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Es lebe der Sport

DDR Jugend am Brocken Teil 3


Provinz Musikmanager

Oma Ella hatte mit meiner Mutter zwar einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt, aber ob und wann die genehmigt würde, stand in den Sternen.

Also wurde ich Eishockeyspieler, Volleyballspieler, Handballspieler, Skiläufer, Tischtennisspieler und ein guter Leichtathlet. Ein Lehrer und Organisator war besonders bemer¬kenswert. Er hieß Koppel. Eigentlich hieß er Kurzulewski und kam aus Düs¬seldorf, also aus dem Westen. Im Dorf wussten das nur wenige. Den Namen musste er ändern, da er irgendetwas im Westen ausgefressen hatte.

Keiner wusste Genaue¬res. Koppel hatte etwas von einem Nagetier, etwas vorstehende Zähne, nicht sehr groß und nicht sehr schlank aber dennoch sehr beweglich, und wenig Haare auf dem Kopf. Trug meistens kurze Lederho¬sen im Sommer.

Koppel war eine Institution und organisierte alles. Sportveranstaltungen, leitete einen eigenen Chor, das Dorfensemble Schierke, war nebenbei noch ein guter Lehrer für Deutsch und Geschichte. War selbst Torwart in der Eishockey Herrenmannschaft, Schnippelkönig der Tischtennismannschaft und lei¬tete unser Training in fast allen Sportarten.

Wie der Mann das alles bewältigte ist mir bis heute ein Rät¬sel. Außer meinen sportlichen Talenten sang und jodelte ich in diesem Dorfensemble Schierke auch Solo und tourte mit dem Chor durch die Demokratische Republik, um die folkloristische Seite des Harzes in Verbindung mit Kampfliedern und Gedichten der Kommunisten den Arbeitern und Werktätigen nahe zu bringen.

Da oben auf dem Berge -
Du hollahidi – hollahido-
Da zanken sich zwei Zwerge
du hollahidi – hollahido

sang ich mit meiner noch glockenhellen Sopranstimme-
oder:
ja der Hahnewacker latzeguckepippepippenattepippe-heidau - hats Madel von der Au - heijo.

Ja, das sang ich Solo und auch im Chor

Brüder zur Sonne zur Freiheit-
Brüder zum Lichte empor
Hell aus dem dunklen Vergangenen
leuchtet die Zukunft hervor.

oder

Bau auf bau auf bau auf bau auf -
Freie Deutsche Jugend bau auf –
für eine bessere Zukunft richten wir die Heimat auf.

oder

Wenn wir schreiten Seit an Seit
und die alten Lieder singen.
fühlen wir, es muss gelingen

Kampfeslieder die Mut machten und mit geschwell¬ter Brust eines 10 jährigen das Bollwerk der Deutschen Demokratischen Repu¬blik gegenüber dem
Klassenfeinde mannhaft vertraten.

Als wir einmal vor rumänischen Arbeitern und Ar¬beiterinnen sangen und ich von der Bühne in den Zuschauerraum ging, weil ein anderer langwieriger Beitrag auf der Bühne ablief, fielen die Damen der rumänischen Delegation über mich her, herzten und küssten mich ab und ich lernte erstmals südländi¬sches Temperament kennen. „Seid bereit“ –- war ja unsere Losung - „Immer bereit.“ Ein Hochgenuss ein Popstar zu sein. Koppel kuckte mich zwar etwas schief an.

So ganz schlau wurde ich aus ihm nie, war er nun ein Hundertprozentiger oder tat er nur so. Eigentlich war er zu intelligent, um wirklich einer zu sein. Ein Vorfall während unserer Chortournee machte mich doch nachdenklich und mir kamen Zweifel an Koppels Gesinnung. In einem Forum in Magdeburg stand eine Büste des Genossen Josef Wissariono¬witsch Dschugaschwili, also Stalin.

Respektlos setzte ich dem Genossen Stalin einen Hut unserer Chorrequisiten auf den Kopf, zur Belusti¬gung meiner Sangesgenossen. Koppel sah es, nahm den Hut dem Sowjetischen Freund schnell mit der Bemerkung vom Kopf, dass dies noch ein Nachspiel
hätte. Mir gefror das Blut, als ich in seine Augen blickte. Das Nachspiel gab es nie.

Wir fuhren mit unserer Eishockey Pionier Mann¬schaft zu allen DDR Meisterschaften, die in Ober¬hof oder Oberwiesenthal stattfanden. Einmal machten wir sogar den dritten Platz hinter Weißwas¬ser und Frankenhausen. Das waren die führenden Mannschaften in der DDR. Ich spielte Mittelstürmer im zweiten Sturm vom SG Schierke.

