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Der Regen prasselte auf die Frontscheibe, als wollte er sie zerschlagen, der hektisch winkende Scheibenwischer kam kaum gegen die Wassermassen an, während immer wieder heftige Windböen den Ford von der Straße zu drücken versuchten. 

Ethan krampfte seine Hände ums Lenkrad. 

Innerhalb der letzten Stunden waren regenschwangere Wolkenberge, grau wie Tahitiperlen, vom Atlantik landeinwärts gezogen und entluden sich seitdem unablässig. Das nahezu apokalyptische Wetter passte zu Ethans Stimmung. 

Mit dem Hereinbrechen der Nacht war die Sicht mehr als schlecht geworden und in diesem kaum besiedelten Teil South Carolinas kannte er sich nicht aus. 

Die Augen zusammengekniffen bahnte er sich seinen Weg über den um diese Uhrzeit nahezu leeren Highway 13. Endlich erblickte er auf der rechten Seite die Leuchtschrift des Motels, fuhr ab und hielt vor dem zweistöckigen Gebäude. Erinnerungen flammten in ihm auf. Als Jugendlicher hatte er mit seinen Eltern aufgrund einer Autopanne einmal hier übernachten müssen, lange war es her, doch nun war dieses Motel genau das, was er für sein Vorhaben benötigte: Anonym, schäbig, so gut wie verlassen. Kein weiteres Auto stand davor.  

Müde fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht, während der Platzregen weiter auf den Wagen trommelte. Fast fühlte er sich zu matt, um auszusteigen, hatte er doch weitaus mehr hinter sich als nur die zehnstündige Autofahrt. Da ertönte dumpf der Klingelton seines Handys.  

Ethan zuckte zusammen. Sofort beschleunigten sich sein Atem und sein Puls, letzterer dröhnte in seinen Ohren. 

Mit fahrigen Bewegungen zog er das Telefon aus der Innentasche seiner Jacke, das drängende Klingeln wurde lauter. Sein Blick fiel auf das Foto von Sam und Melissa und sofort zog sich sein Herz zusammen, als er an seine Frau und die kleine Tochter dachte.  

Rief seine Mutter an? War etwas mit ihnen?  

Nein, unbekannte Nummer, ER war es. Mit zitternden Fingern nahm Ethan das Gespräch an.  

„Ich wollte Sie daran erinnern, dass sich die Summe mit dem heutigen Tag auf 144.000 Dollar summiert. Stichtag war gestern, Ethan, aber ich habe vergeblich auf Sie gewartet.“  

Die Männerstimme klang ruhig, nur verhalten tadelnd, aber Ethan fühlte die schneidende, unerbittliche Härte, die Gefährlichkeit, die hinter der höflichen Fassade lauerte. Ihm wurde kalt.  

„Hören Sie, ich bin gerade außerhalb der Stadt, um das restliche Geld zu besorgen“, log er. „Eine derart hohe Summe kann ich nicht so schnell aufbringen. Bitte, gewähren Sie mir noch einmal Aufschub bis Montag, dann - “  

„Ethan!“, fiel ihm die körperlose Stimme nun leicht erhoben ins Wort. „Strapazieren Sie nicht meine Geduld, ich hatte Ihnen bereits zwei zusätzliche Wochen zugebilligt. Ich bin nicht ihr Lohnbuchhalter, mit dem Sie hier über die Umsatzsteuer plaudern. Sie haben sich auf meine Bedingungen eingelassen.“  

Der Mann schnaufte missbilligend. „Vergessen Sie nicht, mit jedem weiteren verstreichenden Tag erhöht sich Ihre Schuld um 1000 Dollar. Montag beläuft sie sich dann auf 146.000.“  

„Verzeihung,“ Es fiel Ethan schwer, ruhig zu bleiben. „aber das ist doch ... “  

„Schnauze!“, zischte es durch den Hörer. „Montag bringen Sie das Geld. Andernfalls statte ich wohl der Maplewood Avenue oder der St. Elizabeth-Tagesstätte einen kleinen Besuch ab. Hasta luego!“  

 „Warten Sie!“, brüllte Ethan in das Telefon, doch der andere hatte bereits aufgelegt.  

