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Des Wolfes Zähne sind immer in Schafswolle versteckt. (altes Sprichwort)

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 Unruhe hat ihn unterworfen, es ist zu viel Energie in ihm. Sein Herzschlag hämmert bis in seine Ohren hinein, schneller und schneller.

Mit weitausholenden Schritten geht er hin und her. Fünf Schritte in die eine Richtung, fünf zurück. Immer wieder exakt den gleichen Weg von Wand zu Wand, wie ein gefangenes Raubtier.

Hierhin hat er sich zurückgezogen, in die feuchtkalten Gewölbe der Katakomben. In die einsame Dunkelheit, nur erhellt vom Licht weniger Kerzen, deren Wachs auf verblichene Totenschädel und Gebeine tropft, die einst hier zur ewigen Ruhe bestattet wurden. Einer Ruhe, die er nie erlangen würde - oder wollte.

Niemand darf ihn sehen oder belauschen, darum verbirgt er sich an diesem Ort. Doch nicht, weil er ein Psychopath oder Verbrecher ist, nein, ein Mörder ist er, ja. Aber diese Bezeichnung wird ihm nicht gerecht. Er ist etwas viel Edleres, seine Art ist älter, als die Menschheit selbst, die ihn nicht versteht, fürchtet,  jagen würde, wenn sie sein wirkliches Ich entdeckte.

Es ist so weit. Er wirft seinen Kopf in den Nacken. Lässt ihn dann nach vorne sinken, bis das Kinn auf seiner Brust liegt, die sich schwer atmend hebt und senkt. Seine Finger krallen sich in sein wildes, braunes Haar, als wolle er es sich in Büscheln vom Kopf reißen.

Schweiß quillt aus seinen Poren, der Stoff scheuert und kratzt unerträglich auf der Haut, gehört nicht zu ihm, muss fort!

Er lässt seine Haare los, reißt sich den Kragen des Hemdes auf, die gesamte Kleidung vom Leibe, bis sie in Fetzen im Raum verstreut liegt. Nun ist er nackt, sein Gesicht stumm verzerrt, Ausdruck reinster Qual.

Heiß lodert es in seinem Inneren, die Adern sind Kanäle gefüllt mit Lava, während kalt der Schweiß auf seiner Haut glänzt. Marter!

Seine Wahrnehmungen verblassen, bis sie nicht mehr existieren. Er nichts mehr sieht, nichts mehr hört, nichts mehr riecht. Da ist nur noch der rotglühende Schmerz, der ihn jetzt in die Knie zwingt. Die Berührung des steinernen Bodens, seiner rauen Oberfläche, ist dessen stachelige Spitze. Einzig seine Hände und Füße stemmen sich vom Boden ab, sein Körper wölbt sich nach oben.

Er kann nicht schreien, die Pein raubt ihm die Stimme. Zu vernehmen ist nur ein Keuchen, gefolgt von einem pfeifenden Zischen, ausgestoßen aus einer Lunge, die sich mit Luft füllt und dabei ihre Form ändert. Knochen knirschen, brechen, ordnen sich neu an. Organe verändern ihre Lage und Größe. Die Oberschenkel verkürzen sich, Hände und Füße hingegen verlängern sich.

Fingerglieder schrumpfen, Nägel wachsen sich zu Klauen aus. Haare sprießen wie in Zeitraffer, bohren sich wie feurige Nadelstiche durch die Haut. Das Knacken der brechenden Knochen hallt in der Stille des Gewölbes, allein jemand, der es selbst erlebte, hätte die leiseste Ahnung, wie sehr es schmerzen muss. Das Gesicht wird länger, die Kiefer verformen sich, Zähne fallen aus. Neue wachsen, durchstoßen das Zahnfleisch, Reißzähne, lang, scharf und spitz. Tödlich.

Die Nase so empfindlich, dass Gerüche zu sehen sind. Die Ohren so scharf, dass Töne zu sehen sind.

Der Körper erbebt ein letztes Mal, der Mensch denkt ein letztes Mal, dann ist es vollendet. Er ist kein Mensch mehr, seine Menschlichkeit eingesperrt und verborgen im hintersten Winkel des Seins. Instinkt treibt ihn voran, er fühlt sich leicht, schnell und unglaublich stark. Unter prächtigem Fell sieht man das geschmeidige Spiel starker Muskeln.

Hunger. Gier. Sehnsucht.

Er legt die Ohren an. Sein uralter Ruf hallt hinaus aus den Winkeln der Katakomben, die Straßen hinab, und Wissende zucken ängstlich zusammen …

 

Ich drücke auf die Pausetaste, an meiner Lieblingsstelle: Der zähnefletschende Wolfsmensch wendet sich gerade um, zu mir, dem Zuschauer, Wildheit im Blick, fast etwas wie Irrsinn. Ehe er das finstere Gewölbe verlässt und über die Mauer setzt, um mit raschen Sprüngen aus dem Blickfeld zu verschwinden, ein Opfer zu reißen, habe ich ihn eingefroren.

