Die Abreise
In den darauffolgenden Tagen verbrachten sie viel Zeit miteinander und sie wünschten sich, dass die Zeit stehenbliebe, da sie spürten, dass sie füreinander geschaffen waren. Odalys liebte diesen Mann, der so plötzlich im Regenwald zu ihren Füßen gelegen hatte. Das hatte sie schon in dem Augenblick gefühlt, als sie ihm zum ersten Mal in die Augen sah und seine vom Fieber schweißnasse Stirn abtupfte. Doch da war dieser dunkle Schleier der Zukunft, der sich mit jedem weiteren gemeinsamen Tag auf ihre Liebe legte.
Es wurde Zeit für Säuerling und Rosenrunge, wieder abzureisen. Lange Zeit hatten sie dieses Thema einfach verdrängt. Es war Manfred, der sich schließlich ein Herz fasste, Odalys an einen benachbarten See entführte und schließlich das Gespräch begann, was er schon seit Tagen so fürchtete.
„In ein paar Tagen ist es soweit, wir müssen abreisen. Die Pflicht ruft uns nach Deutschland zurück und ich muss ihr gehorchen, so sehr mir das auch missfällt.“
Odalys sah ihn traurig an.
„Das heißt, dass wir uns für lange Zeit nicht sehen werden?“ Er nickte und umarmte sie zärtlich. Und während er sein Gesicht in ihre duftenden Haare grub schöpfte er Mut, um ihr die Frage zu stellen, die ihm schon seit Tagen auf der Seele brannte. „Warum kommst du nicht mit mir nach Deutschland?“
Sie erstarrte unter seinen Armen, dann suchte sie seinen Blick.
„Ich? Mit nach Deutschland? Mit dir?“
„Ja!“
„Nein!“, rief sie empört. „Ich kann doch nicht einfach...ich weiß doch gar nicht wie...Deutschland ist kein gutes Land!“
„Wer behauptet das?!“
„Na alle! Hier sind Deutsche vielleicht gute Touristen und bringen gutes Geld und haben Spaß mit den Frauen des Landes, aber in ihrem eigenen Land sind sie das reinste Grauen.“
„Und was genau macht Deutschland so grauenhaft, wenn ich fragen darf?“, lächelte Manfred und war bereit, sämtliche Vorurteile mit einem Satz aus dem Weg zu räumen.
Sie überlegte kurz und sagte: „Die Deutschen sind grundsätzlich unfreundlich und ernähren sich nur von Sauerkraut und Weißwurst.“
„Das ist ein weitverbreiteter Irrglaube oder findest du mich unfreundlich? Und die deutsche Küche hat weitaus mehr zu bieten. Bei uns gibt es auch Queso Campesino – Bauernkäse - Avocados und sogar italienische Pizza! Wenn du willst, koche ich dir auch jeden Tag dein Lieblingsessen – was ist denn dein Lieblingsessen?“
„Churrasco misto, mit einer zarten Tempero und einer leckeren Molho!“
„Ja, das hört sich in der Tat sehr lecker an – koche ich dir!“ Was immer es auch sein mag!, schob er in Gedanken noch nach.
„In Deutschland ist es immer kalt!“, fuhr Odalys ungerührt fort.
„Nein, wir haben auch wunderschöne Sommer. Für den Rest sorgt die richtige Kleidung und ein gut gehendes Heizsystem – im Notfall wärme ich dich unter einer kuscheligen Wolldecke vor einem offenen Kamin.“
„Die Deutschen sind Faschisten. Ich habe vor einigen Wochen noch einen Aufmarsch von ihnen im Fernsehen bei BBC gesehen. “
„Das faschistische Deutschland war einmal und es ist lange her. Das, was du dort siehst, ist ein kleiner Haufen Scheißtypen, die sich ein bis zweimal im Jahr vor den Kameras dieser Welt postieren. Aber die findest du überall auf der Welt, meine Schöne, nicht nur bei uns im schönen Deutschland.“
„Was ist an Deutschland schön?“
Manfred nahm die Denkerposition ein und suchte vor seinem inneren Auge all die Schönheiten von Deutschland, die er jetzt als überzeugendes Argument darlegen konnte. Doch wo sollte er anfangen?
