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Stakkatoartig zuckten die Laserblitze im Takt der wummernden Bässe, während auf der Tanzfläche vor allem die weiblichen Clubbesucher zu Höchstform aufliefen. Der Grund dafür war nicht schwer zu erraten. Hinter der getönten Glasscheibe, die sich unauffällig in die Renaissancemalereien der kuppelartigen Decke einfügte, war eine Gestalt zu erahnen. Eric, der Besitzer des Clubs, absolvierte seine nächtliche Stippvisite von seinem Büro aus. Er war nicht vergeben, das hatten vor allem die weiblichen Besucher des Clubs in den sechs Monaten, seit das Michelangelo eröffnet hatte, längst spitz. Leider ließ er sich selten im Club sehen, deshalb nutzten die Frauen die einzige Möglichkeit, das Objekt ihrer Begierde auf sich aufmerksam zu machen. Wenige von ihnen hatten damit bisher Glück gehabt – und es lief immer auf die gleiche Art und Weise ab. Ein altmodisch gekleideter Mann kam auf die Auserwählte zu und brachte sie in den Backstagebereich des Clubs. Was danach geschah, wusste niemand, weil die Frauen, die einmal in den Backstagebereich eingeladen wurden, nie wieder im Club auftauchten. Chrissy zog mich damit auf, dass Eric ein Psychopath war, der Frauen um die Ecke brachte. Allerdings versuchte Chrissy ohnehin alles, um mir meine Faszination für Eric auszureden; und natürlich blieben ihre Bemühungen erfolglos. Seit ich Eric das erste Mal gesehen hatte - etwa zwei Wochen nach Eröffnung des Michelangelos - war ich ihm verfallen. Anders war es nicht zu bezeichnen, denn mit einem hatte Chrissy sicherlich recht – meine Schwärmerei für Eric hatte sich längst in eine ungesunde Richtung entwickelt.

Ich konnte kaum das Ende der Woche abwarten, damit ich wieder ins Michelangelo kam, um diesen Mann anzuschmachten, der wahrscheinlich nicht einmal wusste, dass ich existierte; ganz davon abgesehen, dass Eric ganz offensichtlich nicht nach einer Freundin suchte, sondern nach unverbindlichen One-Night-Stands. Chrissy hatte natürlich völlig recht, wenn sie sich Sorgen um mich machte. Ich war nie der Typ Frau gewesen, der sich etwas aus Affären oder One-Night-Stands gemacht hatte. Aber bei Eric schaltete mein Gehirn alle Wenn und Abers einfach aus. Ich war hoffnungslos verloren, und das Einzige, was mich vor einem gebrochenen Herzen bewahren konnte, war die Tatsache, dass Eric mich überhaupt nicht wahrnahm.

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich noch nicht weiter darüber nachgedacht, was passieren könnte, wenn das Undenkbare eintraf und Eric sich dazu entschied, mir tatsächlich seine Aufmerksamkeit zu schenken … so wie in dem Augenblick, als mein Zustand emotionalen Verfalls seinen Anfang nahm …

Ich war von der Tanzfläche gekommen, angeheizt von zwei Manhatten und vielleicht noch ein paar anderen Drinks … die Wahrheit ist, dass so ziemlich alles, was vor dem Zusammentreffen mit Eric an diesem Abend passierte, hinter einem grauen Nebel liegt.

Auf jeden Fall war ich nicht mehr ganz sicher auf meinen Füßen – ich trug diese bescheuerten High Heels von der Sorte, mit denen man besser nur dekorativ herumsitzt, anstatt zu tanzen und ein kleines Schwarzes, das bei jedem Schritt Gefahr lief, über meinen Hintern zu rutschen. Kurz gesagt – ich war zu sehr damit beschäftigt, nicht hinzufallen und darauf zu achten, dass mein Slip unter dem Rock bleibt, als ich gegen eine harte Männerbrust prallte.

„Sorry … war keine Absicht ...“, nuschelte ich gegen ein schwarzes Seidenhemd, während mir der Duft von Bvlgari in der Nase prickelte – Amber und Tabak. Ich mochte diesen Duft – mein Chef trug ihn seit Jahren. „Immerhin guter Geschmack ...“, murmelte ich vor mich hin, als sich zwei Hände auf meine Schulter legten, und sanft von sich schoben. Vielleicht wäre gar nichts passiert, wenn ich nicht aufgesehen in dieses unglaublich attraktive Gesicht geblickt hätte ...

