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Indianer Rituale Kapitel 21 Teil 2

Wieder fiel ihnen ein Bewohner der Yukpa Siedlung auf, wie er sich in die Hockposition begab und sich und seine Nase auf dieses Rohr konzentrierte, während ein anderer ihm die geballte Ladung mit einem kurzen stoßförmigen Pusten einflößte. In dem Augenblick verstand Säuerling und nickte wissend. „Was ist das für ein Zeug, was sie da schnupfen?

Für eine Linie Koks ist das ein bisschen viel Aufwand, findest du nicht auch?" Georg kicherte. "Ich schätze mal, es ist so etwas Ähnliches wie Epenà. Ein Pulver aus verschiedenen getrockneten Pflanzen, deren genaue Mischung aber wahrscheinlich nur die Yukpas kennen.

In Epenà ist, so wie ich gelesen habe, sogar Baumrinde. Aber es scheint ziemlich wirkungsvoll zu sein..." Er nickte einem jungen Mann zu, der zuvor seine Dosis erhalten hatte, und nun mit gesenktem Kopf, und mit zwei Speeren bewaffnet, langsam zu tanzen anfing. Und es folgten weitere.

So als hätte er mit seinem Auftritt den Startschuss gegeben, strömten immer mehr Eingeborene herbei, die sich erst das Pulver ins Gehirn schießen ließen und dann nach kurzer Zeit zu tanzen anfingen. "Und was machen sie jetzt?", fragte Säuerling amüsiert und ertappte sich dabei, wie er fast gierig den letzten Schluck von Pedros Brühe aus der Flasche nahm und sie dann enttäuscht betrachtete.

„Das siehst du doch, sie tanzen! Der Tanz und dieses Rauschmittel sind eine Art Ritual, die ihnen die Möglichkeit geben, mit den Göttern in Kontakt zu treten. Der Rauschzustand und die Trance sind für sie der direkte Weg zu ihnen.

Sie geben ihnen Energie, zeigen ihnen das Licht und geben ihnen das, was sie brauchen, um neue Kraft zum Leben zu schöpfen. Und wenn sie tanzen, können sie sogar die bösen Geister vertreiben – das jedenfalls glauben sie. Im Endeffekt ist es nur ein Trip aufgrund hoch dosierter Halluzinogene.“

Es war der Dorfälteste mit dem unaussprechlichen Namen, der mit Wi anfing und irgendwann nach einem wirren Buchstabensalat mit kota endete. -weshalb Georg und Manfred ihn nur „Wikota“ nannten-, der schließlich mit seiner lautstarken Energie ziemlich unsanft verlauten ließ, dass sie gefälligst mitmachen sollten.

"Wobei mitmachen?", fragte Säuerling skeptisch und spürte auch wieder seine nervöse Hand, die instinktiv nach der Schachtel Gauloises suchte und diese auch fand. Doch dann erinnerte er sich wieder, dass die eine Zigarette noch hinter seinem Ohr klemmte und führte sie auch schnell von dort aus zu seinem Mund.

Wikota fixierte Säuerling mit einem scharfen Blick. Dann grinste er wieder sein breites zahnloses Grinsen. Für einen kurzen Augenblick dachte Säuerling plötzlich an seinen Zahnarzt und verfolgte die Vision, wie Wikota bei Dr. Michels, mit seinem halbnackten und wulstigen Körper, auf dem Zahnarztstuhl lag und ihn mit seinen fauligen Stumpen angrinste.

