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The Wall

Kapitel 1

 

Ich blickte auf das Haus vor mir. Es war alt, ganz offensichtlich, aber ich mochte es. Eine Veranda wie diese hatte ich mir schon immer gewünscht. Ich seufzte leise und schaltete den Motor meines Opels ab. Es war ein kleines Auto, reichte aber vollkommen. Ich schaute nach links, auf den Beifahrersitz. Dort saß meine beste Freundin Skyla. Mich wunderte es noch immer, dass sie tatsächlich mitgekommen war. Skyla war fast ein Jahr jünger als ich und ich war nicht mal volljährig. Trotzdem saßen wir beide jetzt in meinem Auto, vor dem Haus, in dem wir beide ab heute leben würden. Nur wir beide. Keine Eltern, kein Vormund. Absolut nicht legal, aber wirklich interessierte mich es nicht. Ich hatte keine Lust auf eine Pflegefamilie oder ein Heim. Es war zu wahrscheinlich, dass sie Skyla und mich getrennt hätten und das wollten wir beide auf keinen Fall. Wir wahren zwar nicht verwandt, wie Schwestern waren wir trotzdem.

Langsam beugte ich mich zu ihr rüber und schüttelte ihre Schulter.

„Komm schon Sky. Wir sind da!“ flüsterte ich ihr ins Ohr. Flatternd öffnete sie die Augen und sah mich verschlafen an. Dann lächelte sie müde.

„Lima“ ich verdrehte die Augen. Ich mochte den Spitznamen nicht, aber wenn sie mich so nenne wollte, von mir aus.

„Na komm!“sagte ich und stieg aus dem Wagen. Ein paar Sekunden später öffnete sich Skyla's Tür und sie stieg, immer noch schlaftrunken, aus. Dann sah sie zum Haus und riss die Augen auf.

„Wow, das sieht geil aus!“ freute sie sich. Dann stockte sie.

„Will ich überhaupt wissen, wie viel Geld du dafür von deinem Erbe abgezogen hast?“ fragte sie und zog die Augenbrauen hoch.

Unser Erbe. Und nein, willst du nicht!“ meinte ich und öffnete den Kofferraum um ein paar der Kartons auszuladen. Skyla angelte sich ebenfalls zwei.

Ich lief die Treppe zur Veranda hoch, stellte die Kisten auf den Boden und kramte den Haustürschlüssel aus meiner Hosentasche. Langsam drehte ich den Schlüssel im Schloss und öffnete dann die Tür. Langsam trat ich in das Haus, schob die Kisten mit dem Fuß vor mir her. Das Haus war schon vollständig eingerichtet und wir standen direkt in dem schmalen Flur, an dessen Ende das Wohnzimmer lag. Im Wohnzimmer blieb ich stehen und schaute mich um. Von den Fenstern konnte man auf die Veranda schauen. Wenn man weiter gerade aus ging, kam man in die Küche. An der rechten Seite führte die Holztreppe in den zweiten Stock.

Skyla blieb neben mir stehen. Sie lächelte.

„Willkommen Zuhause.“flüsterte sie. Ich sah sie an.

„Zuhause“seufzte ich. Ja, Zuhause.

 

Die Kisten auszupacken dauerte nicht lange. Wir hatten jeweils nur sechs. Ich richtete mein Zimmer ein. In vier meiner Kisten waren ausschließlich Bücher gewesen und die sortierte ich jetzt in mein Bücherregal, zu den anderen. Vom Vorbesitzer waren noch Bücher im Regal, was ich nur begrüßen konnte. Ich liebte Bücher. In den anderen zwei Kisten waren Klamotten und ein paar Fotos und andere Erinnerungen, die ich nicht zurück lassen konnte. Darunter meine Staffelei. Sie stand neben dem großen Fenster mit dem Erker. Dort herrschten die besten Lichtverhältnisse. Ich war froh das Zimmer an der Vorderseite zu haben. Skyla's ging zum Garten und war mir dementsprechend direkt gegenüber. Auch wenn sie vermutlich sowieso die meiste Zeit bei mir schlafen würde. Mein Zimmer war schlicht gehalten. Das Bett und das Bücherregal waren aus schwarz lackiertem Holz. Der Schreibtisch und der Kleiderschrank, so wie Nachttisch und Kommode waren weiß lackiert. Der Schreibtischstuhl war schwarz und auf dem dunkelbraunen Holzboden lag ein weinroter Faserteppich. Ich liebte es jetzt schon.

Auf dem Erker verteilte ich ein paar Kissen, die ich auf dem Bett gefunden hatte. Dann ging ich rüber und sah mir Skyla's Zimmer an. Sie hatte ein Gitterbett in weiß mit schwarzen Ranken mustern als Verzierung, eine längliche Kommode, ebenfalls in weiß, mit drei Schubladen zum aufziehen, einen Schminktisch mit ovalem Spiegel in etwas dunklerem weiß, einen kleinen Kleiderschrank und einen Nachttisch mit einer Schublade, beide waren schwarz. Ihr Schreibtisch war der selbe den ich hatte, nur in schwarz. Sie hatte auch ein Faserteppich, nur war er nicht viereckig wie meiner sondern rund und schwarz. Es war seltsam ein Zimmer zu sehen, in dem sie wohnte, und ohne Lichter ketten war. Und das fand Skyla offensichtlich auch so. Unzufrieden sah sie sich in ihrem fertig eingeräumten Zimmer um. Mein Blick blieb an ihrer Tischstaffelei hängen. Sie malte auch viel, allerdings eher auf Papier und nicht so viel an einer Staffelei.

„Man Lima, ich brauch Lichter ketten!“maulte sie und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ich nahm neben ihr Platz und fuhr ihr durch die, seit Kurzem, braunen Locken. Dunkel Blond mochte ich an ihr besser, aber wenn's ihr gefällt, bitte.

„Wir können nachher den Ort erkunden und dann eine kaufen.“ Sie grinste mich an. Ich grinste zurück.

„Und jetzt komm, du musst essen.“ meinte ich und stand auf. Lachend erhob sie sich.

„Sagt die Richtige!“ Ich fand mich nicht fett, aber dünn fand ich mich auch nicht gerade. Eben einfach normal. Aber Skyla… sie sah aus wie ein Strich in der Landschaft. Vorbau mal weggelassen. Denn dort hatte sie ein definitiv mehr als ich.

In der Küche hatte ich ein paar Sandwiches hingestellt, die noch von der Fahrt übrig waren. Da das Haus schon komplett eingerichtet war, konnte ich einfach zwei Teller aus dem Schrank nehmen und legte die zwei Sandwiches darauf. Dann schob ich Skyla einen Teller hin. Sie setzte sich an den Küchentisch. Ich stand an der Arbeitsfläche gelehnt und aß dort. War so eine Angewohnheit von mir.

 

Als wir gegessen hatten, fuhren wir in die Stadt. Obwohl ich es eher Kaff nennen würde. Wir wohnten in einem Haus etwas außerhalb, zählten aber immer noch zu diesem Kaff. Letin war wirklich ein Kaff. Ich glaubte, es waren nur etwa zwei tausend Einwohner. Und das waren hauptsächlich alte Leute. Es war hier so klein, dass es nicht mal eine getrennte Schule gab. Alle Klassen von der ersten bis zur zwölften gingen in die selbe Schule. Genau so wie wir auch bald. Da Skyla schon mit fünf eingeschult wurde, gingen wir beide in die elfte Klasse. Es nervte sie zwar, dass sie ständig die Jüngste war, aber wenn niemand fragte wie alt sie war, würde es keinem auffallen.

Wir bogen auf einen Parkplatz ein als Skyla mir einen Blick zu warf den ich nur all zu gut kannte. Das war der 'Ich bin ganz nett und hab dich ganz doll lieb' Blick.

„Sag mal… wann kann ich eigentlich mal Auto fahren lernen.“ Irgendwie hatte ich es geahnt. Ich seufzte.

„Sobald wir genug Geld haben, melde ich dich an. Versprochen. Aber du weißt, das wir das Erbe nur im Notfall antasten können. Und solange ich fahren kann, ist es kein Notfall, dass du es lernst.“ sie lehnte sich an mich.

„Ich weiß.“

 

Der Einkaufsladen war, wie zu erwarten, klein. Ich hatte noch nie so einen kleinen Einkaufsladen gesehen. Ich hatte keinen Plan wo ich lang musste und dass obwohl Skyla sich hier bewegte, als wäre sie hier Zuhause. Da sah man gut den Unterschied zwischen uns. Obwohl man den, wenn man gut hin sah, eigentlich fast immer sah.

Orientierungslos trottete ich mit dem Einkaufswagen hinter ihr her. Einzig und allein passte ich auf, dass sie nicht zu viel Sachen einpackte, die wir nicht brauchten. Schon wieder der Unterschied. Sie hatte gern alles, wollte alles. Und ich wollte so wenig wie möglich. Was man aber auch verstehen konnte.

Tatsächlich hatte dieser Einkaufsladen keine einzige Lichter kette und so mussten wir ohne sie nach Hause fahren. Was Skyla alles andere als gut fand. Aber wenigstens hatten wir jetzt einen vollen Kühlschrank und die Schulsachen hatten wir auch gekauft.

„Wann fängt die Schule eigentlich an?“ fragte Skyla während sie die Milch in den Kühlschrank zurück stellte.

„Morgen“ antwortet ich. Innerhalb von einer Sekunde verwandelte sich Skyla's Gesicht von desinteressiert in geschockt. Dann stöhnte sie auf.

„Ehrlich jetzt?“ frustriert ließ sie sich auf's Sofa fallen. Ich lachte.

„Ehrlich jetzt“ sie bewarf mich mit einem Kissen. Lachend fing ich es ab und schmiss es ihr ins Gesicht. Sie zog es sich vom Gesicht und legte es auf ihren Bauch. Dann seufzte sie.

„Ich hasse die Schule.“ Ich grinste.

„Ich weiß.“

 

Am Abend ging ich in die Küche, wo Skyla schon auf mich wartete, mit einer Kelle in der einen Hand und einen Teller in der anderen. Grinsend ging ich auf sie zu.

„Gib die her, bevor du dich verbrennst.“ ich nahm ihr Kelle und Teller aus den Hände und füllte den Teller mit der dampfenden Suppe, die sie gekocht hatte. Ich konnte nicht kochen, woher auch, ich wurde schließlich immer bekocht und Skyla konnte kochen, also übernahm sie das jedes Mal. Nur wenn es ans Teller beladen ging, verbrannte sie sich jedes mal.

Ich stellte den gefüllten Teller vor ihr auf den Tisch und füllte anschließend meinen eigenen. Als ich mich zu ihr an den Tisch setzte, sagte ich:

„Ich war vorhin auch Amazon und hab dir drei Lichter Ketten bestellt. Sie dürften in ein paar Tagen ankommen.“ Schelmisch grinsend sah sie mich an.

„Und welches Buch hast du dir gekauft?“fragte sie. Ich musste lachen. Sie kannte mich zu gut.

„Den neuen Roman von Cara Delevigne. Mirror,Mirror.“ fragend sah sie mich an. Ich versuchte immer noch ihr die Freude am lesen zu zeigen und legte ihr deshalb jedes Mal, wenn sie ein Buch durch hatte, ein Neues hin. Allerdings hatte sie immer noch keine Ahnung, wer gute Bücher schrieb und um was es bei solchen Sachen ging.

„Cara Delevigne ist ein Supermodel, Schauspielerin und Sängerin. Mirror,Mirror ist ihr erster Roman und beschreibt, wie vier Jugendliche mit Problemen zu sich selbst finden.“ erklärte ich ihr. Aber Skyla verdrehte bloß die Augen.

„Eine Alleskönnerin, hm?“ sagte sie und sah mich zweifelnd an. Ich zuckte bloß mit den Schulter. Was sollte ich dazu auch sagen?

„Ist auch egal.“ meinte sie.

 

Nach dem Essen ging ich duschen. Ich stellte das Wasser immer so heiß, dass das Badezimmer immer wie ein türkisches Dampfbad aussah. Ich wische über den Spiegel und sah mein Gesicht. Trotz der Hitze, die im Bad herrschte, war meine Haut blass wie immer. Mein, für gewöhnlich blondes Haar, war so nass, dass man den Rotstich, den ich meiner Mutter zu verdanken hatte, deutlich sah. Ich wollte nicht über sie nachdenken. Nie wieder. Ich blickte in meine grellen blauen Augen. Die Augen meines Vaters. Dann seufzte ich und machte mich Bett fertig.