Der Scheißkerl kannte die Adresse seiner Mutter und die des Kindergartens seiner Tochter! Er drohte ihm. Sein Herz überschlug sich fast in seiner Brust. Kalter Schweiß brach ihm aus und ein marternder Druck baute sich in seinem Schädel auf. Er sollte zu Hause anrufen. Sie irgendwie warnen. Doch sie durften nicht wissen, wo er war, was er vorhatte.

Weiter donnerten die Wolkenbrüche auf seinen Wagen nieder, während Ethan über dem Lenkrad zusammensank und den aufgestauten Tränen endlich erlaubte, seinen bebenden Leib zu verlassen. 

Was hatte er nur getan? Was hatte er sich dabei gedacht, sich mit diesem Teufel einzulassen?  

Um Samantha zu retten, die dringend eine Spenderlunge benötigte, hatte er den zwielichtigen Geldverleiher kontaktiert. Vor seinen Augen schwand seine Frau dahin, inzwischen in einer Klinik, an Kabel und Schläuche angeschlossen, seine einst so starke, lebenslustige Sam mit den warmherzigen, braunen Augen.  

Wie immer, wenn er an sie dachte, legte sich das Gewicht der ganzen Welt auf seine Schultern und in seinem Bauch breitete sich wieder das hohle Gefühl aus. Sie durfte einfach nicht sterben!  

Ein korrupter Arzt hatte ihm einen der obersten Plätze auf der Warteliste für Organspenden versprochen, dafür eine Wuchersumme verlangt, aber seine Frau würde die nächste sein, die eine passende Lunge erhielt. 

Ethan hatte sich das Geld geliehen und den Doktor bezahlt, ein törichter Akt der Verzweiflung.  

Doch passiert war bisher nichts und Sam ging es Woche für Woche schlechter.  

Jetzt saß ihm dieser finstere Kredithai Esteban Montoya im Nacken. Dessen Drohung hallte noch immer in Ethan nach, bestärkte ihn in seinem Vorhaben.  

Er konnte die Summe nicht aufbringen, hatte es in den letzten Wochen so kommen gesehen und seinerseits einen Entschluss gefasst. Und deshalb einen zweiten, noch weitaus gefährlicheren Kontakt hergestellt. Sich an das verlotterte Motel erinnert, vor dem er nun saß. 

Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Blickte auf das Foto aus besseren Tagen, das auf dem Armaturenbrett klebte. Sam und Melissa lächelten ihn an.  

Bevor ihn sein Mut verließ, gab er sich einen Ruck, öffnete die Wagentür und stieg aus. Unbarmherzig klatschten ihm die dicken, kalten Tropfen ins Gesicht, doch er beeilte sich nicht, den Eingang des Motels zu erreichen. Langsam, wie in Trance, setzte er die Füße voreinander, während der Regen auf ihn und den glänzenden Asphalt niederprasselte, als ob er ihre Festigkeit prüfen wollte.  

Komplett durchnässt betrat er den dämmerig beleuchteten Empfangsraum. Ein alter Schwarzer hinter der vergitterten Rezeption hob den Kopf von einem Heft und sah den Gast gelangweilt an. 

„Ein Zimmer für eine Nacht", sagte Ethan leise. 

„Zimmer 213, zweiter Stock. Dreißig Dollar im Voraus." 

Ethan zog ein Geldbündel aus der Jeanstasche und trennte mit dem Daumen drei Zehner ab, nahm den Zimmerschlüssel an sich, der auf dem Tresen aufgetaucht war, und wandte sich dem Aufzug zu.  

Der Alte, dessen gierig glitzernder Blick sich auf das Geldbündel geheftet hatte, beugte sich aus der Kabine und rief ihm nach: „Hey Mister, brauchen Sie vielleicht noch was: Koks, Speed, Gras oder Bier?", aber Ethan trat schon in den Aufzug und drückte den 2. Stock. 

