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Valentinstag. Paare, die heute Abend ohne Reservierung im „Caesar“ einen Tisch ergattern wollten, hatten sich vergebens durch das draußen herrschende Schneegestöber gekämpft. Ausgebucht.   

Nicht verwunderlich. Das Restaurant, in dem ich neben dem Studium als Kellnerin jobbte, bot nicht nur ein ansprechendes Ambiente, sondern auch eine fantastische Sterne-Küche und - wie heute - in regelmäßigen Abständen romantische Candle-Light-Dinner. 

Der Speisesaal erstrahlte im goldenen Licht der Kerzen, die meine Kolleginnen und ich auf den Tischen angezündet hatten. Die Beleuchtung war gedimmt, Feuer brannten in den beiden Kaminen und verströmten Behaglichkeit. Stimmengewirr, leises Lachen und Gläserklirren ertönten von allen Seiten.   

Während ich eine Bestellung in den Computer eintippte, sah ich aus dem Augenwinkel einen Mann auf mich zutreten. Höflich wartete er ab, bis ich mit der Eingabe fertig war. 

Als ich mich ihm endlich zuwandte und unsere Blicke sich trafen, hielt ich unbewusst den Atem an, bevor sich mein Herzschlag beschleunigte.  

Etwa Anfang dreißig überragte er mich um fast zwei Köpfe, so dass ich zu ihm aufblicken musste, und schenkte mir ein hinreißendes Lächeln.

Auch seine Augen strahlten, in der einen Hand hielt er einen Strauß tiefroter Rosen. Ein paar Schneeflocken schmolzen in seinem dichten, braunen Haar. 

Auf klassische Weise gutaussehend war er nicht, doch hatte ich nie einen anziehenderen Mann getroffen - oder gerochen. Sein Duft stieg mir derart angenehm in die Nase, dass ich beinahe die Augen geschlossen und geschnuppert hätte.

Peinlich berührt stellte ich fest, dass er gerade zu mir gesprochen hatte, seine Worte aber nicht in meinem Hirn angekommen waren.  

„Verzeihung?“, fragte ich blinzelnd und fühlte, dass ich errötete. Reiß dich zusammen, Caro! 

Er lächelte mich weiter an und wiederholte: „Nick Enders. Ich habe eine Reservierung für ein Candle-Light-Dinner, 19 Uhr.“  

Meinen Blick von seinem Gesicht lösend blätterte ich in dem Reservierungsbuch und versuchte, meine Scham mit Geschäftigkeit zu überspielen. 

„Ja, hier. Folgen Sie mir bitte, für Sie ist die Fensternische reserviert.“  

Ich ging ihm zum begehrtesten Platz des Restaurants voraus, nahm erneut seine Präsenz wahr, denn er folgte mir dicht auf dem Fuß. Es kribbelte in meinem Nacken, mein Herz klopfte nach wie vor schneller.  

„Reichen Sie mir Ihren Mantel? Ich hänge ihn für Sie auf“, sagte ich, um einen professionellen Ton bemüht. 

Er schälte sich aus dem exklusiven Stück und enthüllte den Körper eines Athleten, der mir erneut ein innerliches "Wow!" entlockte, nahm auch den Schal ab und übergab mir beides. 

„Darf ich Ihnen schon den eisgekühlten Champagner an den Tisch bringen?“  

Während er sich an den festlich eingedeckten Tisch setzte, antwortete er: „Ja. Und eine Vase für die Blumen, bitte.“  

Ich eilte davon, zur Garderobe, seinen Duft einatmend, der von den Kleidungsstücken ausging. Am Tresen füllte ich den Sektkühler mit Eis, entkorkte die Flasche, drapierte die Stoffserviette um den Dom Pérignon und warf einen Blick auf die Spiegelwand der Bar, prüfte mein Äußeres. Eigentlich ganz passabel, nur zwei Strähnen hatten sich aus meiner Hochsteckfrisur gelöst, mein Lippenstift war verblasst. Hastig richtete ich mein Haar, und zog mit raschen Strichen die Lippen nach.  

Was tu ich hier eigentlich?, ging es mir durch den Kopf, bevor ich mit dem Champagner zur Fensternische zurückkehrte. Er war mindestens fünf, wenn nicht sieben Jahre älter als ich und hatte ein Candle-Light-Dinner geordert, einen Rosenstrauß dabei. Allerdings nicht für mich! Ich war die Kellnerin, der dienstbare Geist, der höflich im Hintergrund zu bleiben hatte. Auch sein strahlender Blick galt nicht mir, war allein die Vorfreude auf eine andere.  