Und aus ganz weiter Ferne konnte er Michels sogar noch fragen hören: "Sind sie privat versichert?", bevor Wikota ihn plötzlich mit seiner forschen Häuptlingsstimme anfuhr. „Er sagt, dass wir mitmachen sollen“, übersetzte Rosenrunge bereitwillig. „Und er sagt auch, dass wir würdig sind, seine Götter zu empfangen, und somit es auch mit den bösen Geistern aufnehmen können.“

„Nur über meine Leiche!“, sagte Säuerling und schüttelte den Kopf. „Schön, dann bereite dich schon mal auf deinen Tod vor, denn sie werden dich wahrhaftig töten!“, sagte Georg und klopfte seinem Freund bedauernd auf die Schulter. „Wie bitte?“ „Ja, die Yukpa werden dich eigenhändig töten, weil du es wagst, ihre Götter zu beleidigen, indem du sie ablehnst.“

„Ich lehne ihre Götter nicht ab, ich habe nur keine Lust auf dieses Affentheater hier. Ich bin Wissenschaftler, kein Tänzer!“ „Nein, du bist Manni, der ohnehin schon einen im Kahn hat und du hast jetzt Feierabend.

Deine Eitelkeit in allen Ehren, aber dein Golfclub sieht dich hier unten nicht und kann es dir bei der nächsten Jahresversammlung auch nicht aufs Butterbrot schmieren.“ „Hm...Butterbrot....lecker!“ „Idiot!“

"Rchoche!" Rosenrunge machte ein eindeutiges Handzeichen und stand auf. Er nickte dem Alten zu und näherte sich entschlossen der Vollstreckungsstelle für Rauschmittel. „Georg, du willst doch nicht wirklich...dieses Zeug...?“ Sprachlos beobachtete er, wie Georg mit Händen und Füßen den Eingeborenen etwas erklärte.

Offenbar wollten sie ihm das erlösende Rohr verwehren. Wikota grunzte irgendetwas in die Menge, worauf sie Georg das Pulver in die Hand streuten. Er machte ein Geste, die so viel bedeuten sollte wie: Noch etwas mehr bitte! Dann kam er wieder zurück. „Bevor wir das nehmen, müssen wir uns unsere Hemden ausziehen.

Also los, Süßling, ausziehen....you can leave your hat on!“ „Ich mach das nicht!“ Rosenrunge war erstaunlich schnell aus seinem Hemd geschlüpft und das sogar, ohne etwas von der heißen Ware in seiner Hand zu verlieren. „Jetzt mach hier keinen Ärger und zieh dein Hemd aus!“ Säuerling seufzte und entblößte sich nur widerwillig.

Eine Frau, die weniger anhatte, als Säuerling es jemals von ihr hätte in diesem Zustand sehen wollen, begann die beiden auf Brust und Rücken mit Farbe zu bemalen. Rote Linien, schwarze Punkte und Zeichen, die sie nicht kannten.

Dann tauchte eine weitere Eingeborene ihre Finger in eine Schale mit einer Flüssigkeit und benetzte fast schon liebevoll Stirn und Schläfen. „Ich hoffe, du weißt, worauf wir uns hier einlassen?“, zischte Säuerling aus einem Mundwinkel, begann aber im gleichen Augenblick wieder zu kichern.

„Wir müssen das Zeug selber schnupfen. Das Rohr ist heilig und darf nicht von Fremden verunreinigt werden.“ „Also nehmen wir es wie Schnupftabak?“, fragte Manfred skeptisch und Georg nickte. Die Häufchen auf ihren Handflächen sahen eher aus wie die kläglichen Versuche, fixe Punkte anzuvisieren.

Vieles von der Kräutermischung ging dabei zu Boden. Schließlich schnupften dann doch beide fast zeitgleich das teuflische Gemisch und reagierten auch zeitgleich auf die erste Entfaltung ätherischer Reaktionen im Nasenrachenraum. Ihre Augen brannten, die Nasen liefen und Säuerling musste mehrmals niesen, bis sich der Körper an die staubfeinen Fremdkörper in den Schleimhäuten gewöhnt hatte.

Dann sahen sie sich an und waren gerade im Begriff, sich über die braunen Schmierspuren im Gesicht des Anderen lustig zu machen, als Rosenrunge plötzlich augenrollend nach hinten kippte und zu Boden fiel. Wikota brach darauf hin in lautes Gelächter aus.

