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The Place



Sanni hielt inne. Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich etwas gehört hatte. Das Wasser brauste weiter über ihren Kopf und ihre Schultern hinweg, während sie angestrengt versuchte, in das Badezimmer zu lauschen. Einige Herzschläge lang stand sie still da, dann drehte sie das Wasser ab und zog den Vorhang auf. Kurz schaute sie sich um, dann griff sie nach einem Handtuch. Da war es wieder! Sie richtete ihren Blick auf die Komode, auf welcher ihr Handy lag. Erneut vibrierte es. Sanni nahm es in die Hand. Eine neue Nachricht. Von Ghandi.

In zwei Stunden vorm Place?



Kurz überlegte Sanni, dann tippte sie Okay, drückte auf 'Senden' und legte das Handy wieder beiseite. Sie bürstete sich ihr langes, schwarzes Haar und ging in ihr Schlafzimmer. Lange wühlte sie im Schrank, kombinierte auf ihrem Bett alle möglichen Outfits. Als ihr Schrank leer und das Bett nicht mehr zu sehen waren, hatte sie endlich etwas Passendes gefunden. Sie zog sich an und ging zurück ins Badezimmer, um ihre Haare zu frisieren. Mit dem Lockenstab drehte sie leichte Wellen in ihr sonst glattes Haar und versteckte ihre spitzen Ohren darunter.Roter Lippenstift und Wimperntusche reichten schon, um ihren blassen Taint elegant zu betonen.Ein letzter, prüfender Blick in den Spiegel, dann zog sie sich ihre schwarze Lederjacke über, griff nach Handy, Tasche und Schlüssel und verließ ihre Wohnung.Den Wagen ließ sie stehen. Mit verschränkten Armen ging sie durch überquellende Fußgängerzonen. In der sommerlichen Nachtluft hing der Geruch von Menschen. Von überall her drangen Gefühle in sanften Impulsen zu Sanni. Viel Fröhlichkeit und Abenteuerlust.Sanni tat es gut, zu wissen, dass wenigstens Andere glücklich waren.Tief atmete sie die schwüle Luft ein, dann bog sie in eine kleine Seitenstraße.Hier war es kühler, dunkel. Kein Mensch kam ihr entgegen, keine Gefühle umgaben diesen Ort. Sanni's Schritte hallten laut in der engen Straße wider.
Gemächlich schlenderte sie die Gasse entlang, welche umgeben von verwilderten Hinterhöfen, zerfallenden Mauern und verrostenden Zäunen dalag. Ab und zu trug der hauchende Wind Gelächter die Gasse entlang. Irgendwann drang Musik an Sanni's Ohren. Und dann war sie da. Viele hatten sich vor einem alten Fabrikgebäude versammelt. Über einer großen Tür blinkte in grellen Farben ''The Place''. Es wurde geredet, gelacht und vorgeglüht. Sanni hielt ein wenig Abstand, um die Traube von Tanzwütigen besser überblicken zu können. Von Ghandi keine Spur. Also stellte sie sich, die anstößigen Pfiffe Anderer ignorierend, an. Doch lang musste sie nicht warten, da wurde Sanni nach Vorne an die Tür gerufen.
''Sanni, mein Mondschein, du sollst doch immer gleich zu mir kommen. Ich will doch nicht, dass du dich ewig langweilst.'' rief ihr der Türsteher schon mit rauer Stimme entgegen, als sie lächelnd auf den hünenhaften Mann zukam.
''Das nächste Mal dann. Versprochen.'' flötete sie kokett.
Er zwinkerte ihr zu und wandte sich dann wieder an die Wartenden, von denen einige lautstark protestierten. Kurz hörte sie das befehlende Brüllen des riesengleichen, kahlköpfigen Türstehers, dann tauchte sie in den lauten Beat der Musik ein. An der Garderobe gab sie ihre Sachen ab und drängte sich durch Menschenmassen hindurch zur Tanzfläche.Es war heiß zwischen den vielen sich windenden Körpern, Sanni spürte die Ekstase und Euphorie der Menschen. Langsam begann sie, sich zum Rhythmus der dröhnenden Musik zu bewegen. Bald wurde sie schneller, fing an, die Emotionen der Anderen intensiver zu spüren, in sich aufzusaugen.Ihr Herz begann zu rasen, ihr wurde heiß, sie spürte, wie Glücksgefühle sie durchströmten und sich in ihr zu warmer Energie wandelten. Alles verschwamm vor ihren Augen, langsam passte ihr Herzschlag sich der Musik an. Die Musik wurde zu ihrem Herzschlag. Beinahe hatte sie sich in Trance getanzt, war fast verschmolzen mit der schwitzenden Masse, doch etwas riss plötzlich an ihr. Zog sie weg vom warmen Fluss der Energie.Widerstrebend löste sie sich schließlich von den Gefühls-Strömen. Als ihre Sicht wieder klarer wurde, blickte sie in ein ihr nur allzu vertrautes Gesicht.
''Ghandi! Wo warst du?'' schrie sie schnaufend über den Lärm hinweg, noch ein wenig verwirrt vom plötzlichen Abbruch der pulsierenden Bindung. Ghandi lächelte sie spitzbübisch an.
''Ich habe dich gesucht.'' antwortete sie.
Kurz schien sie mit den Gedanken wo anders zu sein.
Sanni betrachtete ihre Freundin im flimmernden Zwielicht der Diskothek.
Sie hatte flammenrotes, kurzes Haar. Denn Ghandi wollte ihre spitz zulaufenden Ohren nicht verstecken. Sie waren sogar über und über mit Piercings behangen.
Auch im Gesicht hatte sie welche. Schwarze. Sie hoben ihre blasse Haut und die hochstehenden Wangenknochen hervor.Plötzlich schüttelte Ghandi ihre gedankenverlorene Starre ab.
''Komm, lass uns woanders hingehen!'' schrie sie Sanni ins Ohr und drängte sich durch die Masse von Tanzenden hindurch. Sanni folgte ihr bis zum Ende der Tanzfläche. Eine Tür ging direkt von der großen Halle ab. Sie öffneten sie und traten in einen sperrlich beleuchteten Flur. Als die schwere Tür lautstark hinter ihnen zuviel, war die Musik immer noch deutlich zu hören. Sanni schaute sich um, obwohl sie sich hier schon gut auskannte. Die Wände waren mit Graffitties und alten Plakaten übersät. Viele Leute kamen ihnen entgegen, von den Toiletten, vom Hinterhof. Doch je weiter die Beiden gingen, desto leiser wurde die Musik und das Schreien der gefühlvollen Seelen nach Vergnügen und Vergessen. Lediglich das Beben des Basses im Boden erinnerte an die glühende Bewegung hinter ihnen. Sanni fühlte sich, als würde sie tiefer und tiefer in zwielichtiger Verschwommenheit versinken. Plötzlich blieb Ghandi Vor einer Tür stehen und riss Sanni somit aus ihrer Verträumtheit. 'Kein Zutritt für Unbefugte' war undeutlich auf einem verschmierten, rot umrahmten Schild zu lesen. Ghandi fing an, in den Taschen ihrer zerrissenen Shorts herumzuwühlen.
''Ehm, Ghandi? Was soll das werden?'' fragte Sanni skeptisch.
''Entspann' dich, Sannilein, ist ausnahmsweise alles legal.''
Ghandi fluchte in der Sprache der Elfen, hörte jedoch abprupt wieder auf und zog mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche hervor. Behaglich schob sie ihn in das Schloss der alten Tür, doch drehen ließ sich der Schlüssel nicht. ''Nicht schon wieder!'' gab Ghandi genervt von sich. Und erneut begann sie zu fluchen, rüttelte am Schlüssel und trat einmal kräftig gegen die Tür. Dann, als wäre nichts gewesen, versuchte sie behutsam und ohne Wut erneut, den Schlüssel zu drehen. Das Schloss gab ein befriedigendes Klicken von sich, dann schwang die Tür auf.
''Da wären wir.'', verkündete Ghandi theatralisch stolz und trat in die Dunkelheit.
Als auch Sanni mit dem schwarzen Nichts verschmolzen war, schloss Ghandi die Tür wieder.
''Was wollen wir hier?'' fragte Sanni verwundert, als sie sich in der Finsternis des Raumes umsah und Umrisse von Waschbecken und Kabinen entdeckte.
''Aha!'' hörte sie Ghandi lediglich hinter sich murmeln. Kurz darauf gingen surrend und flackernd die alten Neonröhren an.Sanni drehte sich mit erwartungsvollem Blick zu ihrer Freundin um.
''Wir müssen reden. Wegen Morgen.'' erwiderte Ghandi endlich.
Ein seltsamer Unterton schwang in ihrer Stimme. Es hörte sich an wie.. Reue.
''Oh nein, Ghandi, bitte tu mir das nicht an!'' bat Sanni, voller Gewissheit darüber, was Ghandi ihr zu sagen hatte.
