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Der Hof

 

1

Ellinor erstarrte, als sie die dunkle Gestalt auf dem Hof sah. Der Mond schien gerade hell genug, dass man im Stockfinsteren überhaupt irgendwas sehen konnte. Die Person war ebenso erstarrt. Es war ein kleiner drahtiger Mann in zu großen Sachen, vermummt mit einem Schal.

Ellinor nahm ihren ganzen Mut zusammen und holte Luft: „Hallo?“.

Der Mann antwortete nicht. Stattdessen stand er nur da. Ellinor machte einen selbstbewussten Schritt auf ihn zu. Sie hörte nun aus dem Haus Rascall und Foxy knurren. Die beiden Hunde kannten diese Person also auch nicht. Genau in dem Moment lief der Mann los, schnellen Schrittes auf die entsetzte Ellinor zu. Die versuchte immer noch krampfhaft, ihn zu erkennen. Das Einzige, was sie nun aber sah, war die Pistole in seiner Hand. Geschockt wich sie zurück. Der Fremde hob den Arm mit der Pistole und mit einem tiefen Grollen, sprang der große hellbraune Bullmastiff Rüde Rascall plötzlich an Ellinor vorbei und mit einem gewaltigem Satz, dem Angreifer an die Brust, dass es ihn umwarf. Ellinor schrie auf. Da schoss die kleine rotbraune Corgie Hündin Foxy auch an ihr vorbei und verbiss sich im Knöchel des Mannes. Ein dumpfer Schrei entglitt ihm. Rascall stand böse knurrend über ihm, mit gefletschten Zähnen und gesträubten Nackenhaaren. Dann passierte es. Der Typ schoss und Rascall jaulte. Ellinor schrie wieder. Foxy ließ den Knöchel nicht los und Rascall packte mit seinem gewaltigen Kiefer und den riesigen Zähnen den Kerl am Hals.

„Rascall!“, schrie Ellinor nun.

Der mächtige Hund biss dem Fremden nun in die Schulter. Der keuchte, ächzte, zappelte und kämpfte mit dem Hund. Plötzlich sackte Rascall in sich zusammen. Der Angreifer stieß den schweren Hund von sich und rappelte sich hoch. Ellinor schnappte Foxy am Genick und zog sie weg von ihm. Er drehte sich einfach schwer stöhnend rum und flüchtete humpelnd. In der schwarzen Nacht verschwand er vom Hof, so wie er aufgetaucht war. Zurück blieb die geschockte Ellinor. Es polterte und schepperte im Haus und unten an der Tür tauchten Kyle, Rebecka und Victor auf. Ellinor brach über Rascall zusammen. Alles war voller Blut. Der Hund lag leblos da. Foxy winselte.

„Was ist passiert?“, rief Victor laut.

„Rascall...“, schluchzte Ellinor und drückte ihr Gesicht an die Hundeschnauze.

Victor und Rebecka sahen zu allen Seiten. Kyle sank neben Ellinor nieder und zog sie an sich heran.

„Er hat Rascall erschossen.“, weinte Ellinor bitterlich.

Victor lief hastig los, über den Hof und verschwand. Rebecka sah völlig verstört aus beim Anblick des Blutes.

„Wer?“, fragte sie. „Das ist doch nicht dein Blut, oder?“.

„Er ist bewaffnet.“, rief Ellinor nur aufgelöst. „Hol Vic zurück!“.

Rebecka rannte los.

„VIC!“, schrie sie in die Nacht.

Kyle hielt die völlig panische Ellinor in den Armen.

„Er hat Rascall erschossen.“, wiederholte sie zitternd. „Er hat ihn einfach erschossen.“.

Kyle sah den Hund an, wie er leblos da lag. Foxy saß neben ihm und schaute Ellinor treu an.

„Bist du... verletzt?“, fragte Kyle nun.

Ellinor schüttelte den Kopf und weinte. Kyle atmete tief durch.

