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Elfi Wohlgemut berichtet

Liebe Hörerinnen und Hörer! Hier ist für Sie Elfi Wohlgemut von *Radio Massenwahn*. Sie wissen schon: Wir berichten über Alles und Jeden, auch wenn’s niemand interessiert. Heute berichte ich direkt aus dem Gerichtsgebäude, in dem der weltweit mit Spannung erwartete Prozess beginnt. In diesem Prozess geht es um das wohl abscheulichste Verbrechen, welches sich in der Vergangenheit zugetragen hat und konnte nur deshalb aufgeklärt werden, weil Nachbarn –wie du und ich– Zivilcourage bewiesen haben. Auf das Urteil dürfen unsere Hörerinnen und Hörer gespannt sein, denn wir sind live dabei; wir berichten über Alles und Jeden, auch wenn’s niemand interessiert.

 Den Vorsitz wird der Richter Haberecht inne haben. Die Anklage wurde akribisch durch den Staatsanwalt Gutdünk vorbereitet und lässt –wie er uns in einem Interview vorab schon verriet– einige überraschende Wendungen erhoffen. Der Zuschauersaal ist zum Bersten gefüllt und viele am Prozess Interessierte müssen auf den Gängen des Gerichtsgebäudes verbleiben. Wie gut, dass das vorherige Losverfahren uns einen Platz im Saal gesichert hat, so dass auch Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, an den Empfängern dabei sein können. Denn: Wir berichten über Alles und Jeden, auch wenn’s niemand interessiert.

 Der Staatsanwalt Gutdünk und der mutmaßliche Täter B., vertreten durch die Anwälte Spitz & Findig, sitzen bereits vor dem Richtertisch. Nun betritt der Gerichtsdiener den Saal und fordert die Anwesenden auf, sich zu erheben. Richter Haberecht schreitet in den Saal. Alle verstummen. Mit einer Geste macht der Richter kenntlich, dass die Anwesenden sich setzen sollen. Nun übernimmt Richter Haberecht ... ins Mikrofon flüstern ... und Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, sind live dabei – denn: Wir berichten über Alles und Jeden, auch wenn’s niemand interessiert.

Der Prozess

Richter:

Angeklagter! Sie heißen Bürger und wohnen in der Calauer Straße 13 in Verlangen?

Angeklagter:

Das ist richtig, Herr Richter.

Richter:

Angeklagter, Ihnen wird zur Last gelegt, dass Sie ein abscheuliches Verbrechen begangen haben sollen. Was sagen Sie dazu?

 Angeklagter:

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, nun ... also ... ähh ...

Richter unterbricht den Angeklagten:

Angeklagter, antworten Sie nur, und zwar ausführlich, mit *Ja* oder *Nein*!

 Angeklagter:

Ähh ... Ja! ... Also ... Nein! ...

 Richter:

Gut! Ich erteile dem Herrn Staatsanwalt Gutdünk das Wort!

 Staatsanwalt erhebt sich und bildet mit seinen Händen eine Raute:

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Richter Haberecht, mir gegenüber, auf der Anklagebank, sitzt ein Mann, dessen abscheuliches Verbrechen seines Gleichen sucht! Nur durch mutiges Eingreifen der Nachbarn Wehrt und Kämpf konnte dieses Verbrechen aufgedeckt werden. Dafür werden diese beiden Mitbürger im übrigen nächste Woche die gläserne Ehrennadel im Scherbenhaufen von unserem Staatsoberhaupt persönlich erhalten.

 Verteidiger Spitz wirft ein:

Na, na, ... Mutiges Eingreifen! ... Wo waren denn die Herren Wehrt und Kämpf, als das Restaurant des Griechen, genau gegenüber des Hauses dieser Nachbarn, von Vermummten überfallen und der griechische Mitbürger übel zugerichtet wurde?! Ist es nicht vielmehr so gewesen, dass der Herr Kämpf, als er den entstandenen Tumult bemerkte, den Nachbarn Wehrt anrief, mit dem Hinweis, es wäre ordentlich Bambule beim Griechen? Und war es dann nicht der Nachbar Werth, der sich mit Rioja, Frau und Kamera auf dem Balkon des Kämpf einfand? Und ist es nicht auch so gewesen, dass keiner der Anwesenden auf dem Balkon auf die Idee kam, die Polizei zu rufen oder anderweitige Hilfestellung zu leisten?

 Kämpf springt entrüstet von seinem Platz:

Ja, aber die Vermummten waren doch Spinner! Selbst unser Staatsoberhaupt hat sie so genannt!

 Richter:

Das gehört, nebenbei gesagt, nicht hierher ...

 Staatsanwalt:

Genau!