''Es tut mir leid, Sanni! Aber sieh mich doch mal an! Wenn auch nur einer meiner Brüder mitbekommt, wie ich aussehe, wird das ganze Dorf versuchen, mich für immer wegzusperren, damit ich nicht mehr in die Stadt komme.Das will ich nicht riskieren!''
''Ich dachte, du läufst aus Trotz so rum. Und plötzlich bekommst du Schiss und lässt mich da allein hinfahren? Und was ist überhaupt ,
wenn ich dableiben muss?'' fragte Sanni aufgebracht.
''Wie kommst du denn da drauf?'', erwiderte Ghandi irritiert und fügte beschwichtigend hinzu: ''Du wirst schon nicht dableiben müssen.
Abgeschminkt siehst du immer noch aus wie die kleine Waldelfe von Nebenan. Also reg dich ab.''
Sie lehnte sich gegen die Tür, während Sanni sich auf einem der ausgedienten Waschbecken niederließ.
''Außerdem musst du überhaupt nicht zur Zeremonie gehen. Muss ich doch auch nicht.'', fügte sie lässig hinzu.
'Wir müssen nicht hingehen? Wir-müssen-nicht-hingehen!? Ghandi, das ist die Vermehlung des Prinzen! Du weißt ganz genau, dass zu einer Zeremonie von solch wichtiger Bedeutung jeder Elf des Stammes im Dorf zu erscheinen hat. Und wenn er dafür durch die dunkelsten Schlote der Mitternachtsdämonen reisen muss. Verdammt noch mal! Und dann sagst du zu mir, wir müssen nicht hingehen!?' Sanni war vor lauter Aufgebrachtheit aufgesprungen.
Sie wandte sich von Ghandi ab und knurrte ihre im Raum widerschallende Wut heraus, dann setzte sie sich wieder auf das Waschbecken, welches dieses Mal unter ihrem Gewicht bedrohlich ächzte. Tief atmete sie ein und wieder aus, dann presste sie, versuchend, ihre Beherrschung zu wahren, hervor:
''Ghandi, dein ältester Bruder wird heiraten. Außerdem gehörst du zur Familie des Stammesoberhauptes. Da ist egal, wie du aussiehst, es ist egal, dass euer Vater tot ist. Nicht dabei zusein, ist viel schlimmer!''
''Okay, ist ja gut. Ich überleg's mir. In Ordnung?''
Ghandi löste sich wieder von der Tür.
''Ich hab Lust zu tanzen. Komm, gehen wir.''
Sanni seufzte müde. Sie wusste genau, dass Ghandi sich drücken würde.
Langsam trottete sie ihrer Freundin hinterher, zurück auf den summenden Flur.
Ghandi schloss die Tür wieder ab. Schweigend gingen die Beiden dann den Flur zurück zur Tanzfläche. Als sie die Tür aufstießen, überrollte sie eine donnernde Welle aus Musik und Hitze. Zusammen tanzten sie rhythmisch zum trommelnden Beat, sogen die mächtige Aura des Ganzen ein und ließen sich und ihre Gedanken bis zum frühen Morgen treiben


Dämonennacht



Sie war schon früh wach, noch bevor der Wecker geklingelt hatte.
Gähnend und mit starken Kopfschmerzen schlich Sanni in die Küche und bereitete sich eine Schüssel Müsli zu. An die Küchenzeile gelehnt, aß sie das Müsli, während sie ununterbrochen auf ihr Handy starrte. Wann Ghandi wohl schreiben würde, dass sie nicht mitkommen konnte? Als Sanni aufgegessen hatte, wusch sie sich und zog sich an. Dann kramte sie unter ihrem Bett eine alte Holztruhe mit geschnitzten Verzierungen hervor.Mit einem stummen Ehrfurchtsbeweis an die Geister der Wälder öffnete sie die Truhe und holte daraus ein in hellem Grün schimmerndes Kleid hervor. Es war weich und leicht wie eine Sommerbrise, gewoben aus magischen Stoffen. Behutsam verstaute Sanni das weite Kleid in einem Rucksack und holte aus der Kiste noch eine golden schimmernde Kette heraus. Sie enthielt einen eingefassten Kristall, welcher, die Seelen der Wald-Ahnen in sich tragend, den Schlüssel zu ihrem Dorf verkörperte. Nachdem Sanni die Truhe wieder vorischtig zurück unter ihr Bett geschoben hatte, hauchte sie dem Kristall einen Kuss auf seinen kalten Körper und hing sich die Kette um den Hals. Und obwohl sie schon lange in der Großstadt lebte und nicht mehr viel von den alten Ritualen ihres Volkes hielt, verspürte sie dennoch starke Erfurcht an diesem Tag. Aber auch Angst vor der Reaktion der Weisen ihres Dorfes zu ihrem Leben. Seufzend schulterte sie ihren Rucksack und schaute noch ein letztes Mal auf das Handydisplay.Eine neue Nachricht von Ghandi.

Sry



''Wusste ich's doch.'', murmelte Sanni gereizt und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen.
Trockene Luft schlug ihr wallend entgegen und füllte heiß ihre Lungen, als sie auf die Straße hinaustrat. Sie verlud den Rucksack im Kofferraum und setzte sich in das Auto. Bevor sie losfuhr, öffnete sie das Verdeck ihres Caprios. Es dauerte lange, bis Sanni endlich den stockenden Strömen der glühenden Stadt entkommen war und freie Fahrt hatte. Der Asphalt schien auch dort zu glühen, die Luft vibrierte. Ihre langen Haare wurden im warmen Wind herumgewirbelt. Strähnen schlugen Sanni in ihr Gesicht, trommelten zum Takt der Musik. Bald schon kam die Ausfahrt, an welcher sie abfahren musste. Hin und her ging es mit den vielen asphaltierten Straßen. Immer weiter raus auf das Land, weg von der Zivilisation. Bald schon führte Sanni's Weg sie über staubige Landstraßen, vorbei an vertrocknenden Feldern. Hie und da standen große Wassersprenger zwischen den trockenen Pflanzen und versuchten das letzte Grün zu wahren. Das nun mehr einzige Zeichen, welches von Menschen zeugte. Sanni drehte die Musik noch ein wenig lauter. Irgendwann war über die Felder hinweg ein großer, dunkler Wald zu erkennen. Am Waldrand angekommen, parkte sie schließlich ihren Wagen, schloss das Verdeck wieder und stieg aus. Sie nahm ihren Rucksack aus dem Kofferraum und zog sie sich im Schatten des Waldes um, verstaute alles im Wagen und machte sich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend auf den Weg. Immer tiefer ging sie in den zwielichtigen Wald. Hier war es kühl. Die Erde roch nach Leben, Tod und Magie. Ihr langes Kleid flog lautlos um ihre Beine. Sanni fühlte sich, als würde sie mit dem Wald verschmelzen. Wie ein Waldgeist glitt sie geräuschlos zwischen den mächtigen Stämmen und Wurzeln der alten Bäume umher.Die singenden Vögel, der seichte Wind in den rauschenden Kronen der Bäume und die Bäume selbst schienen zu flüstern.Gespannt lauschte Sanni den Geschichten ihrer Ahnen und beobachtete die feinen, tanzenden Sonnenstrahlen. All ihre Erinnerungen an diesen vollkommenen Ort strömten zu ihr. Für einen Moment blieb sie stehen und schloss die Augen. Sie spürte, wie der Kristall an ihrem Hals warm wurde. Es schien, als würde er sie mit sich ziehen. Weg von allem irdischen und hinein in die verborgene Welt der magischen Wesen. Als sie die Augen wieder öffnete, hörte sie irgendwo in der Ferne das Musizieren eines einsamen Flötenspielers. Wie von selbst trugen Sanni's Beine sie nun durch den Wald, immer in Richtung der Flötenmelodie, welche ihr und dem Kristall den Weg zu sich wies.
Gespannt hörte Sanni der Musik zu, spürte, wie sich das Trauern der Flöte in Fröhlichkeit wandelten. Jäh drangen von überall her engelsgleiche Stimmen an ihr Ohr. Kurz blieb sie stehen und lauschte den sanften Klängen der elfischen Sprache. Hinter ihr bewegte sich etwas im Gestrüpp, doch sie nahm es nicht wahr. Sie konnte nicht von der wundervollen Melodie lassen. Als ein Geräusch zu ihr drang und Sanni erschrocken herumwirbelte, war es schon zu spät.Während die Musik weiterspielte, kam ein dunkler Schatten auf sie zugesprungen, warf sich auf sie und krallte sich an ihr fest.
Die Magie brach vor Sanni's Augen zusammen, riss auseinander, erstarb. Ihr Herz hämmerte vor Schreck schmerzend gegen ihre Brust, sie wollte schreien, doch bekam sie keine Luft. Nur ein ersticktes Stöhnen brachte sie zustande. Ein schadenfrohes Lachen drang aus dem dunklen Schmenen und verwirrte sie vollends. Die in dunkle Gewänder gehüllte Gestalt ließ von ihr und zog sich kichernd die Kapuze vom Kopf. ''Daltonor! wie kannst du mich nur so zu Tode erschrecken!'', schalt Sanni den jungen Elf erkannte. Aus traurigen Augen blickte Daltonor zu seiner Schwester empor. Sanni fing an zu strahlen und nahm ihren kleinen Bruder herzhaft lachend in die Arme. ''Schon gut, mein kleiner Kobold.''
