichkeit aufzugeben. Jetzt konnte Nina den Gang betreten.
      »Alle noch ein Stück nach hinten rücken!«

Abermals kamen die Leute der Anweisung des Fahrers nach. Nina wurde vom Sog der Menge erfasst, vorwärts geschoben und direkt vor einem großen, jungen Mann abgesetzt. An ihn gedrückt. Sie lächelte hilflos. Er nickte verständnisvoll. Sein dicker, grauer Wollschal schmiegte sich an ihren Mantel, milderte den Druck der Enge zwischen ihnen.
      Gutaussehender Typ, hübsche Augen, dachte sie. Zeitgleich stieg ihr der Duft des Fremden in die Nase. Riecht auch gut! Sie errötete, spürte ihren beschleunigten Puls, versuchte, woanders hinzugucken. Fixierte seinen Strickschal. Der nächste Halt wurde durchgesagt, der Bus langsamer.

»Ich muss jetzt aussteigen. Kann lustig werden in dieser Sardinenbüchse!«

Die angenehme Baritonstimme ließ Nina zu ihm aufblicken, er lächelte sie an.

»Pardon«, sagte er und quetschte sich an ihr vorbei. Aber - warum zog er sie mit? Sie sah, wie sich sein Schal zwischen ihnen spannte.
      Oh nein! Das Wollteil saß fest an ihrem Mantel, scheinbar hatten sich einige Knöpfe tief im Maschenwerk verhakt. Der attraktive Fremde bemerkte es nicht, bahnte sich weiter seinen Weg, und Nina folgte ihm wie ein an die Leine gebundener Hund. Neugierige Blicke beobachteten das seltsame Gespann, das wie ein Komikerpaar hintereinander, sie etwas vornübergebeugt, den Bus verließ.  

Draußen wandte er sich zu ihr um. »Verfolgst du mich? Liegt es an meinem neuen, unwiderstehlichen Aftershave? Würde dessen Reklame bestätigen.«

Er lachte, zwinkerte ihr zu. Sie errötete wieder.
     »Nein, meine Knöpfe verfingen sich in deinem Schal, bei heftigem Ziehen wäre er kaputtgegangen.«
     »Ach, was für eine simple Erklärung. Aber danke."

Leichte Enttäuschung schwang in seiner Stimme. Doch dann lächelte er wieder.
     »Das kriegen wir schon hin!«

Beherzt griffen sie die Verstrickung an und vergaßen völlig ihre Umwelt. Die Nähe beim Entwirren störte sie beide nicht, im Gegenteil, Nina vergaß sogar für den Moment ihren wichtigen Termin ...  Endlich gelang die Trennung, der graue Schal zeigte nun drei übergroße, aus der Form geratene Maschen. Doch, nun befreit, trat keiner von ihnen einen Schritt zurück, stattdessen blieben sie dicht voreinander stehen. Verwundert über die entstandene Vertrautheit, die prickelnde Situation, ja, die Anziehungskraft des jeweils anderen sahen sie sich tief in die Augen.
      »Wie heißt du eigentlich?«, fragte er.
      »Nina. Und du?«
      »Tom ... Eigentlich muss ich jetzt weiter, aber ... ich bin nach wie vor gefesselt - von dir.« 

 Ihr wurde ganz warm. »Geht mir genauso.« Sie strahlten sich an. 

 

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Bildmaterialien: Canva
Tag der Veröffentlichung: 22.08.2021

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