Das versetzte mir einen Stich, obwohl ich ihn nicht kannte. Wohl auch nie kennenlernen würde.     

Konzentrier´ dich auf deinen Job, fuhr ich mich in Gedanken an. 

Ein Lächeln in mein Gesicht zurückzaubernd erreichte ich seinen Tisch und stellte den Champagner ab. 

„Kann ich Ihnen außer der Vase noch etwas bringen?" 

„Nein, danke, ich warte noch", gab er zurück.  

Natürlich. Seine Herzallerliebste hatte bisher eine Viertelstunde Verspätung. Allerdings wäre ich für diesen Mann auch länger im Bad geblieben, um das Beste aus mir herauszuholen. 

Ich eilte wieder fort, um am Tresen einen regelrechten Kübel mit Wasser zu füllen. Dabei ließ ich meinen Blick über die Gäste schweifen.

Neben der Fensternische umfasste mein Servicebereich sechs weitere Tische, doch im Moment forderte niemand meine Aufmerksamkeit.  

Mit der gefüllten Vase kehrte ich zu dem Mann zurück. Er hatte etwas in der Hand, blickte versonnen darauf. Nähertretend sah ich, dass es ein schwarzes Schmuckkästchen war, darin steckte ein goldener Ring mit einem Brillanten, der im Kerzenlicht funkelte.

Was für ein Schmuckstück! Er hatte meine Bewunderung bemerkt, denn er lächelte mich an und sagte: „Für eine besondere Frau." 

Ich musste schlucken, soviel Zärtlichkeit und Stolz hatten aus seiner Stimme geklungen, und während ich die Rosen in die Vase steckte, ließ er das Kästchen zuschnappen und wieder verschwinden.

Dann legte er einen Arm über die Lehne der Sitzbank und blickte aus dem Fenster, als suche er seine Verabredung draußen im Schnee. 

Er wollte die Frau also um ihre Hand bitten, und die - ich sah unauffällig auf meine Armbanduhr - war nun bereits eine halbe Stunde zu spät. 

Die Glocke der Küche klingelte und die nächsten fünfzehn Minuten war ich damit beschäftigt, Vorspeisen an die Tische zu bringen, Getränkewünsche aufzunehmen. Während ich diese in den Computer eingab, richteten sich meine Augen immer wieder auf diesen faszinierenden Mann. Seltsam ... Seine Verabredung war noch immer nicht erschienen. Jetzt hatte er ein Handy am Ohr. Sprach aber nicht hinein. 

Das neuerliche Klingeln aus der Küche riss mich aus meiner Betrachtung. Die nächsten Gerichte mussten serviert werden. Einige Paare überhäuften mich beim Abräumen der Vorspeisenteller bereits mit Komplimenten für die exzellente Küche. Ich antwortete mechanisch, beobachtete immer wieder verstohlen den Mann in der Nische.

Ein zweites Mal lauschte er in sein Handy, schien niemanden zu erreichen, er fuhr sich durchs Haar, sein Gesicht trug nun einen besorgten Ausdruck. Einen Moment grübelte er vor sich hin, klopfte dabei rhythmisch mit den Fingerspitzen auf den Tisch. Mit einem Mal sprang er auf und trat auf mich zu. 

„Hören Sie, ich muss nach meiner Freundin sehen. Sie geht nicht ans Telefon, wohnt hier gleich um die Ecke. Können Sie den Tisch freihalten – sagen wir, eine Viertelstunde?" 

Ich überlegte. Was, wenn er nicht zurückkam, ich aber einem anderen wartenden Paar den Tisch vorenthielt? Und schlimmer noch: Wenn er die Rechnung für den Champagner prellte? Mein Chef würde mir gehörig den Kopf waschen ...

Doch nach Begleichung der Summe mochte ich ihn, der so in Sorge und in Eile war, jetzt nicht fragen. Ich gab mir einen Ruck und vertraute meiner Menschenkenntnis.  

„Ich halte Ihnen den Tisch frei."  