Lautes Gelächter hallte durch die Wälder, eine neue Flötenmelodie erklang freudig und lud zum Tanzen ein. Kurz schaute Sanni sich um, dann sagte sie an ihren Bruder gewandt: ''Komm, Daltonor. Wir verpassen sonst noch alles!'' Zusammen gingen sie ein Stück zwischen den Bäumen umher und einige Atemzüge später erspähten sie viele sich drehende schattenhafte Wesen. Helle Schemen aus fliegenden Stoffen, welche im sanften Mittags-Zwielicht des Waldes mystisch schimmerten. Sie bildeten zusammen einen flimmernden Kreis, schienen etwas zu umgeben. Als Sanni und ihr Bruder nähergekommen waren, sahen sie, wie sich die verschwommenen, fließenden Geschöpfe zu vielen jungen Elfinnen wandelten.
Singend drehten sie sich im Kreis herum. Einige Männer saßen in einem größeren Kreis um das Geschehen herum und schauten den schönen Mädchen belustigt beim Tanzen zu. Viele von ihnen hielten Instrumente in den Händen. Einige Augenblicke standen die Beiden schweigend nebeneinander und beobachteten die Tänzerinnen. Ein Ziehen am Ärmelsaumen ihre Kleides ließ Sanni's Blick von der Szenerie zu ihrem Bruder wandern.
''Sie ist wunderschön!'', flüsterte Daltonor verträumt und deutete mit einem Finger auf die umtanzte Mitte des Kreises.Sanni schaute noch einmal genauer hin und tatsächlich saß jemand inmitten der schwebenden Elfinnen. Ebenfalls eine junge Elfe, gehüllt in leuchtende Gewänder und umgeben von unendlich vielen Blüten. Ihre langen schwarzen Haare waren zu kunstvollen Zöpfen geflochten und mit zierlichem Schmuck verziert.
Ihr schüchternes Lächeln strahlte, umgeben von Runen, Wonne und unglaublich viel Ruhe aus.
Verwundert betrachteten sie die unbekannte Schönheit. Doch ein aufgeregtes Rufen ließ die Blicke Daltonors und Sannis vom Geschehen abschweifen und lenkte sie auf die Schamanin, welche schnellen Schritts auf sie zugeeilt kam. das Klimpern ihrer vielen Ketten war schon aus der Ferne zu vernehmen. Elegant nährte sie sich ihnen, mit einem kleinen Lächeln und vor Erregung funkelnden Augen.
''Da seid ihr ja! Willkommen, Salna Nahi.'' Mayaharia nahm ihre Tochter fest in die Arme.
''Danke, Mutter.'' erwiderte Sanni ein wenig irritiert.
''So, nun aber rasch! Es gibt noch viel zu tun.'' Aufgeregt zog sie ihre Kinder hinter sich her. Erstaunt betrachtete Sanni ihre alte Heimat.
Nichts hatte sich verändert. Alles war vertraut und doch so fremd.
Die Behausungen ihrer Brüder und Schwestern waren mit den Kronen der Bäume verwachsen.
Mächtige, treppenartige Äste führten vom Waldboden in die schwindelerregende Höhen der Kronen. Auch zwischen den Baumkronen hingen brückenhafte Verholzungen, welche alle Häuser miteinander verbanden.Mehrere riesige Feuerstellen waren überall zwischen den breiten Stämmen der Bäume zu erkennen, genau so, wie Sanni sie in Erinnerung hatte.
Gerade wurde an allen Feuerstellen Holz von Elfen gestapelt. Überall herrschte Hektik und Bewegung. Selbst die Feen halfen, alles für die Zeremonie vorzubereiten. Sie trugen Blüten über den Köpfen der Elfen hinweg und brachten die Glühwürmchenlampen zum Schweben.
Amüsiert beobachtete Sanni das erregte Getümmel des Stammes, denn nie zuvor hatte sie solch erregte Waldelfen erblickt.
''Daltonor, du kannst den Anderen beim Holzstapeln helfen.'' erteilte seine Mutter ihm und fügte drohend hinzu: ''Und um Armaldas Willen, mach dich nicht dreckig!''
Daltonor nickte vergnügt und lief davon. Dann ging es in eines der Baumhäuser. Sanni war die wackligen Treppen nicht mehr gewohnt und musste sich balancierend bemühen, nicht herunterzufallen. Erst als ihre Mutter den Vorhang aus immergrünen Blättern beiseitegeschoben, eingetreten und sich verbeugt hatte, bemerkte Sanni, in wessen Baumhaus sie gerade trat. Noch bevor sie jemanden erblicken konnte, verneigte auch sie sich tief. ''Nicht doch. Ihr macht mich ganz verlegen.'' ertönte eine sanfte Stimme. Als Sanni sich wieder aufrichtete, erblickte sie den Prinzen ihres Dorfes.
Seine langen Haare waren streng nach hinten gebunden. Auf seinen Schultern ruhte ein prächtiges Bärenfell, seine Stiefel und der Warms waren aus feinstem Leder. Ein langes, schmales Schwert steckte in einer ebenfalls ledernen Scheide und zierte seinen Gürtel.
''Sanni!'' Er begann zu strahlen. Auch Sanni musste unweigerlich lächeln ''Du siehst gut aus, Faldren.''
''Danke.'' Sein Grinsen wurde breiter.
''Genug der Trödelei. Salna 'Nahi, komm her, du musst mir mit den Zeremonienvorbereitungen helfen.'' Sanni's Mutter drückte ihr einen samtenen Beutel in die Hand. Sie öffnete ihn und zog einen kleinen Talisman heraus, welcher an einem ledernen Band befestigt war. Es war ein aus Stein gefertigter Wildschweinkopf,
dem Ziegenbockhörner aufgesetzt waren. Dieser Talisman sollte dem künftigen Stammesoberhaupt helfen Stärke, Umsicht und Wissen zu erlangen. Vorsichtig hing Sanni ihrem alten Freund die Kette um den Hals. Die Schamanin machte sich daran, ihm Talismänner um die Handgelenke zu binden. Sie standen für gute Führung im Frieden als auch im Krieg und für den Zusammenhalt des Stammes. Währenddessen begann Sanni, Lehm anzurühren und mit roter Farbe zu vermengen. Zusammen mit ihrer Mutter malte sie dann mit dem Lehm Runen auf Gesicht und Handrücken des Prinzen.Mit jeder neuen Rune, welche Sanni mit bloßen Fingern auf der blassen Haut des jungen Elfen formte, strömten die Nächsten in ihr Gedächtnis, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Und es fühlte sich gut an. Sie vergaß die Großstadt und ihre anfänglichen Sorgen gegenüber des Besuchs.
Versunken in ihrer Arbeit bemerkte sie nicht, wie Faldren sie neckisch anlächelte.
Als sie es dann endlich bemerkte, wandte sie ihren Blick von ihm ab.
''Was ist?'', fragte sie verlegen .
''Was sollte denn schon sein?'', erwiderte Faldren spitz und fügte wie nebenbei hinzu:
''Es ist ja nicht so, als würde meine beste Freundin, welche ich seit Jahren nicht gesehen habe, nicht mehr mit mir reden.''
Sein Grinsen bekam etwas schadenfrohes.
Verstohlen schaute Sanni nach ihrer Mutter, welche gerade dabei war, nun ihr Gesicht zu bemalen.
''Später.'', flüsterte sie und zeichnete die letzte Rune auf seine Stirn.
*
Langsam legte sich die Dämmerung über den Wald. Die letzten Sonnenstrahlen erhellten das Dorf in sanftem Orange. Die ersten Glühwürmchen eilten herbei und ließen sich aus freien Stücken in den schwebenden, hauchdünnen Lederbeuteln nieder, um diese zu erhellen.
Nach und nach wurden die vielen großen Feuer singend entfacht. Funken stoben tanzend gen Himmel, die feurigen Zungen leckten gierig in das Zwielicht des Abends.
Nun konnte die Zeremonie beginnen. Alles war ruhig und wartete gespannt auf das künftige Stammesoberhaupt. Die ihm Versprochene saß nun auf einem großen, mit goldenen Runen bestickten Kissen. Neben ihr lag ein ähnliches Kissen, welches dem Prinzen galt. Und wieder waren über all um sie herum bunte Blütenblätter verstreut.Wie alle blickte auch sie erwartungsvoll zu dem Baumhaus ihres Bräutigams empor. Dumpfe Trommelschläge setzten ein und glitten rhythmisch durch den Wald. Dann wurde der blätterne Vorhang beiseite geschoben und Faldren trat auf die von schwebenden Lampen gesäumte Treppe. Kurz schweifte sein Blick über die vielen Elfen des Waldes hinweg, dann schritt er entschlossen die Stufen hinab. Immer noch herrschte gespannte Stille, als er die blasse Hand der Schönheit ergriff, ihr einen sanften Kuss auf den Handrücken hauchte und sich neben ihr niederließ. Nach einigen Atemzügen löste sich ein Schemen aus der hereinbrechenden Dunkelheit des Waldes und trat in das Licht der vielen Feuer.