Drum lassen Sie mich –nur zur Erklärung des Sachverhaltes– fortfahren und ein wenig abschweifen ... Durch die vom Angeklagten verübte Tat wurde in der Tat das heilige Kalb der Deutschen stark beschädigt. Nur hat dieses Kalb nicht vier Beine, sondern Räder. Jawohl! Räder! Nämlich vier Stück an der Zahl. Ob nach einem roten mit schwarzen Punkten versehenen Insekt benannt oder nach einem Mond, der einen Himmelskörper umkreist ... immer war dieses besondere Verhältnis zu spüren ... diese Leidenschaft ...

 Verteidiger Findig wirft ein:

Das gehört, nebenbei gesagt, nicht hierher ...

 Staatsanwalt lässt sich nicht beirren:

Der Wohlstand unseres Landes gründet sich auf dieses heilige Kalb. Selbst Abwrackprämien kamen zum Einsatz, um die Produktion wieder anzukurbeln ...

 Richter ermahnend:

Herr Staatsanwalt! Zur Sache bitte!

 Staatsanwalt nun wieder in geschäftlichem Ton:

Dem Angeklagten wird gemäß Paragraph 142 Strafgesetzbuch zur Last gelegt, sich als an einem Verkehrsunfall Beteiligter vom Unfallort entfernt zu haben, ohne die Feststellung seiner Personalien zu ermöglichen. Hierfür lege ich zwei Fotos als Beweisstücke vor. Diese wurden der Staatsanwalt von den Nachbarn Werth und Kämpf zur Verfügung gestellt, die den Tathergang dokumentierten.

 

Liebe Hörerinnen und Hörer! Ein leichtes Raunen geht durch den Gerichtssaal, als der Staatsanwalt zwei Fotos auf den Richtertisch legt. Die Zuschauer recken die Hälse, da nicht zu erkennen ist, was auf diesen Fotos abgebildet ist.

 

Richter:

Angeklagter, treten Sie vor!

 

Liebe Hörerinnen und Hörer! Der Angeklagte tritt vor den Richtertisch.

 

Richter:

Angeklagter! Sind Sie die Person, die auf den beiden Fotos, von ihren Nachbarn Werth und Kämpf geschossen, zu sehen ist?

 Angeklagter:

Ja!

 Richter:

Angeklagter, Sie können sich wieder setzen!

 

Liebe Hörerinnen und Hörer! Der Angeklagte nimmt wieder Platz. Die Spannung im Saal ist kaum noch zu ertragen. Die Zuschauer scheinen die Luft anzuhalten in dieser dramatischen Situation.

 

Richter:

Ich nehme die mir nunmehr vorliegenden Fotos, von den Nachbarn Werth und Kämpf geschossen, als Beweisstücke 007 und 0815 auf.

Nun zum Tathergang. Angeklagter! Sie kamen an besagtem Tag mit dem Fahrrad nach Hause?

 Angeklagter:

Ja!

 Richter:

Es geschah also am helllichten Tag?

 Angeklagter:

Ja!

Richter:

Wie auf dem Beweisstück 0815 zu sehen ist, stellten Sie Ihr Fahrrad ab, um die Post aus dem Briefkasten zu nehmen?

 Angeklagter:

Ja!

Richter:

Während Sie zum Briefkasten gingen, fiel Ihr Fahrrad gegen das in der Einfahrt stehende Auto und verursachte auf dem blauen Autolack eine gigantische Schramme von zirka zwei Zentimetern?

 Angeklagter:

Ja!

Richter:

Sie bemerkten das Umfallen des Rades und die Zerstörung des Lackes?

Angeklagter:

Ja!

Richter:

Und dann? Was taten Sie?

Angeklagter:

Ja! ... Ähh ... Ich hob mein Fahrrad auf und ging damit ins Haus.

 Staatsanwalt:

Aha!!! Er hat’s zugegeben!

Verteidiger Spitz wirft ein:

Herr Richter, das Auto gehört doch dem Angeklagten selbst!

 

Entsetztes und betretenes Schweigen bei den Zuschauern und bei Richter und Staatsanwalt. Dann ein langsam anschwellendes Tuscheln  im Saal.

 

Richter klopft mit dem Hammer auf den Richter-Tisch:

Ruhe! ...

Die Verteidiger Spitz und Findig und der Staatsanwalt in mein Büro. Die Sitzung wird vertagt!

Elfi Wohlgemut beendet die Gerichtsreportage

Liebe Hörerinnen und Hörer! Da hatte der Staatsanwalt –in unserem Vorab-Live-Interview– nicht zu viel versprochen ... Der Prozess hat viele Fragen aufgeworfen ... und keine beantwortet ... Die Verbrecher sind unter uns ... die Denunzianten auch ... Das gehört, nebenbei gesagt, nicht hierher ...

Es berichtete für Sie Elfi Wohlgemut von *Radio Massenwahn*. Sie wissen schon: Wir berichten über Alles und Jeden, auch wenn’s niemand interessiert. Zurück ins Studio!

Impressum

Texte: Signe Winter
Tag der Veröffentlichung: 26.09.2013

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