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Lehrjahre sind keine Herrenjahre


Kleinhempel war unter der Hamburger Kunsthalle mit riesigen Räumen für die verschie¬densten Abteilungen- Farb- und Schwarz-Weiß- Labor, Kopierabteilung- Reproabteilung- mehrere Ateliers- und einem Außendienst.

Er selbst war ein sehr gut aussehender Mann um die 50, nicht sehr groß, hatte ein fein geschnittenes Gesicht und sehr sym¬pathisch. Besonderes Markenzeichen eine nicht brennende Zigarette in der rechten Hand. Er rannte also den ganzen Tag mit einer nicht ange¬zündeten Zigarette, als ehemaliger Raucher, in der Hand oder im Mundwinkel durch den Laden.

Zig mal am Tag wurde ihm von den Kunden Feuer angeboten und nun durfte er seine mannhafte Wi¬derstandskraft gegen diese Sucht demonstrieren. Seine Frau war eine aristokratische Erscheinung, sehr arrogant und zickig.

Sie kommandierte ihre Leute immer mit den Wor¬ten: „Herr so und so würden Sie bitte mal“. Wenn man mit ihr zusammenarbeitete, hörte man das so 30 bis 40mal. „Herr so und so würden Sie bitte mal das und das machen“.

Es gab auch keine Abwandlung dieses Satzgebildes. Etwa die Banane nach links etwas höher legen. Nein - wieder dieser Satz: „Herr Glantz würden Sie bitte mal die Banane noch etwas höher legen und dann bitte weiter links“.

Wir, die Lehrlinge nannten sie wegen dieser Formulierung: Frau Hochwürden oder Euer Hochwürden, dann wusste man wen man meinte. Sie saß im Reitersitz, also das eine Bein über das andere geschlagen, einseitig auf einem Hocker und dirigierte ohne sich zu rühren.

Sie hielt sich bestimmt für eine große Künstlerin und fotografierte Lebensmittel für Maizena, Unilever und andere Großkunden. Die Fotos sahen in bestechender Weise immer gleich aus. Aber das lag vielleicht auch an den Layoutern, die auch erschreckend wenige Ideen hatten.

Die gaben das Layout vor und nichts auf der Welt durfte verändert werden, auch wenn es fototechnisch teilweise nicht durchführbar war. Insgesamt waren 31 Leute bei Kleinhempel in Lohn und Brot, davon bis zu 8 Lehrlinge. Der Rest bestand fast nur aus Frauen mit denen man gut auskommen musste, sonst war man verloren.

In der Reproabteilung agierte ein Meister mit Namen Seck. Er war um die 50, sah aus wie ein französischer Flic, war immer hektisch, hatte einen schwarzen Haarkranz und Glatze und war sehr abgemagert. Seck sprach wie ein Unteroffizier, gab Befehle an die Untergebenen und nach oben versprühte er sehr viel Schleim. Seck hatte gerade seinen Führerschein gemacht und durfte das Auto des Chefs fahren.

Wir beide fuhren oft zu Firmen wie Phillips oder Heidenreich & Harbeck, einer großen Maschinenfabrik. Auf dem Weg zu Heidenreich & Harbeck fuhr Seck einmal so dicht an den rechts parkenden
Fahrzeugen vorbei, bis er dann endlich die ganze Seite maßgerecht verschrammte.

Der Aufbau bei Heidenreich war ca. 3 m hoch und nur auf einer Leiter erreichbar. Oben war eine Plattform, auf der Seck und der Chef von Heidenreich standen und das Motiv, eine neu entwickelte Maschine, durch die 18 x 24 Plattenkamera von Linhof beäugten.

Beide standen unter dem riesigen schwarzen Tuch und schauten einige lange Sekunden durch die Kamera. Seck hatte die große Abdeckplatte der Plattenkamera in der linken Hand. Ich stand auf dem Boden direkt hinter den beiden. Immer noch Stille- peinliche Stille, dachte ich. Als auf einmal Seck einen entsetzlich lauten Furz fahren ließ.

Das war nicht irgendein pfeifendes Pupsen, sondern ein richtig bombastisches aufgestautes Furzen.
Oh du meine Güte – immer noch Ruhe. Seck nahm die Abdeckplatte und wedelte hinter seinem
Hintern, ich sah das von unten und Seck sagte nur abgehackt im Befehlston – „Oh Entschuldigung Herr Heidenreich“.

Fehlte nur, dass er die Hacken zusammenknallte. Geräuschlos konnte ich nicht lachen und erst dann realisierte Heidenreich, was passiert ist, hielt sich die Nase zu und lachte mit. „Kann doch passieren“ sagte Heidenreich und die Peinlichkeit war behoben. Seck fuhr diszipliniert in die Firma und beichtete Kleinhempel seinen kleinen Autounfall.

