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Ist Glück relativ?

Spontan wäre diese Frage kurz und knapp mit „Ja!“ zu beantworten?

Die Anwesenheit oder Abwesenheit von Wasser war und ist von immenser Bedeutung (auch) für den Menschen und seine Existenz. Nicht ohne Grund sagte Thales von Milet über das Wasser, es sei der Urstoff allen Seins. In den Religionen spielt Wasser eine zentrale Rolle: Im Christentum ist das Wasser das Urelement des Lebens.

 Das Übermaß an Wasser im Juni 2013 brachte in Mitteleuropa vielen Menschen persönliches Unglück. Die gleiche Wassermenge hätte in den trockensten Gebieten von Afrika fruchtbaren Boden und damit Nahrung für Mensch und Tier erzeugt. Für sie hätte die Wassermenge (wahrscheinlich) ein großes Glück bedeutet. Des einen Freud, ist des anderen Leid?

 Damit Glück als *relativ* betrachtet werden kann, muss es in einem Verhältnis zu etwas stehen oder sich in einem Kontext zu etwas befinden und/oder sich darauf beziehen. Glück relativiert sich (offensichtlich) durch Umstände, durch das Individuum, durch soziale, gesellschaftliche und kulturelle Aspekte. Klingt logisch, oder? So einfach scheint es jedoch nicht zu sein. Um die absolute Komponente beim Glück ausschließen zu können, dürfte es also nicht vergleichbar mit etwas sein, man dürfte es nicht unabhängig betrachten können und es dürfte sich auf keine Grundeinheit beziehen.

 Etymologisch leitet sich das Wort *Glück* von den Worten *gelucke*, *gelücke*, *glücke*, *gelück* ab und wurde im Sinne von *Geschick* und *Lebensunterhalt* verwendet. Die ursprüngliche Verwendung *Geschick* deutet auf einen relativen Aspekt des Wortes *Glück* hin. Ob jemand geschickt (genug) ist, um sein (das) Glück zu finden, hängt von der Begabung, der Fähigkeit und/oder der Fertigkeit des Glückssuchenden ab. Relative Faktoren bei der Erlangung von Glück spielen somit eine Rolle.

 Das Wort *Glück* wurde ursprünglich auch für die „Art, wie etwas endet“ gebraucht. Damit implizierte das Wort *Glück* die Sicht darauf, ob ein Ereignis gut ausging.

 Auf das Wasser-Beispiel bezogen: Mit ziemlicher Sicherheit werden die meisten Hochwasseropfer in Deutschland Unterstützung erhalten, um die verursachten Schäden beseitigen zu können. Glück im Unglück?

 Aber gibt es auch absolute Parameter für das Glück? Ist die Betrachtung von Glück abstrakt möglich? Wie formuliert man eine Glücks-Formel?

 Formeln bezeichnen in verkürzter Weise Sachverhalte oder Zusammenhänge. Klar definierte Formeln haben die umgangssprachlich genannten Glückshormone. Für Serotonin sieht diese so aus: C10H12N2O und Dopamin lässt sich als Formel so darstellen: C8H11NO. Die Tatsache allein, dass der menschliche Körper über diese Hormone verfügt, genügt jedoch nicht, damit der Mensch sich glücklich fühlt. Das Anheben oder Absenken des Serotoninspiegels wird z.B. durch geistige Prozesse und auch durch Nahrung, Bewegung und Licht beeinflusst. Relativiert sich damit die Glücks-Formel?

 Einen weiteren möglichen Hinweis auf eine absolute Komponente bei der Betrachtung des Glücks bietet die etymologische Bedeutung des Wortes im ursprünglichen Sinn: *Lebensunterhalt*. Dies deutet in gewissem Maße auf eine Bedürfnisbefriedigung des Menschen hin. Diese Bedürfnisse sind nicht willkürlich, im Gegensatz zu den individuellen Vergleichsmaßstäben, die der Mensch darüber hinaus für sein persönliches Glück oder was er dafür hält, ansetzt. Der Amerikaner Maslow entwickelte in seiner Theorie zwei Arten von Bedürfnissen: die Defizit- und die Wachstumsbedürfnisse. Die Defizitbedürfnisse unterteilt der Psychologe in die vier Gruppen: Körperliche Bedürfnisse, Bedürfnis nach Sicherheit, soziale Bedürfnisse und das Bedürfnis nach Achtung. Das Wachstumsbedürfnis definiert Maslow in der Selbstverwirklichung des Individuums. Dabei geht er von einer hierarchischen Ordnung der Bedürfnisse aus, wobei die unteren, die körperlichen Bedürfnisse und das Sicherheitsbedürfnis, die höchste Priorität besitzen. In ihnen sieht er demzufolge auch die höchste Motivationskraft, solange diese nicht befriedigt sind. Brecht nannte es so: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral ...“

 Sicherlich bedeutet der Mangel an lebensnotwendigem Wasser ein weitaus beschwerlicheres Leben als wir es uns vorzustellen vermögen; wir, die wir den Wasserhahn aufdrehen ohne nachzudenken oder im Sommer einmal mehr unsere verstaubten Autos waschen ... Aber sind die Menschen in Afrika automatisch unglückliche Menschen?

