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Das Dorf in Thüringen, in dem ich lebe, heißt Lederhose. Es wird seinem Namen allerdings kaum gerecht. Keiner trägt hier eine Lederhose,  es ist absolut nix los, sozusagen tote Hose. Man sollte das Kaff umbenennen.

270 Einwohner, ihre Zahl sinkt mit jedem Jahr. Eine Schule, eine Kirche, ein Laden. Nicht mal mehr einen Bahnhof gibt es, der wurde 1967 bereits stillgelegt. Geschweigedenn eine Diskothek. In der muffigen Dorfkneipe "Zur Jubbe", was im Thüringischen "Zur Jacke" bedeutet, sitzen ab nachmittags immer die gleichen alten Säufer auf ihren stinkenden Hosenböden am Tresen und schnäuzen sich in ihre karierten Hemden, bis sie der Alk aus den Anzügen haut und vom Hocker rutschen lässt.

Mein Name ist Chino Hose, ich bin der Sohn von Dorfschullehrer Cord Hose und Marlene Hose. Mit erlebnishungrigen siebzehn Jahren kann ich eigentlich nur belämmert aus der Wäsche gucken, dass ich in diesem unhippen Ort versauern muss. Umgeben von Dorftrampeln und grenzdebilen Idioten mit beknackten Namen, die ihren Kindern noch bescheuertere Namen gegeben haben, fiebere ich dem Tag entgegen, an dem ich das Abitur in der Tasche habe und endlich von hier fortziehen, den Catwalk des Lebens beschreiten kann.

Das Einzige, was mir die Zeit bis dahin noch aufhübschen könnte, ist ein Mädchen in meiner Klasse. Sie heißt Rosa Schlüpfer und bringt den Bereich unterhalb meiner Gürtellinie heftig zum Vibrieren. Ja, diesem scharfen, anziehenden Geschöpf würde ich zu gerne mal an die Wäsche gehen. Das It-Girl sieht nicht nur heiß aus in ihren stylischen Klamotten, sondern besitzt neben ihrem Glamour auch eine scharfe Zunge und Grips in der Birne. Was man auch daran sieht, dass sie die Einser in der Schule nur so aus dem Ärmel schüttelt. Ich habe es mir in den Kopf gesetzt, sie nicht mehr nur aus der Ferne zu bewundern, sondern endlich - um noch mal auf die Ärmel zu kommen - meine hochzukrempeln und sie anzusprechen. Rosa gehört zur angesagten Clique, wahren Style-Queens, aber neben ihr verblassen ihre Freundinnen Nicki Tuch, Patty Kot und Kim Ono, dabei bilden sich die drei so viel auf sich ein. Nein, Rosa allein haut mich aus den Pantoffeln. Meine Freunde Nick L. Brille und Lee Besstöter haben mir geraten, die Finger von ihr zu lassen. Ich würde sie mir nur verbrennen. Tja, Ratschläge sind wie abgetragene Kleider: Man benützt sie ungern, auch wenn sie passen. Ich hab's mir nun mal in den Kopf gesetzt, Rosa zu umgarnen, zu erobern. Wenn ich sie aufreißen könnte, wir wirklich zusammen kämen, müsste ich wohl den Gürtel enger schnallen, mein Leben würde kostspielig, denn sie ist ein Mädchen mit Ansprüchen. Ja, ich würde mein letztes Hemd für sie geben, dabei hab' ich nix auf der Naht. Ich müsste sie wohl auch mit Samthandschuhen anfassen, denn sie scheint so schwierig-empfindlich zu sein wie ein Kaschmirpulli vor dem Waschgang. Aber wie soll ich sie für mich gewinnen? Ich bin kein versierter Schürzenjäger. Hab keine Taschen voll Gold. Kann keine Blumen aus dem Zylinder zaubern. Doch ich bin ein Typ mit Herz und einer sauberen Weste. Wenn es schief läuft, werde ich es auf meine Kappe nehmen. Wenn es hingegen klappt, wird Rosa in unserer Beziehung die Hosen anhaben.