In der Firma gab es unter den Frauen eine gut struk¬turierte Hierarchie und morgens wurde erst mal lang und breit getratscht. Da passierte es mir, dass ich mit meinem wehenden weißen Kittel einen kompli¬zierten Aufnahmen-Aufbau vom Chef persönlich fast umge¬rannt hätte.

Ich hatte Glück, ihn nur einige Zenti¬meter bewegt zu haben, aber er musste wieder hergerichtet werden. Kleinhempel war zum ersten Mal ungewöhnlich unbeherrscht und schnauzte mich an: „Wir sind doch hier nicht auf der Baustelle Herr Glantz. Kommen sie nachher in mein Büro.“

Ich stand vor dem Rausschmiss. Als ich kurz danach zum Chef zitiert wurde, hatte ich das Glück, dass im Raum des Chefs die älteste Mitarbeiterin, Fräulein Feldmer, so um die 60, noch wegen einer anderen Angelegenheit stand. Bei der hatte ich Schlag, das wusste ich.

Er befragte sie zuerst, was sie von mir hielte und ich hatte das Glück, in höchs¬ten Tönen gelobt zu werden. Attribute wie Zuverlässigkeit, Engagement, arbeitswillig das ist er, der Schlawiner. Warum sie hinterher Schlawiner sagte, weiß ich auch nicht. „Na gut“ sagte Kleinhempel – „ich wollte ihn gerade zusammenstutzen, da haben Sie noch mal Schwein gehabt“.

Ich glaube er hatte vor, mich rauszuschmeißen. Das wäre das Ende gewesen. Mein Traum Kleinhempel Lehrling zu werden wäre zerstoben. Nicht auszumalen, was ich dann gemacht hätte. Studieren mit dem Abschluß kam nicht in Frage. Ausserdem hatte ich vom vielen Lernen die Schnauze gestrichen voll.

Ich kam aus der DDR und musste alles neu lernen. Drüben hatte ich nur Russisch, dass hier nicht mehr anerkannt wurde. Kein Englisch und Latein. Das Geschichtsbild war vollkommen verdreht. Ich musste alles neu pauken.. Alles- nein studieren niemals- erstmal..
Meine Mutter Gerda wäre verzweifelt. Sie hatte doch davon geträumt, dass ihr Sohn mit ihr Fremdsprachen Vokabeln weiter paukt und eine richtige Karriere macht. Ich hörte sie schon sagen: „Was machen wir denn jetzt bloß?“

Es hing wirk¬lich am seidenen Faden. Die anderen Lehrlinge waren meist Töchter oder Söhne von Großkunden, bis auf eine Tochter der berühmten Fotografin Rosemarie Clausen des Ham¬burger Schauspielhauses. Brigitte war, um es galant zu sagen nicht eine der man hinterher schaute, aber auch eine von denen, die das freundliche Grinsen selbst in Notsituationen immer beibehielt.. Sie trug dieses ewige Grinsen als Schutzschild vor sich her.

Und als ich mit ihr, wegen ihrer zur Schau gestellten Ar¬roganz aneinander geriet, sagte ich ihr im Affekt: „und außerdem bist du auch hässlich.“ Oha, das hätte ich nicht sagen dürfen. Das war unfair. Sie brach heulend vor meinen Augen zusammen.

Ich entschuldigte mich sofort. Nur das half wenig. Sie bekam einen richtigen Weinkrampf. Gott sei Dank passierte das alles in dem verdunkelten Kopierraum und keiner bekam es mit. Ich tröstete sie und entschuldigte mich pausenlos.

Und irgendwie wurde durch diesen Vorfall unser Verhältnis entspannter. Den Kult, den man um die Mutter machte als eine große Fotografin, habe ich nie verstanden.

Ihre Fotos lebten nur vom Theaterkontrastlicht und den berühmten Schauspielern wie Gründgens oder Elisabeth Flickenschildt. Das war allenfalls künstlerisch, aber ist das schon eine große Kunst? Wobei ich fragen muss, ob Fo¬tografie schon als große Kunst anzusehen ist.

Die Gestaltung einer Fotografie hat etwas Künstlerisches um dann im rechten Moment draufzudrücken. Aber mit den ratternden elektro-angetriebenen Kameramotoren ist auch das keine Kunst mehr, diesen Moment zu erwischen.

Kunst ist vielleicht die technische Bearbeitung hin¬terher, aber selbst diese Verfremdung ist auch meist zufällig. Na gut, die Sichtweise, also das Erfassen und die Gestaltung eines Motivs könnte man als künstleri¬sche Fähigkeit sehen.

Dann war ich eben ein Le¬bens- und Fotokünstler zugleich. So gesehen sind wir doch alle Lebenskünstler, viel¬leicht bis auf die Beamten oder alle, die ihr Leben schon bis zum Ende durchplanen. Schreckliche Vorstellung.