„Vorsicht, Micina ...“

Ich weiß, dass ich ihn angestarrt habe … auf genau die gleiche Art, wie wahrscheinlich alle Frauen ihn anstarren … vielleicht habe ich noch viel schlimmer gestarrt als die anderen. Wie ein Schaf, das ein UFO sieht. Immerhin bin ich keine Frau von der Sorte, die im Dunstkreis von Männern wie Eric verkehren. Seine Hände lagen auf meinen Schultern und fühlten sich plötzlich unglaublich schwer und warm an. Die Musik rückte in den Hintergrund, die Lichtblitze der Laser wurden dunkel. Ich sah nur noch Erics dunkle Augen, seine hohen Wangenknochen, sein braunes Haar, das ihm leicht gewellt über die Ohren fiel, seine festen aber sinnlichen Lippen … Ich konnte einfach nicht aufhören, ihn anzusehen. Er war mindestens einsneunzig und trug das schwarze Hemd lässig über einer dunklen Jeans – ganz so als wäre er gerade aufgestanden und hätte sich schnell ein paar Sachen übergeworfen. Das viele Schwarz machte ihn noch attraktiver, obwohl er wahrscheinlich auch nackt dem Bild einer griechischen Statue nahegekommen wäre. Ein absolut perfektes Bild! Die Zeit stand für mich still.

Leider nicht für ihn. „Du solltest nicht so viel trinken, Micina … du verträgst keinen Alkohol.“

Ich schlug hart auf dem Boden der Realität auf, als Eric sich mit einem unverbindlichen Lächeln abwandte und unbeeindruckt durch das Spalier gierig starrender Frauen davonschlenderte … so souverän, als präsentiere er Casual-Mode auf einem Laufsteg.

Mein Gott! Ich war eine von Vielen … und wenn ich mir die Schönheiten mit den endlos langen Beinen und gepushten Brüsten ansah, die sich ihm anboten, konnte ich froh sein, dass dieser Mann mir überhaupt einen Moment Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Aber eigentlich wusste ich in dem Augenblick, als ich Eric in die Augen sah, dass ich verloren war … aller logischen Einwände zum Trotz … ich hatte meinem Schicksal ins Gesicht geblickt … auch wenn dieses Schicksal nie davon erfahren würde, dass eine mittelgroße Brünette mit unbeeindruckender Körbchengröße und einem langweiligen Leben sich einbildete, gerade eben ihrem Schicksal begegnet zu sein … tja … Shit Happens!

„Jill, wann hört das endlich auf? Ich meine, wie lange kommen wir jetzt schon jedes Wochenende in diesen Club? Monate! Ganz ehrlich ... ich mache mir Sorgen um dich. Du lebst nur noch dafür, hierher zu kommen und diesen Typen anzuschmachten, der gar nicht weiß, dass du existierst. Schau dich mal um. Das Leben zieht an dir vorbei. Du bist sechsundzwanzig, deine letzte Beziehung ist zwei Jahre her. Es gibt genügend Männer, die Interesse hätten … aber du starrst immer nur zu dieser verdammten Glasscheibe rauf … Jill? JI-HILL! Erde an Jill … hörst du mir überhaupt zu?“

Langsam riss ich mich von meiner Erinnerung los und wandte mich meiner besten Freundin Chrissy zu. Freundschaften erweisen sich ja bekanntlich erst in Krisensituationen als verlässlich oder eben nicht. Chrissy hatte diese Feuerprobe mehr als bestanden. Seit Monaten kam sie jedes Wochenende mit mir hierher … eigentlich wunderte ich mich, dass sie überhaupt noch meine Freundin sein wollte. Ich benahm mich nicht wir ein erwachsener, gesunder Mensch.

„Tut mir leid, Chrissy … geh ruhig nach Hause. Ich bleibe noch etwas.“

Chrissys Augen verengten sich zu Schlitzen. Das war das Zeichen, dass ihre Geduld langsam zu kippen schien. Wir stritten oft über mein pathologisches Verhalten, was Eric anging, aber die Wahrheit war, dass ich ohnehin keine Argumente zugelassen hätte – so richtig und logisch sie auch gewesen wären.