Er lachte so laut, dass es Säuerling in den Ohren dröhnte. Und nicht nur das: Wikota hatte plötzlich einen weißen Kittel und einen Zahnarztbohrer in der Hand. „Ich hoffe, ihr seid gut versichert?“ „Ja, Säuerling, das sind wir!“, sagte Georg und half ihm wieder hoch.

„Mann, so stoned war ich das letzte Mal....waren wir das letzte Mal...“ Er sprach nicht weiter, sondern ließ sich von den anderen führen. Sanft schoben ihn Hände weiter auf den Platz zu, wo alle tanzten und sich auf die Reise zu den Göttern vorbereiteten. Auch Manfred ließ sich vom Fluss des Tanzes tragen mit der angenehmen Taubheit in seinem Kopf.

Dann tanzten auch sie und bewegten sich im Takt der Trommeln. Sie schaukelten, tänzelten von einem Ort zum anderen und es fühlte sich so gut an. Während Rosenrunge seinen Traum vom Fliegen träumte anstatt sich um die Geister der Yukpa zu kümmern, blieb Säuerling plötzlich stehen.

Irgendetwas schien mit einem Mal den Pausenknopf gedrückt zu haben. Um ihn herum herrschte plötzlich eine seltsame Totenstille, als hätte jemand den Ton abgedreht, damit er nichts anderes mehr hören konnte, außer dem langsamen Schlagen seines Herzens und seinem Atem. Er drehte den Kopf zur Seite.

Die Eingeborenen tanzten immer noch. Nur sehr viel langsamer, wie in Zeitlupe. Er sah Georg, der sich immer noch mit geschlossenen Augen und einem zufriedenen Lächeln im Takt der Trommeln bewegte. Und auch Pedro schlief immer noch am Feuer mit seiner Flasche im Arm und dem Hut über das Gesicht.

Säuerling spürte, wie seine Glieder sich gegen diese unwillkommene Bremse wehrten und versuchten, noch einen letzten Hüftschwung von ihm zu ergattern, bevor sein Körper komplett erstarrte und er sich schließlich aus der tanzenden und singenden Menge entfernte. All seine Aufmerksamkeit war nur noch auf die Person gerichtet, die plötzlich am anderen Ende des Feuers aufgetaucht war und ihn anstarrte.

Es war ein stattlicher weißer Mann, mit vollem Haar, mittleren Alters und er winkte ihm freundlich zu. Manfred starrte ihn erst erschrocken und dann ungläubig an. Nein, das konnte nicht sein! Der Mann kam langsam auf ihn zu und öffnete langsam die Arme zur Begrüßung, doch Manfred reagierte nicht.

"Geht’s dir gut mein Junge?“, fragte der Mann freundlich. Und auch wenn er sich an die Stimme seines Vaters nicht mehr erinnern konnte, war er sich sicher, dass es seine Stimme war. Sorgenvoll legte Werner Säuerling die Hände auf seine Schultern und auch wenn Manfred nicht verstand, warum es ihn geben konnte, genoss er diesen Augenblick.

Doch dann meldete sich irgendwo in einer versteckten Ecke seines Gehirns der Verstand zurück. Hatte er nicht gerade eben noch neben einem Mann gesessen, der behauptete, Dr. Michels, sein Zahnarzt, zu sein? Und hatte ihn nicht irgendjemand Süßling genannt? Was war das hier?

Traum oder Wirklichkeit? Rausch oder Wahn? Hatte er sich wirklich dieses scheußliche Zeug in die Nase gezogen? Und was richtete es jetzt mit ihm an? Er wusste es nicht. Das Denken fiel plötzlich so schwer. Antworten zu finden war schwer, alles war schwer. Aber nicht schlecht schwer. Schwer im Sinne von: meine Glieder sind müde, meine Augenlider sind schwer.