Die Mitglieder in unseren Mann¬schaften, egal ob Volleyball- Handball– Eishockey- oder andere Mannschaftssportarten, waren immer, ob Kreis- oder Bezirksmeisterschaften, mit den gleichen Leuten besetzt.

Koppel schummelte auch ein bisschen mit den Al¬tersangaben und machte ehemalige ältere, größere und kräftigere Flüchtlingskinder aus Schlesien oder Polen etwas jünger, um die als Junge Pioniere noch spielberechtigt zu halten. So waren wir schon eine schlagkräftige Truppe, aber sahen gegen die Auswahl großer Eishockey-Vereine wie Wei߬wasser oder Frankenhausen keine Schnitte. Aber vielleicht führten die auch diese wundersamen Verjüngungskuren mit .einigen älteren Spielern durch, denn etliche dieser Spieler waren sehr kräftig und großgewachsen.

Werner Lissel einer unserer Besten und Ältesten, er kam aus den polnischen Gebieten, fragte einmal während der Fahrt zum Eishockeyturnier: „hat’s noch Schulterschützer?“ und erntete nur höhnisches Gelächter. Es kennzeichnete unsere Ausrüstungsmisere.

Koppel mochte mich und förderte mich, wo es nur ging. Später war er auch noch Schiedsrichter für In¬ternationale Spiele der DDR im Eishockey und im Handball. Inzwischen wurden meine sportlichen Leistungen immer besser, so dass Koppel sich genötigt fühlte, meine Mutter in Hamburg aufzusuchen und darum zu bitten, dass ich in der DDR bleiben sollte, um in den Leipziger Sporthochschulen gefördert zu wer¬den.

Meine Mutter lehnte das kategorisch ab. Kurz vor seinem Tod hat er mich später in Hamburg mit seiner Frau besucht. Einen Monat vor der Wiedervereinigung starb er an Krebs.

Der restliche Lehrkörper fing an, mich wegen des Antrages der Familienzusammenführung zu triezen, und der Schulleiter Herr Kaul zog vor versammel¬ter Klasse über mich her, dass ich ein Verräter des Arbeiter- und Bauernstaates sei und Republikflücht¬ling werden wolle. Kaul, ein großer, aber leicht feister Typ, mit zurück¬gekämmtem Wellhaar und natürlichen Zahnlücken, zog derart vom Leder, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste und plötzlich die Tränen flossen.

Was ihn aber nicht irritierte. Je lauter mein Schluchzen, desto lauter seine klassenkämpferischen Tiraden. Es gipfelte in dem Vorwurf, dass ich nicht die Jugendweihe, sondern konfirmiert werden wollte. Da hatte er Recht, Jugendweihe wollte ich nicht.

Mit der Jugendweihe konnte ich nichts anfangen. Nicht dass ich ein besonders gläubiger Mensch bin, aber Jugendweihe, da gibt es doch keine Geschenke oder doch? Nachdem ihm nichts mehr einfiel und sein Vortrag beendet schien und ich mich mit meiner Heulerei beruhigte, sagte ich nur noch kleinlaut: Na gut dann machen wir eben beides. Erst Konfirmation und dann die Jugendweihe.

Er hob gerade wieder an, den gleichen Mist noch einmal vorzuschreien, als die gesamte Klasse klatschte, sich auf die Schenkel haute und in ein brüllendes Gelächter ausbrach. Das war das Ende des Vortrags des Rektors Kaul. Er hat nicht ge¬lacht.

Koppel organisierte auch die Ferien und wir fuhren mit 150 Schülern auf Lastwagen verteilt an die Ost¬see oder ins Zeltlager an irgendeinen See in Bran¬denburg, um dort vier Wochen zu bleiben. Das Geld stammte aus den Einnahmen der Chorauftritte und musste sinnvoll ausgegeben werden.

Diese Ferienlager waren von Koppel perfekt organi¬siert und gespickt mit sportlichen Unterhaltungspro¬grammen für uns Schüler, so dass keine Langeweile aufkam. Nachtwanderungen, Schwimmwettbewerbe, Tischtennisturniere, das komplette Leichtathletik Programm mit Sprint und Mittelstrecken bis zu 3000 m Läufen. Das war natürlich etwas für mich.

Ich hatte auf der Schule einen Gegner, der mich immer sportlich schlagen wollte. Ein kleiner unter¬setzter, aber sehr kräftiger Kerl mit Namen Wenzel. Wenzel hatte einen Kopf wie eine Bulldogge, sein Kopf guckte immer von unten nach oben. Er war wieselflink und irgendwie ein bisschen linkisch. Ich war über 185 cm groß und dünn. So dünn, dass ich es vermied mich auszuziehen.

