Wieso findet man nie einen Parkplatz, wenn man ihn am dringendsten braucht?, fluchte ich innerlich und lenkte den Wagen durch die belebte Innenstadt.
Endlich, nach zwei weiteren erfolglosen Runden durch die Straßen wurde ich fündig. Ein Auto fuhr los und ich ergatterte die Lücke vor dem Restaurant, in dem ich eine Verabredung hatte. Ich sollte mir keine Zeit mit dem Aussteigen lassen, schließlich war ich schon etwas zu spät. Trotzdem prüfte ich rasch noch mein Make up im Innenspiegel, für das ich diesen Abend lange gebraucht hatte, bevor ich die Beine in dem knielangen, engen Rock aus dem Auto schwang. Mit einem Klick, Klick verschloss sich die Verriegelung der Türen.
Ob er schon wartete? Mich vielleicht von drinnen beobachtete? Im Vorbeigehen betrachtete ich mich in der Scheibe des Lokals. Alles okay!, redete ich mir beruhigend zu.
Ich war wahnsinnig aufgeregt und gespannt. Auf Phil. Im Netz nannte er sich Mr. Right, darüber war ich im Profil einer Internetpartnerbörse gestolpert. Er war mir ansprechend genug erschienen, ihm zu schreiben, obwohl ich Profile ohne Bild normalerweise umgehe. Schließlich gibt es von mir eins zu sehen. Dennoch formulierte ich ein paar Zeilen, an die ich mich jetzt schon nicht mehr erinnern kann. Es vergingen drei Tage, mit einer Antwort hatte ich gar nicht mehr gerechnet. »Sie haben eine Nachricht von Mr. Right in Ihrem Postfach.“ In ein paar Sätzen erklärte er mir, dass Aussehen nicht das Entscheidende wäre.
Ja, ja .... natürlich nicht!
Aus irgendeinem Grund war meine Neugier geweckt und es ergab sich ein reger Gedankenaustausch. Obwohl ich normalerweise nicht sofort meine Telefonnummer herausgebe, machte ich den Vorschlag, dass er mich anrufen könnte. Hop oder Top! Und Mr. Right alias Phil überraschte mich mit einer Stimme, welche mir die Schweißperlen auf die Innenflächen meiner Hände trieb. Um die Sache abzukürzen: Er hatte eine Hammerstimme, die mein Herz ein paar Takte schneller schlagen ließ. Und er konnte auch noch toll reden, es war unterhaltsam mit ihm. Wir plauderten über zwei Stunden und auch die weiteren Gespräche verliefen vielversprechend. Es war eine Wellenlänge, wenn ihr versteht, was ich meine. Zwar erfüllte sich die Hoffnung auf ein Bild von ihm nicht, aber irgendwann war mir das egal, ich hatte an den inneren Werten dieses Mannes keinen Zweifel mehr. Es war, als kannten wir uns schon ein paar Jahre. Ich erzählte ihm Dinge aus meinem Leben, die ich euch niemals anvertrauen würde. Warum? Woher soll ich denn das wissen! Vielleicht, weil er wirklich Mr. Right war.
Wollen wir uns nicht einmal treffen?, schlug er vor. Das Ja sprang von meinen Lippen wie ein tollwütiges Faultier.
Wir hatten den Treffpunkt, dieses italienische Restaurant in der City, vereinbart. Und da war ich nun. Unauffällig blickte ich auf meine Uhr. Wegen der verdammten Parkplatzkurverei fünfzehn Minuten zu spät, aber das war hoffentlich in Ordnung. Noch einmal tief durchatmend betrat ich das Lokal, schaute mich um und sah ihn zuerst. Er saß allein an einem Tisch. Das musste er sein. Denn außer ihm waren nur Pärchen und eine Gruppe junger Männer anwesend.