„Es tut mir so Leid!“, hauchte er und drückte Ellinor, so fest er konnte, an sich. „Es tut mir so – so – so – so Leid! Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.“.

 

Zwei Tage vorher:

 

„Zieh dich an!“, lachte Ellinor und band ihre rotblonden Haare zu einem Zopf zusammen. „Die anderen sind gleich hier.“.

Kyle brummte genervt und suchte seine Sachen zusammen.

„Nicht mal eine Woche sind wir zwei alleine hier draußen und schon hat man die ganze Bande wieder am Hals.“, stöhnte er.

Ellinor lächelte und sah zum Fenster hinaus. Sie wusste, dass er es nicht so meinte.

Es war genau ein Jahr vergangen und wieder hatte gerade der Frühling begonnen. Ellinor und Kyle waren für eine Woche in die Berghütte von William und Olivia gefahren um etwas Urlaub zu machen. Nun hatten sich für den letzten Abend Rebecka, Victor und Josh angekündigt. Kyle stellte sich hinter Ellinor, umfasste ihre schmale Taillie und küsste ihre Schulter.

„Da, sie kommen!“, rief Ellinor.

Das Auto fuhr gerade den holprigen Weg zur Hütte auf sie zu. Kyle ignorierte sie und küsste ihren Hals. Ellinor drehte sich um und schaute hoch in seine stahlblauen Eisaugen. Er hatte alles bis auf sein Shirt angezogen.

„Wo ist dein T-shirt?“, fragte Ellinor.

Er zuckte mit den starken muskulösen Schultern und schaute zurück in ihre grünen Augen. Er kam näher mit seinem Gesicht an ihres heran. Ellinor legte ihm ihren Zeigefnger auf den Mund.

„Nein!“, sagte sie streng.

Er verdrehte die Augen und sie strich ihm mit den Händen seine dunkelblonden Haare zurecht. Kyle sah sie immer noch an und ließ ihre Hüften nicht los.

„Du siehst aus, wie gerade aus dem Bett gefallen.“, stellte Ellinor fest.

Draußen parkte das Auto vor der Hütte.

„Liegt daran, dass wir tatsächlich seit Tagen nur im Bett sind.“, erklärte Kyle ruhig und schaute jetzt etwas belustigt zu ihr herunter.

Ellinor schob ihn jetzt mit ihren Händen gegen seine nackte Brust, etwas weg von sich und schaute an ihm vorbei.

„Dort hinten liegt dein Shirt!“, sagte sie.

Kyle stöhnte wieder. Draußen war erst das Zuschlagen der Autotüren und dann Stimmen zu hören. Ellinor huschte zur Tür und öffnete sie.

„Huhuuu!“, rief Rebecka von draußen und ihr brauner Lockenkopf erschien in der Tür.

Sie, die mächtige riesige Gestalt von Victor und schließlich auch Josh, der seine blondierten Haare nicht mehr auf einer Seite lang und auf der anderen kurz, sondern nur noch oben auf dem Kopf etwas länger trug als an den Seiten, traten ein und umarmten Ellinor einer nach dem anderen.

„Stören wir schon wieder?“, fragte Josh der Kyle zusah, wie der sich das Shirt anzog.

„Immer!“, brummte Kyle. „Prinzipiell immer!“.

„Hört nicht auf ihn!“, entgegnete Ellinor.

Victor grinste: „Du hattest sie ja jetzt lange genug für dich.“.