Es war die Schamanin. Sie fing an, sich zu den Trommelschlägen zu wiegen, summte etwas Unverständliches. Mit der Zeit wurde sie lauter und verständlicher, wiederholte immer wieder in der Sprache ihrer Ahnen Beschwörungsformeln, um diese herbeizurufen. Das sanfte Wiegen wandelte sich schnell in starkes Zittern. Immer lauter und schneller wurden ihre Ausrufe, immer heftiger das Beben ihres Körpers. Langsam streckte sie ihre bemalten Arme empor und hielt abrupt in ihren erschreckenden Bewegungen und beschwörerischem Gesang inne. Dann band sie sich ein kleines Säckchen von ihrem Gürtel und warf es in eines der Feuer. Für einen Herzschlag wuchs das Feuer zu einer gewaltigen, blutroten Flammenkugel heran und sank nur einen Wimpernschlag später wieder in sich zusammen. Ein erstauntes Raunen ging durch die Reihen der Elfen, welches jedoch schnell verebbte. Rote Rauchschwaden stiegen nun aus der Glut empor, während die Schamanin mit beschwörerischen Bewegungen um das nun mehr schwache Feuer herumglitt. Fasziniert beobachtete Sanni das Schaffen ihrer Mutter. Wage konnte sie sich daran erinnern, wofür der gefärbte Rauch genutzt wurde. Es hatte etwas mit dem Schicksal und der damit verwobenen Zukunft der sich Bindenden zu tun. Als die Glut vollends erloschen war, trat die Schamanin vor das Paar und hob ihre Hände segnend über die Köpfe der Beiden.
''Armalda steht euch bei.'', sagte sie zufrieden und ließ ihre Arme wieder sinken.
Dann deutete sie eine Verneigung an und verschmolz wieder mit der verschlingenden Finsternis. Nach und nach gesellten sich die Instrumente nun fröhlich zum Schlag der Trommeln, viele Elfen sprangen auf und begannen jubilierend zu tanzen. Um das vereinte Paar herum, um die großen Feuer. Auch Sanni erhob sich. Sie betrachtete den Prinzen und seine Gemahlin zwischen den wehenden Gewändern der Tanzenden hindurch und erspähte für einen kurzen Augenblick das Gesicht der Frau, welche sie immer noch nicht beim Namen kannte. Es hatte etwas Zufriedenes. Ihre Augen schienen berechnend zu funkeln.
Sanny runzelte die Stirn. Doch bevor sie sich vergewissern konnte, ob sie wirklich richtig gesehen hatte, wurde ihr die Sicht versperrt. Nachdenklich gestimmt wandte Sanni sich ab und beobachtete wieder das Fest.
''Salna 'Nahi! Salna 'Nahi!'' aufgebracht kam ihr kleiner Bruder herbeigeeilt.
''Du wirst mir nicht glauben, was ich gefunden habe!''
Besorgt blickte Sanni sich um. Ein greiser Elf hatte das Schreien Daltonors gehört und betrachtete Sanni missbilligend. Sie hockte sich hin, um ihrem Bruder in die Augen schauen zu können und legte sich einen Finger auf die Lippen. Verdutzt hielt Daltonor inne.
''Was ist?'' fragte er erstaunt.
''Du sollst meinen Namen nicht so herumbrüllen. Du weißt doch, wie es über die heißt, welche sich den Menschen zuwenden.'', flüsterte Sanni mahnend.
''Entschuldige.'' erwiderte Daltonor betreten.
Noch einmal schaute Sanni sich nach dem Greisen um, doch dort, wo er gesessen hatte, war niemand mehr zu sehen. Betrübt seufzte Sanni.
Schon bald hing der Geruch eines köstlichen Mahls über dem feiernden Dorf der Waldelfen.
Alle versammelten sie sich um die Feuer, um zusammen zu speisen.
Wildschweinbraten, gefüllt mit Zwiebelknollen. Geräucherte Forellen, Dörrfleisch, wilde Beeren und Met. Gerade wollte auch Sanni sich an einem Feuer niederlassen, da wurde sie von einem Elf beiseitegestoßen, welcher sich an ihrer Stelle an ihrem Platz
niederließ. Fassungslos starrte sie den Elf an, dann schweifte ihr Blick über die Anwesenden. Hatte diese Unhöflichkeit denn niemand bemerkt? Zufällig erspähte sie Einige, wie sie verstohlen lächelten. Zwei hatten die Köpfe zusammengesteckt, flüsterten und schauten dabei in Sanni's Richtung. Allen in der Runde warf sie einen vernichtenden Blick zu. Und gerade als sie auf dem Absatz kehrt machte, erkannte sie noch aus dem Augenwinkel den alten Greisen, wie er triumphierend lächelte. Sanni entschloss, in die Dunkelheit des Waldes einzutauchen, wegzukommen von der Albernheit derer, welche sich als das klügste und höchst angesehene Volk der magischen Welt hielten. Davor schlich sie jedoch an den Feierlichkeiten vorbei, in die feuchte Tiefe eines riesigen, hohlen Baumes.
Es war Finster dort unten, doch Sanni konnte trotzdem Umrisse erkennen. Sie schlich den langen Gang an den hölzernen Kerkern vorbei, direkt auf das Waffenlager des Dorfes zu.
Doch Erde und Steine versperrten ihr den Weg. Kurz hielt sie den Kristall über die feuchte Erde und wartete einige Herzschläge. Der Boden begann zu vibrieren und Dreck viel von der mit Moos bewachsenen Decke hinab. Langsam räumte sich die erdene Wand knrischend zur Seite und machte Sanni den Weg frei. In der Schwärze erblickte sie die Schemen von Schwertern, Messern, Pfeilen und Bögen. Sie hing sich einen der ledernen Köcher um, in dem mindestens ein Dutzend Pfeile verstaut waren, und nahm sich einen Bogen. Dann machte sie sich wieder auf den Rückweg. Die dunkle Wand schob sich von allein wieder grollend vor die Kammer. Verstohlen blickte Sanni aus dem spaltenartigen Eingang des Baumes, dann rannte sie in den Wald. Bald waren die Gesänge und das Spielen der Musik nur noch verschwommen zu hören, die Lichter der großen Feuer erstarben nach und nach zwischen den dunklen Schatten des Gehölzes. Sanni verlangsamte ihren Schritt und genoss die Ruhe des Waldes. Einige Lichtwesen gesellten sich zu ihr und erhellten sanft die Finsternis.
Von den schwebenden Funken begleitet, trottete Sanni gemächlich umher.
Versuchte den Argwohn ihrer Brüder und Schwestern zu vergessen. Sie überlegte, wohin sie nun gehen könnte und ihr fiel der kleine Flusslauf wieder ein, bei welchem sie und Faldren früher immer mit den Wassergeistern geredet hatten. Also machte sie sich auf den Weg. Schon nach einigen Atemzügen hörte sie das sanfte Plätschern des dahinziehenden Wassers. Die Lichtwesen eilten ihr voraus und tauchten lautlos ins kühle Nass. Der Bachlauf wandelte sich zu einem kristallenen, blauen Strom und warf funkelnd flirrende Lichtfluten in alle Richtungen. Kurz betrachtete Sanni das wundervolle Schauspiel, dann schritt sie auf einen Baum zu, berührte sanft seine Rinde und trat wieder einige Schritte zurück. Dann zog sie den ersten Pfeil aus ihrem Köcher, spannte den Bogen und zielte. Der Pfeil zerschnitt surrend die Luft und drang tief in den Baumstamm ein. Wieder zog Sanni einen Pfeil aus dem Köcher, spannte den Bogen erneut und traf auch das zweite Mal.
Kurz hielt sie inne, denn sie spürte, wie der Ärger über die fehlende Toleranz des Dorfes mit jedem Schuss dahinschwand. Stark sog sie die nun kühle Luft ein, dann spannte sie den Bogen erneut. Ein knackender Ast ließ sie das Ziel verfehlen, der Pfeil zischte unsichtbar durch die Schatten des Unterholzes. Der beschossene Baum schien im plötzlich aufkommenden Wind erleichtert zu ächzen. Sanni drehte sich langsam um sich selbst, die Hand schon am nächsten Pfeil. Angestrengt spähte sie in die alles verschlingende Schwärze. Dann blieb sie stehen. Ein Flüstern drang an ihr Ohr. Blitzschnell legte sie den Pfeil an, spannte den Bogen.
''Sanni, wir sind es!'', kam es ihr beschwichtigend entgegen.
Zwei Gestalten lösten sich aus den Schatten der Bäume und kamen langsam auf sie zu.
Zögernd senkte Sanni den Bogen.
''Dein Bruder ist im Anpirschen wirklich mehr als unbegabt!'', gab Faldren belustigt von sich.