Bingo!, jubelte ich bei mir, als ich ihn betrachtete, mein Herz machte einen kleinen Salto, pochte dann rascher. Sportlich und durchtrainiert sah er aus in dem weißen Hemd, das einen attraktiven Kontrast zu seiner Sommerbräune bildete. Dazu volles, dunkelblondes Haar und ein ansprechendes, intelligentes Gesicht. Sollte mir echt das Glück widerfahren, den passenden Mann zu dieser unglaublichen Stimme gefunden zu haben? Ich setzte ein strahlendes Lächeln auf und beschleunigte meine Schritte. Halt, halt ... das musste ja wirken, als würde ich es besonders nötig haben. Doch meine Beine wollten mir nicht gehorchen. Kurz darauf erreichte ich den Tisch.
»Hi, da bin ich, sorry, etwas zu spät«, stammelte ich. Mit einem amüsierten Funkeln in den grauen Augen musterte er mich, von oben bis unten. Gefiel ihm nicht, was er sah?
»Na so was.« Was für eine Begrüßung, sie verunsicherte mich. Ein unheilvoller Verdacht kroch in mir hoch.
»Phil?«, fragte ich.
»Nein, Tim.« Abrakadabra, doch leider konnte ich nicht zaubern und unter mir würde sich die Erde nicht auftun. Ich lachte verlegen auf und mit einem »Pardon, eine Verwechslung« bekam ich die Kurve. Mindestens genau so schnell wie ich an den Tisch gelangt war, versuchte ich, wieder zu verschwinden, und wandte mich um. Gott, war das peinlich! Seine folgenden Worte hielten mich zurück.
»Setz dich doch. Oder möchtest du weiter nach Phil suchen?« Oh, das war nicht die Stimme vom Telefon, in die ich mich verknallt hatte, aber sie war ebenso angenehm. Ich drehte mich wieder um. Er machte eine kleine Geste zum Stuhl ihm gegenüber, während ich unschlüssig da stand und es sich anfühlte, als steckte ein hartgekochtes Ei in meiner Kehle.
»Blind Date?«, fragte er. Ich konnte nur nicken.
»Wenn das der richtige Ort ist und du dich verspätet hast, ist dieser Phil entweder noch unpünktlicher als du, kommt gar nicht mehr oder er flirtet inzwischen mit einer anderen hier.« Er hob vielsagend die Augenbrauen, ließ seinen Blick weiterhin amüsiert über die vier Pärchen gleiten, die an den umgebenden Tischen saßen. »Phil?«, fragte er etwas lauter in den Raum hinein, beobachtete die Männer. Doch keiner von ihnen reagierte. Er gluckste. Während sich in mir vor Scham alles zusammenzog, schien er das Ganze regelrecht zu genießen.
»Nun setz dich schon. Wir können ja gemeinsam warten.«
Ich hatte zwei Möglichkeiten: Sofort das Lokal, diese hochnotpeinliche Situation verlassen und frustriert nach Hause in meine einsame Wohnung fahren. Oder Platz nehmen und erleben, was weiter passierte. Vielleicht tauchte Phil ja noch auf, dann konnte ich rasch aufstehen und mir einen anderen Tisch suchen. Ich ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber sinken. Von dem aus ich praktischerweise den Eingang im Auge behalten konnte.
»Anscheinend weißt du nicht einmal, wie dieser Phil aussieht«, stellte Tim fest.
»Nein, er hat kein Profilbild, aber eine Super-Stimme, scheint wirklich seinem Nickname zu entsprechen, Mr. Right. Wir hatten ein paar tolle Gespräche und dann …« Ich brach ab. Wurde rot vor Scham, denn meine Wangen brannten. Warum, verdammt, erzählte ich ihm das?
»So, so, Mr. Right ... ohne Foto. Mmh.« Er schmunzelte.
Über meiner Nasenwurzel bildete sich die tiefe Furche, wie immer, wenn ich mich unwohl fühlte und ich versuchte, die gerunzelte Stirn wieder zu entspannen.
»Wartest du denn auf jemanden? Ich will nicht stören.«
»Ja, ich warte. Aber bleib‘ ruhig hier.«
»Was soll das denn heißen? Was wird deine Verabredung dazu sagen, wenn hier bereits eine andere mit dir sitzt?«
»Das ist kein Problem« , entgegnete er, nippte an seinem Bier. »Was möchtest du trinken?« Er hob die Hand, um die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen.
Ich war total irritiert. Oh Mann, das glaube ich nicht! Was mache ich hier?, ging es mir durch den Kopf.