Heute soll es so weit sein. Ich weiß, wo sie nachmittags mit ihren Freundinnen abhängt. Ich bin kein Fashionista, doch ich ziehe mein bestes T-Shirt an und die neue Jeans, denn Kleider machen Leute, sagte schon meine Oma. Oder wie es Modezar Karl Lagerfeld formulierte: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Ich mache mich auf die Socken, nicht mit dem Rad, sondern auf Schusters Rappen, ist ja ein Dorf, der Platz liegt gleich am Ende meiner Straße.

Da ist sie. Sitzt in ihren knappen Hotpants und einem engen Oberteil auf dem Rand des Brunnens. Nur ihre beste Freundin Patty ist bei ihr. Aber die hab' ich nicht auf dem Schirm, habe nur Augen für Rosa, das anbetungswürdige Stück. Als ich auf sie zuschlendere, rutscht mir fast das Herz in die Hose. Riskiere ich gerade Kopf und Kragen? Mache ich mich zum Lackaffen? Wird sie mich abbügeln und der Lächerlichkeit preisgeben? Ach, wenn schon ... das hier ist die passende Gelegenheit, sie anzusprechen. Sie fummelt gerade an einem ihrer mörderisch hohen Pumps herum, als ich vor sie trete.

„Wo drückt denn der Schuh?“, frage ich lässig. Patty zieht die Augenbrauen hoch, beide starren mich an, als hätte ich gerade laut in die Unterhose gefurzt.

„Ha, ha“, sagt Rosa alles andere als lustig. „Diese Anmach-Nummer ist doch ein alter Hut. Apropos Hut: Hör auf, mich anzubaggern, sonst platzt mir die Hutschnur."

Sie streckt die Brust raus und ich bemerke, dass sie keine Mammschaukel trägt. So nennt man hier den BH.

„Warum keifst du denn so, dass es einem die Schuhe auszieht? Ich will dir doch nur sagen, dass du genau meine Kragenweite bist!“

„Aber du bist nicht mein Typ. Angepasst, siehst alles durch die rosarote Brille. Ich steh' nicht auf Pantoffelhelden, mehr auf die rauen, die undurchsichtigen Typen.“

„So, so, also solche Typen wie deine Exfreunde Clyde Sam und Al Cantara, die Mädchen ständig belügen, hinter jedem Rock her sind!“

„Ja, warum nicht? Geh mir weg mit Stiefelleckern, die vor Bewunderung über die eigenen Schnürsenkel stolpern. Und ansonsten an Muttis Rockzipfel hängen!“, erwidert Rosa schnippisch.

„Nur die Harten dürfen einem ans Höschen. Die bringen einen auf Touren, da bin ich voll von den Socken“, mischt sich Patty ein.

„Hängst du dein Mäntelchen in den Wind? So eine bist du also! Aber mit dir sprech' ich gar nicht, also halt dich da raus." Doch sie muss noch ein Statement setzen.

„Und wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt' s an der Badehose?", ätzt sie zurück. „Dass meine Freundin nicht auf dich steht, willst du mir jetzt in die Schuhe schieben?“ Sie ist wirklich sauer.

„Ist doch Jacke wie Hose, an wem's liegt. Hauptsache, ich kann's noch ändern", gebe ich zurück.

„Hüte dich vor dem! Der gehört in eine Zwangsjacke!", zischt sie Rosa zu und stöckelt auf ihren Stilettos davon. Ihr Hintern unter dem Fähnchen wackelt beleidigt hin und her. Die gönnt mir nicht mal das kleine Schwarze unter den Fingernägeln, denke ich. Ist mir schleierhaft, warum die so abgeht, aber schicke Fügung, denn nun habe ich mein Juwel ganz für mich. Die sieht mich seltsam an, ihre Augen glitzern wie Strass, ihr Mund flirtet mit einem Lächeln. „Du Lump, Patty hat nur wegen dir 'ne Fliege gemacht." Sie hört sich eher gut aufgelegt an, wie ihr Lidschatten.

