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Anfang der 60ziger Jahre war auch noch der Jazz angesagt. Der sogenannte Bauernjazz, also Oldtime/Dixieland und viele Jazzkeller mit unterschiedlichen Stilrichtungen.
In den meisten Läden spielten Live Amateurjazzer mit fantasievollen Namen wie *Old Merrytale*, *Papa Bues Viking*, *Abbi Hübner*,
*Cotton Club Jazzmen*, *Jazz Lipps*.
Die ersten großen Hits hatte Chris Barber.

Die Amateurjazzer spielten für zwei- drei Kästen Bier oder aber für wenig Geld. Aber alle träumten von dem großen Hit und auch von der Konzertkarriere. Satchmo und Ella Fitzgerald und das Oskar-Peterson-Trio und viele Größen des Jazz tourten durch die ganze Welt.
Eine Kneipe, das „Barret“, hatte seinerzeit nur Modern Jazzer. In diesem Barret gab es eine sogenannte Gammlertreppe. Das war mehr für die Besucher mit wenig Geld, also für mich bestens geschaffen. Da hörte ich zum ersten Mal Michael Naura.

Er brachte mich, nachdem ich öfter im Barret war, langsam auf die Verstehens-Schiene des Modern Jazz. Später hörte ich live in der Musikhalle das „Oscar Peterson Trio“ Ella Fitzgerald und Lois Armstrong und mein Musikhorizont wurde langsam erweitert. In meiner späteren Plattensammlung waren sie alle vertreten von Ella über Satschmo, Chicago (die Frühprodukte) und Blood Sweat and Tears.

Es gab auch einige sehr Schwierige, wie Miles Davis, da musste man schon einige Biere getrunken haben, aber dann flutschte es. Aber das ging mir bei der klassischen Musik ähnlich. Beethoven konnte ich nur in benebeltem Zustand verstehen.

An eine Riverboot Shuffle mit meiner Clique erinnere ich mich noch recht gut. Mit an Bord 3 – 400 Verrückte, die „Odin“ huldigten und zu den Klängen der Oldtime Jazzer tanzten. Wir postierten uns vor der Damentoilette.

Mit anzüglichen Sprüchen wie: „Schöne Grüße“ oder „Hast Du sie gesehen“ oder „Darf ich mit“ versuchten wir die Damen zu kompromittieren. Der Bierkonsum trug entscheidend dazu bei, unsere Hemmschwelle der guten Erziehung zu überwinden. Jede Reaktion wurde beklatscht. Es war eine Riesenshuffle und erinnerte mich an das Oktoberfest unter anderen musikalischen Voraussetzungen. Die ersten größeren Tanzkneipen entstanden. In einem Tanzcafe war unsere Clique besonders gern.

Das war die „Taverne“ in der Brandstwiete, nahe dem Rathausmarkt im Keller. Hier waren die geilsten Weiber. Die saßen wie die Hühner auf der Stange um die Musikbox herum und warteten auf tanzwillige Kerle. Der Laden war nicht klein, so um die zwei- bis dreihundert Tanzgierige fasste der Schuppen und war immer gefüllt. Ein großer Tänzer war ich ohnehin nicht, aber zwei Rechts, zwei Links, einen fallen lassen, das hatte ich schnell drauf.

Außerdem war der Keller dunkel und nur in Rotlicht getaucht, so dass meine Pubertätspickel oder die ab und zu noch auftretende rote Bombe nicht auffielen. Die Musik war mehr im gängigen Foxtrott-Takt angelegt und viele langsame Stücke von Pat Boone, Neil Diamond, Sinatra, Elvis, Conny Francis waren mit meinen zwei Rechts, zwei Links, einen fallen lassen locker zu bewältigen.

Die Liebe ist ein seltsames Spiel,
sie kommt und geht von einem zum anderen –
plärrte Conny Francis aus der Musikbox. Es war schon ein geiles Gefühl, die Damen eng an sich zu binden und mit leicht ausgebeulter Hose über die Tanzfläche zu schieben. Bei manchen Damen regte sich überhaupt nichts, mit einem Besenstiel hätte das mehr Spaß gebracht und bei den anderen machte der Kleine wahre Freudensprünge.