Er wirkte abwesend, als sei er in Gedanken bereits draußen, bevor er sich umwandte, seinen Mantel ergriff und mit langen Schritten das Restaurant verließ. Ich sah ihn durch die Schneeflocken in der Dunkelheit verschwinden.

Die Gäste hielten mich auf Trab, so dass ich mir erst eine halbe Stunde später ein Mineralwasser einschenken konnte.

Mit einem unguten Gefühl bemerkte ich, dass er immer noch nicht zurückgekehrt war. Unerwünschte Gedanken schlängelten sich durch meinen Kopf. 

Du bleibst auf der unbezahlten Champagner-Rechnung sitzen. Der Chef wird einen Riesenärger machen

In diesem Moment öffnete sich die Tür des Restaurants und er, um den mein Denken kreiste, trat ein, kam direkt auf mich zu. Sein Anblick versetzte meinen Körper augenblicklich wieder in einen Ausnahmezustand. Doch was für eine Veränderung war mit ihm vorgegangen! Alles Strahlen war aus seinem Gesicht und seiner Haltung gewichen.

Was ist passiert?, durchfuhr es mich beim Anblick seiner kreidigen Züge und unglücklichen Augen. Letztere brannten wie ferne Sterne.

„Ich möchte das Dinner stornieren und den Champagner bezahlen, meinetwegen auch das Essen", presste er tonlos hervor und reichte mir eine Kreditkarte, die er aus seiner Geldbörse zog.

„Ich ziehe nur den Champagner ab." 

So viele Worte lagen mir auf der Zunge, die ich jedoch hinunterschluckte. Es gab nichts, was ich jetzt sagen konnte. Etwas Schlimmes musste geschehen sein, doch er wollte weder meinen Trost, noch meine Anteilnahme. Während ich die Abbuchung startete, ging er zum Nischentisch und kehrte mit dem Rosenstrauß zurück.

Sein Mund versuchte ein Lächeln, das jedoch misslang und ihn noch trauriger wirken ließ.

„Die sind für Sie, für den guten Service." 

Verblüfft nahm ich die Blumen entgegen und stammelte einen Dank, als sein Handy schrillte. Sofort hob er es ans Ohr und entfernte sich ein paar Schritte von mir.

„Ich glaube nicht, dass es noch irgendetwas zwischen uns zu bereden gibt ...", zischte er ins Telefon, während er sich auf den Ausgang zubewegte und die Tür aufriss. Eine kalte Bö wehte von draußen herein, bevor sie sich hinter ihm schloss. Dann war er fort.

Auf dem Tresen entdeckte ich kurz darauf sein Portemonnaie. Ich steckte die Kreditkarte und die ausgedruckte Quittung hinein und legte es neben die Kasse. Er würde den Verlust sicher bald bemerken und zurückkehren.

Um 23 Uhr endete meine Schicht, das Restaurant hatte sich schon geleert, zwei meiner Kolleginnen würden die letzten Gäste bewirten. Ich machte die Abrechnung und schlüpfte in meine Jacke. Jetzt erst spürte ich die Schwere meiner Beine, die Müdigkeit. Ich musste dringend schlafen, denn Morgen früh begann schon meine nächste Schicht.

Da fiel mir die Geldbörse wieder ein. Der Mann hatte sie nicht abgeholt. Und er hatte so verletzt und verstört ausgesehen.

Einem Impuls folgend griff ich nach dem Portemonnaie und trat mit dem Rosenstrauß im Arm hinaus in die Februarkälte.

Der Wind hatte sich gelegt, das Schneetreiben war einer frostigen, sternenklaren Nacht gewichen. Mein Atem bildete kleine Wölkchen vor dem Mund, als ich über das knirschende Weiß auf meinen Wagen zuschritt. Ich stieg ein und legte die Blumen auf den Beifahrersitz.

Dann zögerte ich einen Moment, meine Entschlossenheit geriet ins Wanken, wich Unsicherheit. Konnte ich einfach bei ihm klingeln - nachts - um ihm sein Portemonnaie zu bringen? Riss ich ihn vielleicht aus dem Schlaf? Oder hatten er und die Frau sich versöhnt, war sie bei ihm?

Ich biss mir auf die Innenseiten meiner Wangen und legte beide Hände um das Lenkrad. Nein, er wäre sicherlich beruhigt, wenn er seine Geldbörse zurückerhielt. Doch - war das nicht nur ein Vorwand, ihn wieder zu treffen, zu sehen, ob alles in Ordnung war? Trau dich!