Es stand der 3000 m Lauf an, also 7,5 Runden à 400 m. Nach einer Runde war mir das Tempo zu langsam und ich legte einen Zwischenspurt ein und hatte mehr als 200 m Vorsprung nach 3 Runden. Doch dann kam Wenzel. Langsam kam der Kerl immer näher. Aus 150 Kehlen dröhnte es mir ent¬gegen – Wenzel – Wenzel. Eine Runde vor dem Ende hatte ich gerade mal noch 15 m Vorsprung und war ziemlich am Ende.

Wir gaben beide Alles. Kurz vor dem Ziel konnte ich ihn nicht mehr aus den Augenwinkeln sehen, so nahe war er gekommen. Sie schrien wie die Wahnsinnigen um dem Schwächeren zu helfen. Wenzel hat es um wenige Zentimeter nicht ge¬schafft.

Nun war Wenzel geladen und Koppel förderte das noch. Am nächsten Tag war Boxen angesagt und Gegner war Wenzel, die Bulldogge. Es war alles vorschriftsmäßig mit Boxhandschuhen organisiert, allerdings nicht in einem Ring. Den Ring bildeten die 150 Schüler. Koppel war Schiedsrich¬ter. Wenzel war eigentlich viel kräftiger gebaut, unter¬setzt, kleiner und geladen, um mich endlich zu be¬siegen und es mir zu zeigen.

Wir beide waren Rechtsausleger. Nach bewährter Masche punktete ich immer mit der langen linken Führhand. Diese lange Führhand sorgte dafür, dass er mir nicht zu nahe kam. Sie machte ihn wahnsinnig bis er aus¬rastete und aus ca. 5 bis 6 Metern Anlauf nahm, um mich nun endlich fertig zu machen.

Als er kurz vor mir war, machte ich einen Schritt zur Seite und er flog im hohen Bogen in den Kreis der Schüler. Koppel brach ab und erklärte mich zum Sieger. Wenzel wäre mir eigentlich im normalen Straßenkampf haushoch überlegen, aber danach hatte er einen Heidenrespekt. Bulldogge Wenzel wurde später Malermeister hörte ich. Er wird sich bestimmt noch belustigt erinnern.

Als ich das Tischtennisturnier gewann zeigte Kop¬pel, was ein Schnippelkönig ist. Er hatte eine Spiel¬technik, die jeden offensiven Spieler wie mich zur Weißglut brachte. Jeder Ball wurde so linkisch ge¬schnippelt und kurz gespielt, dass ich mit meinen Schmetterbällen nicht zum Zuge kam und ehe ich mich versah, in jedem Satz schnell schon 12 zu 5 zurücklag.

Langsam stellte ich mich darauf ein, dennoch gewann er knapp auch den Dritten Satz Ein leichtes triumphie¬rendes Lächeln konnte er sich nicht verkneifen. Die¬ses Erlebnis zeigte mir, dass Erfahrung doch ein wichtiges Attribut ist. Denn meine ungestüme, zwar gute Offensivtechnik war seiner linken Schnippel¬technik klar unterlegen. Es war nicht attraktiv aber erfolgreich. Innerlich wütend musste ich es mir ein¬gestehen.



Experiment Electrophorus - Kurzbeschreibung

Manfred Säuerling und Georg Rosenrunge, zwei Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe, zwei Wissenschaftler auf zwei unterschiedlichen Gebieten, zwei Freunde mit unterschiedlichen Interessen, zwei Welten, die aufeinander treffen. Und doch haben die beiden etwas gemeinsam: die Vorliebe für das Abenteuerliche und die Faszination der Natur.

. Während einer Forschungsreise durch den tropischen Regenwald machen er und Rosenrunge schließlich eine bahnbrechende Entdeckung: biologische Energieressourcen, das Tier als Kraftwerk – die Operation Electrophorus beginnt. Aus der Entdeckung wird erst eine utopische Idee, dann eine Vision und schließlich gelingt es den beiden – ganz nach Alexander von Humboldts Theorien und einer Menge Experimente später – genau diese ungeahnte Stromquelle massen- und auch netztauglich zu machen.

Eine ganze neue Ära der Energiegewinnung beginnt und bedeutet somit das Aus für monopolisierte Preistreiberei herkömmlicher Energieerzeuger. Doch diese weltbewegende Entdeckung bringt nicht nur weitere Nominierungen für den Nobelpreis, sondern auch Schattenseiten – der Kampf der Giganten beginnt.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
In Gedenken an meinen Allround Lehrer Heinz Koppel. Ein Phänomen-Geschichte-Deutsch-Sport-Chorleiter-Eishockey Torwart-Schnippelkönig im Tischtennis, der viel zu früh verstarb.

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