Ich bin müde und möchte schlafen! An Schlaf dachte der Panther nicht, als er die Bewegungen am Feuer interessiert von seinem Baum aus beobachtete. Lautlos glitt er hinab und schlich weiter in die Richtung, wo er das Wesen witterte, was sich von den anderen entfernt hatte,. „Die Antwort auf all deine Fragen liegt tief in dir drin.

Denk nach Junge, denk nach!“ Aber worüber soll ich nachdenken, Vater? Dann streckte Säuerling Senior - oder vielmehr die halluzinogene Gestalt eines Totgeglaubten - die Hand aus und deute in Richtung Dorfgrenze, dort wo das Dickicht eines nächtlichen Regenwaldes begann und ein paar hundert Meter weiter an einen Fluss angrenzte.

Seine Augen folgten seinem ausgestreckten Finger und Säuerling blickte geradewegs in die finstere Wand aus Baumkronen und Farn. Er erstarrte, als aus dieser Richtung plötzlich ein entsetzliches Kreischen ertönte. Es klang wie das Kreischen einer gequälten Frau.

Auch der Panther hielt inne und spitzte die Ohren. Der Mann, den er noch aus sicherer Entfernung im Visier hatte, schien ihn plötzlich anzustarren. Ob der wusste, dass er hier schon seit geraumer Zeit auf diese Chance, auf seine schmackhafte Chance, lauerte?

Wieder hörte Säuerling diesen entsetzlichen Schrei und dieses Mal klang er wie Musik in seinen Ohren. Musik, die noch zu weit entfernt war, als dass er sich wirklich an ihr erfreuen konnte. Und sein erster Gedanke war: Das Netz! Wir brauchen das Netz, Pedro! Doch Pedro hörte ihn nicht.

Mit fieberhafter Aufmerksamkeit starrte er in das entfernte Dickicht, in der Hoffnung, dort irgendetwas erkennen zu können. Ein weiteres Kreischen, ein wütendes Kreischen und mit einem Male erhellte für einen kurzen Augenblick grelles weißes Licht den Wald. Der Blitzschlag eines wütenden Tieres.

Jetzt war Manfred sich sicher: es war Tunca Porca. Das fliegende Schwein, das eigentlich eine Amphibie mit einer außergewöhnlichen Begabung war. Das Netz, Pedro! Georg, hol das Betäubungsgewehr.

Wo ist mein Elektroskop? Nervös suchte er nach dem Gerät. Fand aber nichts weiter, als die Schachtel Gauloises in seiner Tasche. Das Elektroskop hatte in der Höhle eindeutig Spannung angezeigt, auch wenn es im Anschluss daran nicht mehr zu gebrauchen war, aber es hatte definitiv Spannung angezeigt, bevor Tunca Porca wieder in den Tiefen der Höhle verschwunden war.

Es ist dort hinten, wir müssen es einfangen, ich brauche dieses Tier! „Du entkommst mir nicht noch einmal, Bürschchen!“, rief er plötzlich in die Dunkelheit und rannte los. Er ließ Rosenrunge, Pedro, das Feuer, die Indianer und auch seinen Vater zurück.

Er stolperte über Wurzeln und Baumleichen. Dornen und Äste peitschten durch sein Gesicht und hinterließen dünne Schnitte, die er aber erst am nächsten Tag sehen und fühlen würde. Er lief so lange, bis er das Kreischen und den gleißenden Lichtschein besser orten konnte. Er wollte es sehen.

Er wollte es fühlen. Und er würde, wenn es sein musste, es auch berühren. Auch der Panther beobachtete das Geschehen mit höchstem Interesse. Das Wesen hatte sich tatsächlich noch weiter von den anderen und dem bösen Feuer entfernt und lief geradewegs in seine Richtung. Es war fast schon zu einfach.