 

Ich war gerade bei Kapitel dreizehn angekommen, da stolperte Skyla in mein Zimmer. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker. Ein Uhr zwölf. Ich seufzte, legte das Buch weg und machte Platz für sie. Sie ließ sich auf's Bett fallen und vergrub ihr Gesicht in meinen noch feuchten Haaren. Ich legte meinen Arm um sie. Sekunden später war sie eingeschlafen. Das musste dringend aufhören. Warum auch immer, sie konnte einfach nicht richtig, wenn ich nicht genau neben ihr war. Unsere Zimmer waren keine zehn Schritte von einander entfernt und es war trotzdem zu weit.

 

Um sechs klingelte der Wecker und riss uns beide unsanft aus dem Schlaf. Wir lagen noch genauso wie am Abend. Oder doch Morgen? Skyla murrte was unverständliches und wollte sich gerade wieder bei mir einkuscheln, als ich ihr einen Tritt gegen die Beine versetzte, sodass sie mit dem Arsch voran auf dem Boden landete. Er passierte nichts. Dann…

„Limara!“ brüllte sie und kam unbeholfen auf die Beine. Ich setzte mich grinsend auf.

„Wenigstens bist du jetzt wach.“ Sie schrie mir eine ganze Wuchs an Schimpfwörtern zu, die ich geflissentlich ignorierte.

„Na los, zieh dich an.“ Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf und polterte in ihr Zimmer. Ich konnte nicht anders als lachen, als ich selbst aufstand und zum Schrank ging.

 

Als wir auf den Parkplatz der Schule fuhren, wurden wir beide deutlich nervöser. Und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Wir stiegen aus.

„Ich hasse Schule.“ stöhnte Skyla.

„Ich weiß.“

Das Gebäude war kleiner als klein. Zumindest für mich. Ich war vorher nur auf Privatschulen gewesen und wusste daher nicht ansatzweise, was mich erwartete. Ich deutete auf einen Raum.

„Das ist unser Klassenraum.“ Stirn runzelnd sah sie mich an.

„Woher willst du das wissen?“ ich verdrehte die Augen und deutete auf die Schrift neben dem Raum.

„Da steht's doch 9A. Und in dem Brief den wir bekam stand, das wir in die Klasse 9A gehen werden.“ Skyla klatschte sich mit der Hand gegen die Stirn.

„Dummheit tut weh.“ flüsterte sie zu sich selbst. Ich grinste.

„Ach deshalb tut dir immer alles weh!“ ungläubig sah sich mich an. Dann lachte sie und stieß mir in die Seite.

„Du kannst mich mal!“ Wir lachten kurz, ehe ich, immer noch grinsend, an die Tür klopfte. Ein 'Herein' folgte. Wir gingen in den Raum, ich voran, und stellten uns vor das Pult. Eine ältere Frau mit deutlich zu blondierten Haaren und blauem Lidschatten blickte mir entgegen. Viel zu dick aufgetragen. Es sah albern aus, so als hatte sie sich nicht damit abgefunden, dass sie nicht mehr glatte Haut hatte. Mir war das egal.

Ich lächelte sie an.

„Hallo. Ich bin Limara und das ist Skyla. Wir sind die Neuen.“ Die Frau lächelte ebenfalls. Ihre Zähne sahen jung aus. Na wenigstens etwas.

„Es freut mich euch kennen zu lernen. Ich hoffe ihr werdet euch hier gut zurecht finden.“ meinte sie und überreichte uns ein Blatt Papier, welches ich schnell als Stundenplan identifizierte.

„Hier eure Stundenpläne.“ Skyla und ich sahen uns den Stundenplan und ich konnte jetzt schon sagen, dass ich ihn nicht mochte. Viel zu viele Doppelstunden.

„Gut, da wir das geklärt haben, könnt ihr euch jetzt eurer Klasse vorstellen.“ lächelte sie und deutete auf die Klasse, die nun aufgehört hatte zu reden und uns anstarrte.

Skyla neben mir wurde tiefrot. Sie war schüchtern, zumindest wenn sie mit anderen reden musste.

Ich lächelte wieder.

„Hi. Ich bin Limara und bin 16 Jahre alt. Wir sind gestern angekommen und wohnten vorher in New Orleans. Oh, und ich lese sehr viel.“ Ich hatte beinahe vergessen, das Lehrer gerne wussten, was die Schüler in ihrer Freizeit taten. Dann fing Skyla an zu sprechen.

„Äh, ich heiße Skyla und bin 15. Und, äh, ich spiele Fußball.“ stotterte sie. Das war nicht gelogen. Sie war sogar richtig gut auch wenn ich mich fragte, wie man in jeglicher anderer Art von Sport derart versagen konnte und beim Fußball auf dem Niveau einer Königin war. Würde ich behaupten. Ich hatte keine Ahnung von Fußball.

Die Frau lächelte immer noch.

„Okay, gut. Ich bin Frau Stevens. Bitte, setzt euch, damit wir mit Englisch anfangen können.“ Wir schlängelten uns durch die Sitzreihen und setzten uns auf die Plätze in der vorletzten Reihe. Dann widmete ich mich dem Unterricht. Für ca. Zehn Minuten. Innerlich verdrehte ich die Augen. Ich hatte das schon auf meiner Privatschule gehab. Und obwohl ich im Schlaf erzählen könnte, was Frau Stevens versuchte den Schülern zu erklären, passte Skyla genau auf. Sie war ein Jahr früher eingeschult worden und das wurde ich oft zum Verhängnis, weil sie manchmal nicht mitkam. Aber das machte nichts, ich würde einfach mit ihr lernen. Vielleicht wird das hier ja einfacher. Denn sie vergaß Alles während der Klausur wieder. Prüfungsangst. Das war das Problem. Die Lehrer auf ihrer alten Schule wussten das und haben deswegen ihren Notenspiegel anders bewertet. Ich würde mit den Lehrern hier darüber reden müssen, sonst hätte sie ein ernstes Problem.

 

Nachdem die ersten Drei Stunden um wahren, war Mittagspause. Die Cafeteria hier war kleiner und bot nur drei Gerichte an, aber immer noch besser als nichts. Skyla holte sich Pommes mit Ketchup und ich mir den Tomatensalat. Dann setzten wir uns an einen Tisch, der ansonsten komplett leer war und teilten auf. Sie bekam die Hälfte meines Salates und ich die Hälfte ihrer Pommes. Die Pommes waren wabbelig und der Salat fade. Ich musste mich nicht umsehen um zu wissen, dass jeder im Raum uns anstarrte. Skyla beugte sich zu mir rüber.

„Man, das ist gruselig.“ flüsterte sie. Ich zuckte mit den Schultern.

„Lass sie doch gucken.“ Skyla biss sich auf die Lippe.

„Du weißt, ich hasse es wenn Leute mir beim Essen zu gucken. Ich bin nicht so mutig wie du.“ ich musste grinsen. Ja, warum auch immer, das war ihr total peinlich. Ich verdrehte die Augen und sah mich auffällig um. Die Meisten verstanden und sahen weg. Doch dann blieb mein Blick an einem Tisch hängen, an dem vier Personen saßen. Zwei Jungs und zwei Mädchen. Wobei die Mädchen weniger auf den Bänken statt auf den Schößen der Jungs saßen. Ich war mir sicher, die beiden würden echt schön aussehen, wenn sie aufhören würden, sich eine ganze Drogerie an Schminke ins Gesicht zu Klatschen. Im Allgemeinen sahen sie so aus, wie die Königen in der Schule. Die Sorte Mädchen die ich nicht ausstehen konnte. Und die Jungs. Die starrten und einfach nur an. Und starrten. Verwirrt zog ich die Augenbrauen hoch, als ich merkte, dass sie eigentlich nur mich anstarrten Skyla beäugten sie eher, als wäre sie ein unwillkommenes Insekt. Die hatte inzwischen gemerkt, wo ich hinsah und warf ebenfalls einen Blick über ihre Schulter. Und sank direkt zusammen. Die falsche Art von Aufmerksamkeit. Die Jungs starrten immer noch. Und starrten, und starrten und starrten.

Skyla sah mich an.

„Oh Gott, das ist mega gruselig!“ flüsterte sie und sank noch weiter zusammen. Ich stimmte ihr zu. Das war gruselig. Entschlossen stand ich auf, ignorierte Skyla's entgeisterten Blick und lief zu der Gruppe hin. Bei ihnen angekommen lächelte ich.

„Hi. Ich bin mir sicher, es ist super spannend uns beim Essen zu beobachten aber könntet ihr das bitte lassen. Wenn ihr was wissen wollt, dann fragt einfach.“ meinte ich freundlich. Nun hörten auch die Mädchen auf, ihre Jungs anzuhimmeln und beäugten mich kritisch. Jeder andere, besonders Skyla, wäre jetzt in sich zusammen gesunken und wäre rot geworden. Ich nicht. Ich ließ meinen Blick genauso über sie wandern, wie deren über mich. Kurzer Rock, enge Top's, High Heels. Jap, ganz klar, ich mochte sie nicht.

„Was lässt sich glauben, wir hätten eine Frage?“ zickte das eine Mädchen, welche auf dem Jungen mit den blauen Augen saß. Beim näheren Betrachtet erkannte ich ihn. Er war in meiner Klasse.

Ich hob nur eine Augenbraue. Ich wusste wie man mit so jemanden umzugehen hatte. Sie würde mich zum schwächsten Glied der Schule erklären, also musste ich gezielt antworten. Sie würde mich danach als ihre Feindin betrachten, aber immer noch besser als die ganze Schule als Feind zu haben. Mal wieder.

„Ich habe nicht mit dir gesprochen, sondern mit deinem“ ich deutete auf den Jungen unter ihr,

„Lustmolch.“ Das war gemein, und war auch ein wenig beleidigend dem Jungen gegenüber, aber es war mehr als offensichtlich. Für mich.

Ich hatte gelernt mir mein Umfeld genau einzuprägen und jedes noch so kleine Detail aufzunehmen. Deswegen sah ich auch, wie sie ihn ansah. Wie sich ihr Blick verschleierte, wenn sie in seine Augen sah. Sie war in ihn verknallt, wollte ihn unbedingt haben. Und er wusste das auch und nutze es aus. Die Art wie er sie an sah, wie er sie fest hielt. Er wollte nur das Eine von ihr, mehr nicht. Und genauso war es auch mit den anderen beiden an dem Tisch. Aufreißer.

Ich widerstand dem Drang die Augen zu verdrehen.

Empört sah sie mich an und rutschte unruhig auf seinem Schoß hin und her.

„Wie kannst du es wagen?“ zischte sie mir giftig entgegen. Ich sah dem Jungen ins Gesicht und musste feststellen, dass es ihn amüsierte. Er ignorierte das Mädchen auf seinem Schoß.

„Ich hätte tatsächlich eine Frage an dich.“ meinte er mit tiefer, kehliger Stimme. Das Mädchen auf seinem Schoß verstärkte den Griff um seine Schultern aber er ignorierte sie immer noch. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Ich würde ihm nicht die Genugtuung geben, ihn zu fragen. Er grinste mich mit einem schiefen Lächeln an und ich war mir sicher, jedes Mädchen hätte jetzt alles für ihn getan.

„Was hält's du davon, dich heute mit mir treffen? Ich würde gern etwas sehr wichtiges mit dir besprechen.“ er verlieh seiner Stimme einen magischen Klang. Als ich zu dem anderen Jungen herüber sah, sah ich, dass er mich stumm dazu aufforderte dieser Bitte nach zukommen. Obwohl ich mir sicher war, dass es mehr ein Befehl war. Also sagte ich nur:

„Was ich davon halte?“ ich machte eine Pause und sah in seine hellen, blaunen Augen.

„Zeitverschwendung.“ Ich drehte mich und ging zurück auf meinem Patz.

 

„Und?“ fragte Skyla, sobald ich wieder saß. Ich zuckte mit den Schultern.

„Na ja, die Tussen sind jetzt meine Feinde, der Kerl wollte sich mit mir treffen und war sich Hundert Prozentig sicher, dass ich Ja sagen würde. Hab ich aber nicht und hab mich wieder hier hin gesetzt.“ Skyla kniff die Augenbrauen zusammen und sah mich forschend an. Ich starrte zurück. Dann gab sie es auf, seufzte tief und lächelte.

„Der erste Tag und schon haben wir Feinde.“ ich schüttelte den Kopf.

„Ich. Nicht du.“ sie schlug mir spielerisch auf den Kopf.