''Faldren? Daltonor! Was macht ihr hier?'' Erstaunt blickte sie in das bemalte Gesicht des Prinzen, als er und ihr Bruder ins schimmernde Blau des lichtspendenden Wassers traten.
''Daltonor hat dich gesucht und ich habe ihm geholfen.'' Faldren lächelte schnippisch. Verwundert schaute Sanny zu ihrem Bruder hinab, fragte jedoch an Faldren gerichtet
''Solltest du nicht bei deiner Gattin sein?''
Gleichgültig zuckte Faldren die Schultern.
''Lauriel tanzt.'', sagte er trocken und fügte schnell hinzu ''Wir wollten sowieso noch ein wenig reden.''
''Und ich wollte dir doch noch etwas zeigen!'' warf Daltonor aufgeregt ein.
Schmunzelnd nickte Sanni, dann ließen die Drei sich neben dem dahinfließenden Wasser im Gras nieder.
''Warum ist Ghadnafin eigentlich nicht mit dir gekommen?'', fragte Faldren nach einigen Augenblicken der Stille.
''Ich bin mir nicht sicher.'', erwiderte Sanni. Kurz überlegte sie, dann fügte sie bei ''Ich glaube, dass sie einfach keine Lust auf den Argwohn der Anderen hat.''
''Welcher Argwohn?'' Irritiert runzelte Faldren die Stirn.
''Ach, ist nicht so wichtig.'', winkte Sanni ab.
''Salna 'Nahi! Versuch doch nicht mich abzuwimmeln wie eine Fliege! Hat dich jemand beleidigt? Ich werde schon für eine angemessene Strafe sorgen. Du musst mir nur sagen, wer es war.''
Bedrückt schaute Sanni zu Boden.
''Nein, es war nur- Ich habe gespürt, dass Einige aus dem Dorf nichts mehr von mir halten. Ich hatte es erwartet aber trotzdem verstehe ich es nicht. Was habe ich bloß falsch gemacht?''
''Gar nichts hast du falsch gemacht. Da spricht einfach die Eitelkeit aus einigen Elfen.'', versuchte Faldren seine Freundin wieder aufzumuntern.
''Wie ist es eigentlich bei den Menschen, Salna 'Nahi?'', fragte Daltonor neugierig.
Sanni blickte nach oben, wo man zwischen den rauschenden Kronen der Bäume vereinzelnd die Sterne funkeln sah und überlegte kurz.
''Des Nachts sieht man keine Sterne am Himmel, sondern dreckiges Licht, welches das Schwarz des Firmaments trüb verschlingt. Es ist trist. So gut wie gar keine Bäume gibt es bei ihnen, nur graue Behausungen. Und es ist laut. Sehr laut. Es stinkt nach Gift, die meisten Menschen rauschen mit böser Mine an dir vorbei, von Außen ganz kalt.''
''Und trotzdem lebst du bei ihnen?'' Daltonor rümpfte entrüstet die Nase.
Sanny schaute zu ihrem Bruder und nickte
''Es tut gut, für sich sein zu können. In dieser kleinen Gemeinschaft geht das nicht.''
Wieder breitete sich angenehmes Schweigen wie ein Tuch über den drei Elfen aus.
Sanni betrachtete wieder die Sterne, Faldren starrte verträumt ins schimmernde Nass und Daltonor drehte mehrere Grashalme in seinen Fingern hin und her.
Nach einiger Zeit durchdrang seine kindliche Stimme die Ruhe.
''Faldren, liebst du Lauriel?'', fragte Daltonor gerade heraus.
Erstaunt über diese ungenierte Frage riss Faldren die Augen weit auf und blickte fassungslos zu Daltonor.
''Was?!''
Aus vor Vergnügen funkelnden Augen beobachtete Sanni den Prinzen.
''Ich.. ich-'' Peinlich berührt schaute er in die Runde.
''Wolltest du Sanni nicht noch etwas zeigen, Daltonor?'' lenkte Faldren schließlich ungeschickt vom Thema ab.
Wie Daltonor war, ging er auf die Ablenkung ein.
''Stimmt!'' Er begann mit schnellen Fingern an den Schnüren seines Stiefels herumzuwerkeln.
''Ich fand es vorhin in einer der Hasengruben bei der Lichtung.'', sagte er erregt.
''Was hattest du denn bei den Hasengruben zu suchen?'', erwiderte Sanni verblüfft.
Noch bevor Daltonor antworten konnte, brachte ein markerschütterndes Brüllen den Waldboden zum Beben. Die Drei hielten sich mit schmerzverzehrten Gesichtern die Ohren zu. Dem ersten schrillen Aufschrei folgte schon nach einem Herzschlag ein zweiter. Wie ein frostiger Eiszapfen rammte sich dieser nun in die Gehörgänge aller. Das funkelnde Licht der magischen Wesen erlosch und Dunkelheit fiel gierig über den Flusslauf und die drei Freunde her. Plötzlich herrschte Totenstille. Das Rauschen der Blätter im seichten Wind schien erschrocken innezuhalten, sowie das Plätschern des Wassers.Alles hielt gespannt die Luft an.
''Was- was war das?'', fragte Daltonor mit vor Angst zitternder Stimme.
''Pscht.'' Sanni legte ihrem Bruder besänftigend eine Hand auf seine Stirn.
''Es kam aus dem Dorf.'' Kurz überlegte Faldren.
''Sanni! Ihr müsst euch verstecken! Ich gehe und schaue nach dem Rechten.'', flüsterte er entschlossen.
''Aber-''
''Kein Aber!''
Klirrend zog er sein Schwert und schlich davon. Verärgert blickte Sanni dem verschwindenden Schatten Faldrens hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war.
''Denkt er, ich bleibe hier stehen wie ein dummes Huhn?'' Entschlossen griff sie nach Köcher und Bogen, hastete zum Baum, auf welchen sie geschossen hatte und zog die zwei Pfeile wieder aus dem Holz.
''Was hast du vor?'' Daltonor’s Stimme bebte.
''Keine Sorge, mein Kobold, ich hole dich später. Versteck dich da oben, dort bist du sicher.''
Sanft zog Sanni ihren Bruder zu einem Baum und half ihm, auf die höheren Äste zu gelangen.
Bevor Daltonor höher kletterte, schaute er runter zu seiner Schwester.
''Pass auf dich auf!'' flüsterte er heiser.
''Das werde ich.'' Sanni nickte und verschwand ebenfalls in der Nacht.
Daltonor verbat es sich zu Weinen und griff nach einem der dicken Äste.
Schnell rannte Sanni durch den Wald, sprang über Wurzeln und wich den schemenhaften Baumstämmen aus. Doch plötzlich zog etwas an ihrem langen Kleid und ließ sie nicht weiter.
Hektisch zerrte sie daran, bis es schließlich einriss.
Schweren Herzens teilte sie die untere Hälfte des Kleides entzwei, sodass der Rock kürzer und sie wieder frei war.Wieder glitt ein ohrenzerreißender Schrei durch die Dunkelheit.
In der Ferne hörte Sanni gebrüllte Befehle und verzweifelte Aufschreie von Frauen und Kindern. Kurz blieb sie stehen, um einen Pfeil anzulegen. Mit gespanntem Bogen schlich sie geduckt den Geräuschen entgegen. Bald sah sie zwischen den Bäumen glimmende Kohlen.
Das Dorf war in schwach glühendes Rot getaucht. Sanni erspähte die Umrisse der hektisch umherrennenden Elfen. Einige mutige Männer und Frauen standen mit gespannten Bogen und gezogenenen Schwertern dem schattenhaften Wald gegenüber. Vorsichtig glitt sie aus ihrem Versteck, den anderen Elfen entgegen. Blitzschnell wandten sich einige der Bogenschützen in ihre Richtung und zielten auf Sanni. Beschwichtigend hob sie eine Hand.
Als die Elfen erkannten, dass sie eine von ihnen war, zielten sie wieder auf das rot beleuchtete Schattenspiel von Bäumen und Büschen. Erleichtert seufzte Sanni.
Schnell gesellte sie sich zu den Kriegern und versuchte, etwas zwischen den Schatten zu erspähen, während sie in die unnatürliche Stille der Nacht lauschte.
Quälende Augenblicke lang geschah nichts. Doch plötzlich brach ein riesenhaftes Wesen aus der Dunkelheit, riss ganze Bäume mit sich und raste mit gefletschten Zähnen geifernd auf die Elfen zu. Sanni unterdrückte einen Aufschrei, während schon die erste Salve an Bolzen surrend durch die Luft glitt und an der nackten Haut des hundeähnlichen Dämons abprallte. Sie versuchte, ihre Furcht zu unterdrücken und zielte mit ruhiger Hand auf den tobenden Dämon. Sie traf zwar, doch auch ihr Pfeil drang, wie alle anderen Bolzen auch, nicht in das Fleisch des Biestes. Rasend vor Wut stellte sich das groteske Wesen auf seine Hinterläufer und brüllte schrill auf. Als die nächste Salve von Pfeilen über dem Schattenhund niederging, hieb er mit seinen wuchtigen Pranken nach den Elfen.