In der Ecke der Fahrstuhlzelle hockte ein mageres Mädchen in einem engen roten Kleid und setzte sich mit vor Anstrengung zitternden Fingern eine Spritze. Ihre Gesichtsfarbe sah im Neonlicht grau und ungesund aus. Das kurze Kleid war ihr hochgerutscht, so dass ihr rotes Spitzenhöschen hervorblitzte. Sie nahm keine Notiz davon, dass jemand neben ihr im Aufzug stand.  

Erst, als Ethan ausstieg, erwachte sie aus ihrer Abwesenheit, und während sich die Lifttür wieder zu schließen begann, rief sie ihm mit schleppender Stimme nach: „Ey, willst du Gesellschaft? Nur vierzig Bucks!" Aber er wandte sich nicht mal um. Wahrscheinlich fuhr die Kleine schon die halbe Nacht lang mit dem Lift rauf und runter, ohne etwas davon zu merken.  

Zimmer 213 lag am Ende des düsteren, muffigen Korridors. Seine Schritte klackten über den abgetretenen Linoleumboden. Aus einem Raum, dessen Tür weit offen stand, klang schrille Radiomusik. Im Vorbeigehen sah Ethan einen Asiaten, der ihn mit strahlendem Grinsen und einem Kopfnicken grüßte, sich auf einem kleinen Kocher etwas zubereitete, das nach Hühnersuppe roch. Und das mitten in der Nacht. 

Er schloss sein Zimmer auf. Es sah genauso aus, wie die meisten Motelzimmer der untersten Preisklasse. Fadenscheiniger, fleckiger Teppichboden. Eine gemusterte Tapete aus der Zeit, als Elvis noch lebte. Breites Bett aus dunklem Holz, die Matratze höchstwahrscheinlich durchgelegen und milbenverseucht. Die restliche Möblierung abgenutzt, von nicht identifizierbarem Design. Den Zustand der Toilette wollte er sich gar nicht ausmalen. 

Er atmete durch, zog sein Handy hervor und drückte eine eingespeicherte Nummer. Nach dem zweiten Läuten wurde abgenommen. 

„Ich bin jetzt im Motel, Zimmer 213."  

Der Angerufene, der sich wie vereinbart bereits in der nächstgelegenen Stadt aufhielt, antwortete nicht, drückte ihn sofort nach der Ansage weg, und in Ethans Kehle bildete sich ein Kloß. Jetzt gab es kein Zurück mehr ... 

Die Luft im Raum war trotz des miesen Wetters draußen zu warm und stickig. Eine Klimaanlage war nicht vorhanden und so schaltete er den Deckenventilator ein, schob das klemmende Fenster ein Stück hinauf und sah auf den nächtlichen Highway hinaus. Nur vereinzelt zogen die Lichter eines Wagens vorüber, das Motorengeräusch vom unablässig prasselnden Regen übertönt.  

Er zerrte die Vorhänge zu, die genauso mufften wie der Rest des Zimmers. 
Nach den letzten durchwachten Nächten und über zehn Stunden Fahrt, die er ununterbrochen in seinem Wagen verbracht hatte, wollte sein Körper nichts anderes als schlafen. In seinem Gehirn projizierten sich die Bilder von den Geschehnissen der letzten Monate, von seiner, nein, ihrer desolaten Lage. 

Vor kurzem erst war er dreiunddreißig geworden, verdiente sein Geld als Anästhesist im St. Mary Hospital. 

Er dachte an ihr kleines Haus in einem Vorort von Buffalo, in der Nähe der Niagarafälle, an seine Familie. Vor fünf Jahren hatte er seine Jugendliebe Samantha geheiratet und diese Entscheidung nicht einen Tag bereut. Sie war eine wundervolle Frau und Gefährtin. Im Jahr darauf hatte die Geburt von Tochter Melissa das Glück perfekt gemacht. 

Bis Sam krank wurde. Sie hatte schon immer mit Lungenproblemen zu kämpfen gehabt, doch die Diagnose war niederschmetternd. Für ihn brach die Welt zusammen, während sich Samantha anfangs noch kämpferisch gab. Jetzt war sie oft nicht mal mehr bei Bewusstsein, eine Maschine beatmete sie.  