„Idiot! Deine Feinde sind meine Feinde.“ sagte sie und ich musste auch lachen, da ich das vor knapp vier Jahren mal haargenau so zu ihr gesagt hatte. Es ist so lange her und doch fühlt es sich an wie Gestern.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

In der nächsten Stunde hatten wir Biologie. Der Raum war einfach gehalten, nichts deutete auf Biologie hin. Außer die ausgestopften Tiere, die auf jeder freien Ablagestelle standen. Vögel, Igel, Füchse alles mögliche. Skyla verzog angewidert das Gesicht. Wir setzen uns in die erste Reihe. Skyla beugte sich zu mir rüber.

„Und wenn hier schon jemand sitzt?“ fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern.

„Dann haben die Pech gehabt.“

„Tatsächlich scheint mein Pech heute nur mit dir zu tun zu haben.“vernahm ich eine mir bekannte, tiefe Stimme. Auch ohne hoch zu blicken, hätte ich gewusst, dass es der Junge von vorhin war, aber ich sah trotzdem in seine blauen Augen. Belustigt grinste er mich an. Offensichtlich saß ich auf seinem Platz. Meine Augenbrauen zuckten hoch als er sich auf den Tisch lehnte und sein Gesicht kurz vor meinem stoppte. Rechts von mir hörte ich Skyla erschrocken Luft holen. Der Typ grinste mich immer noch an.

„Anscheinend habe ich mich vorhin nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Jason.“ Ich grinste gespielt freundlich.

„Hi Jason!“ meine Stimme war widerlich hoch, unterstrich aber perfekt, dass mich sein Name nicht interessierte. Er lachte leise.

„Und würdest du nun meine Einladung, dich mit mir zu treffen, annehmen?“ fragte er freundlich und kam mir noch ein Stück näher. Ich atmete ein und hatte direkt seinen Geruch in der Nase. Apfel. Benutze er etwa Apfelshampoo? Irgendwo, am Rande meines Bewusstsein, merkte ich, dass der gesamte Klassenraum leise geworden war und vermutlich zu uns rüber starrte. Innerlich schnaubte ich aber nach außen hin war davon nichts zu sehen. Glaubte der echt, ich würde mich mit ihm treffen, nur weil mir seinen Namen gesagt hatte? Wie eingebildet war dieser Arsch eigentlich?

Langsam fing ich an zu grinsen.

„Nein, würde ich nicht.“ Jason blinzelte überrascht. Neben kicherte Skyla leise. Und auch ich konnte mein Kichern nicht verstecken. So ein Schnösel. Da kriegte der einmal nicht das, was er wollte und schon war er still. Denn tatsächlich schien er sprachlos zu sein.

Im Augenwinkel sah ich einen Mann mit Bierbauch und einem Star Wars Shirt in den Raum kommen.

„Jason, setzt dich, der Unterricht fängt an.“ meinte er und Jason stieß sich von meinem Tisch ab und nahm hinter mir platz. Oh super, das konnte was werden.

„Nun gut, ihr beide seit die Neuen Schülerinnen?“ fragte der Mann und sah mich und Skyla an. Ich ergriff das Wort.

„Ja, ich bin Limara und das ist Skyla.“ ich zeigte auf meine Nachbarin, die schüchtern lächelte. Der Mann nickte zufrieden.

„ich bin her Ors, euer Bio- und Sportlehrer.“ Bio und Sport? Das war mal ne Kombi! Ich musste grinsen. Und dann auch noch Star Wars.

 

Der Schultag war wie zu erwarten langweilig und für mich eigentlich überflüssig gewesen. Skyla hatte es zwar was gebracht aber trotzdem. Der Tag war fast komplette Zeitverschwendung für mich gewesen. Außer die Sache mit Jason. Das war schon witzig. Ich war mir sicher, er war jemand, der es gewohnt war, das zu kriegen, was er wollte. Und solche Leute mochte ich nicht sonderlich. Ihren echten Charakter versteckten sie dann nämlich immer hinter dieser Arroganz die mir gehörig gegen den Strich ging. Wenn man Arrogant war und auch etwas drauf hatte, meinetwegen aber meistens war es dann doch so, dass sie einfach nur Sprüche klopften. Vermutlich würde Jason morgen sowieso wieder ein neues Spielzeug haben, ich musste an ihn also keine weiteren Gedanken verschwenden.

 

Skyla ließ sich theatralisch auf die Couch fallen.

„Ich hasse Schule!“ Ich schmiss meine Tasche neben ihre auf den Boden und ging in die Küche um die Suppe von gestern nochmal warm zu machen.

„Es könnte schlimmer sein.“ rief ich über die Schultern. Ich hörte ihr tiefes Seufzen und musste grinsen. So ein Faulpelz.

Schweigend reichte ich ihr die Suppe, darauf bedacht, nichts zu verschütten. Das wäre typisch Ich.

„Wie könnte es denn noch schlimmer sein?“ fragte sie und schob sich einen Löffel Suppe in den Mund. Ich zog die Augenbraue hoch.

„Hm, ich weiß nicht.“ sagte ich sarkastisch.

„Vielleicht wäre es schlimmer, wenn wir noch bei unseren Eltern wohnen würden. Wenn wir noch auf unsere alten Schulen gehen würden. Oder, oh, ich weiß, wenn Elena hier wäre!“ sie starrte mich finster an.

„Na gut, das war gemein. Aber es ist trotzdem besser. Oder etwa nicht?“ ruderte ich zurück und sah sie entschuldigend an. Sie seufzte kurz.

„Du hast recht. Es ist besser. Es ist besser, als alles was ich je kannte. Es ist was ich wollte. Ein Leben für mich. Und für dich. Zusammen. Und keiner kann sich zwischen uns stellen.“ sagte sie und ich sah wie ihre Augen funkelten. Ja, das hier war alles was wir je wollten. Selbst wenn unsere Träume und Wünsche nicht die selben waren, so wollten wir eine Sache doch ganz bestimmt. Freiheit. Und jetzt, jetzt waren Frei.

Meine Eltern würden mir nicht sagen, was ich anzuziehen hatte, wie ich zu reden, wie ich mich zu benehmen hatte. Sie würden nicht alles über mich entscheiden ohne meine Meinung angehört zu haben. Sie konnten gar nichts tun. Und Skyla's Eltern konnten ihr nichts mehr verbieten, konnten sie nicht mehr verletzten, anbrüllen oder arbeiten lassen. Solche Arbeiten mit 15 zu verrichten, allein wenn ich daran dachte, bekam mich eine üble Mordlust.

Und Elena… Elena war das Schlimmste von allem. Ganz egal was uns passierte, was uns zugrunde gerichtet hatte, sie war Schuld daran, dass Skyla Angst bekam, alleine zu sein. Angst bekam, verlassen zu werden, nicht gut genug zu sein. Elena war der Grund, warum ich die Welt nicht voller Unschuld und Fröhlichkeit anblickte, sondern mit Misstrauen und Hass. Sie war der Grund, weshalb in mir diese tiefe, alles vernichtende Wut lauerte und jeden Moment ausbrechen könnte, hätte ich sie nicht sorgfältig eingesperrt, weggeschlossen in meinem Inneren. Elena war der Grund, weshalb meine Seele ein einziges, tiefes Loch war.

 

Ich fuhr mir mit der Hand über die verschwitze Stirn. Weiß der Geier warum, aber Skyla wollte unbedingt Blumen vor der Veranda einpflanzen. Blumen! Die waren so was von unnötig, aber mein Problem war einfach, das ich ihr nichts abschlagen konnte. Nicht ihr.

Also saß ich nun auf dem Boden vor unserer Veranda und grub Löcher für die Pflanzen, die Skyla im Blumenladen zehn Straßen weiter, kaufte. So ein Mist. Warum zum Teufel musste ich die Löcher in den Dreck graben und sie konnte fröhlich durch die Gegend spazieren? Ich kann die Antwort. Weil sie das niemals so hin gekriegt hätte wie es gehörte. Weil sie es hasste, im Dreck zu wühlen, weil sie es hasste auch nur ansatzweise so auszusehen, wie damals.

Ich seufzte tief als ich die Hände in den Dreck stieß um lockere Erde hervorzuheben.

Skyla hatte es nicht leicht gehabt. Im Gegensatz zu mir, war ihre Kindheit sehr viel schlimmer. Ihre Eltern hatten kaum Geld um sie und ihre zwei Schwestern durch zubringen. Skyla war das mittlere Kind. Sie musste alles tun. Sie musste schuften, arbeiten, reparieren was kaputt war, auf ihre kleine Schwester aufpassen und das Geld einbringen. Ihre Eltern waren faul gewesen, denn als sie merkten, dass Skyla eine Begabung zum Nähen hatte, da hörten sie komplett auf zu arbeiten und überließen es ihrer damals achtjährigen Tochter. Sie musste Kleidung nähen, Decken, Kissen, kleine Stofftiere, alles was sich verkaufen ließ. Und sie musste es alleine tun. Ihre große Schwester war der Liebling ihrer Eltern und wurde verhätschelt und gehütet. Die meisten von Skyla's Einnahmen gingen an sie. Und ihre kleine Schwester war zu jung um zu arbeiten und selbst wenn sie es nicht gewesen wäre, hätte sie mehr zerstört als erschaffen. Alles musste sie alleine machen. Und wehe es gab nicht den Mindestbetrag von 500 Euro am Abend, nachdem sie alles verkauft hatte. Dann wurde sie geschlagen, bis sie kaum noch in der Lage war zu stehen. Ich wusste das. Ich hatte sie gesehen.

Als ich einmal mit meiner Mutter in ihren Laden ging um mir ein Kleid anzusehen, was sie hübsch fand, sah ich Skyla zum ersten Mal. Sie war ein Stückchen kleiner als ich. Hatte braune, gelockte Haare, die ihr unordentlich bis auf die Schultern abgeschnitten worden waren. Ihre blau-grünen Augen hatten sich nicht getraut, mir in die Augen zusehen. Man sah ihr sofort an, dass sie schüchtern war. Das weiße, voller Dreck und mit ein paar Löchern bedeckte Hemd saß unordentlich und zerknittert auf ihren schmalen Schultern. Auch die weite, braune und ebenfalls dreckige Hose sah alles andere als gepflegt aus. Und selbst die viel zu großen Schuhe sahen so aus, als würden sie jeden Moment auseinander fallen.

Meine Mutter hatte angewidert das Gesicht verzogen und starrte sie kalt an. Skyla zuckte unter dem Blick zusammen, was mich nicht gewundert hatte. Es musste für sie wahrlich seltsam gewesen sein, solche Leute wie mich und meine Mutter in ihrem Laden zu sehen. Ich spiegelte das komplette Gegenteil von ihr ab. Meine langen, blonden Haare waren kunstvoll hoch gesteckt und ließen nur ein paar Strähnen auf meine Schultern fallen. Auch in meinem eleganten Kleid und mit dem engen Korsett darunter sah ich komplett anders aus, als sie. Der rote Stoff glänzte und bauschte sich ab meiner Hüfte hinab ein wenig auf, was mich aussehen ließ, wie eine Prinzessin. Es war Sommer gewesen und so war mein Kleid mit breiten Trägern gesegnet und ließ ein wenig Dekolletee blicken. An meinem Hals hing ein schwerer, schwarzer Stein und dazu trug ich passende Ohrringe. Auch auf dem Rock des Kleides konnte man ein wenig schwarzer Spitze erkennen und um meine Taille schlang sich ein schwarzes, seidenes Tuch, das an meinem Rücken zu einer Schleife gebunden war.

Meine Mutter trug ein Kleid, ähnlich geschnitten wie meines, nur mit mehr Dekolletee und blau und grün. Und sie trug einen kleinen, weißen Hut, den ich, damals wie heute, absolut lächerlich fand.

Ich sah komplett anders aus als Skyla damals. Aber eine Sache hatten wir gemein, schon damals, als ich nicht mal wusste, wie sie hieß. Sowohl vor ihren blau-grünen Augen, als auch vor meinen strahlend grünen lag ein dunkler Schatten der uns kennzeichnete. Ich sah diesen Schatten sofort und wusste einfach, das sie war wie ich. Sie war in eine Familie hinein geboren worden, mit der sie nichts anfangen konnte. Sie wurde zu Dingen gezwungen die sie nicht tun wollte und konnte die Dinge die sie wollte nicht tun. Das sah ich sofort. Und während meine Mutter zu dem Kleid schritt, beinahe schwebte, so elegant war ihre Haltung, ihr Gang, da ging ich zu Skyla, stellte mich vor sie und lächelte sie breit an.

„Hallo, ich heiße Limara. Und du?“ ich legte meine volle Freundlichkeit in diese zwei Sätze. Ich wollte, das sie mich mochte. Und dann, da sah sie mir das erste Mal in die Augen und ich wusste, dass sie das selbe in meinen Augen sah wie ich in ihren. Den Schatten.