Das hatte aber nichts mit der Attraktivität der Tanzpartnerin zu tun. Diese Erkenntnis konnte ich mir lange nicht erklären. Puffbesuche waren für mich völlig uninteressant, da sich dort bei mir gar nichts rührte. Einmal hatte ich es mit der Clique versucht. Das ging fürchterlich in die Hose. Ich fing vor Verlegenheit an zu lachen. Das war’s mit den Puffbesuchen. Ich konnte das nicht. Im Gegensatz zu meinen Kumpels.

Wir räumten in diesem Engtanzladen „Taverne“ richtig ab und so mancher Tanz endete in irgendeinem offen gelassenen Hausflur oder Bauwagen. Autos hatten wir noch nicht und oft mussten wir mangels Fahrgeld zu Fuß nach Hause laufen. Bis zum Lokstedter Steindamm war das eine Heidenstrecke, aber wir gewöhnten uns an alles.

An den Wochenenden fuhr die Jugend Hamburgs an die Ostsee zum Timmendorfer Strand.
Entweder trampte man oder man fuhr mit seiner Vespa.
Die Tramper ließen sich verrückte Dinge einfallen, um die Aufmerksamkeit der vorbeifahrenden Autofahrer zu erhaschen. Mit Schildern wie „100 Witze bis Timmendorf“ oder sich mit gefalteten Händen in einer Art Mönchskutte auf die Knie zu fallen, versuchte man die Fahrer zur Mitnahme zu animieren. Ich bin später mit dem Daumen durch halb Europa getrampt.

Der Vespa Motorroller war damals schon das Vehikel der Jugend. Bessergestellte hatten schon einen VW. Alternativ fuhren die Rocker eine Heinkel.

Hier in Timmendorf traf sich alles, was sich für „IN“ hielt, an einem großen Bartresen direkt an der Promenade. Schneewittchen hieß die Geldeintreiberin der Strandtaxe. Alles flüchtete, wenn sie kam, in die Dünen. Es war eine riesige Massenbewegung der Jugend.

Eine solche Massenbewegung, dass die Timmendorfer um die zahlungskräftigen älteren Besucher bangten. Die gesamte Gastronomie richtete sich auf diese immer weiter anwachsende Lawine Jugendlicher aus. Verzweifelt steuerten die Gemeindeväter Timmendorfs dagegen.

Als erstes wurde der riesige Bartresen an der Promenade geschlossen. Der Treffpunkt aller Wochenend-Hamburger. Als dieser Orientierungspunkt fehlte, war es mit einem Schlag am Timmendorfer Strand vorbei und die jugendlichen Massen verteilten sich. Langsam kamen die älteren Herrschaften wieder zurück und heute ist Timmendorf/Scharbeutz fast nur noch ein Seniorenheim. Dieser Fehler war nie wieder gutzumachen.

Die Beat Musikszene war aber noch in den Kinderschuhen. Noch regierten der Schlager und der Oldtime Jazz. Rasant entwickelte sie sich, als 1961 die Beatles starteten. und der Rock’n Roll aus Amerika überschwappte.

Ich erinnere mich noch, dass ich 1959 in der Blumenburg, einem Kino in Hamburg, den Film „Saat der Gewalt“ mit Glenn Ford und der Musik von Bill Haley „Rock around the Clock“ und den Platters „Only you“ sah. Ein Jahr vorher gastierte Bill Haley in der Hamburger Ernst-Merck-Halle, wobei das gesamte Mobiliar zu Bruch ging. Solche Vorfälle polarisierten die Gesellschaft in Rocker und Popper und Konzerte dieser Art wurden zunächst verboten.

Inzwischen war ich über 18, aber noch nicht volljährig, das wurde man erst mit 21. Oma Ella kam nach dem Tod von Opa Albert aus Schierke zu uns. Niemand wusste, wann sie genau kommt, und plötzlich stand sie vor der Haustür und rief Huh-Huh. Das konnte nur Ella sein. Ella war der lebende Beweis, dass man auch mit Ostgeld mit der Straßenbahn fahren kann. Wie selbstverständlich zahlte sie die 35 Pfennig mit Ostgeld und irgendein freundlicher Herr übernahm dann diese Reisekosten.