Frau Kleinhempel hatte die Hosen an und erst einige Jahre nach meiner Lehre hörte ich, dass Herr Klein¬hempel an einem Herzinfarkt früh verstorben war. Sie heiratete nicht viel später Rüdiger von Wech¬mar, den späteren UNO- Botschafter, das war stan¬desgemäß.

Noch war ich Praktikant und glücklich, Anwärter auf eine Lehrstelle zu sein. Dann kam die Weihnachtsfeier der Fa. Kleinhempel und die Lehrlinge und auch ich soll¬ten ein kleines Theaterstück aufführen. Ich suchte mir ein kleines Stück einer Museumsführung aus und spielte gleichzeitig den Museumsführer als Bayer und durch Mützen- und Hutwechsel drei Besucher des Museums.

Die drei Besucher waren ein Berliner, ein Sachse und ein Ostpreuße. Ich spielte alle 4 Rollen abwechselnd, da ich ganz gut diese Dialekte imitieren konnte. Der Berliner hatte eine Mütze, der Sachse einen Bauernhut und der Ostpreuße eine rusische Wintermütze.

Der Museumsführer (der Bayer) einen Sepplhut. Jedes Mal wenn eine dieser Personen eine Frage stellte, wurde der ent¬sprechende Hut aufgesetzt und im jeweiligen Dialekt gefragt und geantwortet. Ein überwältigender Ap¬plaus gemischt mit immer noch lachenden Kollegen quittierte meinen Auftritt.

Nachdem ich noch einige sächsische und ostpreußische Dialektwitze vorgetragen hatte um die Steifigkeit dieser Weihnachtsfeier zu durchbrechen, kam da¬nach ein noch länger anhaltender Applaus und die beiden Kleinhempels zu mir, gaben mir die Lehr¬stelle und den Rat, Schauspieler zu werden. Ich war also ein „Kleinhempel-Lehrling“. In der Berufsschule war man ganz anders angesehen.

Dennoch wusste ich, dass man als angestellter Foto¬graf nicht allzu viel Geld verdienen konnte und suchte nach einer Idee. Eine Idee, um als Fotograf zusätzliches Geld zu verdienen. Mit den 65 / 75 / 110 DM Lehrlingsbeihilfe, so hieß dieses Almosen, kam man nicht allzu weit.

Eine Idee war, beim Axel Springer Verlag nachts als Schüler/Student zu arbeiten. Der zahlte 25 Mark bar auf die Hand für eine Schicht von max. 4-5 Stunden. Um dem ewigen Zustand des „kein Geld zu habens“ aus dem Weg zu gehen, war das schon mal nicht schlecht.

Ich stellte mich freitagabends in die Schlange der Studenten und Schüler und oft hatte ich Glück, legte die Werbezettel in das Blatt und kassierte Cash 25 Mark. Dann verkaufte ich samstags, so richtig als Ausru¬fer - „Das Hamburger Abendblatt hier bei mir“ - auf dem Rathausmarkt- Hauptbahnhof - oder Stein¬damm, eine richtig gute Einnahme.

Pro Zeitung 30 Pfennig plus feste Bezahlung. Endlich konnte man sich mal ein Bier in den Tanzschuppen leisten oder einer neuen Flamme mal einen ausgeben. Klasse, eine Befreiung, man kam sich vor wie Rockefeller.


Experiment Electrophorus - Kurzbeschreibung

Manfred Säuerling und Georg Rosenrunge, zwei Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe, zwei Wissenschaftler auf zwei unterschiedlichen Gebieten, zwei Freunde mit unterschiedlichen Interessen, zwei Welten, die aufeinander treffen. Und doch haben die beiden etwas gemeinsam: die Vorliebe für das Abenteuerliche und die Faszination der Natur.

. Während einer Forschungsreise durch den tropischen Regenwald machen er und Rosenrunge schließlich eine bahnbrechende Entdeckung: biologische Energieressourcen, das Tier als Kraftwerk – die Operation Electrophorus beginnt. Aus der Entdeckung wird erst eine utopische Idee, dann eine Vision und schließlich gelingt es den beiden – ganz nach Alexander von Humboldts Theorien und einer Menge Experimente später – genau diese ungeahnte Stromquelle massen- und auch netztauglich zu machen.

Eine ganze neue Ära der Energiegewinnung beginnt und bedeutet somit das Aus für monopolisierte Preistreiberei herkömmlicher Energieerzeuger. Doch diese weltbewegende Entdeckung bringt nicht nur weitere Nominierungen für den Nobelpreis, sondern auch Schattenseiten – der Kampf der Giganten beginnt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.02.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
meinem verstorbenen Lehrherren Kleinhempel und seiner aristokratischen Frau.

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