„I-ich bin Skyla.“ hatte sie geflüstert, ganz leise, ich hätte es fast nicht verstanden. Aber ich lächelte sie einfach weiter so an. Und da lächelte sie zurück. Immer noch schüchtern und voller Angst aber sie schenkte mir ein Lächeln, ein ehrliches. Und ich sah ihr an, das sie genau wie ich, seit Ewigkeiten kein echtes Lächeln mehr gelächelt hatte.

 

Das war jetzt vier Jahre her. Sie war damals elf, ich zwölf. Von da an waren wir Freundinnen. Ich schlich mich so oft aus dem Stadthaus, wie ich nur konnte. Auch wenn das meistens nur für ein paar Stunden möglich war. Und dann kaufte ich ihr Dinge die sie brauchte. Schuhe, Kleidung, Essen. Sehr viel Essen. Denn an meinem ersten Besuch bei ihr im Laden hatte ich gemerkt, wie spindeldürr sie eigentlich war. Ich schenkte ihr so viel Essen, wie ich an einem Tag tragen konnte und das über zwei Jahre hinweg. Sie nahm ein wenig zu, sodass es nicht mehr gänzlich krank aussah aber irgendwann nahm sie einfach nicht mehr zu. Auch wenn ich sah, wie sie das Essen, dass ich ihr brachte, verschlang. Gute Gene, hatte sie erklärt. Und ich brachte ihr trotzdem weiterhin Leckerein, die sie sonst niemals hätte kosten können, einfach weil das Geld nicht reichte. Und wenn sie die 500 Euro nicht zusammen bekam, gab ich ihr das restliche Geld, damit sie nicht so oft geschlagen wurde. Ich hätte ihr gern mehr gegeben, aber ich wusste, dass es eh für jeden in dieser Familie war, außer für sie. Ihre Eltern waren so beschäftigt mit sich selbst, dass sie die neue Kleidung, und das Skyla zunahm, nicht bemerkten. Ich hatte mein Leben damals gehasst, außer diese Momente mit Skyla. An manchen Tagen gingen wir in das teuerste Theater, das ich finden konnte, kaufte ihr Kleinigkeiten, die sie verstecken konnte. Darunter eine Kette die sie bis heute Trug. Und ich das passende Gegenstück dazu. Yin und Yang.

Sie bekam die weiße Seite und ich die schwarze.

Meine Eltern merkten weder, dass das Geld fehlte, noch das ich fehlte. Wie hätten sie es auch bemerken können? Wir hatten genug Geld um damit den ganzen Staat hätten kaufen zu können und um mein Fehlen zu bemerken, hätten sie mir Aufmerksamkeit schenken müssen. Was sie nicht taten. Für meine Erziehung waren die Dienstboten und Mägde zuständig. Und vier Tage, bevor ich das erste Mal zu Skyla ging, hatte ich angefangen mich für vier Stunden am Tag in meinem Zimmer einzuschließen, mit der Behauptung ich würde lesen. Ich hatte ihnen gesagt, ich würde nicht antworten. Und das tat ich nicht, als sie mich riefen. Drei Tage stiegen sie mit einer Leiter in mein Zimmer ein. Am vierten Tag nicht mehr. In der Zeit schlich ich mich immer raus. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und wenn ich mich nicht raus schlich, weil ich meinen Verpflichtungen nachzugehen hatte, dann hasste ich mein Leben wieder. Ich hasste den Tanzunterricht, hasste den Englisch- und Geschichtsunterricht. Ich hasste all das. Weil es mich zu einer Lady machen sollte.

Meine Eltern hatten viel Geld, sie gehörten zu den Reichsten der Reichsten. Und ich als ihre Alleinerbin wurde gründlich darauf vorbereitet nichts weiter zu sein als eine Puppe, die Tat was man einem sagte. Ich sollte Party's vorbereiten, die schönste Schrift haben, mich korrekt ausdrücken müssen. Und nur reden, wenn ich gefragt wurde. Niemals die eigene Meinung preisgeben, nur die, die dem Gegenüber am besten Gefallen würde. Leise kichern, den Rücken gerade, nicht schlürfen, nicht sich kratzen, nicht an den Fingern spielen. Nichts. Wenn man nicht mit einem redete, hatte man still zu sitzen und nichts darauf hindeuten zu lassen, dass man anwesend war.

 

Darum waren wir so unterschiedlich, Skyla und ich. Und doch gleich. Wir wollten beide, was wir nicht hatten. Skyla wollte ein Leben in Luxus und ich wollte ein Leben ohne Luxus. Vor einem Jahr fassten wir einen Plan. Wenn wir es nicht mehr aushielten, würden wir abhauen, einfach weggehen. Und nie wieder kommen. Ich bereitete alles vor, weil ich diejenige war, die sich raus schleichen konnte. In diesem letzten Jahr unseres alten Lebens, bekam ich Skyla nur selten zu Gesicht. Jeder in dieser Stadt wusste, wer ich war. Und so stellte niemand Fragen, wenn ich demjenigen die richtige Summe anbot. Ich kaufte ein Auto, versteckte es auf einem verlassen Schrottplatz, ich kaufte ein Haus in dem Dorf Lettin, welches zehn Staaten entfernt von unserer Stadt war. Ich ließ meine Erbschrift auf ein privates Konto ändern, unter einem anderen Namen, damit meine Eltern nicht sahen, wenn ich etwas abhob. Und von diesem Konto, überschrieb ich es wieder auf ein anderes. Das machte ich fünfmal, in verschiedenen Sprachen, damit niemand auf die Idee kam, dass es eine Verbindung geben könnte. Ich besorgte und andere Ausweise, die echt waren, nicht gefälscht, mit genug Geld ließ sich leider alles auf diesem Planeten regeln. Und so wurde aus Skyla Murphy, Skyla Pece. Und aus Limara von Bravington, Limara Noben. Ich kaufte das Haus auf meinen neuen Namen, genau wie das Auto. Alles war bereit. Diese Vorbereitungen dauerten sieben Monate. Erst danach konnte ich Skyla wieder regelmäßig sehen. Sie hatte mir sehr gefehlt. Sie war meine zweite Hälfte. Sie verstand mich auch ohne, dass ich etwas sagte. Wir waren wie Seelen verwandt.

 

An einem Morgen vor zwei Monaten war es soweit. Ich konnte nicht mehr. Wir hatten ausgemacht, dass, sollte es einer von uns zu viel werden, wir gehen würden. Und das war der Fall. Ich kam an diesem Morgen die riesige Marmortreppe herunter. Ich wurde von meinen Kammerzofen besonders hübsch gemacht. Ich hatte geahnt, dass wir irgend einen wichtigen Gast hatten. Und so wurde ich in das schönste Kleid gesteckt das ich hatte, mein Korsett wurde mich so fest zugezogen, das mir kurzzeitig schwarz vor Augen wurde und die Schuhe, in denen ich steckte, hatten mir die Füße zerquetscht. Alles in allem konnte ich mich kaum bewegen.

In der Bibliothek waren meine Eltern und ein recht gut aussehender Mann ende zwanzig. Sie unterhielten sich freudig angeregt über irgendetwas, als ich eintrat. Meine Mutter fing an zu strahlen als sie mich sah. Sowas tat sie nur vor Gästen.

„Ach, da ist sie ja. Limara, darf ich dir Lord William von Pesus vorstellen.“ Er verbeugte sich leicht und ich knickst tief. Er war ein Lord, also stand ich im Rang unter ihm. Ich lächelte ihn gespielt freudig an.

„Deinen Verlobten.“ fügte meine Mutter hinzu und wirkte so aufgeregt, dass ich beinahe gedacht hätte, es wäre echt. Mein Lächeln gefror.

„W-wie bitte?“ stammelte ich und mein Vater sah mich streng an. Ladys stammelten nicht.

„Ihr beide werdet Heiraten, ist das nicht wundervoll?“trällerte meine Mutter und klatschte leicht in die Hände. Ich sollte den da Heiraten? Meine Eltern wollten ihre fünfzehnjährige Tochter an einen Man ende zwanzig verheiraten.

Ich wusste nicht was ich denken sollte. Mein Kopf war wie leer gefegt. Ich hatte nur noch einen Instinkt. Einen einzigen. Ich drehte mich um und lief so schnell es mir mit dem Kleid möglich war, die Treppe hinauf in mein Zimmer. Ich schloss die Tür, schob meinen Schreibtisch davor. Ich hörte meine Eltern brüllen, hörte die Dienstboten doch ich hatte nur einen Gedanken. Weg. Ich musste weg. Mit ein paar ruckartigen Bewegungen brachte ich das Korsett so weit zum einreißen, dass ich wieder vernünftig Luft holen konnte. Ich schmiss die Schuhe von meinen Füßen, wollte das Kleid ausziehen. Da hörte ich sie im Garten, vor meinem Fester. Sie wollte durch das Fenster. Sie würden mich zwingen. Zwingen ihn zu heiraten. Ich schüttelte heftig den Kopf, Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich stürmte zu einem anderen Fenster, das auf eine andere Seite des Gartens führte, zu. Zum Labyrinth. Ich stieß die Fenster auf und blickte hinunter. Zu hoch zum springen. Dann nahm ich die Dachrinne wahr und darunter das Rohr. Und faste einen Entschluss. Ohne zu zögern kletterte ich auf die Fensterbank und packte das Rohr. Dann setzte ich meine nackten Füße rechts und links neben dem Roh auf und begann hinunter zu klettern. Ich hatte Angst, dass sie schneller oben waren als ich unten und so beschleunigte ich mein tun, rutschte ab und an ab, verletze mich leicht am Handgelenk aber ich schaffte es. Ich stand unter auf dem Kiesweg, sah noch ein letztes Mal nach oben und rannte dann in das Labyrinth. Niemand würde mir darin folgen können. Es existierte allein, weil ich meine Eltern darum bat. Niemand traute sich hier hinein, aber ich kannte jeden Weg und jede Abzweigung. Links, Link, Gerade aus, rechts, links. Draußen. Ich stand auf den Feld, der letzte Abteil unseres riesigen Grundstückes. Ich hörte die Dienstboten nicht, auch nicht meine Eltern. Langsam ging ich auf den Zaun zu, der unser Grundstück von einer Wiese trennte. Ich setzte meinen dreckigen Fuß auf das Holz und schwang mich über den Zaun. Mein Fuß war dreckig. Ich lächelte. Noch nie in meinem Leben war mein Fuß dreckig gewesen. Ich raffte den Rock meines Kleides und fing an zu laufen. Meine Hochsteckfrisur hatte sich auf den Weg durchs Labyrinth verabschiedet und meine leichten Wellen flossen mich um die Schultern. Ich lief und lief und lief. Mein Kleid war zerrissen, ich war dreckig und verschwitzt. Ich hatte mich verletzt, tief genug, als das eine Narbe zurückbleiben würde. Meine erste Narbe.

 

Als ich Skyla ankam, brauchte ich nichts zu sagen. Sie war noch immer im Laden, würde in zwei Stunden schließen. Sie half mir in Kleidung, die wir bei ihr deponiert hatten, genau wie meine Lieblingsbücher. Sie wollte mich sauber machen, aber ich wollte nicht. Sie sah mich an. Und verstand. Ich war noch nie in meinem Leben dreckig gewesen. Ich wollte es noch ein wenig länger sein. Wir hatten sechs Kisten im Lager deponiert, mit Sachen, die wir uns zusammen gekauft hatten. Klamotten, Bücher, Pinsel, Leinwände, Staffelei und Farbe. Auch einen kleinen Bollerwagen hatten wir gekauft. Auf dem stapelten wir jetzt die Kisten. Ich fühlte mich komisch. Ich hatte noch nie Jeans getragen, immer nur Hosen aus Leder oder Seide. Aber ich mochte das raue Gefühl auf meinen Beinen. Das Kleid verbrannten wir ein paar Straßen weiter. Am Auto angekommen, luden wir die Kisten ein und Skyla ging mit dem Bollerwagen zurück und stieß ihn ein paar Straßen weiter in einen Graben.

Dann stieg sie ein und wir fuhren los. Nach Letin. In unser neues Leben.

 

Und dieses neue Leben hatten wir gestern betreten. Wir hatten in Hotels geschlafen und gegessen und waren den ganzen Tag über gefahren. Die ersten drei Staaten hatte ich Angst. Angst, dass jeden Moment meine Eltern durch die Tür kämen und mich zurück in das Stadthaus ziehen würden. Aber das passierte nicht. Und dann hörte ich auf Angst zu haben. Wir waren Frei. Und ich würde lieber sterben, als diese Freiheit aufzugeben.