Da war sie nun, schon über 80 Jahre und fröhlich wie immer. Ella glaubte, dass ich immer noch der kleine Thomas war, jedenfalls wusste ich bei Damenbesuch immer pünktlichst, dass die Uhr 22 Uhr geschlagen hatte. Beim nächsten Mal, ein paar Tage später, hämmerte sie morgens wie wild und keifte: „Du hast ein Mädchen in Deinem Zimmer schmeiß die raus. die taugt nichts“.

Nun war es zu dieser Zeit nicht unbedingt erlaubt, seine Freundin einfach mit nach Hause zu nehmen. Es gab den drohenden Kuppelparagraphen. Im Sommer war es kein so großes Problem, aber im Winter trieb man sich in Hausfluren oder offen gelassenen Bauwagen herum. Ella war aber ganz eigen und fing immer lauter gegen meine Zimmertür an zu bollern und zu keifen „raus mit dem Mädchen“ „Die taugt nichts“. Es war unangenehm und wir beschlossen, dass sich meine Freundin aus dem Parterrefenster runterfallen lassen sollte.
Gegen ihren Widerstand willigte sie dann doch ein und ließ sich aus luftigen zwei Metern Höhe mutig fallen.
Ich zeigte Oma das leere Zimmer. Sie konnte es nicht glauben, dass dort niemand war.

Aber leider hatte es in der Nacht geschneit und sie sah die frischen Fußspuren. Nachdem meine Freundin sich weigerte, noch einmal diese Turnübung zu absolvieren, machten wir die Flucht nach vorn und gingen beide zu Oma Ella. Langsam ließ sich Oma Ella weich kochen und mit großem Widerstand ließ sie die Bollerei sein, weil ich ihr angedroht hatte, dass sie sonst nicht mehr meine liebe Oma sei. Ich sprach nicht mehr mit ihr und das half.

Sie hieß Christa, war blond, sehr frühreif. Christa lernte Buchhändlerin, schwärmte von Marcel Reich Ranicki, der oft in ihrem Buchladen in Niendorf zu Gast war. Sie hatte mit ihrem Grundschulabschluss einen Bildungskomplex und fühlte sich berufen, über alles mitzureden, was sie gelesen hatte und glaubte, verstanden zu haben. Sie las sehr viel, strotzte mit ihrem Wissen und versuchte, das Defizit des Nichtlesers in eine Werteskala der Unwissenheit einzuordnen. Diese Art von Wissensprotz mit dieser Ernsthaftigkeit habe ich später noch oft erfahren müssen. Meine Mutter hatte dafür eine wunderbare Definition.

„Wir mit unserer klassischen Halbbildung wollen da nicht mitreden“. Sie stellte damit ihren Bildungsgrad bewusst unter den Scheffel.

Ich war noch nicht auf dem Lesetrip. In der DDR verschlang man gerade mal Karl Mays 65 Bände und Groschenromane. Außerdem Tom Mix und Billy Jenkins und nicht zu vergessen und sehr rar die Mickey Mouse Hefte. Das war ja alles Schundliteratur.

Christa und ich waren gerade ein Jahr zusammen, da fand sie ein Negativ von einem anderen Mädchen, das ich als Lehrlingsaufgabe in der Berufsschule fotografiert hatte.

Ohne ein Wort zu sagen stand sie am nächsten Abend mit dem entwickelten Foto vor meiner Tür, gab mir das Foto und ging. Jede Erklärung prallte an ihr ab. Nach 10 Jahren meldete sie sich, sie lebte in Berlin und wollte ein Wiedersehen. Wir trafen uns kurz. Es war eine herbe Enttäuschung. Sie redete nur wirres Zeug, nichts von damals war noch übrig. Sie war völlig verblüht und mit einer fadenscheinigen Begründung musste ich den Abend nach einer halben Stunde beenden. Vielleicht hatte sie zuviel gelesen.


Impressum

Texte: Copyright Th.+C.Glantz
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An Christa die zu schnell verblühte,an alle alten Jazzer,Vespa Fahrer und Tramper

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