„Deutschland ist das Land der großen Musiker und Dichter. Ohne uns gäbe es nicht Beethovens Sinfonien und auch nicht die geistlichen Kantaten von Bach, oder Richard Wagners Faust-Overtüre.
Apropos Faust: wir haben Goethe, wir haben Schiller...und wir haben die Lüneburger Heide und den romantischen Rhein!“
Er sah Odalys an und spürte, dass er nicht gerade bei ihr gepunktet hatte. "Wir haben zwar keinen Regenwald zu bieten, aber auch unsere Flora und Fauna kann sich blicken lassen. Wenn du Berge magst, reisen wir in den Süden und ich zeige dir die Alpen. Dort kann man sogar Ski fahren.
Odalys warst du schon einmal Ski fahren...hast du überhaupt in deinem Leben schon mal echten Schnee gesehen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Das will ich auch gar nicht. Schnee ist...."
"Wunderschön, wenn er im Januar in der Sonne glitzert und dir ein Meer aus Kristallen vor die Augen zaubert..." Er zeichnete die Pracht seiner Gedanken in die Luft und Odalys fiel es schwer zugeben zu müssen, dass sie seiner Fantasie gut folgen konnte. Auch wenn sie Schnee bisher nur aus dem TV oder aus der Ferne, auf Berggipfeln, kannte. Doch sie schüttelte den Kopf und antwortete: "Kristalle hin oder her - Schnee ist kalt! Ich bin eine warmblütige Kolumbianerin, wenn man mich in einen Kühlschrank sperrt, erfriere ich."
"Ist das wechselhafte Klima wirklich das größte Problem, was du hast?"
Sie senkte den Kopf und schwieg.
"Es liegt an mir, oder?"
Sie schwieg immer noch.
"Du vertraust mir nicht."
Keine Antwort.
"Ich verlange ja nicht von dir, dass du hier sofort deine Zelte abbrichst und alles zurücklässt, um mit mir ins Ungewisse zu reisen. Wie wäre es mit einem dreiwöchigen Urlaub in meinem Land, ich kaufe auch sogleich das Rückflugticket, damit du dir sicher sein kannst, auch wieder abreisen zu können, wenn du abreisen willst.
Drei Wochen Urlaub bei mir in Hamburg, mehr verlange ich nicht. Lerne mich und mein Leben kennen! Lerne mich und mein Land kennen und glaube mir, du wirst es lieben."
"Ich lebe und arbeite hier. Nein, hier arbeite ich, um zu überleben und auch dafür, dass meine Familie überlebt. Ich habe hart dafür gekämpft, dass ich hier in diesem Hospital arbeiten kann. Wenn ich nicht mehr arbeite, wird meine Familie sang- und klanglos untergehen. Meine Eltern sind schon sehr alt und mein Vater ist auch sehr krank, sie können nicht mehr viel tun. Nicht auszudenken, wenn ich meine Arbeit verlieren würde."
"Darüber mach dir mal keine Sorgen!"
"Doch! Das tue ich aber!", fuhr sie ihn ungewollt an und er spürte, wie die Verzweiflung in ihr zu brodeln begann. "Kennst du überhaupt die andere Seite unseres Landes? Die Seite, die sich jenseits von der Zuckerseite Bogotás erstreckt? Und die sich auch jenseits von den Eingeborenen abspielt?