Er richtete seine Schnauze in den Nachthimmel und sog den Geruch des heranstolpernden Menschen in sich auf. Und er genoss den schmackhaften Duft seines möglichen Mitternachtsimbisses. Und er genoss auch den Geruch dieser furchtlosen Entschlossenheit. Dieser Mensch hatte keine Angst, er war achtlos, witterte nichts Böses.

Das würde ihm die Jagd wesentlich vereinfachen. Er schnurrte zufrieden und harrte weiter der Dinge, die noch folgen würden. Säuerling lief weiter. Er lief so schnell und gezielt, als hätte er noch nie etwas anderes getan in seinem Leben. Und in diesem Augenblick war es nur dieser einzige Gedanke, der ihn vorwärts trieb: Tunca Porca zu finden und zu fangen.

Das Tier schien in Schwierigkeiten geraten zu sein oder befand sich zumindest an einem Ort, wo es nicht weg konnte und das war seine Chance. War sein Vater wirklich gekommen, um ihm das zu zeigen? War er gekommen, um ihm den kleinen Traum vom fliegenden Schwein zu erfüllen.

Das Wesen, was all seine Studien bestätigen würde und somit seine Vision und seine Ideen mit einem Mal umsetzen konnte? Das Elektroskop, es hatte ihm in der Höhle für einen Bruchteil von Sekunden den Beweis geliefert, den er brauchte, um auch Georg zu überzeugen. Doch es hatte den Aufprall nicht überlebt.

Ein Totalausfall und ein großer Riss im Gehäuse genügten nicht als Beweis für diese unsagbar fantastische Energiequelle. Der Mond leuchtete ihm bereitwillig und sicher den Weg, als würde er genau wissen, wohin es ihn trieb. Doch wohin es ihn trieb, interessierte den Panther nicht.

Ihn interessierte nur, wie er seine Beute am besten erlegen sollte. Nur noch wenige Meter trennten ihn von seinem herannahenden Blickfang. Es wäre ein Leichtes, mit einem Satz aus dem Gebüsch zu springen und die Zähne in seinen Hals zu bohren. Doch das Bersten eines Astes unmittelbar hinter seinem Rücken ließ den Panther erschrocken zusammenfahren.

Er fuhr herum und verpasste somit den passenden Angriffsmoment, an dem Säuerling seinen Weg kreuzte, um ans Flussufer zu gelangen. Säuerling merkte nichts von dem Ärger seines heimlichen Beobachters. Er rannte weiter durch die Dunkelheit, ignorierte jede noch so kleine Bewegung im Unterholz.

Überhörte das aufgeregte Rascheln zu seiner Rechten, das wütende Gezüngel über seinem Kopf, und auch das bedrohliche Fauchen hinter ihm nahm er nicht wahr. Er hörte nur das verzweifelte Gestrampel und Geschrei von Tunca Porca am Flussufer, dort wo es, aus welchem Grund auch immer, fest saß.

Er blieb stehen und suchte sein Blickfeld systematisch und mit Hilfe des Mondlichtes ab. Das Wasser war an dieser Stelle außergewöhnlich ruhig und schien nicht die kleinste Bewegung zu beinhalten. Das fahle Mondlicht spiegelte sich nur schwach in dem trüben Gewässer, als wollte es sich erst gar nicht in ihm spiegeln.

Es sah tot aus. Doch totes Wasser im brasilanischen Regenwald? Und tot roch plötzlich auch die Luft. Mit jedem weiteren Schritt, den Manfred sich dem Gewässer näherte, wurde die Luft dicker und schlechter. Hier stank es. Ein unerträglicher Gestank von altem verranzten, toten Fisch. Tunca Porca! Der Panther starrte mit fieberhafter Aufmerksamkeit in die Dunkelheit und versuchte auszumachen, was ihm gerade seine Mahlzeit vermiesen wollte.