 

2

Die Sonne ging langsam unter und die Fünf grillten vor der Hütte. Der Frühling brachte eine kühle Brise über die Berge. Sie waren alle ein Jahr älter geworden. Ellinor war mittlerweile 26 Jahre alt und, wie geplant, Rangerin im Nationalpark geworden. Rebecka war 29 und arbeitete mittlerweile mit Noahs Frau Cally zusammen im Laden in Golden Falls. Sie hatten sich auf Braut und Festmode spezialisiert und während Cally Näh- und Schneiderarbeiten machte, übernahm Rebecka das Frisieren und Schminken der Kundschaft. Josh der mittlerweile 27 ist, war bei Kyle und Victor im Tankstellen eigenen Cafe mit eingestiegen. Victor war nun 33 Jahre alt und Kyle war vor kurzem 32 geworden. Sie führten sehr erfolgreich die Tankstelle und die daneben liegende Autwerkstatt. Nach wie vor leben alle auf dem Hof von Ellinors Onkel William und ihrer Tante Olivia. Ebenso wie deren Sohn und Ellinors Cousin, Noah mit Frau Cally, Sohn Diego und Adoptivtochter Sadie.

Sie hatten gegessen und saßen zusammen mit Flaschenbier auf der Veranda vor der Hütte und unterhielten sich. Die Bäume rauschten leicht im Wind. Victor stand irgendwann auf, ging zum Auto und holte aus dem Kofferraum des Autos eine Flasche Sekt. Er kam zurück zu den anderen und stellte sie auf den kleinen Tisch. Ellinor und er tauschten einen flüchtigen Blick. Rebecka, Kyle und Josh schauten etwas fragend. Ehe jemand etwas sagen konnte, schnappte sich Victor Rebeckas Hand, zog sie von der Bank hoch und fiel im gleichen Zug vor ihr auf die Knie.

„Heilige Scheiße!“, rief Josh, der es sofort ahnte.

Rebecka war verwirrt. Ellinor lächelte unwillkürlich.

„Becka, ich liebe dich! Kurz und schmerzlos... Willst du meine Frau werden?“, fragte Victor und zog einen Ring aus der Hosentasche.

Rebecka riss die Augen auf und schlug sich die Hände vor den Mund. Kyle schlief das Gesicht ein. Ellinor lächelte noch breiter. Josh stieß ein Schrei aus, als würde er in Ohnmacht fallen.

„Ist das dein Ernst?“, fragte Rebecka hinter den vorgehaltenen Händen.

„Ja, verdammt.“, antwortete Victor und hielt ihr den Ring hin. „Willst du?“.

Rebecka ließ die Hände sinken und nickte hektisch. Ihre Augen wurden nass. Victor steckte den Ring an ihren Finger. Ellinor klatschte jubelnd.

„Oh mein Gott!“, stieß Josh aus und fechelte sich mit beiden Händen Luft zu. „War das ein ja? Es war ein ja, oder?“.

„Ja!“, quiekte Rebecka und Victor stand auf und küsste sie.

Kyle sah den beiden ungläubig zu. Ellinor und Josh sprangen auf und drückten erst Rebecka und dann Victor. Kyle erhob sich nun auch schnell.

„Sooooo toll!“, rief Josh aufgeregt.

Die sonst so toughe Rebecka war immer noch sprachlos und schaute ihren Ring an.

„Herzlichen Glückwunsch.“, wünschte Kyle und umarmte Rebecka nun auch.

„Elli, hat mich beraten.“, meinte Victor nun.

„Du hast es gewusst?“, fragte Rebecka und sah Ellinor an.

„Ja... Schon...“, antwortete die.

Kyle sah Ellinor nun ebenfalls an.

„Sie musste seit einigen Tagen dicht halten.“, sagte Victor.

„Und es fiel mir nicht leicht.“, fügte Ellinor hinzu.

„Anstoßen!“, rief Josh und lief in die Hütte um Gläser zu holen.

Victor machte sich daran die Sektflasche zu öffnen.

 

Die Sonne war untergegangen und Ellinor war kurz in die Hütte gegangen, um noch ein paar Flaschen Bier zu holen. Kyle folgte ihr schnell.

„Du hast gewusst, das Vic Becka einen Antrag machen will?“, fragte er sie in der Küche.

„Ja.“, antwortete Ellinor und nahm Bier aus dem Kühlschrank.

„Heute? Hier?“, fragte Kyle sofort weiter.

