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Kindheit und Schule in der DDR.
Bei meiner Geburt muss schon eine gemischte Wetterlage geherrscht haben mit viel hohem und zwischendurch starken Luftdruckabfällen. Vielleicht hat das mein weiteres Leben geprägt.
Nach Aussagen meiner Mutter, die mit 156 cm
einen solchen Riesenkerl zur Welt brachte, der später das Gardemass von 194 cm erreichte, war es
eine schwere Geburt mit fast tödlichem Ausgang. Ich musste, nachdem meine Mutter ca. 6 Std. auf dem OP Tisch gelitten hatte, mit der Zange geholt werden. Gerda, so hieß meine Mutter, war eine trainierte Sportskanone und genau das wäre ihr um ein Haar zum Verhängnis geworden, da ihre Muskulatur dieses Riesenbabys nicht freigeben wollte.
Mein neues Leben verdanke ich dieser Arztkapazität, für den meine Mutter extra nach Leipzig in die Klinik fuhr, und dies alles in dem Kriegsjahr 1942 des 2.Weltkrieges. Gerdchen, so nannte ich sie später, war eine eloquente und durchsetzungsfähige kleine Person, die schon damals emanzipatorische Züge hatte. Die Männer hatten es mit ihr nicht leicht. Dennoch war sie ein Kumpel, sehr humorvoll und manchmal richtig albern. Alles in allem auch eine gutgelungene Blondine und Zugeheiratete eines riesigen Bauerngeschlechts, der Glantz-ens.
Ich war also ein Sachse. Aber richtiger Weise doch Anhalter, da unsere Familie ein riesiges Bauerngeschlecht – ehemalige Rittergutsbesitzer - jetzt in Magdeburg beheimatet waren.

Später wurden die Glantz-ens enteignet und meine zugeheiratete Mutter bekam durch unsere Verwandten 400 Ostmark Ausgleichszahlung. Davon konnte sie gerade mal für sich und uns ein paar warme Unterhosen kaufen.

Mein Vater, gelernter Banker, soll ein sehr guter Reiter, Geigenvirtuose und Zauberkünstler gewesen sein, der damit nach den Schilderungen meiner Mutter die Gesellschaftsabende unterhielt und dominierte. Zum Leidwesen meiner Mutter waren jedoch die Geigenübungen unerträglich. Mitteldeutscher Meister im Tennis und Schwimmsport war er noch obendrein. Politisch ein typischer Mitläufer der immer zu meiner Mutter sagte: „Deddel die werden das schon richten“. Und noch eine Überlieferung meiner Mutter. Mein Vater aß immer, bevor die Gäste kamen, die Mohrenköpfe auf. Das absolute Gehör soll er auch noch gehabt haben. Das war alles, was ich von meinem Vater wusste.

Die Passion des Reitens brachte ihn zur Kavallerie und wurde ihm dann 1943 in den Sümpfen von Starja Russja zum Verhängnis. Ich war gerade mal ein Jahr alt. Seine blutverschmierte Armbanduhr und seine geliebte Geige waren die letzte zurückgeschickte Hinterlassenschaft. Wie es immer so zynisch hieß, starb er für Führer Volk und Vaterland.

Meine Mutter hatte in diesem Jahr 1943 viele Schicksalsschläge zu verkraften. Auch ihre beste Freundin starb in dem Jahr an Kindbettfieber.
Dass ich keinen Vater mehr hatte, wurde mir später bewusst. Ich habe ihn sehr vermisst, dann wäre mein Leben sicherlich anders verlaufen.

Ich war also ein Halbwaise und Einzelkind als meine Mutter mit dem Rest der Familie vor den Bomben der Alliierten von Magdeburg ins idyllische Schierke im Harz, einem Wintersportkurort hinter Wernigerode unter dem Brocken flüchtete. Schierke, wo früher die Familie Glantz und die etwas besser gestellten Bürger an den Winterwochenenden gemeinsam Ski fuhren. In einer alten Försterei fanden wir Unterschlupf. Bezeichnender Weise hieß die Försterei auch so - Das Forsthaus Schluft -

Opa und Oma und klein Tom Chic, so nannten mich die Amerikaner, hielten Einzug in dieser verwunschenen Försterei am Ende des Wintersport-Kurortes.