„Jill … lass uns doch mal wieder irgendwo anders hingehen … so ganz normal … ins Kino vielleicht oder einfach shoppen … oder in einen anderen Club mit anderen Leuten. Das Michelangelo ist nicht der einzige Club in der Stadt … und es gibt andere Männer.“

Nicht für mich! Trotzdem traf mich Chrissys gequälter Gesichtsausdruck genau da, wohin sich mein letzter Rest klaren Menschenverstandes zurückgezogen hatte. Ehe ich darüber nachdenken konnte, kamen mir die Worte über die Lippen. „Ok … lass uns nächste Woche shoppen gehen.“

Chrissys Laune besserte sich, ihr Schmollmund verzog sich zu einem Lächeln. Sie war eine hübsche Blondine, die das Leben leicht nahm. Ihr Aussehen öffnete ihr viele Türen, und sie hätte ohne Probleme mit den Schönheiten auf der Tanzfläche mithalten können. Allerdings fehlte ihr das typische Tussi-Gen. Ich hatte Chrissy oft darum beneidet, wie einfach für sie alles schien … sich zu verlieben, sich zu entlieben, wenn die Beziehung nicht das hielt, was sie sich erhofft hatte. Nie war großer Schmerz oder langer Kummer ein Thema für sie. Alles, was Chrissy anpackte, gelang ihr fast mühelos, selbst im Job.

Wir beide arbeiteten seit vier Jahren als Sekretärinnen in der gleichen Firma – mit dem Unterschied, dass Chrissy innerhalb eines Jahres Chefsekretärin geworden war und eine Gehaltserhöhung bekommen hatte, während ich noch immer als Springer zwischen verschiedenen Büros hin und hergereicht wurde – immerhin mit unbefristetem Arbeitsvertrag. Trotzdem – Chrissy war bei allen beliebt durch ihr zugängliches und sympathisches Wesen. Ich hatte es da schwerer.

„ … und können danach noch ins Predi gehen, um etwas zu essen.“ Chrissy sah mich erwartungsvoll an, und mir wurde klar, dass ich ihr schon wieder nicht zugehört hatte. Aber da ich wusste, dass diese Offenbarung einen vollkommen berechtigten Streit nach sich ziehen würde, zwang ich mich zu einem begeisterten Nicken. „Ja, super Idee!“

Chrissy gähnte zufrieden und sah auf ihre Uhr. „Schon fast Zwei! Ich muss noch mal für kleine Prinzessinnen und dann ins Bett. Ehrlich, Jill … Alexander scheint zu glauben, dass ich mich zweiteilen kann.“

Alexander war Chrissys Chef … und auch meiner. Mit dem Unterschied, dass Chrissy ihn Alexander nannte, während ich bei Herr Bergmann blieb. Nun ja, zumindest darum beneidete ich Chrissy nicht. Jeder wusste, dass Alexander Bergmann gerne mehr für Chrissy gewesen wäre, als nur ihr Chef. Aber leider war das einzig attraktive an ihm sein Bvlgari Aftershave. Er war etwa Einssiebzig, um die Fünfzig und hatte früh seine Haare verloren. Ein typischer Bürohengst, langweilig ohne Ecken und Kanten. Chrissy schenkte ihm als Mann so wenig Beachtung wie Eric mir als Frau.

„Also, wartest du hier? Dann geh ich mal eben. Wahrscheinlich ist die Schlange wieder endlos lang und es dauert etwas länger.“

„Kein Problem. Ich gehe solange tanzen“, antwortete ich und konnte den mitleidigen Seufzer fast von Chrissys Lippen lesen. Genauso gut hätte sie sagen können … Das wird auch nicht helfen … zwischen all den aufgedonnerten Tussen sieht er dich ohnehin nicht …

Ach, es war ein verdammtes Trauerspiel ... Trotzdem stand ich auf und drängelte mich zur Tanzfläche durch, während Chrissy in Richtung der Toiletten verschwand. Wenigstens hatte ich dieses Mal nicht die super hohen High Heels an. Die hätten zwar ein wenig meine fehlende Größe ausgeglichen, aber mir beim Tanzen die Grazie eines Elefanten verliehen.

Natürlich war die Tanzfläche voll. Es herrschte Hochkonjunktur, weil Eric zusah und nach einem willigen Sexspielzeug für die Nacht suchte … wenn ihm denn danach war. Das letzte Mal war fast einen Monat her – die Chancen standen also gar nicht so schlecht, dass Eric sich dazu herablassen würde, den

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alexa Kim al-kim@web.de
Bildmaterialien: jdesign.at
Tag der Veröffentlichung: 23.06.2016
ISBN: 978-3-7396-6183-4

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