Die Eingeborenen sind ein glückliches Volk. Sie brauchen kein Geld, um zu überleben. Sie jagen oder fangen sich ihr Essen und nähen sich ihre Kleidung selbst. Manchmal wünschte ich, ich wäre auch eine von ihnen. Aber ich bin es nun mal nicht und somit lebe ich, wie auch meine Eltern, und viele andere Menschen in diesem Land, in Hinterhöfen, auf der anderen Seite. Hier kann man nur mit Geld oder mit guten Tauschgeschäften überleben.“
„Ich weiß, meine Liebe, ich weiß. Mit deiner Intelligenz kannst du vielmehr erreichen, wenn man dir die Möglichkeiten dazu gibt. Damit kannst du dann deine Eltern dauerhaft unterstützen. In Deutschland hättest du einen gut bezahlten Job im Tropeninstitut sicher. Ein Wort von mir und du bist mit im Boot.“
Sie sah ihn erstaunt an.
"Einen Job? In einem Tropeninstitut? In Deutschland?"
Er nickte lächelnd.
"So einfach ist das, ja?“
Er nickte wieder.
„Und was macht dich da so sicher? Ich spreche doch eure Sprache so gut wie gar nicht und mein Englisch ist mehr als schlecht, und...."
"Wenn ich sage, dass du dort eine gute Anstellung bekommst, dann ist das keine Annahme, sondern ein Versprechen. Du hast ideale Voraussetzungen. Du hast einen hervorragenden Abschluss und eine Berufsausbildung. Du hast Erfahrungen im medizinischen Bereich, und was die Sprache betrifft....die bringe ich dir schon bei!"
„Du willst allen Ernstes, dass ich mit dir nach Deutschland komme,?“
Er nickte und nahm ihre Hand. „Nenn mich verrückt, aber als ich da im Krankenhaus gelegen und dich an meiner Seite gespürt habe, wusste ich schon, dass du die Frau bist, die ich niemals gehen lassen würde....wenn ich jemals wieder aufwachen sollte. Ich bin wieder aufgewacht.
"Okay, ich tue es!"
„Wie bitte?“
„Ich fahre mit dir nach Deutschland...Urlaub machen“
"Okay?! Was war noch mal die Stelle, die dich überzeugt hat?"
Sie schwieg und sah ihn fragend an. Warum willst du das wissen?“
"Damit ich sie mir für das nächste Mal merken kann!"
Sie lachte. "Die Stelle, die mich überzeugt hat, war die Erkenntnis, dass Deutschland wahrhaftig etwas Schönes zu bieten hat."
"Und das wäre?!"
"Dich!"
Sie küsste ihn.
"Aber nicht, dass wie uns falsch verstehen. Ich mache nur drei Wochen Urlaub und dann fahre ich wieder nach Hause, okay?!"
"Das werden wir noch sehen, ob du wieder nach Hause fährst..."
"Keine Widerrede, sonst überlege ich es mir doch noch anders."
Experiment Electrophorus - Kurzbeschreibung
Manfred Säuerling und Georg Rosenrunge, zwei Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe, zwei Wissenschaftler auf zwei unterschiedlichen Gebieten, zwei Freunde mit unterschiedlichen Interessen, zwei Welten, die aufeinander treffen. Und doch haben die beiden etwas gemeinsam: die Vorliebe für das Abenteuerliche und die Faszination der Natur.
. Während einer Forschungsreise durch den tropischen Regenwald machen er und Rosenrunge schließlich eine bahnbrechende Entdeckung: biologische Energieressourcen, das Tier als Kraftwerk – die Operation Electrophorus beginnt. Aus der Entdeckung wird erst eine utopische Idee, dann eine Vision und schließlich gelingt es den beiden – ganz nach Alexander von Humboldts Theorien und einer Menge Experimente später – genau diese ungeahnte Stromquelle massen- und auch netztauglich zu machen.
Eine ganze neue Ära der Energiegewinnung beginnt und bedeutet somit das Aus für monopolisierte Preistreiberei herkömmlicher Energieerzeuger. Doch diese weltbewegende Entdeckung bringt nicht nur weitere Nominierungen für den Nobelpreis, sondern auch Schattenseiten – der Kampf der Giganten beginnt.
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Nach dem Schlangenbiss und etlichen Wochen der Heilung
endlich wieder zurück nach Deutschland. Kommt Odalys Ramirez mit nach Deutschland?
Auch wenn es vielleicht nur drei Wochen sind?