Wieder hielt er seine Schnauze in die Luft und sog den Geruch des Gegenspielers und auch den Gestank verendeter Fische in sich ein. Dann sah er einen schwarzen Schatten und blickte schließlich in das vertraute Gelb der Augen, in die er noch vor wenigen Stunden geblickt hatte,, als er sich zur Jagd verabschiedet hatte.

Sie war also doch gekommen, um gemeinsam mit ihm zu jagen? Ein liebevolles Fauchen tönte durch die Nacht und ging irgendwo im Geschrei eines aufgescheuchten Affenpaares unter. Manfred hatte inzwischen seine durch Halluzinogene eingeschränkte Sehfähigkeit der Dunkelheit anpassen können, doch gerade jetzt traute er seinen Augen nicht.

Von dem Bild, was sich ihm bot, hatte er bisher nicht einmal zu träumen gewagt. Und auch der Mond schien ihm, wie ein Punktspot, die Wichtigkeit seiner Entdeckung vor Augen halten zu wollen und zeigte Tunca Porca in einer wahrhaftig misslichen Lage. Das Tier mit dem Kopf eines Rochens war gefangen.

Gefangen in einem Wasser, das in der Mitte mit einem riesigen Netz überspannt war und ihm jeden Weg zur Flucht verwehrte. Aber wie war das möglich? Wer hatte hier so eine grandiose Vorarbeit geleistet, dass es fast schon zu einfach war? Georg, Pedro!

Seht doch nur! Wir haben es! Mann, Tunca Porca, was bist du nur für ein Teufelskerl! „Ein gefangener Teufelskerl!“, lachte Manfred und deutete auf das tobende Tier. Und in der Tat, Tunca Porca konnte weder aus dem Wasser klettern, noch wegschwimmen. Das Einzige, was es tun konnte, war immer wieder gegen das Netz zu springen und sich in den Schlaufen zu verbeißen.

Und auch jetzt schoss es wieder mit gewaltiger Kraft aus der Tiefe und donnerte mit lautem Kreischen an die Oberfläche. Dort entlud es sich seiner geballten Wut und löste über das Netz eine gewaltige Elektrowelle aus. Säuerling spürte die gefährliche Spannung in den Netzschlaufen, dicht gefolgt von dem metallischen Scheppern.

Und er spürte auch, wie sich jedes einzelne Haar auf seiner Haut aufstellte. Das Netz war also aus Metall? Aber warum? Wo ist da der Sinn? Denk nach, Junge! Denk nach! Erschrocken drehte er sich um. Er war sich sicher, die Stimme seines Vaters dicht hinter sich gehört zu haben, doch er konnte niemanden sehen. Das Pantherpärchen hatte den Mann am Wasser genau im Visier.

Er stand dort, starrte auf die Oberfläche und lief dann wieder, wie ein ruheloser Affe, am Ufer auf und ab. Sie würde sich von hinten anpirschen, während er sich ihm von vorn näherte. Er hätte keine Chance, zu flüchten. Aber selbst wenn, gegen sie beide würden selbst diese seltsamen Menschenbeine nichts ausrichten können.

Mit einem Augenaufschlag gab er ihr das Zeichen, dass es jetzt an der Zeit war. Er stolzierte noch einmal vor seiner Dame auf und ab, dann sprang er mit einem Satz aus dem Dickicht und fauchte dabei. Säuerling bemerkte ihn nicht. Und er bemerkte auch nicht, wie sich ihm der zweite Panther näherte.

Die beiden Tiere waren nur noch wenige Meter von ihrem Opfer entfernt. In ihren Hinterläufen begann es zu zucken, sie waren bereit, den ersten Satz zu machen. Ein Sprung, ein Tatzenhieb und ihre Beute lag auf dem Boden. Alles Weitere würde er dann seiner Angebeteten überlassen Ein Schuss peitschte plötzlich durch die Nacht und löste nicht nur bei den beiden Panthern eine Welle der Panik aus.