 

Stirn runzelnd betrachtete ich die feine Narbe an meinem Handgelenk, die von meiner Flucht geblieben war, als ich es spürte. Ein Ziehen. Es fing in meinem Nacken an und lief dann an meiner Wirbelsäule hinab. Es war nicht unangenehm aber bestimmt. Es zog wieder. Ich setzte mich auf die Fersen und rieb mir über den Nacken. Es zog noch einmal. Dann sah ich in die Richtung, in die mich das Ziehen lockte. Der Wald hinter unserem Haus. Ich konnte den Blick nicht von dem Dichten Gestrrüb lösen. Es zog wieder. Etwas fester, beharrlicher. Wankend stand ich auf uns setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Immer und immer wieder. Ich merkte erst nach einiger Zeit was ich da eigentlich tat. Wild schüttelte ich den Kopf, versuchte, was auch immer das war, es abzuschütteln. Aber zu spät. Als ich die Augen öffnete stand ich mitten im Wald. Und ich hatte keine Ahnung wie ich hier heraus kommen sollte.

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

Wütend knirschte ich mit den Zähnen. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Wieso zum Teufel war ich hier? Mitten im Wald. Geräuschvoll atmete ich aus und sah mich dann um. Der Boden war eben und kein wenig locker, man konnte keine Fußspuren erkennen. Irgendwo weit über mir trällerte ein Vogel sein Lied und ein anderer antwortete ihm. Über den Baumkronen leuchtete das Tageslicht orange. Sonnenuntergang. Na super. Bei meinem Glück stand ich hier bald im Dunkeln.

Ich hatte keine Ahnung wo ich herkam. Es war, als wäre ich schlafgewandelt. Scheißdreck, und wie komme ich jetzt zurück? Missmutig starrte ich auf den Boden. Das war wiedermal typisch. Und Skyla würde, sobald sie zu Hause war, sich Sorgen machen. Hoffentlich rief sie nicht die Polizei. Wir mussten uns unauffällig verhalten. Wenn heraus kam, dass wir abgehauen sind, würden sie uns zurück bringen. Dann musste ich diesen Lord Pesus heiraten und Skyla musste weiter den Laden führen. Und würde zweifelsohne zusammen geschlagen werden. Und sie würden dafür sorgen, dass wir uns nie wieder sehen würden.

Ich schüttelte den Kopf. Daran durfte ich nicht denken. Skyla würde schon nicht die Polizei rufen, so dumm war sie nicht.

Ich kniff die Augen zusammen und marschierte zielstrebig gerade aus. Da ich nicht wusste, wo lang, lief ich einfach irgendwo hin. Jeder Wald hatte ein Ende und wenn ich es erreicht hatte, würde ich mich besser orientieren können.

Ich hörte meine Schritte kaum auf dem mit Moos bedecktem Boden. Geschickt wich ich Sträuchern und herab hängenden Ästen aus. Im Gehen sah ich mich um. Für einen Angriff eines wilden Tieres hatte ich jetzt keinen Nerv. Ein plötzliches Knacken richtete meine ganze Aufmerksamkeit hinter mich. Ich lief weiter, zwang mich genau so zu gehen wie vorher. Leise Schritte folgten mir durch den Wald. Ich blieb stehen, bückte mich, um so zu tun, als würde ich meine Schnürsenkel neu binden wollen und hörte einen Schritt zu viel. Da war jemand hinter mir. Ich stand auf und setzte meinen Weg fort. Ungefähr zehn bis fünfzehn Schritte hinter mir lief jemand. Das konnte ich an der Lautstärke der Schritte erkennen. Und derjenige gab sich Mühe, damit ich hin nicht bemerkte. Er trat auf, wenn ich auftrat und hielt inne, wenn ich inne hielt. Mein Puls beschleunigte sich, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Wenn ich einen kühlen Kopf bewahrte und keine Panik bekam, hätte ich einen Vorteil. Das Überraschungsmoment. Aber sollte ich Panik kriegen, würde ich mich sicher auf irgend eine Weise verraten und das Überraschungsmoment wäre zu Nichte gemacht. Ich lockerte meine Hände unauffällig, damit es aussah, als hätte es keine Bedeutung. In Wirklichkeit lockerte ich mir die Hände, damit meine Finger nicht brachen, sollte ich meinen Verfolger schlagen müssen, um zu entkommen. Drei Schritte lief ich noch, drehte mich dann ruckartig um und starrte plötzlich auf eine breite Brust. Ich ließ den Kopf nach oben schnellen und sah in zwei strahlend blaue Augen. Jason stand genau vor mir, nur ein paar Millimeter trennten uns von einander. Zitternd atmete ich ein und nahm seinen Geruch war. Apfel. Zum ersten Mal in meinem Leben, fand ich, dass ein Junge gut roch.

Ich war völlig unfähig mich zu bewegen. Hätte er nicht viel weiter hinter mir sein müssen? Wieso ließen mich meine Sinne im Stich? Er hatte so leise aufgetreten. Das war beinahe unmöglich.

Ich konnte nicht wegsehen und auch er starrte mich einfach nur an. Bis er anfing zu grinsen.

„Was machst du denn hier im Wald?“ fragte er und seine Stimme hatte schon wieder diesen kehligen, tiefen Klang. Jedes Mädchen wäre jetzt in Grund und Boden versunken. Ich nicht. Seine Stimme verfehlte zwar die gewünschte Wirkung aber eine Wirkung hatte sie dennoch. Zu meinem Leidwesen.

„Ich…und… das… Und warum bist du hier?“ stammelte ich und hasste mich dafür. Zum Teufel mit ihm.

„Ich habe zuerst gefragt.“ grinste er mich an. Wütend zog ich die Augenbrauen zusammen, setze zu einer schlagfertigen Antwort an, wurde aber unterbrochen.

Lima!“ schrie jemand und ich zuckte zusammen. Skyla. Blinzelnd trat ich einen Schritt zurück und blickte mich suchend um.

Lima!“ rief sie erneut doch ich konnte nicht ausmachen, von wo. Ihre Stimme hallte durch den Wald und ich hatte das Gefühl, sie würde mir von allen Seiten aus zu brüllen. Ich blickte Jason vor mir an, der mich abwartend ansah. Er wollte immer noch eine Antwort von mir. Ich sah ihm an, dass er ganz genau wusste, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich war. Ich seufzte schwer.

„Ich hab mich verlaufen.“ sagte ich und hoffte er würde es dabei belassen. Doch nein, er sah mich immer noch, einfach nur an. Ich biss die Zähne zusammen, schluckte meinen Stolz herunter und fragte bissig:

„Kannst du mir zeigen, wie ich zurück zu meinem Haus komme?“ Ich sah ihm in die Augen. Ihn amüsierte das prächtig. Er legte den Kopf schief und fing noch mehr an zu grinsen.

„Sag bitte.“ Ich blinzelte ihn an, schob meinen Fuß in die Erde und knurrte:

Bitte.“ Jetzt lachte er.

„Wirf dich vor mir in den Dreck und frag nochmal höflich.“ Wütend funkelte ich ihn an.

„Ich schmeiß' dich gleich in den Dreck!“fauchte ich und kam ihm drohend näher. Er trat einen Schritt zurück, grinste immer noch und lief in eine komplett andere Richtung. Verständnislos sah ich ihm nach, bis er über die Schulter rief:

„Kommst du nun, oder willst du da Wurzeln schlagen?“

 

Schweigend trat ich neben ihm aus dem Wald und sah wie Skyla auf mich zu rannte. Ich war nicht so tief im Wald gewesen, wie ich angenommen hatte.

Mit voller Wucht prallte Skyla gegen mich und schlang die Arme um meine Taille. Ich legte meine Arme um ihre Schultern und drückte sie an mich. Ihr Körper war warm und weich unter mich und beruhigte mich. Ich hatte noch nie um etwas bitten müssen. Und dann auch noch Jason! Mein Pech war nicht mehr natürlich.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Jason sich umdrehte und wieder im Wald verschwand. Ich schüttelte jeden Gedanken an ihn beiseite und konzentrierte mich auf Skyla. Die drückte sich von mir weg und fragte:

„Was ist passiert?“

 

Gemeinsam mit Skyla saß ich auf dem Boden in unserem Garten. Wir mussten uns noch Gartenmöbel kaufen. Ungeduldig sah mich Skyla an. Sie wollte wissen was passiert war. Ich lehnte mich zurück und erzählte ihr von diesem komischen Ziehen, davon, dass ich keine Ahnung hatte was passiert war, wie ich in den Wald kam. Jason ließ ich aus. Er war unwichtig. Nur leider schien Skyla das anders zu sehen.

„Und was hatte das mit Jason zu tun?“ fragte sie und ich hätte schwören können, dass sie mit Absicht nach ihm fragte, allein um meine Reaktion zu sehen. Ich seufzte.

„Wir haben uns im Wald getroffen und dann hat er mich zurück gebracht.“ Skeptisch sah sie mich an. Genervt verdrehte ich die Augen. Was dachte sie denn bitte?

„Das war's. Ehrlich. Hör auf mich so anzusehen.“ Seufzend legte sich Skyla auf den Rücken ins Gras.

„Magst du ihn?“ fragte sie und ich wusste sofort, dass sie mich nicht verspottete. Sie wollte es wirklich wissen.

„Nein, keine Ahnung. Ich kenne ihn nicht. Du tust so, als könnte ich mich so schnell verlieben.“ Ich legte meinen Kopf auf ihren Bauch. Sanft wurde mein Kopf hoch und runter gewogen von ihrer Atmung. Skyla fuhr mir mit der Hand durch die blonden Haare und wickelte sie sich um den Finger, nur um sie darauf hin wieder los zulassen und von vorne zu beginnen.

„Bei manchen ist das so. Liebe auf den ersten Blick. Aber ich wollte auch nicht sagen, dass du dich in ihn verlieben sollst, aber irgendwie habe ich das Gefühl, ihr könntet gute Freunde werden.“ Meinte sie? Ich lachte leicht.

„Erst wenn er aufhört, so ein arrogantes Arschloch zu sein. Dann denke ich vielleicht drüber nach.“ Ihr Lachen schüttete meinen Kopf durch.

„Ja, das muss der sich echt abgewöhnen. Aber mal ehrlich.“ Sagte sie jetzt plötzlich wieder ernst.

„Wir sind hier für einen Neuanfang. Keiner weiß, wer du bist. Du hattest noch nie was mit Jungs zu tun. Oder Freunde, die nicht hinter deinem Geld her waren. Du solltest versuchen, Freundschaften zu schließen.“ Sie strich mir mit ihren dünnen Fingern über die Stirn und ich schloss die Augen. Es war selten, dass Skyla so etwas von sich gab. Meistens war ich es, die die Ratschläge verteilte, da ich dank meiner Zeit im Stadthaus sehr gelehrt war. Ich wusste beinahe zu jeder Situation die rationale Lösung. Wenn es allerdings um Gefühle ging, war Skyla besser beraten, als ich. Ich hatte gelernt, meine Gefühle herunter zu schlucken, immer zu lächeln, zu allem Ja zu sagen, niemals die eigene Meinung preiszugeben.

Leise schnaubte ich.

„Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Ja sagen, wenn er mich das nächste Mal fragt, den Nachmittag mit ihm zu verbringen, oder was?“ Warum ausgerechnet er? Warum nicht jemand anders? Aber wenn ich so darüber nach dachte, war er vermutlich nicht mal halb so schlimm, wie er sich gab. Ich wusste tatsächlich nicht viel über die Gesellschaft normaler Teenager, aber irgendetwas sagte mir, das Jason nicht normal war. Etwas stimmte nicht mit ihm.

Er war im Wald gewesen. Wieso eigentlich? War er mir gefolgt? Musste er dadurch? Wurde er vielleicht auch von irgendetwas angezogen? Er war auf jeden Fall schon öfters in diesem Wald gewesen, er kannte sich aus. Wieso zum Teufel beschäftigte mich das so?

„Genau. Sag ja. Jungs benehmen sich ganz anders, wenn sie mit jemanden alleine sind und wenn er dann immer noch scheiße ist, hake ihn ab und gut ist. Aber du musst zugeben, er ist heiß.“ Ich konnte das Grinsen in ihrer Stimme hören. War er heiß? Ich rief ihn mir in Erinnerung. Die schwarzen Haare fielen ihm unordentlich in die Stirn, die Haut seines Halses war gebräunt, mehr hatte ich nicht gesehen. Das spöttische Lächeln könnte man wohl als attraktiv beschreiben. Auch war er gut einen Kopf größer als ich, und das obwohl ich schon recht groß war. Doch am meisten faszinierte mich seine Augen.