Bevor mein restlicher Mut in sich zusammenfiel, startete ich das Auto und fuhr los, zu der Adresse, die ich seinen Papieren entnommen hatte.

Angenehme Gegend, ging es mir durch den Kopf, als ich auf der menschenleeren, mit alten Bäumen gesäumten Allee vor seinem Haus hielt. Mein Herz klopfte gegen meine Rippen, als wollte es sie sprengen, einen Augenblick war ich unfähig, mich zu bewegen. Die Fassade war dunkel, als wäre niemand daheim. Neuerlich gab ich mir einen Ruck. Nun war ich schon extra hierher gefahren, wenn er nicht öffnete, würde ich das Portemonnaie in den Briefkasten werfen. 

Langsam schritt ich auf die Haustür zu, die fast gänzlich aus Glas bestand, räusperte mich und presste meinen Zeigefinger auf den Klingelknopf. Das Läuten drinnen erschien mir wahnsinnig laut und ließ mich zusammenzucken. Ich wartete, mein Puls pochte in meiner Kehle. Nichts passierte. 

Fast erleichtert zog ich die Börse hervor, um sie durch den Briefschlitz zu stecken, da wurde es hell im Flur. Mein Atem beschleunigte sich, als er - noch in derselben Kleidung wie abends - auf die Tür zuschritt und sie aufzog. Er sah alles andere als erfreut aus. Bevor er den Mund öffnen konnte, um zu sprechen, sprudelte ich los: „Entschuldigen Sie die späte Störung, ich habe Sie vorhin bedient, im Caesar. Das haben Sie liegen lassen. Bitte." 

Ich streckte ihm das Portemonnaie entgegen. Seine verärgerter Gesichtsausdruck wich einem erstaunten,  als er es mir aus der Hand nahm. 
„Danke", murmelte er nur. Mein Blick blieb auf etwas hinter ihm hängen. Auf dem Boden lag ein Bilderrahmen mit dem Foto einer Blondine, das Glas war zerbrochen, als wäre es auf die Fliesen gefallen - nein, geschmettert worden.

Bestimmt die Frau, der er einen Antrag machen wollte ... Sieht aus wie eine auf dem Cover der Vogue.

Er stieß ein bitteres Lachen aus und sagte: „Nein, ob sie sich mit mir verloben will, habe ich sie nicht mehr gefragt. Aber auf dem Titel der Vogue wäre sie bestimmt gerne."

Herrje, hatte ich etwa wieder einmal laut gedacht? Ich Idiotin! Ich biss die Zähne zusammen und spürte, dass ich rot anlief.

Dieser Mann brachte mich wirklich total durcheinander. Jetzt erst bemerkte ich die Fahne, die von ihm ausging, und dass er leicht schwankte. Er hatte seinen Kummer wohl in Alkohol ertränkt.

„Sie hat unser Date vergessen, stattdessen stand das Auto ihres Managers vor ihrer Tür. Sie hat es zugegeben, einfach zugegeben, dass sie und er schon länger... eiskalt ... Und ich Idiot - "

In Sekundenschnelle ballte er eine Hand zur Faust, ließ sie vorschnellen und gegen die Wand krachen. Seltsamerweise erschreckte mich sein Verhalten nicht, es sah nur schmerzhaft aus, aber ich verstand ihn. So gut. Ich sah ihn die Kiefer zusammenpressen.

 Ohne nachzudenken trat ich auf ihn zu und betrachtete die wunden Knöchel.

„Da muss Eis drauf! Wo ist die Küche?"

Er nickte in eine Richtung und ließ sich widerstandslos von mir dorthin führen.

Nachdem ich ihn mehr oder weniger professionell verarztet hatte, sank er auf einen Küchenstuhl. Purer Schmerz sprach aus seinen Zügen, doch nicht aufgrund der lädierten Hand, bevor er sich unwirsch mit der anderen über das Gesicht fuhr und sich von mir abwandte. Ich sollte gehen, musste Morgen früh raus. Wir waren uns zu fremd für so viel ... Intimität. Eigentlich war ich schon zu weit gegangen, sagte die Vernunft in mir.