Eine Papagaienfamilie schreckte empört auf und reagierte mit wildem Flügelschlagen und wütendem Gekreische. Auch Säuerling ließ kurz von seiner Faszination ab und horchte verwundert auf. Dann ein weiterer Schuss. Das Pantherpärchen fauchte im Duett, wich zurück, bevor es sich schließlich eingeschüchtert in den Wald verzog.

Säuerling gab sich wirklich alle Mühe, die Geräusche und das Geschehen um sich herum einzuordnen und zu verstehen, doch es gelang ihm nicht. Er war immer noch gefangen im Rausch eines Pulvers, wovon eine Überdosis, im Zusammenhang mit selbst gepanschtem mexikanischen Alkohol, eine noch verheerendere Wirkung hatte, als ein Vollrausch mit Hochprozentigem.

Alles um ihn herum schien so unwirklich, obwohl es seine gefühlte Realität war, das alles hier war doch real, oder? Er sah unbeeindruckt von Panthern und Schüssen auf das Wasser hinaus. Das war doch Tunca Porca dort im Wasser, oder?

Er fuhr erschrocken herum, als ihm plötzlich jemand die Hand auf die Schulter legte. Dann blickte er direkt in das Gesicht eines Wesens, dessen Kopf dem eines ausgewachsenen Mantas glich. Tunca Porca starrte ihn direkt aus seinen funkelnden Augen an und sagte mit einer unnatürlich blechernen Stimme: “Hey Süßling, was guckst du denn so blöd?“

Dann lachte Tunca Porca und lief halb tanzend, halb gehend, zurück in die Dunkelheit. Die Kriegsbemalung auf Rücken und Brust hatte inzwischen ihre kräftige Farbe verloren. Dann tauchte aus dem Dickicht ein zweiter Mantakopf auf und rief: “Manfredo, was tust du hier? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das ist viel zu gefährlich!

Verdammt, kann man euch beide denn nicht mal eine Stunde aus den Augen lassen? Ab zurück ins Dorf!“ „Aber ich habe Tunca Porca gesehen...!“, sagte Manfred und deutete auf das Wasser. „Da, dort vorne ist es!“ „Ja, da ist in der Tat etwas im Wasser, Manfredo! Und es frisst gerade. Sei froh, dass der Alligator dir diesen Vergleich nicht übel genommen hat. Los komm jetzt!“





Experiment Electrophorus - Kurzbeschreibung

Manfred Säuerling und Georg Rosenrunge, zwei Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe, zwei Wissenschaftler auf zwei unterschiedlichen Gebieten, zwei Freunde mit unterschiedlichen Interessen, zwei Welten, die aufeinander treffen. Und doch haben die beiden etwas gemeinsam: die Vorliebe für das Abenteuerliche und die Faszination der Natur.

. Während einer Forschungsreise durch den tropischen Regenwald machen er und Rosenrunge schließlich eine bahnbrechende Entdeckung: biologische Energieressourcen, das Tier als Kraftwerk – die Operation Electrophorus beginnt. Aus der Entdeckung wird erst eine utopische Idee, dann eine Vision und schließlich gelingt es den beiden – ganz nach Alexander von Humboldts Theorien und einer Menge Experimente später – genau diese ungeahnte Stromquelle massen- und auch netztauglich zu machen.

Eine ganze neue Ära der Energiegewinnung beginnt und bedeutet somit das Aus für monopolisierte Preistreiberei herkömmlicher Energieerzeuger. Doch diese weltbewegende Entdeckung bringt nicht nur weitere Nominierungen für den Nobelpreis, sondern auch Schattenseiten – der Kampf der Giganten beginnt.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die Rituale müssen beide mitmachen, ein aus Baumrinde und geheimen Zutaten gemischtes Pulver müssen sich die Beiden in die Nase mit riesigen Rohren blasen lassen. Wird das ein Höllenflash?

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