Ethan fühlte, wie ihm erneut die Tränen über die Wangen rannen. Es würde ein schwerer Schock für seine Familie werden. Wieder überkam ihn der Drang, zu Hause anzurufen, zu fragen, wie es Sam und Melissa ging, aber er unterdrückte den Impuls. Er hoffte, dass seine Mutter Rose ihn wegen des Briefs, den er heute an sie abgesandt hatte, verstehen und ihm verzeihen konnte. Sie war eine starke Frau. Sie musste den Geldhai hinhalten und ihm das Geld übergeben, wenn die Lebensversicherung ausgezahlt wurde. Doch es würde noch genügend übrig bleiben, um ihr und Melissa, um die sie sich jetzt schon hauptsächlich kümmerte, sowie Sam, wenn sie es schaffte, ein gutes Leben zu ermöglichen.  

Die letzten Wochen kamen ihm wie ein einziger langer Albtraum vor, seelisch und physisch war er kaum mehr als ein Wrack. Ethan schloss die Augen, spürte, wie sich sein Körper verkrampfte.

Heute Nacht würde ein bezahlter Killer seinem Leben ein Ende setzen, damit seiner Familie die rettende Lebensversicherung von 1 Million Dollar ausgezahlt würde. Sie hatten keine Uhrzeit, nur den Ort des Aufeinandertreffens, dieses Motel, ausgemacht. Wie ein Raubmord würde er es aussehen lassen.  

Ethan hatte keine Wahl. Sie standen vor dem Bankrott.  

Dumpfe Angst flammte  in ihm auf, er lief im Zimmer hin und her. Am Fenster blieb er stehen und drückte seine schweißüberströmte Stirn gegen die Glasscheibe.  

Plötzlich verdunkelte sich diese, im Spiegelbild nahm er wahr, dass noch jemand im Zimmer war. Sein Herz schlug schneller.

Eine Gestalt schien sich hinter ihm durch den Raum zu bewegen. Er wirbelte herum.

Doch da war niemand. Ruhig lag das Zimmer vor ihm, nur der Regen und das Rotieren des Ventilators waren zu hören. 

Ich kann nicht mehr, ging es Ethan durch den Kopf, während er sich ins Bad schleppte, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Wie erwartet war dieser Raum genauso verkommen wie der Rest des Zimmers.  

Er blickte auf seine Uhr. Es wurde Zeit, das starke Sedativum zu schlucken, das er im Krankenhaus hatte mitgehen lassen.

Wenn der Killer auftauchte, wollte er so betäubt sein, dass kein Lebenswillen mehr aufflackern konnte, der ihn zu einer Gegenwehr veranlassen könnte.  

Aus seiner Hosentasche zog er ein kleines Tütchen hervor, riss es auf und kippte sich den Inhalt in den Mund. Verzog das Gesicht, schluckte es aber hinunter. Ihm wurde leicht übel, er musste sich auf den Klodeckel setzen. Flach atmen. 

Einen Moment später erhob er sich wieder, schwankte leicht, hielt sich am Waschbeckenrand fest. 

Die Lampe an der Decke flackerte, ehe sie erlosch. Ethan stand in vollkommener Finsternis. 

Kurz darauf begann das Licht wieder unruhig zu brennen. Er stützte sich auf das Waschbecken, blickte auf in den Spiegel und fuhr zusammen.  

Das Gesicht, das ihn dort anstarrte, war nicht seins! 

Er sah einen jungen Typen, mit Schmerz verzerrtem Ausdruck fixierte er Ethan aus Augen wie Granit, über den Wasser läuft.  

Auch sein Gegenüber hielt sich mit beiden Händen am Waschbecken fest, doch das im Spiegel war blutverschmiert, rot pulsierte es aus aufgeschnittenen Pulsadern.