Na und? Er hat dich doch gewähren lassen. Und er sieht aus, als wolle er mit jemandem sprechen, sein Herz ausschütten, widersprach eine andere Stimme. Sie hat ihn versetzt, betrogen! Schmerzvolle Erinnerungen durchfuhren mich wie ein Dolchstoß, mir war dasselbe widerfahren, ich kannte dieses schreckliche Gefühl.

„Ich weiß, wie das ist. Ich dachte damals: Seltsam, dass ein gebrochenes Herz noch schlagen kann. Es fühlt sich an, als ob es allein aus roten, scharfkantigen Scherben besteht, die einen weiter von innen verletzen, bei jedem Schlag", sprach ich, bevor ich meine Worte verhindern konnte. 

Nun war ich es, die sich abwandte, so peinlich war mir mein Benehmen plötzlich. Ich wollte nur noch fort, bewegte mich auf die Tür zu. Seine leise Stimme ließ mich innehalten und zu ihm umdrehen.

„Ja, genauso fühlt es sich an."

Unsere Augen verbanden sich und die Traurigkeit in seinen ließ mich schlucken, doch zum ersten Mal schien er mich richtig wahrzunehmen.

In der kurzen Stille, die folgte, hörten wir das Geräusch der zufallenden Haustür, sofort darauf erschien die Blonde vom Foto in der Küche.

„Nick, ich ..." Sie verstummte, als sie mich sah, warf ihr Haar zurück und ihre Augen verengten sich.

„Wer ist das? Hast du vor, dich mit dieser Tussi zu trösten?" Ihre schneidende Stimme hätte auch ohne das Schimpfwort verraten, was sie von mir hielt. Und dass sie ihn zurück wollte.

Ohne Abschiedsgruß verließ ich die Küche, hörte ihn noch „Ich kenn' sie nicht, sie ist niemand ... ", sagen, ehe ich aus dem Haus flüchtete.

Die ganze Heimfahrt über schüttelte ich den Kopf über mich und stieß Flüche aus. Wie hatte ich mich nur so selten dämlich benehmen können. Einfach nachts bei ihm aufzutauchen und die unerwünschte Trösterin zu geben. Unsinn zu reden. Bestimmt hielt er mich für aufdringlich. Sie ist niemand ... Tränen stiegen mir in die Augen.

Nein, er dachte gar nicht mehr an mich, versöhnte sich gerade mit der arroganten Herzensbrecherin.

Hake diesen Abend ab, Caro. Ich musste schlucken und atmete tief durch. 

Vor dem Einschlafen schwor ich mir, nicht mehr so impulsiv zu sein, zu selten hatte es mir bisher Glück gebracht.

 

Etwa zwei Wochen später verließ ich nach meiner Schicht das „Caesar" und ging zu meinem Auto. Als jemand aus dem Dunkel auf mich zutrat, erschrak ich zuerst. Bis ich die Stimme und sein Gesicht erkannte.

„Hallo, Caro." Wie versteinert blieb ich stehen, den Autoschlüssel in der Hand. Nun stand er direkt vor mir, schien nach Worten zu suchen.

„Ich möchte mich bedanken, dass du da warst", sagte er endlich. „Für das, was du zu mir gesagt hast, für deine Freundlichkeit. Und ich will mich entschuldigen, ich habe mich unhöflich, nein, wie ein Arsch benommen."

Seine Worte, dass er das förmliche Sie wegließ, lösten ein wahres Gefühlsgewitter in mir aus. Überraschung. Freude. Mein Herz führte einen verrückten, kleinen Tanz auf.

Misstrauen, als ich mich an die unangenehme Stimme der Blondine erinnerte: Willst du dich mit der Tussi trösten? Anscheinend war aus ihrer Versöhnung nichts geworden ...

Und schmerzende Scham. Sie ist niemand ...

Nick sah mir meine Gedanken anscheinend an.

„Es tut mir wirklich leid. Tamara hat mich mit ihrem Auftauchen überrumpelt, nur noch Sachen abgeholt, die „Lass-uns-Freunde-bleiben-Nummer" abgezogen. Und ich habe dich gehen lassen, ohne Dank, ohne ein Abschiedswort."

Ich schwieg. Sekunden verstrichen.

„Aber ich bin froh, dass du mir jetzt zugehört hast. Also, alles Gute, Caro." Er wandte sich ab.

„Woher kennst du meinen Namen?", entfuhr es mir leise.

Er drehte sich zu mir um, seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. „Ich habe im Restaurant angerufen, dich beschrieben. Und gefragt, bis wann du heute arbeitest."

