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Unwort des Jahres




Vorwort



Ursprünglich habe ich dieses Feuilleton für „BRIX – Das Magazin“ geschrieben als Beitrag zum Thema „Menschenwürde“.

Einer der Redakteure befand jedoch, dass mein Artikel zu wenig Tiefgang habe…

Mein Redakteurskollege Phil Humor griff meinen Gedanken auf und initiierte eine Diskussion in verschiedenen Foren auf BookRix zum Unwort im Allgemeinen und Speziellen. Angeregt durch diese Diskussion kam der „Spielball“ zu mir zurück, ich überar-
beitete meinen Artikel und fügte weitere Gedanken hinzu.

Für die fortführende gedankliche Anregung danke ich Phil!

Herzlich gnies.retniw

25.01.2012


*Unwort des Jahres* und die Menschenwürde



Wir sind Autoren und unser Arbeitsmaterial sind Worte. Unsere Worte sind Ausdruck unserer Gedanken. Ob wir das wollen oder nicht: Gesagtes, Formuliertes, auch Nichtgesagtes sind das Sprachrohr dessen, was wir denken und fühlen. Das gilt für die Alltagssprache genauso wie für die Texte, die geschrieben stehen. „Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag… die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen.“ (Victor Klemperer, LTI)

Was verbindet nun Klemperers *Lingua Tertii Imperii, Sprache des dritten Reiches*, das Unwort des Jahres 2011 und die Menschenwürde miteinander? Nun, so Einiges, behauptet die Autorin.

Auch wenn Klemperers *LTI* die Sprache des Dritten Reiches seziert und damit den moralischen, politischen und alltäglichen Verfall in der Zeit des Nationalsozialismus’ via Sprache analysiert, hat dieses philologische Werk an Allgemeingültigkeit nicht verloren. Denn auch wenn es in der Bundesrepublik Deutschland seit über 60 Jahren demokratische Verhältnisse gibt, zeigt unsere Sprache immer wieder ein gesellschaftliches Bewusst-
sein, dass Ausdruck bestimmter Ressentiments im Umgang mit anderen Menschen oder im Umgang mit Situationen ist.

Die ursprünglich von der *Gesellschaft für deutsche Sprache* ins Leben gerufene Initiative kürt nicht nur das *Wort des Jahres*, sondern auch das *Unwort des Jahres*. Diese Aktionen, mittlerweile entscheidet eine Jury aus vier Sprachwissen-
schaftlern und einem Journalisten darüber, weisen auf öffentlichen Sprachgebrauch hin. Zum *Unwort des Jahres* werden „…Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen…“ (wikipedia) gewählt. Jeder Bürger, jede Bürgerin kann durch Einsendung eines Vorschlages daran teilnehmen.

Die Wahl für das *Unwort des Jahres 2011* fiel auf den Begriff *Dönermorde*. Dieser Begriff ist im Zusammenhang mit der Ermordung von neun Menschen, die türkischer oder griechischer Abstammung waren, von der Polizei „kreiert“ worden. Dieses Wort verschleiert, willentlich oder unwillentlich, die Tatsache, dass MENSCHEN ermordet wurden, denn Döner sind ja nicht zu Schaden gekommen. Das Ausmaß, welches hinter diesem menschenunwürdigen Sprachgebrauch steckt, kommt jetzt erst zum Tragen und steht in besonderem Maße für ein Versagen von Politik, Polizei und deren Organe. Der jahrelange Sprachgebrauch dieses Unwortes hat in schädigender Weise über Jahre hinweg die gesellschaftliche Wahrnehmung beeinflusst.

Die Wahl des Wortes *Dönermorde* als Unwort 2011 findet die Autorin passend; sie denkt jedoch, dass diese Wahl mit zehn Jahren Verspätung kommt. Denn nur weil jetzt erst die Tatsachen der Morde an neun Menschen in die Öffentlichkeit dringen, hatte dieses Wort ja bereits zehn Jahre lang sein Unwesen in den Köpfen getrieben. Da könnte man die mediale Betroffenheit, die plötzlich über den Rand schwappt, auch für verlogen erklären. Was die Autorin meint: vorher schien den Einsendern oder dieser Jury nicht aufgefallen zu sein, dass da keine Döner ermordet wurden, sondern Menschen… Nun ja…

Einen weiteren Gedanken, über den die Autorin bei der Recherche „stolperte“, war bei der „sueddeutschen.de“ zu lesen und die Autorin möchte dies dem geneigten Leser nicht vorenthalten. Auch wenn der Begriff *Dönermord* sehr wohl Ausdruck „…von ebenso großer Gedankenlosigkeit wie Hartherzigkeit…“ ist, gibt dieser Autor zu bedenken, dass es sich bei diesem Begriff um einen Euphemismus handelt, der das Entsetzen der meisten Menschen darüber wenigstens sprachlich von sich fern halten möchte.

Es sei dahingestellt, welcher Auslegung man im Detail folgen möchte. Eines bleibt: Unsere Worte sind Ausdruck unserer Gedanken. Und wir als Schreibende, denkende Autoren haben einmal mehr die Verpflichtung, NICHT GEDANKENLOS zu schreiben, zu sprechen; egal, ob hier oder anderswo. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar; auch in verbaler Hinsicht.

Die persönlichen Unwörter der Autorin sind: *Dritte Welt* und *Schwellenländer*. Aber auf diese Wahl zu Unwörtern muss sie wohl noch zehn bis fünfzehn Jahre warten; nämlich, bis sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu Gunsten dieser, mit diesen Wörtern verunglimpften, Länder verschoben haben.

Die Frage, ob das Wort *Unwort* nicht schon ein Unwort ist, findet die Autorin überlegenswert. Aber welchen anderen Begriff haben wir für Wörter, die, in sich Nonsens oder auf merkwürdige Art und Weise Spiegelbild eines gesellschaftlichen Bewusstseins sind. Vielleicht *Unfug*?...

 

edit Januar 2020

 

Jüngst wurde als Unwort des Jahres das Wort: Klimahysterie gewählt. Man darf unterschiedlicher Meinung sein, was die Ursachen des Klimawandels angeht. Dass ein Klimawandel stattfindet, ist unbestritten; übrigens seit Entstehung des Universums und der Galaxien ... Und die Spezies Mensch trägt vermutlich dazu bei, dass die "Haut der Erde" dünner wird und die ohnehin von statten gehenden Änderungen beschleunigt werden. 

 

"Wie in jedem Jahr waren alle Bürger dazu aufgerufen, Vorschläge für das *Unwort des Jahres* einzureichen. Dabei sei *Klimahysterie* neunmal eingesandt worden, wie überhaupt Einsendungen rund um Ökologie und Umweltschutz stark zugenommen hätten, so Janich. [...] Insgesamt gab es 671 Einsendungen mit 397 Vorschlägen." NEUN EINSENDUNGEN - das nenne ich mal repräsentativ!!! 

Quellenangaben:

* Victor Klemperer, LTI, Notizbuch eines Philologen,
Reclam Verlag Leipzig 2005
* http://de.wikipedia.org/wiki/Unwort
* http://www.unwortdesjahres.net/
* http://www.gfds.de/aktionen/wort-des-jahres/
unwoerter-des-jahres/
* http://www.sueddeutsche.de/kultur/
doener-morde-unwort-des-jahres-spass-faellt-weg
* http://www.der-buchleser.de/2012/01/23/
unwort-des-jahres-2011/
* https://www.dw.com/de/klimahysterie-ist-unwort-des-jahres-2019/a-51994639

Impressum

Texte: copyright Text und Bild bei Signe Winter
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2012

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