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Wie alles begann

Nicht weit von hier, da lag ein Wald, welchen sich zwei Mächte teilten. Zur rechten Seite, da lebten die guten Mächte und zur linken Seite, dort lebten die bösen Mächte. Und an jeder Seite lag ein kleines Dorf.

Wenn im rechten Dorf ein Kind geboren wurde, kamen zur Nacht elfengleiche Wesen angeflogen und hüllten das Kindlein in einen glitzernden Sternenstaub. Durch diesen Zauber waren die Menschen dort lieblich anzusehen. Sie ehrten die Älteren und zollten ihnen Gehorsam. Alle gingen höflich miteinander um. Jeder schenkte jedem ein Lächeln, ja, sogar vor der Schnecke auf ihrem Blatt, zog man freundlich seinen Hut. Die Menschen trugen Kleider aus Leinen und wussten recht viel. Ihnen gereichte was sie hatten. Mit Fleiß gingen sie an ihre Aufgaben und konnten doch nicht so recht vorankommen.


Zur linken Seite kamen dunkle dicke Käfer in die Wiege gekrabbelt und setzten sich ans Ohr des Kindes. Bisher weiß keiner, was die Käfer dort taten, vielleicht hauchten sie dem Kinde ihre Schandtaten ein. Die Menschen dort sind einfältig, dumm und mobbten sich untereinander. Die Männer tranken Alkohol, die Frauen waren unordentlich und die Kinder ungehorsam. Leute die alles besserwissen wollten konnte man dort an jeder Ecke antreffen. Lüge und Verrat regierten das Dorf. Man ging in Samt und Seide gekleidet, was dann auch mit Eitelkeit und Stolz zur Schau getragen wurde. Hier hat man es zu etwas gebracht. Die Bestechlichkeit und die Gier erlebten ihre Hochzeit.


Die Tugendhaften beobachteten traurig, in was für einem Prunk das kleine Dorf zur linken Seite, in Windeseile zur Stadt heranwuchs. Und schon bald zogen die Jungen Leute, aus dem Dorf zur rechten Seite, aus um in der großen Stadt viel Geld zu verdienen. Im Gepäck hatten sie viele Ideen und Talente.


Die Lasterhaften jedoch, versuchten die Tugendhaften auszunutzen. Sie schätzten zwar den Fleiß und die Pünktlichkeit, die Ideen und die Talente, aber das Wissen versuchten die Besserwisser zu toppen. Und so geschah es, das die Liebe sich zur Lust und zur Untreue gesellte, die Streber, welche die Fleißigen verdrängten und die Enthaltsamkeit auf die Gier traf. Und schon bald fingen die Tugendhaften an Trübsal zu blasen.


Die Stadt jedoch wuchs weiter und weiter, bis sie das Dorf zur rechten Seite berührte. Jetzt zeigten die Lasterhaften ihr wahres Gesicht, was die Tugendhaften in Angst und Schrecken versetzte. Der Menschenhass ward geboren. Die Heuchelei sollte zwischen den Menschenvermitteln, aber die Tugendhaften hielten an ihren Tugenden fest, da half auch keine Bestechung.

 

Aufbruch im Feenwald

Schon lange beobachteten die Feen dieses Treiben. Traurig darüber was aus ihren Gaben geworden war, ersannen sie einen Plan.


An der Grenze zur Linken, saßen die großen dunklen Käfer und jubelten. Trotzdem waren sie auf de Hut. Ihre Hörner, die sie am Kopf trugen, standen gesenkt, zum Kampf bereit. Sie trugen zwar ihre Schlechtigkeiten, wer weiß wie, in die Welt hinaus, aber zaubern, ja, das konnten sie nicht.


Die Feen jedoch, tanzten einen Reigen. Sie trugen Schnabelmasken und fingen an sich zu drehen. Immer wilder und wilder wurde der Tanz und ihre zarten Kleider wehten im Wind. In ihrer Wildheit, in der sie sich drehten, da wuchsen ihnen Flügel und sie verwandelten sich in wunderschöne Schwäne. Und dies übten sie nun Tag um Tag.


Die Käfer jedoch bekamen es mit der Angst zu tun und liefen während der Nacht in die Stadt, zu ihren lasterhaften Freunden. Dort setzten sie sich zu deren Ohren und taten wahrscheinlich dasselbe, wie zu deren Kindheit. Denn plötzlich waren auch diese zum Kampf bereit.