„Seine Augen.“ flüsterte ich. Ich spürte ihren Blick auf mir.

„Sie sind blau. Wie Eis. Wenn ich in sie sehe, habe ich das Gefühl zu versinken und mich nicht befreien zu können.“ für mich klang das nach wirren Zeug. Einfach nur dämlich.

 

Als ich am Abend mein Buch beendete und ich es zurück in das Regal stellte, schnappte ich mir das Buch, welches ich gestern bestellt hatte. Es war heute zusammen mit Skyla's Lichterkette angekommen. Mirror, Mirror von Cara Delevigne. Ich las drei Kapitel, ehe ich das Buch schloss und die Nachttischlampe ausschaltete. Skyla war bis jetzt nicht zu mir zu kommen, wenn sie keinen Albtraum bekam, würde sie durch schlafen können.

 

Ich spazierte mit Skyla ins Klassenzimmer, als plötzlich alle Gespräche verstummten und uns jeder ansah. Oder wohl viel mehr, mich. Skyla wurde knall rot im Gesicht, schob aber ihre Hand in meine. Sie wusste, das hier irgendwas nicht stimmte. Wegen mir. Die Klasse starrte immer noch, als wir schon längst auf unseren Plätzen saßen. Sie versuchten nicht mal, unauffällig zu gucken. Langsam machte sich Panik in mir breit. Wussten sie wer ich war? Waren meine Eltern hier? Würde ich meine Freiheit verlieren?

All das schluckte ich herunter, als ich ein Mädchen ansah und

„Was?“ rief. Das Mädchen wurde rot.

„Ähm… du hast doch… gestern mit Jason geredet, oder?“ stotterte sie. Echt jetzt? Darum ging's? Genervt schnaubte ich.

„Ja habe ich. Was ist daran jetzt so schlimm?“ fragte ich weiter.

„Na ja… ähm, du hast ihn abserviert.“ sagte sie, so als wäre das die Erklärung. Ich sah sie einfach nur abwartend an.

„Das… hat noch niemand gewagt. Er… hat hier das sagen.“ Ich blinzelte. Dann sah ich rüber zu Skyla, die mich ebenfalls ansah. Und dann lachte ich. Und Skyla. Die Klasse starrte uns immer noch an, jetzt verstört. Kichernd wischte ich mir Lachtränen aus den Augenwinkeln.

„Sorry, aber er ist ja wohl kein Lehrer, oder doch?“ fragte ich das Mädchen, das mich jetzt mehr als verständnislos anstarrte.

„Nein… natürlich nicht.“ Ich grinste sie.

„Na siehst du? Also hat er nicht das sagen.“

Ich roch ihn, bevor er zu sprechen begann.

„Wer hat hier nicht das sagen?“ fragte Jason als er in die Klasse geschlendert kam, zusammen mit seinem Kumpel aus der Pause. Provokant grinste er mich an. Er würde mir das gestern bestimmt unter die Nase reiben. Sollte er doch.

„Du.“ mehr sagte ich nicht, wandte mich demonstrativ Skyla zu, die mich allerdings mit einem bedeutungsvollen Blick bedachte. Ach richtig, sie wollte ja, dass ich mich mit ihm anfreundete. Genervt blickte ich hoch, als ich sah, das er vor meinem Tisch stehen geblieben war. Als er sich zu mir runter beugte, lächelte er arrogant.

„Würdest du mir heute die Ehre erteilen, mir Gesellschaft zu leisten. Wenigstens in der Pause.“ Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an. Dann grinste ich.

„Wenn du mir das Essen bezahlst.“ das hatte ich nicht nötig, Geld hatte ich genug, aber ich wollte sehen, ob er darauf einging. Jason war seltsam. Jemand wie er, würde seine Zeit nicht mit einem frechen Mädchen verschwenden, nein, er würde sich sofort ein williges Mädchen suchen.

Kurz blitze Überraschung in seinen Augen auf, doch verschwand auch genau so schnell wieder. Spöttisch verbeugte er sich vor mir.

„Aber sicher doch, Mylady.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. Wenn er mich noch einmal so nennen sollte, würde ich ihm ins Gesicht schlagen. Das wusste auch Skyla. Sie berührte Jason am Arm, damit er sie ansah. Skyla war ein schüchternes Mädchen, doch wenn es darum ging, mich zu beschützen, konnte sie die standhafteste Person sein, die ich kannte.

Sie sah ihm fest in die Augen.

„Mach das nie wieder und nenn' sie nie wieder so. Ich meine es Ernst.“ jeder Spaß, jeder Spott wich aus seinen Zügen. Zuerst sah er Skyla prüfend an, bis sein Blick zu mir schnellte. Er starrte mich an, ich starrte zurück. Er nickte leicht. Skyla hatte es so leise gesagt, dass niemand es sonst mit bekommen hatte.

 

Er war also doch nicht so ein Arsch, wie er allen weiß zu machen versuchte. Sonst hätte er anders reagiert. Er hätte sie ausgelacht, es wiederholt. Aber Jason hatte nicht mal gefragt, wieso.

Auf dem Weg zur Cafeteria sagten weder Skyla noch ich etwas. Ich lud sie nicht ein, an dem Essen mit Jason teilzunehmen, das war selbstverständlich. Auch wenn ich bezweifelte, ob ihm das auch klar war.

Als wir den großen Raum betraten sah uns jeder an als wir mit großen Schritten zu den Tisch gingen wo Jason saß. Und sein Kumpel. Auch er hatte Verstärkung mitgebracht. Ich fühlte mich, als würden wir eine Krieg führen. Nur worum war mir nicht ganz klar.

Ich setzte mich neben Jason, Skyla setzte sich mir gegenüber, neben dem namenlosen Kumpel. Jason schob mir ein Tablett hin. Salat und Pommes. Ich fragte nicht nach und schob das Tablett näher zu Skyla. Langsam griff ich nach einer Pommes und schob sie mir in den Mund. Jason ließ mich nicht aus den Augen. Ich ignorierte ihn. Was sollte ich auch sagen? Er hatte mich eingeladen. Sollte er doch reden. Skyla fühlte sich unwohl und obwohl sie wusste, ich würde es ihr nicht übel nehmen, wenn sie aufstand und woanders aß, wusste ich, dass sie mich nie allein lassen würde. Sie schielte immer wieder zu dem Typen neben ihr und auch ich musterte ihn. Er war größer als Jason, wenn auch nur einen halben Kopf und seine kurzen, dunkel braunen Haare glänzten im Schein des Kunstlichtes. Seine grauen Augen ruhten auf Skyla und mir fiel auf, dass er ebenfalls dieses leuchten in ihnen hatte. Genau wie Jason. Stirnrunzelnd sah ich in Skyla's Augen. Kein leuchten. Sie waren einfach nur blau-grün. Wie sonst auch.

„Woran denkst du, Limara?“ fragte mich Jason, mich überraschte seine Tonlage. Er verspottete mich nicht, sah mich nicht überheblich an. Er versuchte auch nicht, mich zu verführen. Er fragte einfach aus Neugierde.

„An mein neues Buch.“ warf ich sofort eine Lüge aus. Er musste nicht unbedingt wissen, dass ich an seine Augen gedacht hatte. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Skyla schon wieder den Typen anschaute und biss mir auf die Lippe. Von alleine würde sie nie fragen. Also drehte ich mich zu dem Typen.

„Wie heißt du eigentlich?“ fragte ich. Ich spürte Skyla's Blick auf mir.

„Deven.“ Deven? Der Name war cool. Er sah mich neugierig an.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“ ich nickte und schob mir eine Gabel voll Salat in den Mund.

„Ihr seid keine Schwestern, oder?“ Ich grinste Skyla an.

„Schon wär's. Aber leider, nein. Wir verstehen uns einfach nur gut.“ erklärte ich und fischte einen Fusel aus ihren Locken.

„Hm“ machte er und wechselte einen Blick mit Jason, den ich nicht deuten konnte. Ich holte geräuschvoll Luft.

„Na schön, was soll das hier eigentlich? Warum willst du unbedingt, dass ich Zeit mit dir verbringe?“ ich stütze einen Arm auf den Tisch und starrte Jason an. Jetzt grinste er wieder spöttisch.

„Vielleicht mag ich dich?“ meinte er und zuckte mit den Schultern.

„Oder vielleicht, weil ich die einzige hier bin die du neben Skyla noch nicht gevögelt hast?“ zischte ich ihn an. Überrascht weiteten sich seine Augen.

„So ist das nicht.“ sagte er seltsam monoton.

„Ach ja, und wie ist es dann? Wenn es nicht so ist, erklär's mir. Ich habe kein Interesse daran, nur ein weiteres Mädchen in deiner Sammlung zu sein. Beweis mir, das es nicht so ist.“ forderte ich ihn auf. Doch er antwortete mir nicht.

„War klar!“ schnaubte ich, stand auf und ging dicht gefolgt von Skyla aus dem Raum.

 

„Willst du immer noch, dass ich mich mit ihm anfreunde?“ zischte ich ihr zu und bereute es sofort. Ich war nicht auf Skyla wütend. Ich war auf Jason wütend. Und auch mich. Skyla packte mich am Arm.

„Ich will das du glücklich bist.“ sagte sie und klammerte sich an mich.

 

Der Rest des Schultages war ohne Zwischenfälle. Jason und Deven ignorierten uns und wir ignorierten sie. Erst als wir Zuhause waren, hob sich unsere Stimmung wieder ins Fröhliche zurück. Ich hatte zwar keine Ahnung warum, aber irgendwann kam einer von uns auf die Idee, Muffins zu backen und kurz darauf sah die Küche aus wie ein Schlachtfeld. Schokoladen Muffins, Vanille Muffins, Muffins mit Blaubeeren und Muffins mit Apfelstücken. Dabei hörten wir die ganze Zeit über Musik, kannten alle Texte auswendig und bewegten uns zu dem Rhythmus.

Auch als wir kurze Zeit später im Gras hinter unserem Haus lagen und die Muffins aßen, hörten wir Musik, diesmal aber deutlich leiser. Die Musik war nun eher etwas für den Hintergrund. Ich musste kichern als Skyla ein Krümel direkt in den Ausschnitt ihres Shirt's viel und versuchte, ihn auf umständliche Weise zu entfernen. Gespielt beleidigt sah sie mich an, was mich nur noch mehr zum Lachen brachte und ich mich somit an meinem Muffin verschluckte. Was wiederum Skyla zum Lachen brachte.

Abrupt hörte ich auf zu lachen. Da war es wieder. Dieses Ziehen. Es begann in meinem Nacken, zog sich die Wirbelsäule hinunter und verbreitete sich im ganzen Körper. Irgendwo, am Rande meines Bewusstseins hörte ich Skyla fragen:

„Was ist los? Lima?“

Irgendwie stand ich auf und setzte mich in Bewegung. Ich sah den Wald verschwommen vor mir, sah, wie ich mich darauf zu bewegte und irgendwann hinein schritt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

 

Skyla

 

Total verwirrt sah ich wie Limara aufstand. Was zur Hölle war los? Sie bewegte sich so seltsam. Ich sah, wie ihr Blick sich verschleierte, doch sie schwankte nicht, taumelte nicht. Sie ging zielstrebig auf den Wald zu und würde bald darin verschwunden sein. Eilig rappelte ich mich auf, verlor kurz das Gleichgewicht und stürmte hinter ihr her.

„Lima? Was ist los? Lima!“ schrie ich sie an, packte sie am Arm und versuchte, sie zurück zu ziehen, doch sie reagierte nicht. Sie sah mich nicht an, zuckte nicht zusammen und lief einfach weiter. So als hörte sie mich nicht. War das etwa schon wieder diese komische Sache? So wie gestern? Was war das?

„Limara!“ brüllte ich und versuchte sie zu schütteln, doch sie rührte sich nicht, lief einfach weiter. Ich versuchte sie festzuhalten, stolperte über einen Stein und ließ sie so los. Sie lief einfach weiter, ohne sich umzudrehen. Das hätte sie sonst nie getan. Wütend zog ich die Augenbrauen zusammen lief ihr hinter her, doch als ich einen Fuß in den Wald stellte blieb ich ruckartig stehen. Ich durfte hier nicht her. Ich… dieser Wald war unheimlich. Es war furchtbar. Ich wollte zurück, mich verstecken, doch das ging nicht. Limara lief immer weiter in den Wald und wenn ich nicht bald meinen Arsch bewegen würde, würde ich sie aus den Augen verlieren und sie vermutlich nicht wieder finden.