 Zurück zur philosophischen Betrachtung: Die Frage nach dem Glück beschäftigte die Philosophen immer schon. Aus Sicht der Autorin unternahmen sie sehr wohl den Versuch, den Begriff des Glücks zu abstrahieren, mit dem Ziel eine Art Glücksformel zu finden. Dass sich die Ansicht darüber im Laufe der Zeiten geändert hat, hängt auch mit den unterschiedlichen Ansätzen des Menschenbildes zusammen. Als DER Glücksphilosoph der Antike gilt Epikur. Er sah das Glück u.a. in der körperlichen Gesundheit, besonders in der Schmerzfreiheit. Dabei ging es Epikur in seinen Überlegungen darum, die Lebensfreude zu erhöhen und die Beständigkeit dieser Lebensfreude zu erhalten, in dem jeder Tag zu genießen sei. Ziel solle es sein, die den Seelenfrieden beeinflussenden Faktoren wie Begierde, Furcht und Schmerz zu vermeiden oder zu überwinden. Die Formel könnte lauten: Lust suchen – Unlust vermeiden. Carpe diem! Auch wenn dieser Ansatz auf persönliches Erleben, Epikur soll an Nieren- und Harnsteinen gelitten haben, zurück zu führen sein mag, ist Epikur damit der Maslowschen Theorie bzw. einem des von ihm genannten höchsten Bedürfnisses ziemlich nahe.

 Glücksformel gefunden? Was fängt man mit diesen Erkenntnissen an? Nützen diese Abstraktionen einem persönlich? Die Autorin denkt: Ja und nein. Folgt man der Relativitätstheorie des Glücks, nämlich dass das Lebensglück eines Menschen „aus einem mehr oder weniger bewusst vollzogenen mentalen Vergleich zwischen dem subjektiv erlebten Ist-Zustand mit einem Soll-Zustand ... [resultiert]“, landet der Mensch sehr schnell in einer Sackgasse. Denn in dem Moment, wo der Mensch willkürlich seinen eigenen Wertekanon zur Glücksfindung ansetzt, in dem er eigene Maßstäbe des Vergleichs entwickelt, wird das Glück als reale Größe bedeutungslos. Denn die Suche nach dem Glück wird uns das Glück selbst nicht bringen.

 „Ja renn nur nach dem Glück,

doch renne nicht zu sehr!

Denn alle rennen nach dem Glück,

das Glück rennt hinterher.

Denn für dieses Leben

ist der Mensch nicht anspruchslos genug.

Drum ist all sein Streben

nur ein Selbstbetrug.“

 Und wie viel dauerhaftes Glück erträgt der Mensch? Paul Watzlawick dreht den Spieß um und leitet den Menschen ausdrücklich zum Unglücklichsein an. Er führt u.a. aus:

„Machen wir uns nichts vor: Was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie bitter nötig; im wahrsten Sinne des Wortes.

Unseren warmblütigen Vettern im Tierreich geht es nicht besser: Man besehe sich nur die monströsen Wirkungen des Zoo-Lebens, das jene herrlichen Kreaturen vor Hunger, Gefahr und Krankheit (einschließlich Zahnfäule) schützt und damit zu den Entsprechungen menschlicher Neurotiker und Psychotiker macht [...]

Wie die Zoodirektoren im kleinen, so haben es sich die Sozialstaaten im großen Maßstabe zur Aufgabe gemacht, das Leben des Staatsbürgers von der Wiege bis zur Bahre sicher und glücktriefend zu gestalten. Dies ist aber nur dadurch möglich, dass der Staatsbürger systematisch zur gesellschaftlichen Inkompetenz erzogen wird ...“

In diesem Sinne, lieber Leser: Bleiben Sie (lieber) relativ unglücklich!

 

 

 

 

Epi log

Warum behauptet wird, dass E. log, werden wir wohl nie erfahren.

Wer dies behauptet, bleibt ebenfalls ungewiss.

Und wessen Wahrheit wurde nicht gesagt?

Quellenangaben

http://de.wikipedia.org/wiki/Wasser

http://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BCck

http://de.wikipedia.org/wiki/Formel

http://blog.gluecksnetz.de/2007/08/31/gluckshormone-serotonin-und-dopamin/

http://de.wikipedia.org/wiki/Serotonin

http://de.wikipedia.org/wiki/Dopamin

http://www.pm-magazin.de/a/die-philosophen-und-das-gl%C3%BCck

http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/philosophie.htm

http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/grundbedarf.htm

Wörterbuch zum altdeutschen Lesebuch, Wilhelm Wackernagel

http://www2.eur.nl/fsw/research/veenhoven/Pub1990s/91d-fulld.pdf

http://de.wikipedia.org/wiki/Epikur

Anleitung zum Unglücklichsein, Paul Watzlawick

Dreigroschenoper, Bertolt Brecht

Impressum

Texte: Signe Winter
Bildmaterialien: BookRix-Edition
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2013

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