Eines Tages, als bei dem Feentanz alles so richtig gut klappte, da trug die erste Fee eine übermächtig lange goldene Kette, die aber so leicht war, dass sie sich im Winde mitdrehte. Als sie sich so drehten, verwandelten sie sich wiederum in wunderschöne Schwäne und flogen gen Himmel. Der erste Schwan hatte goldene Zügel angelegt und auf ihm ritt allen voran die Feenkönigin. So flogen sie über die Wipfel der Bäume ihres Waldes, um schon bald in ihrem Dörflein zu landen.
Um ihre Haut zu retten, waren die Lasterhaften gerade mal wieder dabei, die Tugendhaften zu mobben. Die Heuchelei war dabei zu schlichten und zu vermitteln. Als alle das Rauschen am Himmel vernahmen, schauten sie hinauf und staunten, so stark, dass sie ihren Mund gar nicht wieder zu bekamen.


Aus der anderen Richtung jedoch, kam ein scheußliches Gebrumm. Die Käfer landeten vor ihren lasterhaften Freunden um sie zu schützen. Was wiederum ein Staunen hervorbrachte. Nur etwas anders! Die Tugendhaften ekelten sich.

 

Die Feenkönigin jedoch, trat vor und zog ihren Feenzauberstab. So klein und zart sie auch war, sprach sie doch mit einer starken und festen Stimme und ihrem erhobenen Zauberstab: "Wer die Tugenden nicht achtet und selbst in allem nur das Schlechte sieht, der möge schrumpfen, so lange bis er nicht mehr gesehen wird. Und nur die Erkenntnis kann ihn wieder zum Wachsen bringen." So sprach sie und verschwand wieder mit ihren Schwänen im Wald.


Gegen diesen Zauberspruch waren die Käfer machtlos und brummten ebenfalls davon.


Schutzlos ausgeliefert blieben die Lasterhaften zurück. Sie merkten schon bald ein merkwürdiges Kribbeln in ihrem Bauch. Einige bekannten sich noch schnell zu den Tugendhaften. Sie versprachen so zu werden wie diese. Alle anderen begannen ganz plötzlich zu schrumpfen. Sie schrumpften so sehr, dass sie schon bald nicht mehr gesehen wurden

Ein neues Leben beginnt

Von nun an veränderte sich das Leben in der Stadt. Die Tugenden vermischten sich mit den Lastern. Die Fleißigen mit den Strebern, die Liebe mit der Lust, die Wahrheit mit der Lüge, die Gehorsamen mit den Ungehorsamen, die Schönheit mit der Eitelkeit, die Wissenden mit den Besserwissern, die Ordnung mit der Unordnung und was sich sonst noch so fand. Die Mäßigkeit ermahnte die Tugenden und Laster, ihr „Ich“ in Maßen anzuwenden. Die Heuchelei saß weiterhin zwischen zwei Stühlen und versuchte zwischen beiden zu vermitteln. Die Bestechlichkeit und die Gier starteten einen triumphalen Einzug, welcher ihnen gründlich misslang, da der Zusammenhalt sich ihnen in den Weg stellte. Keiner wollte mehr etwas von ihnen wissen. Nur der Geiz fand ein kleines Schlupfloch und gesellte sich zur Mäßigkeit. Die Laster erkannten schon bald, dass ein Leben ohne Samt und Seide auch ganz lebenswert ist. Alle stürzten sich in das Abenteuer "Neues Leben". Zwar eines mit Ecken und Kanten, aber um ein vielfaches interessanter.

Aber auch die Geschrumpften Menschen mussten sich an ein neues Leben gewöhnen. Zuersteinmal mussten sie sich neue Wohnungen suchen, denn ihre konnten sie ja nicht mehr nutzen. Alles war so riesengroß, genauso wie bei den Riesen in einem weit entfernten Wald. Sie zogen zu den Mäusen und wohnten mit ihnen gemeinsam in ihren Löchern. Die Leute die das Stehlen liebten machten sich an ihren Vorräten zu schaffen um nicht zu verhungern. Andere wiederum zogen große Schneckenhäuser vor. Im Park, wo das Gras inzwischen meterhoch schien, wurden die Schnecken, bei Vollmond, mit viel Radau aus ihren Häusern vertrieben.

Im Wald des Bösen, gingen die Menschen auf schmalen Pfaden, entlang an hohen Moosbergen und beschirmt von riesigen weißen Geisterpilzen, spazieren. An Sonnenlicht war gar nicht zu denken, dieses schluckten schon die Bäume und die Pilze.

Was die Menschen auch taten, stets waren die Käfer in ihrer Nähe und achteten darauf, dass die Erkenntnis sie nie erreichte.