Die Kellnerin erschien. Ich bestellte ein Glas Rosé, überlegte, sie zu fragen, ob Phil einen Tisch reserviert hatte. Verwarf den Gedanken wieder, denn wenn ja, hatte er es garantiert unter seinem Nachnamen getan, und den kannte ich nicht.
Tim hatte den Kopf leicht schief gelegt und musterte mich eingehend, als ob er meine Gedanken las, ich hielt den Atem an.
»Dieser Phil heißt mit Nachnamen garantiert nicht Anthrop oder Harmonie. Eher Lister«, versuchte er zu scherzen. »Auf jeden Fall verpasst er was. Wenn der wüsste, wie hübsch du bist ...“
Mir wurde ganz heiß, die Bedienung brachte in dem Moment meinen Wein und vor lauter Aufregung trank ich einen Riesenschluck. Bremste mich gerade noch, das ganze Glas in mich hineinzuschütten.
»Wie heißt du?«, wollte er wissen.
»Sophia«, gab ich zurück. Tim hob sein Bierglas, um mit mir anzustoßen, neigte sich mir etwas entgegen.
»Ich bin wegen meiner Schwester hier«, raunte er mir zu, nickte dabei unauffällig zu einem Pärchen, das am anderen Ende des Raumes saß. Ich schaute verstohlen hin. Die Frau, die einem nervös wirkenden Typen lauschte, der sie offensichtlich zutextete, war eine echte Schönheit. »Die hat auch gerade ein Blind-Date. Hat ihn im Netz kennengelernt, obwohl sie schon schlechte Erfahrungen gemacht hat. Die sollte die Kerle erst einmal checken, du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Idioten es gibt. Darum hat sie diesmal mich eingespannt, als Bodyguard, und weil sie meine Meinung hören möchte ...«
Idioten... wie ich!, hallte es in meinem Hirn wider. Ich hatte glatt das Atmen vergessen, stieß die verbrauchte Luft endlich aus. Aber auch vor Erleichterung. Denn hier würde höchstwahrscheinlich gleich keine weitere Frau auftauchen, die mich in die nächste peinliche Lage brachte und vertrieb.
»Ah, so ist das«, sagte ich dann, betrachtete den attraktiven Mann nun mit anderen Augen. Er trug keinen Ehering. Ob er eine Freundin hatte?
Was folgte, war ein angeregtes Gespräch, in dem ich unter anderem erfuhr, dass er Single war wie ich. Ich entspannte mich zunehmend, genoss die Zeit. Als seine Schwester irgendwann zu uns trat, weil ihr eher enttäuschendes Date beendet war, sah ich Tim und ihr zu, wie sie sich nach einem kurzen Wortwechsel innig voneinander verabschiedeten. Sie ging, wir aber blieben sitzen, lachten oft und hatten richtig viel Spaß miteinander. Beschwipst und beschwingt fuhr ich erst spät in der Nacht in einem Taxi nach Hause.
Am nächsten Tag bemerkte ich das Blinken des Anrufbeantworters. Ich drückte den Knopf, vernahm Tims angenehme Stimme. Sofort schoss ein euphorisches Gefühl durch meinen Körper.
»Hi, Sophia. War ein echt schöner Abend. Ich muss die ganze Zeit an dich denken ... Hast du Lust, dass wir uns heute treffen? Dann ruf zurück.“ Wieder und wieder hörte ich die Nachricht ab, mit einem vor Glück flauem Gefühl im Magen. Ich hatte mich verliebt.
Das alles passierte vor zwei Jahren, mein Profil im Internet hatte ich damals noch am gleichen Tag nach dem so ganz anders gearteten Date gelöscht, ein halbes Jahr später sind wir zusammengezogen. Ein glückliches Paar geworden. Und den Italiener, wo Tim und ich uns das erste Mal trafen, haben wir zu unserem Lieblingsrestaurant erkoren. Ja, das Schicksal geht manchmal seltsame Wege, aber das Leben schreibt die besten Geschichten. Inzwischen haben wir uns einen Hund zugelegt, wir haben ihn Phil genannt ...
Texte: Ursula Kollasch
Bildmaterialien: Canva
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2021
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