Ich bekam Gänsehaut, meine Haare stellten sich auf, als ich einen weiteren Schritt in den Wald tat. Es fühlte sich so an, als müsste ich mich gleich übergeben. Ich fühlte mich schlecht, so als wäre ich urplötzlich krank geworden. Doch ich schüttelte wild den Kopf, versuchte nicht daran zu denken und lief Limara hinter her. Ich rannte und mit jedem Schritt den ich tat, fühlte ich mich schwerer, als würde ich durch Wasser laufen. Mein Atem ging schnell und stoßweise, ich fühlte mich erschöpft und müde. Vermutlich würde ich gleich zusammen brechen. Ich klammerte mich an Limara's Handgelenk, sie lief immer noch weiter, als würde sie mich gar nicht bemerken. Mit jedem Schritt den wir weiter vor taten, fühlte ich mich schlechter, doch ich ließ sie nicht los. So lange ich lebte, ich würde sie nie loslassen. Also ließ ich mich von ihr weiter in den Wald führen. Es fühlte sich an, als ob wir in die Hölle gingen.

 

 

Ich weiß nicht, wie lange wir liefen und ich fühlte mich immer schlechter, als es plötzlich einfach vorbei war. Es war in Ordnung. Mir tat nichts weh, ich fühlte mich nicht krank, es war alles in Ordnung. Einfach so. Doch Limara lief immer noch weiter. Ich ließ kurz ihr Handgelenk los, wollte auf ihre andere Seite gehen, da ich langsam ein steifes Handgelenk bekam, als sie plötzlich verschwand. Einfach weg. Sie war einen Schritt vor mir gewesen, und plötzlich war sie weg. Ich riss die Augen auf, drehte mich im Kreis.

„Limara!“ rief ich. Oh Gott, was war passiert? Wo war sie? Ich bekam Panik. Wo war sie? Schweiß ran mir über die Stirn als ich an die Stelle trat, wo sie verschwand.

Mir war schwindelig. Für einen Moment sah ich nichts mehr. Und dann sah ich alles.

Ein riesiges Land erstreckte sich vor mir. Links von mir stand Limara und sie sah mich verwirrt an. Ihr Blick war klar.

 

Limara

 

Ich sah Skyla an. Sie starrte zurück. Völlig panisch sah sie mich an, ehe sie auf mich zu stolperte und in meinen Armen landete.

„Was-“ mehr brachte ich nicht zustande. Wir waren in meinem Garten gewesen und jetzt waren wir… wo waren wir? Skyla löste sich von mir.

„Du warst so komisch und hast nicht reagiert und dann sind wir in den Wald gelaufen und dann warst du plötzlich weg und… irgendwie wirkst du anders als sonst.“ brabbelte sie vor sich hin und legte den Kopf schief, betrachtete mich genau. Ich sah sie an. Und es war wie ein Schlag ins Gesicht. Es war, als sähe ich sie zum ersten Mal. Ich sah jedes einzelne, feine Haar ihrer Augenbrauen, jede Wimper. Sah die Adern unter ihrer Haut, sah jeden noch so kleinen Leberfleck bis ins Detail. Ich sah wie ihre eigentlich blau-grünen Augen doch nur blau waren mit einem grünen Ring um der Pupille, der in der Sonne funkelte und das blau grün erscheinen ließ. Ich sah peinlich genau ihre Lippen, sah wie sich ihre Wangen leicht röteten, sah jedes einzelne Blutpigment in die Wangen schießen.

Ich nahm ihren Geruch war, Schweiß und Dreck klebten an ihr, doch auch ihr persönlicher Duft. Veilchen. Ich roch auch das Mehl an ihr, roch aus ihrem Mund den Duft des Schokoladen Muffins. Unter ihren Fingernägeln war Dreck und ich konnte Haargenau ihre Rippen unter dem Stoff den Shirt's erkennen. Ich hätte schwören können, vorhin war das nichts so. Doch am meisten schockte mich ihr Haar. Es leuchtet, glänzte, als würde pralle Sonne auf sie scheinen, doch der Himmel war mit Wolken bedeckt, kein Sonnenstrahl drang hindurch. Es wirkte gesunder, nicht normal, absolut nicht menschlich.

„Wo sind wir?“ flüsterte Skyla, die aufgehört hatte mich anzusehen. Ich folgte ihrem Blick. Ein riesiges Land erstreckte sich vor uns. Und es sah nicht normal aus. Auf der linken Seite war überall nur Erde. Kein Gras, kein Tier. Nur lockere Erde. Nicht mal Bäume standen dort. Vereinzelnd ragten Felsen aus dem Boden. Und auf der rechten Seite, als hätte jemand einen unsichtbaren Strich gezogen, war Gras. Es waren zwar immer noch keine Bäume zusehen, und das Gras leuchtete auch nicht im strahlenden grün, sondern eher blass, als wäre jegliche Farbe aufgesogen worden. Ich konnte keinerlei Gebäude erkennen, weder auf der rechten, noch auf der linken Seite. Allerdings stand da etwas, genau dort, wo die Erde ins Gras überging. Dort standen ins Gesamt zehn Männer. Fünf auf je einer Seite. Sie standen sich gegenüber, hatten jeweils einen großen Abstand zu einander. Sie bewegten sich, liefen umher, doch sie traten nie auf die Seite der anderen Männer. Die Männer auf der einen Seite trugen schwarz-rote Klamotten mit Schulterschützern und Knieschützern. Sie waren komplett bedeckt, ihre Füße steckten in schweren, schwarzen Stiefeln und ihre Köpfe steckten in Helmen. Die Männer ihnen gegenüber sahen komplett anders aus. Sie trugen braune, lockere Hosen, ein dunkel grünes Hemd, welches mit einem breiten, braunen Schützer am Bauch eng an den Leib gepresst wurde. Das Hemd war bis zu den Ellebogen hoch gekrempelt. Die Unterarme wurden mit braunen Schützern versehen, doch ab dem Handgelenk war alles frei. Sie trugen keine Helme und ich sah braunes Haar und graue Augen, einen sonnengebräunten Teint. Was mich am meisten Verwunderte, sie alle waren barfuß. Sie sahen aus wie Krieger. Wie Krieger aus zwei unterschiedlichen Ländern. Und wir standen auf dem Streifen, den keiner zu übertreten wagte. Wir standen mitten auf der Grenze.

 

Als ein plötzlicher Wind aufkam und mir die Haare zurück wehte, wich Skyla erschrocken zurück und stieß einen spitzen Schrei aus. Ich zuckte zusammen, als alle zehn Männer zu uns rüber sahen. Schnell schaute ich zu Skyla. Sie sah mich so schockiert an, als wäre ich die Fremde und nicht die Männer, die jetzt ihren Weg zu uns gestartet hatten, jeder auf seiner Seite.

„Dei… deine Ohren.“ stieß Skyla zitternd aus und verwirrt fasste ich mir an die Ohren. Alles war normal, bis… was zum? Ich konnte deutlich spüren, wie meine Ohren spitz zu liefen. Wie? Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Skyla an, die Finder immer noch an den Enden meiner Ohren.

„Wer seid ihr?“ hörte ich einen der Männer mit strenger Stimme fragen. Ich- was sollte ich tun?

Ich ließ die Hände von meinen Ohren fallen, griff nach Skyla's Handgelenk, zog sie zu mir und sah dann zu den Männern, die inzwischen bei uns angekommen waren.

„Was macht ihr hier?“ fragte ein Mann von der linken Seite. Er schaute mich aufmerksam an, meine Ohren, dann wanderte sein Blick zu Skyla und er sah auch ihre Ohren an. Dann zog er die Augenbrauen zusammen. Mit einem schnellen Blick stellte ich fest, dass alle fünf Männer auf der linken Seite spitze Ohren hatten. Die Ohren von denen auf der rechten Seite waren von den Helmen bedeckt.

„Es tut uns sehr Leid. Wir wissen selbst nicht so genau wie wir hierher kamen. Ich bitte um Verzeihung, sollten wir irgendetwas verbotenes getan haben.“ sprach ich und drückte den Rücken durch. Ich hatte gelernt, wie ich mich zu verhalten hatte, Skyla nicht, daher hielt ich sie immer noch an mich gedrückt.

„Währt Ihr vielleicht so freundlich, uns mitzuteilen, wo genau wir hier sind, damit wir zurückkehren können um euch nicht länger stören zu müssen.“ bat ich und senkte leicht den Blick. Ein Mann trat vor.

„Ihr seit hier an der Grenze vom Erdkönigreich und dem Feuerkönigreich. Weshalb wart ihr hinter der Mauer?“ fragte er. Ich runzelte die Stirn. Mauer? Welche Mauer? Und was zur Hölle waren Ghleb und Vatra?

Ein Mann von der rechten Seite nahm seinen Helm ab, zum Vorschein kamen schwarze Haare, graue Augen und einen leicht blassen Teint. Er lächelte mich leicht an, für ihn waren wir zwei Mädchen denen er aus der Not helfen konnte, mehr nicht. Er stellte sich dicht vor uns und ließ Skyla nicht aus den Augen. Er hatte auch spitze Ohren. Dann nahm er tief Luft durch die Nase ein, so als würde er nach etwas witternd. Dann schnellte er zurück.

„Sie ist ein Mensch.“ zischte er und sah Skyla vernichtend an. Was meinte er? Auf einmal war jegliche Freundlichkeit verschwunden. Sie alle sahen Skyla vernichtend an, der eine Mann packte mich sanft am Arm.

„Bitte entfernt euch von dieser Kreatur, wir werden uns um sie kümmern.“ meinte er und zog mich leicht zu sich. Doch ihr befreite mich aus seinem Griff.

„Auf keinen Fall. Sie ist meine beste Freundin.“ erklärte ich und schob sie hinter mich.

Mein Herz hämmerte in meiner Brust, ich hatte das Gefühl, gleich zu ersticken. Panisch sah ich zwischen den Männern hin und her, hörte wie Skyla's Herzschlag stetig schneller wurde. Ich wusste nicht was zu tun war. Ich wusste nicht-

 

Ein Rücken schob sich vor mich. Er roch nach Apfel.

„Wegtreten.“ sagte Jason und die Männer auf der rechten Seite zogen sich ein paar Schritte zurück. Neben Skyla, schräg hinter mir, sah ich Deven stehen.

„Wegtreten.“ sagte auch er und die Männer auf der linken Seite traten ebenfalls zurück. Ich wollte gerade fragen, was zur Hölle hier los war, doch als Jason sich zu mir umdrehte, war es wieder wie ein Schlag ins Gesicht.

Ich nahm alles war. Seine Augen schienen noch mehr zu strahlen, seine Haut war komplett eben, es gab keinen Makel, außer einer kleinen Narbe über seiner rechten Augenbraue, die ich noch nie gesehen hatte. Seine Haare strahlten genau wie Skyla's. Absolut unnatürlich. Doch am meisten erschreckten mich seine Ohren. Sie waren spitz. Genau wie die der Männer. Und meine.

Mein Mund klappte auf.

„Also ist es wahr.“ sagte er und seine Stimme klang wie eine wunderschöne Melodie.

„Du bist tatsächlich Kralica.“ Die Männer hinter ihm holten hörbar Luft.

„Aber das ist doch..“ meinte einer von ihnen aber Jason unterbrach ihn ruhig ohne mich aus den Augen zu lassen.

„Sieh sie dir doch an. Geh in dich. Spüre es. Sie ist die Kralica.“ Die Männer starrten mich an. Bis sie plötzlich die Augen aufrissen. Und auf die Knie sanken. Zehn Männer standen vor mir und drückten die Stirn auf den Boden, immer noch jeder auf seiner Seite.

„Kralica?“ fragte Skyla und sah zwischen Jason und mir hin und her. Dieser sah endlich zu Skyla und auch Deven drehte sich zu ihr um und sahen sie zuerst verwundert, dann verstört an. Die beiden tauschten einen Blick und langsam wurde ich wütend.

Ich packte Jason an den Schulter, zwang ihn mich an zu sehen und rief aufgebracht:

„Ich will eine Erklärung. Sofort! Wieso hat hier jeder spitze Ohren, nur Skyla nicht? Warum sehen ich auf einmal alles so klar und höre sogar jeden einzelnen Herzschlag von euch? Warum seht ihr so scheiße unnatürlich aus und was soll der ganze Scheiß, mit einer Mauer und Kralica?“ ich starrte ihm in die Eis blauen Augen. Ich war mehr als wütend. Und verwirrt. Warum nur konnte nicht ein Mal alles so laufen, wie es sollte? Ich hasste mein Leben manchmal wirklich.

Jason sah mich prüfend an, eine Augenbraue hochgezogen.