„Und - jetzt hast du Manschetten, ganz allein mit mir?“

„Pfff! Willst du die Jacke vollkriegen? Dann spinn' weiter 'rum."

„Wirfst du mir etwa den Fehde-Handschuh hin? Ich kann dich mir ja mal vorknöpfen, dann siehst du, was ich für einer bin, ich bin kein Hosenmatz, bin längst den Kinderschuhen entwachsen!“

„Ja, ja, Laber-Rhabarber, der Schuster hat die schlechtesten Schuhe. Und der Lehrer den dümmsten Sohn, nicht?“

„Autsch!", sage ich. „Meine Sprüche scheinen ein rotes Tuch für dich zu sein. Du haust mir nur welche vor den Latz." Uh, das läuft überhaupt nicht so, wie ich möchte.

„Wir sollten dieses Gespräch lieber mit dem Mantel des Vergessens bedecken. Ist besser für dich.“ Sie gähnt gelangweilt, wühlt in ihrer Handtasche. Ruhig bleiben, mahne ich mich, doch mir platzt fast der Kragen.

„Rosa, nun sei nicht so. Du bist der Stoff, aus dem meine Träume sind!", starte ich einen letzten Versuch.

„Tja, wer mich haben will, sollte sich warm anziehen. Und muss sich ganz schön die Hacken ablaufen. Ich bin wählerisch! Würde mich auch später nicht vom Erstbesten in ein Brautkleid stecken lassen."

Puh! Jetzt werde ich wirklich gereizt, wie Haut unter kratziger Wolle. Bald reißt mir der Geduldsfaden. Ich sollte ihr mal die knappe Hose strammziehen!

„Ich sag dir was: So zickig wie du bist, kommst du nie unter die Haube!“ Ihre Augen weiten sich überrascht. Damit hat sie nicht gerechnet.

„Oh, bin ich dir zu heftig auf den Schlips getreten? Scheint so. Aber nicht, dass du dir aus lauter Frust heute noch einen hinter die Binde kippst!“

„Auch, wenn du mir mit deinem Diven-Getue auf den Senkel gehst: Wir könnten zusammen was trinken, bis wir einen Zacken in der Krone haben! Die Kappe macht den Mönch nicht aus, sagte schon Shakespeare“, will ich als Lehrersohn auftrumpfen, auch wenn der Spruch gerade nicht viel Sinn macht. Natürlich geht's in die Hose.

„Gott behüte, was für ein albernes Zitat! Chino, du hast doch 'nen Sockenschuss!“

„Und du einen an der Mütze!“

„Du hättest mal eine Tracht Prügel verdient. Deine Sprüche sind billiger als die Klamotten von KiK!"

„Das sind zwei Paar Stiefel! Gott, ziehst du hier vom Leder!"

„Ich werde meine geistigen Perlen nicht weiter vor die Sau werfen ... Außer, du kommst jetzt in die Puschen ..." Sie lässt die harte Maske fallen, legt den Kopf schief, schließt halb die Lider und blinzelt mir kokett zu, weiß genau, dass sie mich am Schlaffitchen packt.

Schluss jetzt mit dem Geplänkel. Genug geredet, denke ich. Taten statt Worte! Mit Entschlossenheit im Blick trete ich auf sie zu, ziehe sie einfach an mich und presse meine Lippen auf ihre. Wir verschmelzen in einem leidenschaftlichen Kuss. Und - wer sagt es - sie legt ihre Arme um meinen Nacken und flüstert: „Uh, ich sollte mich warm anziehen ...  du küsst spitze ..."

Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und raune: „Ich liebe deinen Stil. Und deine Wangen, so weich wie Samt und Seide ... ist deine Haut das überall?"

Sie lächelt und antwortet: „Das Schönste, worin eine Frau sich hüllen kann, sind die Arme des Mannes, den sie liebt."

Wie es ausging, könnt ihr euch denken ...

 

 

Impressum

Bildmaterialien: canva / bearbeitet
Tag der Veröffentlichung: 23.06.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zum Wörterspiel "Kleidung" Juni 2020

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