Schierke ist ein langgezogenes kleines 1000 Seelen Dorf, ein typischer Kurort der in der Vorkriegszeit auch zu den Erholungsgebieten der gutbürgerlichen Bourgeoisie bekannt war. Der damals und auch heute wieder bekannte „Schierker Feuerstein“ des Apothekers Drube trug sein Übriges dazu bei. Aber auch Drube zog es vor, seine Produktionsstätte vor den Verstaatlichungs-Bestrebungen in Sicherheit zu bringen und ging ein paar Kilometer weiter in den Westen. Er hinterließ als einziges die Schierker Nationalhymne, und auch die angesäuselten Funktionäre sangen alle fröhlich mit:

Ja in Schierke möcht ich leben,
ja in Schierke möcht ich sein,
denn da wachsen keine Reben,
sondern Schierker Feuerstein.

Es gab sogar ein Oberschierke und ein Unterschierke. Der Ort war gespickt mit zahlreichen ehemaligen großen und kleinen Hotels, Pensionen und
Ferienhäusern, die später mit fantasievollen Namen wie Franz Mehring-Heim, Ernst Thälmann, Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht benannt wurden, die nunmehr den geschichtlichen Größen des DDR Regimes entsprachen.

Nachdem die Amerikaner Schierke verlassen hatten um 15 km westlich nach Braunlage zu ziehen, kamen die Russen. Meine Mutter, Fremdsprachen-Korrespondentin, die Englisch wie Russisch sprach, managte die Situation hervorragend und es passierte nichts, das die angekündigten Gräueltaten der Sie¬germächte auch nur andeutungsweise bestätigte. Die Russen benahmen sich ausnahmslos gut und ohne Tadel. Oma Ella bewachte alles mit Argusaugen und Opa Albert und klein Thomas holten Holz aus den umliegenden Harzwäldern, damit zumindest kein Temperaturmangel eintrat.

Gerdchen, meine Mutter, sammelte Heidelbeeren und Himbeeren in großen Eimern und spionierte den Verlauf der Grenzziehung aus, um mit dem Westen zu tauschen. Salz gegen Heringe und Butter, alles was tauschfähig war, wurde gehandelt. Um sich über Wasser zu halten, gab sie auch im Winter Skiunterricht, denn sie beherrschte diesen Sport ausgezeichnet.

Paul der Förster
Gerdchen, meine Mutter, hatte sich mit dem Förster angefreundet. Ein Junggeselle lang und verhungert. Das war ihr Typ und den wollte sie auf Biegen und Brechen.

Nach der Einschulung wusste ich was es heißt eine Mutter zu haben, die einen Förster liebte. Paul, so hieß er, zeigte uns den gesamten Harz mit dem Umzugswagen. Paulchen hatte noch seinen ganzen Tross anbei, Mamma Kluth, eine hochgewachsene kalte Frau mit einem Pferdearsch und einem Vogelkopf. Oben auf dem Kopf thronte immer ein zopfgeflochtenes Vogelnest, es fehlten nur die Vogeleier. Papa Kluth, ein glatzköpfiger resoluter Stallknecht, der aber trotzdem absolut unter dem Pantoffel von Mama Kluth stand.

Beide waren früher in der Dienerschaft irgendeines Nachkommen von Friedrich dem Großen. In der Wertigkeit meiner Oma Ella waren die in der Vorurteilskiste ganz weit unten. „Das sind Dienerleute liebes Gerdchen, da musst Du vorsichtig sein“, sagte sie immer.

Klein Thomas wurde bei den Versetzungen des Försters immer wieder neu eingeschult und wusste allmählich wie es ist, in den Schulen immer der Neue zu sein. Die Förstereien waren immer außerhalb der Ortschaften und ich musste jeden Morgen 4- 5 km laufen, um die neue Schule zu erreichen. Ein Umstand, dem ich später meine sportliche Fitness verdankte.

Die Ortschaften, in denen wir uns mit dem Tross niederließen, hießen Scherenstieg, Mägde¬sprung oder Haferfeld. Nur mit Mühe findet man diese Ortschaften auf der Landkarte. Ich kam mir wie in der Verbannung vor. Es gab keine Kontakte und Spielkameraden. Nichts. Nur die Einsamkeit eines traurigen Achtjährigen.

Ich vertrieb mir die Zeit mit ausgiebigen Angelnachmittagen. Fing aber keinen einzigen Fisch, oder wenn mal einer biss, war es eine viel zu kleine Ellritze. Oder ich ließ mir die üppigen Baumkulturen erklären. Nein, es war wirklich trostlos. In den Schulen herrschte, wie immer, Cliquenkultur und in jeder dieser Schulen musste ich versuchen, dem Stärksten auf die Schnauze zu hauen. Sonst hatte ich keine Chance, in der Hierarchie der Klasse ernst genommen zu werden.