„Du weißt wirklich nichts?“ fragte er und seine Stimme klang immer noch wie eine wunderschöne Melodie. Ich schüttelte wild den Kopf. Skyla neben mir, immer noch ihr Handgelenk in meiner Hand, sah sich einfach nur um, obwohl ich spürte, dass sie ganz genau auf mich achtete.

Deven seufzte.

„Wir sollten das nicht hier an der Grenze klären. Am Besten bringen wir sie zum Neitrāls.“ sagte er. Wohin? Jason seufzte schwer. Dann nahm er mich an meinem anderen Handgelenk.

„Na komm. Wir erklären dir alles.“ Ich war viel zu perplex, als dass ich mich hätte wehren können. Und so zog Jason mich mit und ich Skyla.

„Du kannst Skyla loslassen, ich bringe sie zurück.“ sagte Deven, der so plötzlich neben mir aufgetaucht war, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.

„Ich bleibe bei Lima.“ stellte Skyla ihren Standpunkt fest. Sie entwandt ihr Handgelenk meinem Griff und nahm meine Hand. Jason schüttelte den Kopf.

„Menschen dürfen nicht nach Neitrāls. Sie dürfen nicht mal hinter die Mauer. Deven bringt dich zurück. Limara passiert nichts.“ erklärte er und zog an meinem Arm. Ich ließ mich mitziehen, weigerte mich aber, Skyla loszulassen.

„Entweder kommt Skyla mit oder du kannst dir deine Erklärung in den Arsch stecken!“ zischte ich und entriss ihm meine Hand. Ich hatte keine Lust mehr. Wütend funkelte ich ihn an. Zuerst sah er genervt aus, dann flehend.

„Limara bitte, du musst mitkommen. Das Gesetzt verbietet es mir, sie mitzunehmen.“

„Das Gesetzt interessiert mich nicht.“ gab ich zurück und drückte Skyla's Hand dabei fester. Deven mischte sich ein.

„Befehle es.“ perplex blinzelte ich ihn an.

„Was?“ auch Skyla sah mehr als verwirrt aus. Befehlen? Warum zur Hölle?

„Du bist die Kralica. Wenn du etwas befiehlst, gilt es. Du bist die einzige, die sich über das Gesetzt stellen darf. Wenn du uns befiehlst, sie mitzunehmen, dann können wir das tun.“erklärte er und sah mich durchdringend an. Das Leuchten in seinen Augen schien plötzlich ganz und gar nicht mehr unnatürlich. Eher vollkommen normal. Als wäre es verrückt, wenn Augen nicht leuchten würden.

Ich sollte Jason und Deven befehlen, Skyla mitzunehmen zu diesem Neitrāls? Was für ein Bullshit. Das ist richtiger Bullshit. Das Ganze hier war Bullshit. Ich saß in meinem Garten, hab Muffins gegessen und plötzlich bin ich an der Grenze von Königreichen. Und ich war eine Kralica. Was auch immer das war!

Ich seufzte schwer. Na schön, wenn es sein musste.

„Ich befehle euch, nehmt Skyla mit zum Neitrāls.“ murmelte ich. Jason und Deven nickten. Dann nahm Jason wieder meine Hand. Und alles verschwand.

 

Ich hatte nur einmal geblinzelt. Die weite Landschaft ohne Gebäude hatte sich schnell in einen Wald verwandelt. Nur einmal. Mir war schwindelig und hätte Jason mich nicht festgehalten, wäre ich vorne übergekippt. Auch Skyla neben mir, hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Was war das denn schon wieder? Als hätte Jason meine Gedanken gelesen, sagte er:

„Das war Teleportation. Der Weg von der Mauer bis hier her wäre viel zu lang um ihn zu Fuß zurück zu legen.“ Ich nickte nur benommen. Es war wirklich anstrengend, zu versuchen, nicht umzufallen.

Als endlich alles aufgehört hatte, sich zu drehen, konnte ich meine Umgebung auch richtig wahr nehmen. Vor mir erstreckte sich ein riesiger Wald mit großen, gesunden Bäumen. Das Grün leuchtete und wirkte nicht so ausgebleicht wie an der Grenze. Tatsächlich sah alles viel gesünder aus. Und dann, drehte ich mich um. Ich musste den Kopf in den Nacken legen um bis zur Spitze des Gebäudes schauen zu können.

Ein riesiger Palast erstreckte sich vor mir. Der Stein war komplett aus Silber, nur zwei der vier Türme waren vollständig aus Glas. Skyla neben mir schnappte hörbar nach Luft.

„Das ist dein Palast.“ erklärte Jason. Entgeistert wandte ich den Blick vom Palast zu Jason. Er sah mich einfach nur an. Schnell schaute ich wieder zu diesem Ungetüm. Dann straffte ich die Schultern.

„Erklär's mir!“

 

Jason und Deven führten uns durch den Palast. Schon nach wenigen Gängen hatte ich komplett die Orientierung verloren und Skyla erging es ähnlich. Schließlich blieben wir in dem Raum stehen, den Deven als unser Ziel erklärte. Der Thronsaal. Die hohe Decke wurden von riesigen, breiten Säulen gehalten und am Ende des Saals, erhört durch Stufen, stand der Thron. Und er war komplett aus Glas. Kein Schimmerndes. Dunkles, beinahe schwarzes Glas. Die Dunkelheit, die von dem Thron ausging war abstoßend und einladend zugleich. Ich merkte erst, dass ich mich in Bewegung gesetzt hatte, als ich mit den Füßen gegen die unterste Stufe stieß. Ich drehte mich um, sah wie Deven die riesigen Türen, ebenfalls aus Glas, schloss. Das Glas der Türen war so milchig, das man nicht hindurch sehen konnte.

„Du kannst dich setzten. Es ist dein Thron.“ erklang Jason und deutete auf den Thron. Mein Blick richtete sich wieder auf diesen. Dann ließ ich mich auf die Oberste Stufe nieder. Ich konnte nicht. Ich wollte nicht. Jason seufzte und setzte sich zwei Stufen unter meine. Deven setzte sich daneben, nur Skyla ließ sich neben mir nieder. Ich konnte auf ihre Köpfe sehen.

„Du bist die Kralica.“ setzte Deven an.

„Was ist das?“ unterbrach ich ihn. Er sah mich erstaunt an.

„Du weißt das nicht? Na schön … dann eben komplett von vorne.“ Ich nickte und lehnte mich nach vorne.

„Weißt du, was Fae sind?“ fragte Jason.

„Es sind Mythologie – Wesen.“ sagte ich. Ich hatte über sie gelesen. Jason legte den Kopf in den Nacken und verschwand plötzlich. Ich hatte kaum geblinzelt da saß er wieder da und drückte mir ein dickes Buch in die Hand.

„Es bringt nichts dir deine Geschichte zu erklären, wenn du nicht mal die Geschichte deines Volkes kennst. Lies das.“ sagte er. Ich runzelte die Stirn und schlug das Buch auf. Skyla beugte sich zu mir rüber.

„Was ist das denn für eine Sprache?“ fragte sie.

„Das ist Latein.“ murmelte ich, war aber schon in der Geschichte versunken. Bis mir wieder einfiel, dass Skyla kein Latein konnte.

„Es ist nicht das Latein, welches ihr gelehrt bekommt. Das Latein der Menschen ist von dieser Sprache abgeleitet. Du kannst es aber trotzdem lesen.“ erklärte Deven.

Dann las ich vor.

 

Vor der Zeitrechnung der Menschen lebten die Fae und die Sterblichen zusammen und teilten sich den Planeten. Bis die Menschen eifersüchtig auf die Gaben der Fae wurden. Sie zettelten einen Krieg an. Zwischen Fae und Menschen. Der Krieg ging fünf Jahrzehnte lang. Bis es ein Friedensabkommen gab. Die Menschen und die Fae schlossen einen wackeligen Frieden. Doch die Fae befürchteten, dass die Sterblichen den Frieden nicht einhalten und von neuem angreifen würden. So erschufen die vier Herrscher der Königreiche ein neues Reich auf einem Kontinent. Sie errichteten eine Mauer rund um das Reich und belegten die Umgebung mit einem Zauber, der verhinderte, dass die Menschen ins Reich gelangten. Die Fae gerieten in Vergessenheit. Ein Sterblicher erklärte an dem Tag, an dem die Fae verschwanden, die neue Zeitrechnung. Zwei Jahrtausende später waren die Fae schon lange vergessen. Kein Sterblicher erinnerte sich, dass es sie wirklich gab. Die Fae waren sicher.“ las ich vor. Ein Krieg. Vor zweitausend Jahren. Zwischen Fae und Menschen.

Jason nahm das Buch, blätterte ein paar Seiten und reichte mir das Buch wieder.

Das neue Reich der Welt: Čaranje

Das neue Reich der Fae wurde Čaranje getauft. Es wurde aufgeteilt in die vier Königreiche. Feuer, Wasser, Erde und Luft. Die Vatra, die im Feuerkönigreich lebten wurden von ihrem König Heron regiert. Die Ghleb, die im Erdkönigreich lebten, unterstanden dem Kommando von König Matthaeus. Die Bryză, die im Luftkönigreich lebten, wurden von Königin Doreah regiert. Und die Wodahr, die im Wasserkönigreich lebten, wurden von Königin Lydia regiert. Heron, Matthaeus und Doreah regieren heute noch ihre Königreiche. Nur Lydia nicht. Denn Lydia wollte Rache. Sie entschloss sich und ihr Königreich wieder in den Krieg ziehen zu lassen. Sie wollte die Sterblichen vernichten. Und alle die ihr nicht helfen wurden. Die anderen Herrscher konnten sie nicht umstimmen. Und da ihr Königreich ihr Treu ergeben war, zerstörten sie es mit all seinen Bewohnern. Königin Doreah wollte ihre Schwester nicht töten, daher wurde Lydia verbannt und ihrer Kraft geraubt.“ Das erschreckte mich. Warum wollte man nur freiwillig Krieg?

Jason nahm mir wieder das Buch weg. Blätterte um und legte es mir erneut in den Schoß. Fett gedruckt und mit der schönsten Schrift stand als Überschrift: Kralica.

In der Mitte von Čaranje wurde das Reich Neitrāls erbaut. Mit dem Palast der Kralica. Die Kralica wird die Königin des Reiches sein. Sie wird diejenige, die über alles und jeden herrscht. Über die Könige und Königinnen. Über jedes Königreich, über den ganzen Planeten. Sie wird die Macht aller haben. Dinge erschaffen können, von denen niemals jemand erdacht hätte, wahr werden zu können. Die Kralica erkennt man. Jeder Fae hat sofort das Bedürfnis, sie zu beschützen. Sie ist die Quelle der Macht. Sie wird das Reich retten. Vor jeder Gefahr. Sie ist eine fleischgewordene Gottheit.“ Ich wurde immer langsamer. Gottheit? Königin? Quelle der Macht? Das konnte unmöglich ich sein.

„Das… das bin ich nicht.“ stammelte ich und starrte Jason an, der mir langsam das Buch weg nahm und es zuklappte.

„Doch.“ sagte er sanft.

„Das bist du. Ich hab es sofort gemerkt. Mich überkam plötzlich so eine unbändige Ruhe. Ich gehöre an deine Seite, weil du die Kralica bist. Alles und Jeder existiert nur wegen dir. Es existiert nur, um dir zu Dienen und zu gefallen. Jede Art deiner Aufmerksamkeit ist eine Ehre.“ Er streckte die Hand aus, wollte mir über die Wange streichen. Lies sie dann aber fallen.

Mit offenem Mund sah ich zu Skyla rüber die mich musterte.

„Wenn ich jetzt so drauf achte siehst du, abgesehen von den Ohren, auch ganz anders aus, jetzt wo du hinter der Mauer bist. Dein Haar glänzt, deine Augen leuchten mehr als sonst. Und auch wie du dich bewegst. Das hast du vermutlich nicht mal bemerkt. Du läufst viel eleganter, sinnlicher. Du machst viel sichere Schritte. Ich weiß Auch nicht.“ versuchte sie mir zu erklären. Ich ergriff ihre Hand.

„Also glaubst du das?“ fragte ich. Sie machte den Mund auf.

„Es spielt keine Rolle ob der Mensch es glaubt oder nicht.“ sagte eine scharfe, Männliche Stimme. Mein Kopf schnellte nach rechts. Dort standen zwei Männer und eine Frau und musterten mich mit Interesse und Skyla mit bloßem Ekel. Ich wusste wer sie waren. Ich spürte es irgendwie.

Die Könige und die Königinnen die das Reich beherrschten.

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Tag der Veröffentlichung: 30.03.2018

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