„Ja, er wollte meine Meinung wissen.“, entgegnete Ellinor und drehte sich zu Kyle um. „Wieso?“.

Kyle sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Und du hast es für dich behalten?“.

Ellinor legte den Kopf etwas schief und sah zu Kyle hinauf: „Ja.“.

Kyle nahm ihr die Flaschen ab.

„Du hättest mich vorwarnen können!“, meinte Kyle knurrig.

Ellinor lächelte: „Vorwarnen? Naja, es sollte ja eine Überraschung sein...“.

„Tolle Überraschung.“, erwiderte Kyle. „An unserem letzten Urlaubstag... In unserer Hütte...“.

„Unsere Hütte?“, lachte Ellinor jetzt auf. „Was ist los? Freust du dich nicht für die beiden?“.

„Doch!“, sagte Kyle hastig. „Doch... Aber... Warum hat Vic denn nicht mit mir vorher gesprochen darüber?“.

„So unter Männern? Ernsthaft?“, seufzte Ellinor. „Er wollte gern, das du, ich und Josh dabei sind, wenn er Becky fragt.“.

„Er hätte mich wirklich darauf vorbereiten müssen.“, entgegnete Kyle.

Ellinor sah ihn ruhig an: „Was ist denn dein Problem?“.

„Mein Problem ist, das mich nun jeder, der von Becka und Vic erfährt, fragen wird, wann wir zwei heiraten werden.“, meinte Kyle leicht verärgert.

„Oh...“, machte Ellinor nur.

„Ja...“, erwiderte Kyle.

Ellinor trat an Kyle ran, hob ihr Kinn, reckte sich nach oben und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

„Keiner wird so was fragen.“, sagte sie dann und lächelte.

 

3

Am darauf folgenden Tag kamen die Fünf wieder zurück auf dem Hof an. Gerade beluden William, Olivia, Noah und Cally den Kleinbus mit Koffern und Taschen. Die beiden Kinder liefen lachend, mit den beiden Hunden Rascall und Foxy, auf dem Hof herum. Sofort wurde die Neuigkeit der bevorstehenden Hochzeit erzählt und alle freuten sich und gratulierten. Ellinor ging zu dem fünfjährigen Diego und der eineinhalb jährigen Sadie.

„Hey, fahrt ihr dann in den Urlaub?“, fragte sie lächelnd und strich beiden über den Kopf.

„Ja!“, rief Diego aufgeregt.

Kyle trat neben Ellinor und hob Diego mit dem einen Arm und Sadie mit dem anderen Arm hoch. Die Kinder kicherten.

„Ihr beiden müsst doch hier bleiben und die Tiere versorgen.“, sagte er ernst.

„Nein, das machst du doch!“, erwiderte Diego sofort.

Ellinor lachte.

„Hey, warum macht ihr nicht eigentlich gleich ne Doppelhochzeit?“, rief nun Josh.

„Ja Kyle, wann fragst du Elli?“, meinte Noah sofort grinsend.

Kyle stöhnte auf und setzte die Kinder ab.

„Uns reicht der Trauzeugen Posten.“, antwortete Ellinor schnell.

Kyle sah Ellinor an: „Es wird keiner fragen, hm?“.

 

Es war Abend geworden und William, Olivia, Noah und Cally waren mit den beiden Kinder in den Urlaub aufgebrochen. Die erste Hochzeitsaufregung hatte sich gelegt. Ellinor und Josh bewunderten noch immer Rebeckas Ring und es wurde über einen guten Hochzeitstermin philosophiert. Irgendwann war es spät und Ellinor und Kyle waren auf ihrem Zimmer. Kyle sah Ellinor von der Seite an.

„Was ist?“, fragte sie.

Er nahm sie in den Arm und küsste sie. Dann sah er sie wieder an.

„Du wirst darüber nachdenken. Vielleicht nicht jetzt aber irgendwann...“, meinte er.

Ellinor sah zu ihm hoch.