Die Gedanken des sterbenden Mannes, sein ganzes Leid, zogen so plötzlich wie ein vorbeirasender Zug durch Ethans Kopf, verursachten ihm bohrende Schmerzen, sodass er aufstöhnte, sich die Hände an die Schläfen presste und die Augen zukniff. Als der Schmerz nachließ, die fremden Gedanken in seinem Kopf verstummten, das Gefühl von Hoffnungslosigkeit verblasste, hob er langsam seine Lider. Aus dem Spiegel blickte ihm sein eigenes bleiches Gesicht entgegen.  

Was ist nur los mit mir?  

Der Schlafmangel und die Anspannung der letzten Tage verursachten wohl Wahnvorstellungen.  

Er verließ das Badezimmer und setzte sich aufs Bett. Das Beruhigungsmittel begann zu wirken, bleierne Müdigkeit überfiel ihn und ließ ihn zurücksinken. Die Augen fielen ihm zu, er dämmerte dahin.  

Er wusste nicht, wie lange er schon so gelegen hatte, als ein Geräusch ihn weckte.  

Ein quietschendes Knarren. Als ob ... etwas Schweres, an einem Seil Befestigtes, leicht hin und herschwang. 

Es kostete ihn viel Kraft, die Augen offen zu halten, seinen Blick durch das Zimmer gleiten zu lassen.  

Was war das? Sein Herz begann zu flattern wie tausend Fledermausflügel, seine Eingeweide zogen sich zusammen. Da - in dem finsteren Winkel beim Fenster baumelte etwas von der Decke ...

Langes Haar, nackte Füße ... 

Sein Blick trübte sich, die Gestalt verschwamm, das Medikament betäubte ihn immer mehr, die Augen fielen ihm gegen seinen Willen wieder zu. 

Mit klopfendem Herzen lauschte er, doch das knarzende Geräusch war verstummt. Wieder glitt er davon, schwebte eine Weile zwischen Wachen und Schlafen.

Eine weitere Wahrnehmung holte ihn zurück.  

Schritte. Sie näherten sich auf dem Korridor. Ohne Eile. Ethan wehrte sich verzweifelt gegen den Schlaf, hielt den Atem an. Seine Finger zuckten auf der Decke. Die Schritte hielten vor seinem Zimmer. Unter halbgeschlossenen Lidern sah er nach links, auf die Tür. Wartete. Hörte nur seinen Herzschlag, spürte ihn in der Kehle. Stille.  

Die gesamte rechte Seite seines Körpers wurde plötzlich eiskalt, als läge er neben einem offenen Grab.  

In einer letzten, verzweifelten Anstrengung wandte er in Zeitlupentempo den Kopf in die andere Richtung und blickte direkt in ein totenblasses, schlafendes Gesicht, das nur eine handbreit vor dem seinen auf dem Kissen ruhte. Eine junge Frau - doch sie schlief nicht. Sie war tot! Ein Einschussloch befand sich in ihrer Schläfe.  

Pfeifend atmete Ethan ein, konnte keinen Laut von sich geben, auch nicht, als die Leiche abrupt die Augen aufschlug, die von einem trüben Grau waren, ihn blicklos anstarrten.  

Mach nicht denselben Fehler wie wir. Fahr' heim, Ethan ... , flüsterte es, obwohl sich ihre Lippen nicht bewegten. Dann war sie fort. Die Betthälfte neben ihm war leer. 

Wie gelähmt konnte er nur in seinem Inneren einen panischen, brennenden Schrei ausstoßen. 

In diesem Moment vernahm er, wie die Klinke langsam herabgedrückt wurde, die Tür leise knarrte.  

Bevor er in Bewusstlosigkeit versank, fühlte er einen kalten Hauch wie Zugluft über seine unbedeckten Arme und sein Gesicht streichen. Dann umfing ihn Schwärze.