Also wartete ich auf diese Chance, bei den regelmäßig veranstalteten Hahnenkämpfen den Stärksten auszuschalten.
Hahnenkämpfe wurden auf einem Bein mit angewinkelten Armen ausgetragen. Im Sportunterricht gab es auch Boxkämpfe, die ich auch zu meiner Positionsbestimmung benutzte, wobei mir bei all diesen Machtkämpfen meine Körpergröße entscheidend geholfen hat. Nach kurzer Zeit war man Wer.


Aber dann kam der nächste Umzug, die nächste Versetzung oder Beförderung des Försters Paul zum Oberförster und das Spiel begann von Neuem. Gott sei Dank hatte das Spiel ein Ende, als Paulemann der Verhungerte meiner Mutter bedeutete, dass sie sich nicht mit „Mama“ verstehe und er sie deswegen nicht heiraten würde. Gerdchen verkaufte die in die Gemeinschaft mitgebrachte Kuh, packte klein Thomas flugs in den Umzugswagen, und ab ging es wieder nach Schierke zu Oma Ella und Opa Albert.

Nicht bevor der kleine Thomas noch mal von Paul das erste und einzige Mal mit der Hundepeitsche verdroschen wurde, weil ich mit dem älteren Sohn des Hausmeisters zum Baden an einen Waldsee fahren wollte, obwohl das Abendbrot bald anstand. Ein Erziehungsversuch eines nie akzeptierten Stiefvaters.

Meine Mutter sah dabei ruhig zu, das machte mich noch später sehr nachdenklich. Einmal während des Abendessens, das immer pünktlich um 19 Uhr anstand, fragte Mama Vogelnest provokativ in die Runde, wer statt Zeitungspapier auf dem Donnerbalken Holzwolle benutzt hätte. Ich war es, gab es aber nicht zu. Alles starrte mich an. „Ich nicht“, log ich. „Na gut“, sagte Vogelnest und es wurde weiter geschwiegen. Das Zeitungspapier war alle. Ich hatte doch keine andere Wahl. Aber musste ich das erklären und dann auch noch beim Abendbrot?

Paulemann habe ich später noch mal vom Westen aus mit Gerdchen in einem Protzmercedes in der DDR besucht und wollte auch zeigen, wie erfolgreich ich inzwischen war. Ich hatte mir vorgenommen, es diesem Kerl heimzuzahlen, aber nach so langer Zeit – es muss ca. 25 Jahre später gewesen sein - gab ich diese Rachegedanken auf, als ich den langen abgemagerten und verhutzelten alten Mann sah. Eigentlich konnte ich ihm dankbar sein, sonst wäre ich aus dieser wunderbar freiheitlichen Republik nie rausgekommen. Dann wäre ich Förster geworden, allerdings besser in der Nähe der DDR Grenze, um die dann eines Tages zu überwinden. Also ab nach Schierke, wo meine ehemaligen Schulkameraden,Gottfried und Schinkus mich sehnsüchtig zurück erwarteten.
Schinkus und Gottfried um wieder Skat spielen zu können. Ich war doch der dritte Mann.







Experiment Electrophorus - Kurzbeschreibung

Manfred Säuerling und Georg Rosenrunge, zwei Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe, zwei Wissenschaftler auf zwei unterschiedlichen Gebieten, zwei Freunde mit unterschiedlichen Interessen, zwei Welten, die aufeinander treffen. Und doch haben die beiden etwas gemeinsam: die Vorliebe für das Abenteuerliche und die Faszination der Natur.

. Während einer Forschungsreise durch den tropischen Regenwald machen er und Rosenrunge schließlich eine bahnbrechende Entdeckung: biologische Energieressourcen, das Tier als Kraftwerk – die Operation Electrophorus beginnt. Aus der Entdeckung wird erst eine utopische Idee, dann eine Vision und schließlich gelingt es den beiden – ganz nach Alexander von Humboldts Theorien und einer Menge Experimente später – genau diese ungeahnte Stromquelle massen- und auch netztauglich zu machen.

Eine ganze neue Ära der Energiegewinnung beginnt und bedeutet somit das Aus für monopolisierte Preistreiberei herkömmlicher Energieerzeuger. Doch diese weltbewegende Entdeckung bringt nicht nur weitere Nominierungen für den Nobelpreis, sondern auch Schattenseiten – der Kampf der Giganten beginnt.


Impressum

Texte: Copyright Th.+C. Glantz
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
In Gedenken an Paulemann dem Förster, meinem beinahe Stiefvater. Er hat mich zwar mit der Hundepeitsche einmal verdroschen. Aber eigentlich ermöglicht, dass ich in den Westen kam. Ein Stoßgebet gen Himmel begleitet ihn.

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