„Ich weiß nicht...“, sagte sie unsicher. „Es ist doch alles gut so... Oder nicht?“.

Kyle nickte: „Ja.“.

Dann seufzte er und schüttelte den Kopf.

„Ich hab ja nicht mal gedacht, dass ich überhaupt je eine Beziehung führe...“, meinte er. „So was wie heiraten, ist für mich völlig fremd. Eigentlich war es das für Vic auch immer. Es kommt der Tag, da erwartest du mehr. Dann wird es dir nicht genug sein.“.

Ellinor suchte kurz nach Worten.

„Ich erwarte nichts. Du solltest dich wegen der Sache wirklich nicht so stressen.“, sagte sie dann behutsam.

„Du bist immer so... zufrieden.“, meinte Kyle.

„Ja... bin ich auch.“, entgegnete Ellinor.

„Ich bin weder der Typ für Heiratsanträge, was ich bis gestern auch von Vic dachte, noch halte ich mich für Ehe geeignet.“, redete Kyle weiter.

Ellinor lachte auf: „Was ist denn Ehe geeignet?“.

„Wegen mir kann es immer so laufen wie bisher.“, meinte Kyle nur.

„Okay.“, nickte Ellinor.

„Sag nicht okay!“, brummte Kyle. „Das ist nicht okay. Du wirst irgendwann jemanden suchen der dich fragt.“.

„Ich denke nicht.“, sagte Ellinor entschlossen. „Bisher hast du dich auch verändert, oder? Dein ganzes Leben im Gegensatz zu früher. Man wächst mit der Zeit in Sachen hinein.“.

„Du bist eindeutig die Nichte eines Psychologen.“, stöhnte Kyle. „Was ist, wenn ich morgen aufwache und wieder Drogen nehme? Oder neue Schulden mache?“.

Ellinor sah ihn irritiert an.

„Du hast Bedenken deswegen?“, fragte sie.

„Nicht so lange du da bist!“, antwortete Kyle. „Aber ich weiß nicht, ob ich dich halten kann mit deinen Erwartungen an das Leben in Zukunft.“.

„Oh Gott scheiße!“, entfuhr es Ellinor und ließ Kyle los. „Was denn für Erwartungen? Wir lassen doch alles auf uns zukommen und nehmen es wies kommt, oder nicht?“.

„Hier auf dem Hof?“, fragte Kyle und ließ Ellinor jetzt ebenfalls los. „Das ist für dich dein Leben lang in Ordnung?“.

„Ich liebe es hier.“, betonte Ellinor.

„Bis, wie du selber gesagt hast, man mit der Zeit in etwas hinein wächst und dann willst du plötzlich was anderes.“, sagte Kyle schroff. „Ich wohne gerne hier und bin nicht gemacht für ein langweiliges Stadthäuschen mit weißem Gartenzaun, Rasen mähen im Vorgarten, Hecke schneiden und Kinder...“.

Er brach ab.

„Ehrlich? Kinder?“, fragte Ellinor leise und schluckte.

„Das hätte ich weg lassen sollen. Tut mir Leid!“, erwiderte Kyle hastig.

Ellinor atmete tief durch und drehte sich der Tür zu.

„Elli, entschuldige!“, versuchte es Kyle erneut und wollte ihren Arm fassen.

Aber sie entzog sich ihm und öffnete die Tür.

„Lass mich!“, zischte sie, ging aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

 