Geschickt sprangen sie beiseite, auch Sanni konnte den langen, luftzerschneidenden Krallen knapp entkommen, jedoch drang plötzlich ein schmerzerfüllter Aufschrei an ihr Ohr, welcher schon nach einem Herzschlag wieder erstarb. Sanni schlugte schwer. Noch am Boden liegend war sie nicht in der Lage, sich nach dem Ungeheuer umzusehen.
Jäh rief von irgendwo her jemand ihren Namen, sie spürte, wie sie wieder auf die Beine gezogen wurde.
''Sanni! Was machst du hier, verflucht!''
Wie gelähmt blickte sie in Faldrens Gesicht.
''Sanni!'' Faldren fasste sie grob bei den Schultern und rüttelte sie unsanft.
''Es- Es hat jemanden-'' Ihr stiegen Tränen in die Augen und trübten ihre Sicht.
''Reiß dich zusammen!'' Hektisch zog Faldren seine Freundin mit sich, während der Dämon weiterhin brüllend um sich schlug und mit seinen gewaltigen Fangzähnen gierig nach den Waldelfen schnappte. Gerade, als Faldren Sanni in der schützenden Dunkelheit des Waldes verstecken wollte, sah sie verschwommen, wie eine neue Salve von Pfeilen den Dämon plötzlich zum Wanken brachte. Erneut richtete es sich verärgert auf und gab ihr somit seinen Nacken preis, welcher mit einem seltsamen Tattoo verziert war.
Beinahe in der Mitte der verschlungenen Bemalung steckte nicht tief ein Pfeil in seiner Haut. Sanni weitete vor Gewissheit die Augen.
''Sein Nacken. Faldren, sein Nacken!'' flüsterte sie erregt.
Fragend schaute Faldren sie an.
Als Sanni mit dem Finger auf den Dämon wies, drehte er sich um, erblickte die Bemalung und verstand sofort.
''Warte hier!''
Schnell näherte sich Faldren von Hinten dem Dämonenhund, zog sein Schwert und sprang auf den im dahinglimmenden Licht der Kohlen glänzenden Rücken des riesenhaften Wesens.
Wütend brüllte es auf, wand sich erbittert hin und her und schlug mit seinen gewaltigen Pranken um sich, doch Faldren blieb standhaft und kletterte geübt bis zum Nacken des riesenhaften Hundes. Dann klammerte er sich mit seinen Beinen um den Hals des Wesens und bohrte die funkelnde Klinge seines Schwertes in den Mittelpunkt des Tattoos.
Noch einmal brüllte das Schattentier auf, dann strauchelte es und fiel, den Prinzen mit sich reißend, leblos zu Boden und brachte den Wald für einen Herzschlag zum Beben. Faldren sprang noch rechtzeitig ab, bevor der massige Körper des Dämons ihn unter sich begraben konnte und landete unsanft auf dem Rücken. Die Krieger eilten herbei, um Faldren jubelnd aufzuhelfen, während einige das tote Wesen misstrauisch begutachteten.
Mit dem Tod des Dämons schien Sanni's Starre aufgehoben. Mit zitternden Händen wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und näherte sich vorsichtig dem reglosen Körper. Langsam griff sie nach Faldrens Schwert und zog daran. Leicht glitt es aus dem Fleisch des Hundes, silbernes Blut an sich klebend. Verblüfft betrachtete sie den mit Blut verschmierten Nacken. Das Tattoo, welches größer war als Sanni selbst, schien ein Kristall darzustellen, umgeben von einem dunklen Schleier. Sanny runzelte die Stirn. Was das wohl zu bedeuten hatte? Plötzlich entriss ihr jemand unsanft das Schwert, packte ihre Handgelenke und drehte sie ruckartig herum, damit alle sie sehen konnten.
''Was soll das?'' rief Sanny erschrocken aus und versuchte vergebens, sich aus dem harten Griff zu entwinden.
''Sie war es! Sie hat das Schattenwesen auf unser Dorf gehetzt!'', klagte eine schüttere Stimme und ließ den Lärm der Anwesenden verstummen.
''Was?!'' Empört blickte sie in die Runde der versammelten Elfen und sah, wie der Greise vom Abend vor sie trat.
''Du!'' Ihre Augen funkelten wild unter ihren wirschen Haaren hervor.
''Wie kannst du es wagen, jemanden ohne Grund zu beschuldigen!'', erhob sich Faldrens's Stimme über das enstehende Gemurmel seiner Brüder und Schwestern.
''Ohne Grund? Ha! Diese Natter verabscheut uns. Ich habe selbst den Hass in ihren Augen lodern sehen.'' Theatralisch deutete er mit dem Finger auf Sanni.
''Zu einer Geschichte gehören immer zwei Seiten.'' sagte Faldren ruhig.
''Wir werden eine Versammlung einberufen müssen, doch zunächst werden wir uns auf erneute Angriffe vorbereiten.'' Der Prinz warf Sanni einen entschludigenden Blick zu
''Bringt sie in den Kerker. Doch wehe dem, der sie schlecht behandelt!'' Erneut ging ein erstauntes Raunen durch die Versammelten. Sanni hatte keine Kraft mehr, um sich zu wehren und ließ sich zu dem hohlen Baum führen, in welchem sie am Abend schon einmal gewesen war.
Vor den wurzelnen Gitterstäben des Kerkers wurde ihr der Kristall abgenommen, dann wichen die dicken Wurzeln ihrer neuen Gefangenen. Mehr oder weniger sanft wurde sie in die dunkle Kuhle gedrückt, dann versperrten die undurchtrennbaren Wurzeln wieder den Weg in die Freiheit. Erschöpft ließ Sanni sich an der mit Moos bewachsenen Wand nieder, atmete die nach Erde duftende, abgestandene Luft ein und starrte abwartend in die Finsternis der Erdhöhle.
*
Noch oft hatte die schreckliche Kreatur markerschütterndes Gebrüll über die Baumkronen hinweggejagt, doch jetzt war es totenstill. Und von seiner Schwester fehlte immer noch jede Spur. Starr vor Angst saß Daltonor immer noch auf dem Baum und lauschte angestrengt, ob nicht doch jemand in seiner Nähe war. Aber nichts geschah. Lange dachte er nach, dann sog er die kalte Nachtluft ein und machte sich dann entschlossen daran, leise von dem hohen Baum herunterzukommen. Schnellen Schritts machte er sich auf den Weg zu seinem Dorf. Er erwartete das Schlimmste, war auf alles gefasst, doch als er plötzlich inmitten der vielen hektischen Elfen stand und das Monstrum am Boden liegen sah, war er erstaunt. Das hatte er nicht erwartet. Seine Angst schien verflogen und Daltonor begann das seltsame Geschöpf neugierig zu betrachten, welches, trotz des fehlenden Fells, stark einem Hund ähnelte. Aufgeregt versuchte er, näher an das tote Biest heranzukommen, sich zwischen den Schaulustigen hindurchzudrängen, doch etwas hielt ihn davon ab.
''Daltonor!'' Jemand zog ihn sanft aus der Ansammlung von Elfen wieder heraus und schloss ihn fest in die Arme.
''Oh Daltonor, wo warst du nur wieder! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.'' Daltonor fühlte sich, als würde er gleich zerdrückt werden.
''Mutter, wo ist Salna 'Nahi?'', fragte er, nach Luft ringend.
Die Schamanin ließ von ihrem Sohn und schaute ihn betrübt an.
''Faldren hat sie wegsperren lassen. Aber keine Sorge, er hat mir alles erklärt. Ihr wird schon nichts geschehen.'' Sie küsste Daltonor auf die Stirn und nahm ihn erneut in die Arme.
''Aber ich muss unbedingt zu ihr!'', sagte Daltonor unbeirrt.
''Warum?'', fragte seine Mutter erstaunt.
Er werkelte an einem seiner Stiefel herum und zog ein seltsames Amulett daraus hervor.
''Darum.'', sagte Daltonor dann, als er das Amulett seiner Mutter zeigte.
''Wo hast du das her?'' die Schamanin nahm ihrem Sohn den funkelnden Anhänger aus der Hand und betrachtete ihn überrascht.
''Ich habe es bei den Hasengruben gefunden. Warum?'' Irritiert beäugte Daltonor seine nachdenkliche Mutter.
''Bei den Hasengruben. Hm. Weißt du, was das ist, Daltonor?'', fragte sie und drehte das Amulett in der Hand. Daltonor schüttelte den Kopf
''Dieses Amulett beschwört schreckliche Wesen wie dieses und leitet sie, zeigt ihnen, wo sie wüten sollen.'', flüsterte sie und deutete auf den leblosen Körper des Schattendämons.
''Und warum wolltest du das ausgerechnet Salna 'Nahi zeigen?'', fügte sie nach einigen Augenblicken fragend hinzu.
Daltonor öffnete den Mund, schloss ihn jedoch abrupt wieder und zuckte die Schultern.
Der Schamanin schlich ein mattes Lächeln über die Lippen.
''Du und dein Leichtsinn.''