Diese leuchtenden, gelben Augen. Die hochgezogenen Lefzen, die Zähne entblößen, denen gerade ein tiefes Grollen entweicht.

Ich liebe diese Szene der menschlichen Phantasie. Ich weiß nicht, wie oft ich mir diesen Film schon angeschaut habe. Ein kurzer Knopfdruck, und er läuft weiter.

Während der Werwolf auf die Jagd geht, schweifen meine Gedanken ab. Streifen all die Bücher und Filme über Werwölfe, die ich gelesen und gesehen habe. Es ist faszinierend, wie sehr sich die Menschheit mit den finsteren Abgründen ihrer Selbst befasst und das zum Teil auf heroische Weise.

Ja, der Mensch ist fasziniert von den Wölfen, es zieht ihn zu ihnen. Jenen herrlichen Tieren, um die sich Sagen ranken. Leider meist Legenden, in denen das edle Tier eine eher unrühmliche Figur macht.

Es heißt, der Wolf war vor den Menschen und er wird noch nach ihnen sein. Vielleicht ist das der Grund für all die schaurigen Geschichten. Gefürchtet und verehrt zugleich, jagt der Mensch ihn und will doch eins sein mit ihm. Manchmal möchte er sogar in die Haut des Wolfes schlüpfen.

Ah, da denke ich an diesen Werwolf-Film, in dem sich ein Mann mehr innerlich als äußerlich in den Wolf verwandelt. Eine wirklich gelungene Interpretation des Themas, hervorragend dargestellt.

Das Geschehen auf dem Bildschirm holt mich aus meinen Gedanken zurück. Der inzwischen Zurückverwandelte unterhält sich mit seinen toten Opfern. Sie flehen ihn an, er solle sich selber töten, damit auch sie ihre Ruhe finden. Schwachsinn, niemals flehen Tote ihre Mörder an, sie bleiben tot. Stumm.

Nun wird er erschossen. Eine ganze Meute hat ihn gejagt. Zurück bleibt der verletzliche, schwache, menschliche Körper. Leblos, durchsiebt von entsetzlich normalen Geschossen. Bullshit.

Der Plot ist lahm, aber der Schauspieler ist grandios. Kein Wunder, er ist einer von uns.

Irgendwie gefielen mir die älteren, mystischeren Geschichten um den Werwolf besser als der neumodische Kram von heute.

 

Ich schalte den Fernseher aus, stehe auf. Es ist Nacht und als ich den Vorhang zur Seite schiebe, ergießt sich silberweiß das Licht des Vollmondes ins Zimmer. Ich halte eine Hand ins Mondlicht. Es ist warm und irgendwie kühl zugleich. Ich erschauere.

Es prickelt und in meinem Bauch breitet sich eine Erregung aus, wie sie frisch Verliebte kennen. Ein wohliges Flattern, nervöse Vorfreude auf das, was jetzt folgen wird.

Ich ziehe mich aus, bleibe aber im Schatten, gestatte nur einer Hand oder einem Fuß das Bad in Lunas Strahlen. Zu schön ist das Gefühl. Ich zögere es genießerisch hinaus.

Immer mehr Haut lasse ich bescheinen, bis sich mein ganzer Leib auf dem kühlen Parkett meines Wohnzimmers räkelt. Ich bin unsterblich. Ich bin mächtig. Verlockend küsst das Licht des Mondes meine Haut.

Mein Geist ändert sich. Damit fängt es immer an, dass sich die Gedanken verändern. Ich spüre das Blut der Familie, wild rauscht es durch meine pochenden Adern, älter als das Blut der Menschen. Ich rieche jetzt auch das Licht des Mondes, höre seine süße Melodie. Er ruft mich und meinesgleichen. Mein Körper sehnt sich, reckt sich ihm entgegen, dreht und windet sich.

Ein letztes menschliches Stöhnen entweicht meiner Kehle, ehe es sich in ein Knurren verwandelt, mein Denken schwindet, weniger fassbar wird und doch so klar.

Und während sich meine Muskeln straffen, Zähne und Krallen sich verlängern, sich meine Augen in die effizienteren eines Raubtiers verwandeln, genieße ich diesen Augenblick. Bin von animalischer Gier erfüllt, als ich mit einem weiten Sprung aus dem offenen Fenster in die mich empfangende Nacht entweiche, meine Pfoten im schnellen Lauf den Boden kaum berühren, meine Sinne explodieren, die Lust nach dem Fleisch, dem Blut des Opfers nahezu unerträglich wird, und ich denke: Das Volk hat keine Ahnung! Die Filme und Bücher haben unrecht. Es tut nicht weh …

Ich bin derjenige, der die Menschen in Angst versetzt, sie reißt wie Vieh. Der ihnen den Tod bringt. Und zuvor den Schmerz.

Jetzt - und immer wieder, wenn der Vollmond ruft.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.07.2014

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