4

Es ist bald ein Jahr her, als Ellinor die Not OP hatte, bei der ihr die Eierstöcke entfernt werden mussten. Einen intensiven Kinderwunsch hatte sie noch nie gehabt, aufgrund ihrer eigenen Kindheit und auch bisher, hatte sie sich darauf eingestellt. Würde Kyle nun doch irgendwann den Wunsch entwickeln, obwohl auch er ursprünglich keine eigenen Kinder wollte? Aus dem Hochzeitsgespräch wurde Ellinor nicht schlau. Der Antrag in der Berghütte hatte irgendwas ausgelöst. Während sie versuchte das Chaos im Kopf zu sortieren, ging sie die Treppe runter. Kyle hing an seiner Nichte Sadie und er war so froh, das Cally und Noah sie adoptiert hatten, nachdem Kyles Schwester Madison bereits zum zweiten mal das Baby zurück gelassen hatte. Auch Diego mochte er und die beiden Kinder verstanden sich sehr gut mit Kyle. Was also hatte sich in einem Jahr an Kyles Haltung zu Kindern geändert? Da sah Ellinor einen Schatten draußen am Küchenfenster vorbei huschen. Die Hunde knurrten leise von ihrem Sofa aus. Ellinor ging langsam zur Tür und wartete.

„Psst!“, machte sie zu den Hunden.

Jemand ging auf dem Hof umher aber ausser Ellinor, Kyle, Rebecka, Victor und Josh war niemand da. Die Gestalt hatte doch eben versucht durchs Küchenfenster rein zu sehen.

 

Der Polizeiwagen stand mitten auf dem Hof. Zwei Kollegen von Noah waren gekommen. Ellinor hielt Foxy auf dem Arm an sich gedrückt. Kyle hielt sie in den Armen. Neben ihnen lag Rascall am Boden. Rebecka, Victor und Josh standen da. Sie hatten alles kontrolliert auf dem Hof aber es schien nichts zerstört oder weg zu sein. Die Polizei ging davon aus, das der Angreifer gewusst hat, dass Noah mit der ganzen Familie in den Urlaub gefahren war und wollte vermutlich Beute machen auf dem Hof. Jedoch kam nun der Funkspruch durch, das man die blutüberströmte Leiche des Angreifers nicht weit von hier gefunden hatte. Rascall hatte die Halsschlagader erwischt. Die Fünf sollten am nächsten Morgen aufs Revier kommen, um den Mann eventuell zu identifizieren. Es wurde einstimmig beschlossen, Noah nicht in seinem wohlverdienten Familienurlaub zu kontaktieren und ihm von dem Vorfall zu berichten. Die beiden Polizisten fuhren, mit dem, in ein Laken eingewickelten toten Hund, in ihrem Streifenwagen wieder davon. Ellinor weinte wieder. Die Fünf gingen nach drinnen und ließen sich im Wohnzimmer auf den Sofas nieder. Keiner wollte schlafen. Kyle hielt die aufgelöste Ellinor in den Armen, die Foxy nicht mehr los ließ, und bereute den dämlichen Streit.

 

Am nächsten Morgen waren alle zeitig wach. Sie hatten die ganze Nacht im Wohnzimmer verbracht aber nicht viel geschlafen. Ellinor nahm sich den heutigen Tag frei. Ebenso wie Kyle. Sein Kollege übernahm die Autowerkstatt alleine. Victor und Josh hatten zum Glück Angestellte für die Tankstelle und das Cafe. Rebecka machte den Laden sowieso erst später auf. Also versorgten sie auf dem Hof zunächst alle Tiere und fuhren dann aufs Revier. Drinnen empfing sie bereits Noahs Chef, Officer Moore, und winkte sie direkt heran. Die Fünf folgten dem kräftigen Glatzkopf mit dem Schnauzbart. Er ging nicht in sein Büro sondern direkt zum Fahrstuhl.

„Wir fahren gleich in den Keller.“, sagte er und drückte auf den Knopf. „Wie geht’s euch? Seid ihr okay soweit?“.

„Ja... schon.“, antwortete Victor knapp.

„Wir lassen den Hof einige Zeit von Kollegen überwachen.“, fuhr Officer Moore fort und die Fahrstuhltür ging auf.

Sie traten ein und der Chief Officer drückte den Keller Knopf.

„Er ist doch tot... der Einbrecher.“, sagte Rebecka.

Officer Moore nickte: „Ja aber vielleicht wollte er nicht nur einbrechen und etwas stehlen.“.

