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Ganz schön trübsinnig bin ich heute. Draussen schüttet es literweise den Regen von oben. Innen in mir sieht es kaum anders aus. Greta will ausziehen. Ich habe sie wieder einmal verletzt und es gibt auch kaum Aussicht auf Besserung.
Greta zieht zum dritten Mal aus. Mit sechzehn zuerst. Türen knallen. Blöde Kuh, und Greta ist weg und ihre Kleider, ihre Lieblingsbücher, ihr Plattenspieler. Zittern jede Nacht und nach ein paar Wochen ist sie wieder bei mir. Wir fangen ein neues Leben an und eigentlich will sie gar nicht weg. Sie will viel lieber mit mir und ich mit ihr, und wir kriegen auch alles wieder hin. Der Ludwig war ein Riesenfehler, und der Manfred vorher auch. Jetzt macht sie erst mal ihre Lehrzeit fertig, und dann sehen wir weiter.
Ein Jahr ist vorüber und unsere Vorsätze auch, und Greta will wieder fort zu Walter, und in der Wohnung von Walter kann sie auch eine Katze halten. Quendolin aus dem Tierheim. Zu Hause wäre das ohnehin nicht gegangen, weil ich doch nach den Schildkröten, den Hamstern, den Mäusen und den Hasen überhaupt kein Tier mehr mag.
Ein paar Monate später ist Greta wieder da, und mit ihr Kater Quendolin und gelegentlich auch Walter.
Noch ein paar Monate später gibt es den Walter nicht mehr, denn Walter und Greta sind zu verschieden. Zu unterschiedlich.
Dann geniesst Greta das Leben und jedes Nachtlokal ist anders, und am schönsten ist es im „Coretto“, wo man sich vor lauter Leut nicht umdrehen kann.
Gestern Abend hat die Greta den Albert nach Hause gebracht. Und ich freue mich überhaupt nicht. Er hat ein goldenes Kreuz um den Hals, viele Ketterln in allen Farben, einen Spitzbart und ein weisses Hemd mit Stickerei. Und er schaut mich blöd an und ich krieg meine Wut.
Dann mach ich das Dümmste vom Dummen. Ich frag den Albert, was er ist, was er hat, was er kann und überhaupt. Josef, denk ich im selben Augenblick, Josef auch du warst zornig, aber so blöd hättest du nicht gefragt. Dabei wusste ich die Antwort schon vorher.
„Ich bin arbeitslos“, sagt Albert und da trifft er mich genau am Nerv. „Ich kann mich nicht anpassen“, sagt er noch hinten nach. Ganz gelassen.
Plötzlich ist eine Mattscheibe da. Genau vor meinem Hirn. Ich fange weder zu schreien an, noch zu plärren. Ich bin einfach tot im Kopf. Ich bin auch dann noch tot, wie die Greta zu mir ins Wohnzimmer kommt und „Mamutschki“ sagt, und wie sie sagt, dass ich bürgerlich bin und Vorurteile habe, und dass man sich wirklich nicht so benehmen kann. Weil ich sie verletze und den Albert auch. Ich bin auch noch tot, wie ich mich ins Bett lege und wie mir Tobias mehr Vernunft beibringen will und mich fragt, was ich selbst wohl sagen werde, wenn ich im Jänner nicht mehr bei der Sparkasse bin.
Arbeitslos, werde ich sagen, und ich kann mich nicht anpassen.
Am Morgen beim Frühstück bin ich immer noch tot. Greta deckt den Tisch für mich, für sie und den Albert.
Ich kann Alberts Gesicht nicht mehr sehen. Seinen Spitzbart nicht und nicht seine Ketterln.
Ich habe genug von den Typen. Obwohl sie mir alle leid tun, und obwohl ich meine Tochter wirklich verletze. Ich will überhaupt niemanden mehr sehen. Die Bürgerlichen nicht. Die Nichtbürgerlichen nicht. Und die Typen schon gar nicht. Zu viele sind es gewesen. Zu viele. Dreckige Schuhe vor der Wohnungstür und die Nachbarin fliegt drüber. Leere Zigarettenschachteln. Eine ungelüftete Wohnung und noch mehr. Der eine hat gestern nicht gearbeitet, der andere ist morgen krank und der dritte geht dorthin essen, wo gerade ein voller Topf steht. Der vierte muss mit meinem Auto Bücher transportieren, der fünfte holt meine Kohlen aus dem Keller, damit er seine Wohnung heizen kann. Denn es ist kalt und er braucht genauso Wärme wie ich. Der sechste bringt seine Freundin, damit sie ihn öfter sehen kann. Ich wohne nämlich in der Stadt und seine Freundin am Land.
Nein, ich will den Albert wirklich nicht beim Frühstück sehen, obwohl er vielleicht nichts dafür kann. Wir beide haben ja kaum zwei Sätze miteinander gewechselt.
Greta sagt, dass sie ausziehen will und geht mit dem Frühstückstablett zu Albert.
Wie ich endlich nach der langen Nacht und dem Frühstück wieder lebendig werde, ist der erste Gedanke an Goethe. Der Satz mit den Geistern, die er gerufen hat.
Und was wird aus meinem Kind. Den Kummer kennt sie schon, die Greta. Den Kummer, der einen manchmal niederschlägt. Auf den Erdboden und noch tiefer. Immer wieder hat sie sich hochgezogen, ist durch das nächste Jahr gelaufen, und hat doch dabei die Augen zu gemacht.
„Das nächste Mal“, hat sie immer wieder gesagt, „wird es besser“. Und dann geht sie auf die Menschen zu, weil sie glücklich sein will und weil sie die Menschen braucht. Und ihre langen Haare spielen mit dem Wind. Und ihre blauen Augen strahlen die Hoffnung. Es ist so ihre Art, dass sie die Arme ausbreitet. Ganz weit und auf mich zuläuft. Oder auf andere auch.
Einen Geschniegelten, sagt sie, nimmt sie nie. Einen Geschniegelten, sag ich, mag ich auch nicht. Trotzdem.
Jetzt zieht Quendolin einen Wollknäuel durchs Zimmer. Verknüpft. Verknotet. Tatzt ihn. Beisst hinein. Springt in die Luft. Der Kater ist wieder ein Tiger und seine Krankheit hat er längst übertaucht.
Ich starre den Kater an und es dämmert: Der Tiger spielt mit dem gordischen Knoten. Alexander der Grosse bin ich nicht und ein Schwert möchte ich nicht verwenden.
Ich will mit Albert reden und mit meiner erwachsenen Tochter auch.
Hände weg, denk ich noch.
Hände weg vom gordischen Knoten.

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Tag der Veröffentlichung: 02.02.2009

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