Sie nahm Daltonor bei der Hand und sah sich nach Faldren um.
Nach kurzer Suche fanden die Beiden den Prinzen in seiner Behausung auf. Zusammen mit seiner Gemahlin saßen sie auf Teppichen und berieten sich über das weitere Verfahren.
''Entschuldigt die Störung, aber ich muss mit Prinz Faldren sprechen.'', sagte die Schamanin trocken. Faldren blickte Lauriel bittend an. Sie nickte müde lächlend, erhob sich langsam und verließ das Baumhaus. Auch Faldren erhob sich.
''Was kann so wichtig sein, dass du uns jetzt unterbrichts, Mayaharia?''
Mayaharia zeigte Faldren das Amulett und erklärte ihm, was es damit auf sich hatte.
''Dieses Amulett beschwörte das Biest, sagst du?'' Faldren runzelte die Stirn.
''Was ist?'' fragte Mayaharia besorgt..
''Es kommt mir so vertraut vor. Aber woher?'' Für einige Augenblicke überlegte Faldren fieberhaft, schüttelte dann jedoch betrübt den Kopf und gab es der Schamanin zurück.
Für einige Herzschläge wurde es still um die Drei, lediglich der aufgebrachte Tumult aus dem Dorf durchdrang die angespannte Ruhe.
''Dürfen wir zu Salna 'Nahi?'', warf Daltonor plötzlich ein. Faldren betrachtete Daltonor und konnte ihm nicht verbieten, seine Schwester zu sehen.
''Ich werde euch begleiten.''
Als sie die hölzerne Treppe hinunterhasteten, tauchten sie in flakkerndes Licht. Am Waldboden angekommen, kam ihnen Lauriel entgegen. Ihre Stimme strich sanft durch den Wind, obwohl sie heiser und ausgelaugt klang.
''Ich habe Wachposten aufstellen und die Feuer neu entfachen lassen. Es gibt bisher nur einen Toten, doch ich befürchte, dass sich dies noch ändern wird.''
Faldren nickte bedächtig.
''Vielen Dank, Lauriel. Ich werde gleich bei dir sein.''
Sie machten sich wieder auf den Weg zu Sanni, vorbei an den vielen unruhigen Elfen, an zwei bewaffneten Wachposten und hinein in die Düsternis der Erdhöhle.
Weiter hinten, dort, wo sie Sanni vermuteten, schimmerte schwach das Blau der Lichtwesen, welche sich erneut zu ihr gesellt hatten.
''Wir müssen uns beeilen.'' flüsterte Faldren, während sie durch den zwielichtigen Gang traten. Sanni saß, an die feuchte Wand gelehnt, da und betrachtete die schwebenden Geschöpfe. Sie dachte an ihr Gespräch mit Ghandi und beneidete sie darum, dass bis auf Faldren scheinbar niemand ihr Feheln bemerkt hatte, was unter diesen Umständen auch nicht weiter verwunderlich war. Sie seufzte. Als sie die schnellen Schritte hörte, setzte sie sich erschrocken auf und schaute durch die Wurzeln hindurch in die Dunkelheit.
Drei Schemen lösten sich aus der Schwärze und traten in das weiche Licht.Erleichtert begann Sanni zu strahlen.
''Darf ich endlich hier raus?''
Betreten schüttelte Faldren den Kopf
''Du weißt doch genau, dass ich nichts damit zu tun habe, Faldren.'' sagte Sanni betrübt.
''Es tut mir leid, Sanni, aber so sind die Gesetze unseres Dorfes.'' erwiderte Faldren bestimmt.
''Bis zur Versammlung musst du hier bleiben.''
Seufzend erhob sie sich von der Erde und trat an die Wurzeln heran.
''Was geschieht im Dorf?'', fragte sie matt. ''Einige haben vorhin die ganzen Waffen nach oben geschafft .''
Der Prinz und ihre Mutter berichteten kurz von der Unruhe, der erwartungsvollen Anspannung und von Daltonor's Fund.
Mayaharia zog das Amulett aus ihrem Kleiderärmel und streckte es Sanni entgegen.
Das Schimmern der Lichtwesen wurde schwächer, erstarb beinahe in der Gegenwart des Anhängers. Verwundert nahm Sanni es in die Hand und betrachtete den dunklen Kristall, eingefasst in purem Silber.
''Das kenne ich! Faldren, du hast es doch auch gesehen. Es sieht genau so aus wie das Tattoo des Schattenhundes.''
Faldren ging ein Licht auf.
''Stimmt!''
Plötzlich hallte ein ohrenzerreißendes Geräusch in den Nischen der Höhle wider.
''Oh nein, nicht schon wieder'' Mayaharia zog Daltonor zu sich. Die Lichtwesen erlischten, wie schon am Abend, ganz.
''Ihr bleibt hier!'' Faldren warf Sanni in der Finsternis einen mahnenden Blick zu und stürmte den nun in Dunkelheit gehüllten Gang entlang. Die Schamanin begann ruhig, Formeln immer zu zu wiederholen und wiegte sich, Daltonor fest an sich haltend, hin und her. Sanni überlegte währenddessen fieberhaft, wie man diese schrecklichen Dämonen aufhalten könnte. Das tobende Chaos von Kämpfenden drang lautstark an die Ohren der drei Elfen.
Unruhig drehte sie das Amulett zwischen ihren Fingern und jäh kam Sanni eine Idee.
''Mutter. Mutter!'' Sie brauchte einige Versuche, um Mayaharia aus ihrer Trance zu holen.
''Mutter, du sagtest doch, dass das Amulett diese Wesen lenken kann.''
Irritiert betrachtete die Schamanin das schattenumhüllte Gesicht ihrer Tochter.
''Ja. Aber, warum?''
''Lass mich bitte hier raus. Bitte! Ich habe eine Idee.'' Sanni klammerte sich an die Wurzeln und schaute ihrer Mutter flehend in die Augen.
''Salna 'Nahi, ich- Das darf ich nicht.''
''Wen interessiert das jetzt noch? Mutter, unser Dorf wird gerade abgeschlachtet und ich glaube, ich kenne einen Weg, um diese Biester aufzuhalten!''
''Lass sie gehen, Mutter.'', flüsterte Daltonor kaum vernehmbar und doch bestimmt.
Mayaharia seufzte und hielt ihren Kristall über die Wurzeln der Kerkerzelle, in welcher Sanni gefangen war. Rasch verformten sie sich und bildeten einen Durchgang.
''Danke!', rief Sanni, als sie schon über den Flur hechtete. Als sie aus der Höhle des Baumes herauskam, waren die Wachen nicht mehr da. Erschrocken schaute Sanni sich um. Das Dorf war in verbrennendes Rot getaucht, einige der Bäume hatten Feuer gefangen, viele Elfen lagen leblos am Boden. Zwei gigantische Dämonen schlugen geifernd um sich. Salven von Bolzen flogen surrend durch die Luft, gezielt auf die Nacken der Dämonenhunde gerichtet. Sanni hing sich das Amulett um den Hals und stapfte entschlossen auf die Bestien zu. Jedoch ließ sie ein heißer Luftzug abrupt inne halten. Es stank nach Tod und Fäulnis. Langsam drehte Sanni sich um und sah vor sich riesige, gefletschte Zähne, welche bedrohlich funkelten. Von den Lefzen des dritten Schattenwesens tropfte der Geifer.
Vorsichtig trat Sanni einige Schritte zurück, den Blick fest auf die im roten Lodern funkelnden Fangzähne gerichtet, welche beinahe größer waren als sie selbst. Doch plötzlich verlor sie den Halt und viel nach hinten. Das Geschöpf brüllte auf und schnappte gierig nach ihr, doch Sanni konnte den scharfen Hauern knapp entkommen. Wütend hob das Biest seine gewaltige Pranke und ließ sie auf Sanni niedersausen. Entschlossen sprang sie auf.
''Es reicht!'' schrie sie zornentbrannt.
Verwundert hielt das Wesen inne, die Tatze nur eine Haaresbreite über Sanni's Kopf ruhend.
''Es reicht!'', presste sie ein weiteres Mal zornig zwischen den Zähnen hervor.
Der Schattendämon ließ die Pranke langsam sinken.
Aus funkelnden Augen starrte sie das Geschöpf befehlend an. Widerwillig ließ sich der Dämon allmählich auf dem Waldboden nieder und bewegte sich nicht. Der Gestank von Verderben hing nun stechend in der Luft, doch Sanni wich nicht vom Kopf der Bestie.
Alsbald schien die Zeit stehenzubleiben. Sanni wusste nicht, wie lange sie nun schon in die wilden Augen der willenlosen Bestie starrte, doch langsam wurde sie müde. Bald musste jemand diese Kreatur töten, denn lange konnte Sanni dem wilden Toben im Inneren des Dämons nicht mehr Einhalt gebieten. Und als hätte man ihre Gedanken erhört, flog nach einigen bangen Herschlägen eine Salve von Pfeilen über das Biest hinweg. Viele der Bolzen schienen sich in den Nacken des Biestes gebohrt zu haben, einige flogen nur einen Fingerbreit an Sanni vorbei und schlugen dumpf in die Erde. Das schmerzverzerrte Jaulen des Hundes durchdrang Sanni, bevor es kraftlos auf die Seite viel. Mit dem letzten, erlischenden Funken Leben des Dämons stach plötzlich schrecklicher Schmerz in Sanni's Brust, sie fühlte sich mit einem Mal unendlich schwach, als würde sie etwas in die Bewusstlosigkeit reißen wollen.