Ellinor hielt die Luft an. Der Aufzug fuhr nach unten.

„Es gibt doch nichts zu holen auf dem Hof.“, sagte nun Kyle. „Merkwürdig ist das schon.“.

Alle stiegen aus und folgten Officer Moore den Gang entlang.

„Vielleicht könnt ihr mir sagen, wer er ist.“, meinte der und betrat einen großen hell beleuchteten Raum.

Es war kalt hier drin. Die Fünf sahen sich um. Ein langer schlanker Arzt im weißen Kittel und ebenso weißen Haaren sah von einer Akte auf.

„Doctor Pierson, unser Mediziner...“, stellte Officer Moore flüchtig vor und der Arzt nickte den Fünf zu.

Die grüßten knapp zurück. Der Doktor drehte sich direkt einem Tisch zu, auf dem eine Person unter einem Laken lag und schlug dieses ohne langes Fackeln zurück. Die Fünf starrten auf einen dürren ungepflegten Mann, vielleicht Anfang 40, mit eingefallenen Wangen, buschigen Augenbrauen und zerzausten Haaren. An Hals und Schulter war er förmlich zerfetzt. Es waren Rascalls Bissspuren. Es war ernüchternd, denn es war kein bekanntes Gesicht.

„Der Hund hat ihn so erwischt, dass ihn nur noch das Adrenalin so weit hat rennen lassen. Er ist verblutet.“, sagte Officer Moore in das Schweigen hinein. „Lasst euch einen Moment Zeit, wenn ihr das braucht!“.

„Ich kenn ihn definitiv nicht.“, meinte Josh sofort mit etwas erstickter Stimme.

Er fand den Anblick irgendwas zwischen wiederlich und gruselig.

„Ich glaube, keiner von uns kennt ihn.“, sagte Victor. „Oder?“.

Ellinor, Kyle und Rebecka schüttelten die Köpfe.

„Abgesehen von den Bisswunden, sieht der ja nun wirklich auch nicht gesund aus.“, stellte Kyle fest.

„Nein, der Mann war stark Drogen abhängig.“, sagte nun Doctor Pierson. „Wir haben eine ganze Palette an Substanzen in seinem Blut gefunden.“.

„Okay... und nun?“, fragte Rebecka jetzt.

„Können wir Rascall bitte mitnehmen?“, fragte Ellinor leise.

„Den Hund...“, fing Doctor Pierson an. „Ja, den könnt ihr dann mitnehmen.“.

„Ihr seid also sicher, das ihr dem Typen nie begegnet seid?“, hakte Officer Moore nach.

„Sehr sicher!“, bestätigte Kyle. „Und ich kannte viele... Menschen.“.

Officer Moore nickte etwas.

„Was ist mit seiner Idendität?“, fragte nun Rebecka. „Hatte er nichts dabei, was ihn ausweist?“.

„Nein, gar nichts.“, antwortete Officer Moore. „Er ist auch nicht in der Datenbank zu finden.“.

„Und er hatte sich vielleicht erhofft Geld zu finden auf dem Hof, um Drogen zu finanzieren?“, fragte nun Victor nach dem es zu seltsam vorkam.

Officer Moore wiegte bedächtig den Kopf.

„Da ist noch was anderes...“, sagte er dann.

Doctor Pierson deckte die Leiche wieder zu. Die Fünf sahen Officer Moore an.

„Anhand seiner DNA können wir zwar nicht sagen wer er ist...“, fuhr der fort. „Aber wir wissen wo, die gleiche DNA noch zu finden war.“.

„Wo?“, entfuhr es Ellinor nun.

Officer Moore holte Luft: „Bei Jenna damals im Unfallauto, auf dem Beifahrersitz.“.

 

5

Die Fünf starrten Officer Moore an. Keiner sagte etwas. Als Jenna damals schwer betrunken im Auto von der Straße abkam und tödlich verunglückte, war nie eine Rede davon, dass sie vielleicht gar nicht allein war.