Wieder zögerte er, biss sich auf die Lippe. „Darf ich ... dich am Wochenende zum Essen einladen? Oder wann es dir passt?" Ich sah ihm an, dass er den Atem anhielt. Verletzlichkeit, die Furcht vor Abweisung, standen in seinem Gesicht, wichen aber gelöster Freude, als ich einwilligte.

 

Und so nahm es seinen Lauf. Unser Glück. Wir tasteten uns fast vorsichtig aneinander heran, denn wir waren beide „gebrannte Kinder".

Aber: Liebe wird auch aus Mut gemacht. Dem Mut, den ersten Schritt zu wagen, sich zu öffnen. Dem Mut, sich zu entschuldigen, einem Menschen zu vertrauen, ihm deine verletzliche Seite, deine Seele zu zeigen, und wiederum seine wahrzunehmen und achtsam damit umzugehen. Nick und ich, wir haben uns beide getraut, genau das einem Fremden gegenüber zu tun.

Heute ist es genau drei Jahre her, dass wir uns das erste Mal begegneten und die Verlobung mit seiner früheren Freundin nicht zustande kam. Drei Jahre, die mit Abstand die glücklichsten meines bisherigen Lebens waren. Wir passen einfach zueinander, mit all den Gemeinsamkeiten, aber auch mit unseren Ecken und Kanten, sie greifen ineinander wie die Teile eines Puzzles und machen uns beide ganz.

Und an diesem Morgen erwartet mich eine Überraschung auf dem für mich gedeckten Frühstückstisch, denn er ist bereits in seine Firma gefahren, während ich heute ausschlafen konnte.

Neben einem an den Kaffeebecher gelehnten Umschlag entdecke ich ein schwarzes, kleines Schmuckkästchen, dessen Anblick meinen Magen kribbeln lässt, als ob hundert winzig kleine Vögel sich darin erheben und herumschwirren.

Erst das Kästchen oder der Brief?, überlege ich. Ich bin eine Frau, also halte ich den Atem an und lasse zuerst die Schatulle aufschnappen. Beim Anblick des umwerfenden Rings darin bildet mein Mund ein O und lässt zischend die angestaute Luft entweichen. Wahnsinn, ist der schön ...

Mit zitternden Fingern öffne ich den Umschlag und ziehe eine Karte heraus:

„Liebe Caro! Vor drei Jahren haben wir uns das erste Mal getroffen. Für mich ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, meiner wahren großen Liebe zu begegnen ... Doch das Glück geht manchmal seltsame Wege.

Wie ein Schutzengel bist du mir in dieser Nacht gefolgt und hast etwas in mir berührt. Und seitdem immer wieder.

Der Ring passt zu dir: Von zarter Schönheit und edel, ohne zu protzen. Sanft, dabei hat er Feuer und Charakter, ist unvergleichlich, etwas ganz Besonderes, so wie du. Ich liebe dich und wünsche mir, dass wir den Rest unseres Lebens miteinander verbringen. Willst du meine Frau werden?"

Ich presse mir die Hand vor den Mund, um nicht vor Freude laut zu schreien. Hinter meinen Fingern muss ich loskichern, denn auch den Hang zu einer gewissen kitschigen Romantik haben wir gemeinsam.

Oh Nick, natürlich will ich deine Frau werden! Ich glaube, das wollte ich schon von dem Moment an, als ich dich das erste Mal sah. Und insgeheim bin ich deiner Exfreundin bis heute dankbar, dass sie deinen Wert damals nicht erkannte. 

Mit bebenden Fingern greife ich zu meinem Handy, um meinen zukünftigen Mann anzurufen, ein "Ja! Ja! Ja!" in den Hörer zu flüstern und mich mit ihm für die Mittagspause zu verabreden, damit er mir den Ring über den Finger streifen und ich ihn küssen kann ...


 

Impressum

Texte: Ursula Kollasch
Bildmaterialien: Bild von PDPics auf Pixabay
Cover: bearbeitet von Ursula Kollasch
Tag der Veröffentlichung: 31.03.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zum Anthologie-Wettbewerb April 2020, die Themenvorgabe war eines von vier Liedern. Diese Geschichte wurde zu "Wenn du dich traust" von Anett Louisan und Laith Al-Deen geschrieben.

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