Als im Frühjahr die Erdbeerernte begann, sah man die kleinen Menschen mit Leitern bestückt losziehen. Die Pflanzen waren nämlich so hoch, dass sie so gar nicht an die Früchte kamen. Andere schoben große Körbe vor sich her, in welchen dann die Früchte abgelegt wurden. Und dann wurden die Körbe an riesigen Seilen über viele Reisighölzer nach Hause gezogen. Im Sommer wenn das Wurzelgemüse, wie zum Beispiel die Karotten, geerntet werden musste, zogen die Männer mit starken Tauen aus. Sie legten ihre Taue um das riesig anmutende Grün, dann zogen alle gemeinsam an den Tauen und die Karotte war geerntet. Viele starke Männer trugen diese dann gemeinsam bis vor das Mauseloch. Die Mäuse halfen dann, diese mit ihren Zähnen in mundgerechte Stücke zu zerlegen. Und wenn die Tugendhaften Riesen, im Sommer und Herbst die Früchte von den Bäumen holten, schauten die kleinen Lasterhaften neidvoll nach oben. An den noch am Baum hängenden Früchten, labten sich erst noch die Vögel und manch anderes Getier. An dem, was dann zu Boden fiel, labten sich die Trunksüchtigen. Denn die Früchte waren bereits vergoren.

Einfach war dieses Leben nicht. Die kleinen Menschlein: Sie waren nicht sehr glücklich. Mit den Jahren verschlissen die Kleider und man trug nur noch Lumpen. Die Haare wurden lang und länger und die Männer trugen schon bald lange, zottelige und verwuschelte Bärte. Die schöne Stadt fing langsam an zu verfallen.

Im Dorf aber blühte das Handwerk und die Kunst. Und ab und zu kam es sogar vor, dass zum Klavierspiel, die Mäuse in roten Hackenschuhen auf den Tischen tanzten.

 

Der Tag der Erkenntnis

An einem regnerischen Tag, an dem alle Kinder lieber drinnen blieben, ja, da passierte es! Eines suchte nach schönen Sachen der Mutter, um Prinzessin zu spielen. Noch schnell ein paar schicke Schuh und dann kann das Spiel losgehen. Beim Suchen, fand das Kind in der äußersten Ecke des Schrankes etwas. Etwas, was es noch nie gesehen hatte. Einen Spiegel! Den hatten nämlich die Eitlen, in die äußersten Ecken ihrer Schränke verbannt.

 

Wer schaute dieses Kind da nur an?

 

Ein Mädchen mit goldenem, dicken Haar und schön anzusehen. Das schaute dem Kind entgegen.

 

Aber was war das?

 

Ein großer Pickel auf der Nase, noch viele kleine quer über das Gesicht verteilt. Ach wie schauderte es da dem Kinde. Erschrocken warf es den Spiegel aus dem Fenster. Es warf ihn in Richtung der verfallenen Stadt, wo er in viele kleine Splitter zersprang.

Als die Sonne wieder heraus kam, da kamen die kleinen Menschlein aus ihren Mauselöchern und Schneckenhäusern gekrochen, um am Waldesrand, in den vielen kleinen Pfützchen, ein Bad zu nehmen. Und über ihnen, zeigte sich ein wunderschöner Regenbogen.

 

Ja, aber was war das?

 

In der Ferne, genau am Ende des Regenbogens, da glitzerte und funkelte es. Jeder, aber auch jeder, hatte von der Geschichte des Schatzes am Ende des Regenbogens gehört. So zogen sie in Richtung des Schatzes. Je näher sie kamen, um so mehr wuchs in ihnen die Gier. Die Leute stürzten sich auf den Schatz. Sie griffen sich, was sie kriegen konnten.

Enttäuschung machte sich breit!

Lauter kleine Scherben?

Mehr nicht?

 

Aber als sie ihren Schatz genauer betrachteten, schauten sie kleine zottige, dreckige, erbarmungslose Gesichter an.

 

Sollten sie das sein?

Sie, die einst so ein schönes, unkompliziertes Leben geführt haben. Ein Leben in Prunk und Schönheit.

Was ist nur aus ihnen geworden?

 

Sie nutzten ihre Spiegelscherben, um sich ihre langen Zottelbärte abzuschaben.

Sie erkannten sich selbst. Ihre großen Ziele, die sie damals hatten und den Weg dorthin. Plötzlich machte sich ein Gefühl in Ihnen breit, dass sie schon einmal durchlebt hatten. Sie wuchsen zu starken Männern und schönen Frauen heran, immer ihr großes Ziel vor den Augen.


Ach ja, solltest auch du dich mal ganz klein fühlen, dann halte doch mal Ausschau nach einer Scherbe des Spiegels der Erkenntnis.

 

    

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Tag der Veröffentlichung: 24.05.2014

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