Langsam trieb er an die Oberfläche seines Bewusstseins, verfolgt von wispernden Stimmen, die in ihm nachklangen. Er verspürte einen stechenden Kopfschmerz, ein bitterer Kupfergeschmack füllte seinen Mund, seine trockene Kehle.  Ethan schluckte und öffnete die Augen. Versuchte, sich in dem dämmerigen Raum zu orientieren. Der Killer ... 
Die Erinnerung kehrte mit aller Macht zurück, schlug ihm in den Magen und ließ ihn vom Bett hochfahren. Sofort verstärkte sich das Pochen in seinen Schläfen.  
Er erhob sich, ihm war schwindelig, er taumelte in Richtung des Fensters und zog den Vorhang zur Seite, blickte aus dem schmutzigen Fenster. Draußen begrüßte ihn ein trüber Morgen. Dunst lag über dem Highway, das Unwetter hatte sich gelegt. 
Eine dicke Staubschicht lag auf der Fensterbank. 
Warum bin ich noch am Leben?, fragte er sich verwirrt.
Er sah an sich hinunter, betastete seinen Körper. Er war unversehrt. 
Ethan wandte sich um und erstarrte. Im Tageslicht sah das Zimmer anders aus. Noch trostloser. Es roch stark nach Schimmel. 
Schwankend lief er zur Tür und betrat den dunklen Korridor, der nach Urin und dem Müll stank, der herumlag. Die Wände waren mit obszönen Graffitis beschmiert, an vielen Stellen bröckelte der Putz. Das war ihm gestern Nacht nicht aufgefallen. 
Am Fahrstuhl angekommen drückte er den Knopf. Nichts passierte. Er war doch mit dem Lift nach oben gefahren...  
Verstört blickte sich Ethan um, bis er eine schmale Treppe entdeckte. Auch hier war es dunkel und roch unangenehm.  
Unten angekommen blieb er abrupt stehen.
Die Kabine, in der der Schwarze gestern gesessen hatte, war mit Brettern vernagelt. Der Schlüssel ...
Er hatte nicht mehr in der Zimmertür gesteckt, fiel ihm ein.  
Es wirkte, als wäre jahrelang niemand hier gewesen.  
Ein Schauer kroch Ethan über den Rücken.  
Ich muss hier raus! 
Zum Ausgang hastend wollte er die Tür aufdrücken, doch sie war verschlossen. Panik erfasste ihn, er rüttelte am Griff, bis er endlich einen Hebel entdeckte, den er umlegen konnte. Fast fiel er ins Freie, lehnte sich an die Wand und atmete mehrmals tief durch.  
Ich lebe! Erleichterung durchflutete ihn.  
Warum war der bezahlte Mörder nicht aufgetaucht? Oder war er nicht hineingekommen? 
Er war zu benommen, um klar zu denken, doch er verspürte den Wunsch, seine Mutter anzurufen und griff nach seinem Handy. Neun Anrufe in Abwesenheit. Ethan hörte die Mailbox ab.  
Die erste Nachricht war vom Killer. „Wollen Sie mich verarschen? Das Motel ist verlassen, abrissreif, keiner da. Ich sehe unseren Deal als geplatzt an, die Anzahlung behalte ich."  
Danach ertönte die Stimme seiner Mutter.  
„Ethan! Ruf mich an, wenn du das abhörst. Sofort!"
„Wo steckst du? Ruf mich an, es ist dringend!"
Sam!  
Angst stieg in ihm auf. Ohne die weiteren Nachrichten abzuhören, drückte er die Nummer seiner Mutter.  
Sie war sofort dran und sprudelte los.
„Oh Junge, wo bist du nur? Ich hab' die ganze Nacht versucht, dich zu erreichen. Sam wird heute operiert! Sie haben eine Lunge! Ein gewisser Esteban Montoya ist der Spender, der letzte Nacht tödlich verunglückte. Bitte, komm' schnell nach Hause ..."  
Ihre Stimme versagte, sie begann zu weinen.  
Ethan stand erst fassungslos, bevor auch er in Tränen der Erleichterung und Hoffnung ausbrach, zu seinem Wagen rannte und nur Sekunden später das Gaspedal durchtrat.

 

 

Impressum

Texte: Ursula Kollasch
Bildmaterialien: dreamstime.com
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte entstand im Rahmen des Juli-Wettbewerbs 2013 der "Thrilling stories". (Platz 2) Das Thema waren diesmal vier Wörter: Spiegel, Dreizehn, Umsatzsteuer, Butterbrot.

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