„Was?“, jappste nun Josh.

„Das heißt dieser Kerl war bei Jen im Auto?“, fragte Rebecka.

„Beim Unfall oder davor?“, fragte Victor.

„Tatsächlich wissen wir das nicht, denn es war ein Haar was wir gefunden haben.“, erzählte Officer Moore. „Und es ist eindeutig seins.“.

„Jen kannte den also...“, keuchte Ellinor.

„Aber man geht schon immer noch von Selbstmord aus, aufgrund ihrer psychischen Verfassung oder wie?“, fragte nun Kyle.

„Wir haben die Exhumierung beantragt.“, sagte Officer Moore. „Wir können uns nicht sicher sein...“.

„Ihr wollt sie wieder ausbuddeln?“, rief Josh und legte sich die Hand auf die Brust als müsse er sich stark zusammen reißen.

„Um Gottes Willen.“, stieß Rebecka aus.

„Okay okay...“, fing Victor nun an. „Was bedeutet das jetzt für uns?“.

„Ihr nehmt euren Hund mit und könnt gehen!“, sagte der Chief Officer. „Wir halten euch auf dem Laufenden.“.

Doctor Pierson ging zu einem anderen Tisch und zeigte kurz darauf. Ellinor presste die Lippen zusammen.

„Ich nehm ihn.“, sagte Kyle sofort, ging zum Tisch und nahm den zugedeckten riesigen Hund auf die Arme.

Officer Moore ging wieder voran und sie verließen den Keller.

„Tut mir sehr Leid wegen eurem Hund aber er war wirklich ein echter Held und hat schlimmeres verhindert. Wir machen immer noch keine Meldung an Noah?“, fragte der Chief Officer.

„Nein.“, antwortete Ellinor. „Er soll einfach den Urlaub genießen.“.

Oben stiegen sie wieder aus dem Aufzug.

„Ach, das hab ich fast vergessen...“, fing Officer Moore wieder an. „Die Pistole...“.

Sie blieben vor dem Ausgang stehen.

„Der Besitzer der Waffe ist ermittelt wurden.“, redete Officer Moore weiter. „Sie wurde als gestohlen gemeldet von einem Hugo Svertson. Kennt ihr den zufällig?“.

Kyle ließ fast den Hund fallen. Victor half ihm schnell. Ellinor, Rebecka und Josh schlief nahezu gleichzeitig das Gesicht ein.

„Nein.“, sagte Kyle nun fast hastig.

Victor schüttelte daraufhin leicht den Kopf. Die anderen drei wirkten überrascht aber schwiegen.

„Ich dachte nur, weil er aus Gladstone ist. Ihr kommt doch auch von dort...“, meinte Officer Moore an Kyle und Victor gewandt.

 

„Jetzt nochmal, warum haben wir gelogen?“, fragte Rebecka beunruhigt.

Sie waren auf dem Hof angekommen und stiegen aus dem Auto.

„Ich verstehs auch nicht.“, meinte Ellinor.

„Es war ein Reflex.“, antwortete Kyle genervt. „Ich will weder mit ihm, noch mit irgendwas aus der Vergangenheit in Verbindung gebracht werden.“.

„Hugo wird die Pistole wieder bekommen und uns geht das nichts an.“, sagte Victor. „Er ist im Besitz eines Waffenscheins. Also ist es eine legale Knarre.“.

„Naja, ich habe diesen Hugo ja nicht kennen gelernt aber er wird euch sicher erwähnen...“, erwiderte Josh nun.

„Nein, das tut er nicht.“, versicherte Kyle. „Ich ruf ihn gleich an deswegen...“.

„Trotzdem frage ich mich, warum der Typ bei Jen im Auto war und wieso

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Anke Susann Günther
Bildmaterialien: Dietmar Vettin
Cover: Anke Susann Günther
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2021
ISBN: 978-3-7487-7364-1

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