''Es ist schrecklich, nicht wahr?'' Eine heisere Stimme drang an ihr Ohr.
Überrascht wandte Sanni sich in alle Richtungen und dann sah sie sie.
Lauriel stand, keuchend an einen Baum gelehnt, da und betrachtete Sanni aus leeren Augen.
''Wie es dich innerlich zerfrisst. Und jedes Mal wird es... schlimmer.'' Erschöpft schnappte sie nach Luft. Auf ihrer Stirn stand der Schweiß, ihr einst so hübsches Gesicht war eingefallen und aschfahl. Langsam löste sie sich von dem Baum und kam auf Sanni zu.
''Und doch ist es herrlich. Dieses... dieses Gefühl von Macht.''
Beinahe stand Lauriel vor Sanni, doch plötzlich brachen beide stöhnend zusammen. Sanni keuchte vor Schmerz, ihr Brustkorb schien jeden Augenblick zu explodieren. Schnaufend schaute sie sich in der Hektik des Kampfes um. Noch ein Dämon lag nun am Boden.Vorsichtig drehte sie sich zu Lauriel. Sie schien nicht mehr bei Bewusstsein zu sein, doch trotzdem versuchte Sanni zu reden.
''Warum?'' brachte sie nur heiser hervor und musste husten.
Lauriel krächzte flüsternd, während sie ihre Augen geschlossen hielt.
''Weil Macht... egal, wie hoch der Preis... dafür sein mag, fantastisch ist.''
''Du bist krank!'' Entrüstet versuchte Sanni, sich wieder aufzurichten, doch ihr Körper pochte quälend heiß vor grausamen Schmerzen. Bald gab sie es auf und betrachtete den Kampf zwischen den Elfen und dem scheinbar letzten Biest.
''Wenn der Letzte tot ist ... wirst du es auch sein. Ich schätze.. unter dem Tod des ... ersten Dämons musstest du... auch schon leiden. Noch mehr Schmerz erträgst du.. nicht!''
Lauriel's irres Gelächter verschmolz unheimlich mit dem Knistern der Feuer und den Geräuschen des Gefechtes. Und dann war es plötzlich so weit. Als auch der letzte Schattendämon elendich zu Boden fiel, den Wald unter seinem Gewicht erbeben ließ und jaulend seinen letzten Lebensfunken aushauchte, schrie Lauriel wie von Sinnen. Ihr schreckliches Leiden wurde vom seichten Nachtwind in alle Winkel des Waldes getragen und tat jedem Kund, wie sie erbärmlich an der Bosheit ihrer Tat zugrunde ging. Auch Sanni wand sich schreiend unter grausigem Schmerz, verlor beinahe die Besinnung. Doch eisern klammerte sie sich an ihr Bewusstsein und überwand die schreckliche Woge des Leidens schließlich. Endlich eilte jemand herbei und half ihr auf. Alles drehte sich vor ihren Augen, ihr war übel. Zwischen den vielen verschwommenen Gesichtern, welche sich besorgt über sie beugten, erspähte sie zufällig Faldren. Mit schwacher Hand griff sie sanft nach seinen langen Haaren. Und plötzlich war nur noch sein mit Farbe verschmiertes Gesicht über ihr. Es war in schwelendes Orange getaucht. Aus der Ferne hörte sie ihn seufzen. Dann verschwand er wieder. Faldren sah sich um und erblickte Lauriel, die leblos einige Schritt von Sanni entfernt, in krotesker Stellung am Boden lag. Vorsichtig gab er Sanni in die starken Arme der Helfer, dann trat er an Lauriel's Leichnahm heran. Kurz betrachtete er das starre Antlitz seiner Gemahlin, dann fiel ihm eine Kette auf, welche ein wenig unter dem dreckigen Kleid Lauriel's hervorlugte. Als er die Kette unsanft vom Hals der Toten riss, viel es ihm wie Schuppen von den Augen.
''Natürlich! Diese Natter.''
Der Anhänger war ein Ebenbild des Amuletts, welches auch Sanni um den Hals trug.
''Schafft sie weit weg von hier. Soll diese Heuchlerin mit ihren Dämonen zusammen in einem Feuer schmoren.'' Sanni wurde schwarz vor Augen und eine Woge der unendlichen Stille überkam sie.

Stöhnend schrak sie aus dem Schlaf auf, doch als Sanni bemerkte, dass sie in der Behausung ihrer Mutter war, ließ sie sich erleichtert wieder zurückfallen.
Schmerzen hatte sie kaum noch, nur in der Brust stach es ein wenig. Sie legte sich auf die Seite und sah, dass auch ihr Bruder, in Decken gehüllt, dalag und schlief.
Verwundert runzelte Sanni die Stirn. Wie spät es wohl war? Leise erhob sie sich von ihrem Lager, tart vor den blätternen Vorhang und schob ihn einen Spalt breit zur Seite. Die Nacht lag schlummernd über dem Dorf der Waldelfen. Keine Feuer waren entfacht, niemand war zu erspähen. Es war, als hätten niemals die vielen Toten den Waldboden mit ihrem Blut getränkt. Anscheinend hatte sie den ganzen Tag über geschlafen. Der Geruch von verbranntem Holz lag träge in der Luft. Sanni ahnte, was dies bedeutete. Alle Gefallenen wurden -allem Anschein nach immer noch- am See nicht weit vom Dorf, auf Flößen verbrannt und somit ihren Ahnen übergeben. Kurz überlegte Sanni, ob sie auch zum See gehen sollte, doch den Anblick der vielen leblosen Hüllen der rastlosen Seelen konnte sie nicht ein weiteres Mal ertragen. Sie schaute an sich herunter. Sie trug immer noch das zerrissene Kleid. Das Amulett hing nicht mehr um ihren Hals, dafür ihr geliebter Kristall, welcher ihr am Vortag abgenommen wurde. Wahrscheinlich wurden die beiden Amulette vernichtet, dachte Sanni erleichtert. Noch einmal schaute sie sich in der Dunkelheit nach Daltonor um, dann schlich sie behutsam die hölzerne Treppe hinunter und schritt durch die Stille des Waldes. Während sie lautlos durch die Schleier der Dunkelheit glitt, wurde der klare Kristall wieder wohlig warm. Sanni spürte, wie sie sich langsam aus der Magie ihrer Ahnen löste und wieder in die triste Welt der Menschen glitt. Tief atmete sie die kühle Luft der Sommernacht ein und trat aus der Finsternis der Bäume. Plötzlich stand sie am Waldrand, vor ihrem Wagen, vor ihrem normalen Leben. Gemächlich fuhr sie über die Feldwege, das Verdeck des Wagens geöffnet. Sanft streichelte der erfrischende Wind ihr Gesicht und linderte für einige Momente die furchtbaren Erinnerungen die vorherigen Nacht. Auch, als Sanni durch die von Hochhäusern gesäumten Straßen fuhr, erblickte sie seltsamer Weise keine wandelnde Seele. Erschöpft schlich sie die vielen Treppen zu ihrer kleinen Wohnung hinauf und zog sich um. Dann ließ sie sich mit einem heißen Kräutertee auf ihrem winzigen Balkon nieder. Sie beobachtete den glühenden Sonnenaufgang zwischen den gläsernen Bauten und das dösende Schlendern der wenigen Menschen unter sich, welche nach und nach auf die Straßen der Stadt hinaustraten.Ununterbrochen musste Sanni an diese bizarre Nacht denken. Es erschien ihr nach und nach alles wie ein merkwürdiger Traum. So unwirklich, just ein Ausschnitt aus einer dieser vielen Fantasy-Romane, welche Sanni schon sooft kopfschüttelnd gelesen hatte. Das klingelnde Telefon riss sie aus ihren Gedanken. Schnell eilte sie in die Wohnung und hob ab.
''Hey, Sanni-Maus, endlich erreiche ich dich! Ich dachte, du bleibst nur einen Tag. Wie war's denn?'', tönte Ghandi's Stimme bedrückt aus dem Hörer.
Kurz wurde es still um die Beiden.
Wieder dachte sie an die schrecklichen Dämonen, an die Toten. An Lauriel. Aber auch an Faldren, Daltonor und ihre Mutter.
''Sanni, bist du da?'', kam es besorgt von der anderen Leitung.
Sanni trat wieder raus auf den kleinen Balkon. Tief atmete sie die schwüle Luft des sommerlichen Morgens ein.
''Was denkst du denn, wie's war?'' fragte sie traurig lächelnd und nahm einen Schluck von ihrem Tee.


Das Cover ist kein Eigentum.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.10.2011

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