1
Ellinor strich sich ihre rotblonden Haare zurück und schaute den Pferden zu, die um das Heu herum standen und fraßen. Die Sonne schien bereits ziemlich warm, obwohl der Frühling gerade erst angefangen hatte. Ellinor, kurz Elli genannt, verschränkte die Arme vor der Brust, drehte ihr Gesicht in die Sonne und lächelte etwas. Sie mochte es, wenn es endlich wärmer wurde. Vögel zwitscherten und nur ein leichter frischer Wind wehte. Wieder musste sie ihre halblangen wilden Haare aus dem Gesicht wischen. Ihre grünen Augen warfen einen letzten zufriedenen Blick auf die Pferde und dann drehte sie sich um, zum Gehen.
„Elli, kommst du?! Will wartet.“, rief Rebecka, die auf dem Hof stand.
Etwas hinter ihr, am Eingang des Haupthauses, stand auch Josh.
„Ich komme schon!“ rief Ellinor zurück.
„Wie geht’s uns heute?“. William lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und faltete seine großen rauen Hände ineinander. Er sah mit seinen gütigen dunklen Augen über die Ränder seiner Brille in die Runde. Rascall, der große hellbraune Bullmastiff Rüde, lag zu seinen Füßen. Foxy, die kleine rotbraune Corgihündin mit dem weißen Bauch, lag fast mittig in dem Stuhlkreis.
„Ganz wunderbar.“, antwortete Rebecka mit einem Lächeln und warf Ellinor einen flüchtigen Blick zu.
Die zog die Augenbrauen hoch und legte den Kopf etwas schief. Rebecka, die kurz Becka oder Becky genannt wurde, war ihre beste Freundin. Eigentlich konnten sie verschiedener nicht sein aber ohne einander ging es nicht. Rebecka war 28 Jahre alt, hatte dunkelbraune Locken, ein paar Sommersprossen und in ihren braunen Augen konnte man, ihrer eigenen Aussage nach, den „Wahnsinn“ sehen. Sie war sicherlich etwas verrückt und vorlaut aber es legte sich auch keiner mit ihr an. Man sagt zwar die Kleinen haben die größte Klappe aber so klein war sie nun auch nicht. Sie fiel einfach auf mit ihrer ganzen Art.
Ellinor war 25 Jahre alt, etwas größer und sehr schlank. Sie war ruhiger, kritischer und fast schon zu vernünftig.
„Und die anderen?“ fragte William nun weiter und sah zwischen Ellinor und Josh hin und her.
Seine grauen Haare waren, wie immer, zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden.
Den Bart hatte er etwas gestutzt aber er rasierte ihn nie ganz ab. Er war kräftig gebaut und sah immer aus, als würde er streng gucken. Dabei war er herzlich und lustig, wie kaum ein anderer.
„Also...“, fing Josh an, nachdem er tief eingeatmet hatte. „Heute läuft es bisher besser, als gestern.“
Josh war mit den beiden Mädchen eng befreundet. Er war 26 und sehr speziell. Gezupfte Augenbrauen, blondierte Haare die er zu einer Seite gekämmt hatte, die andere Seite war abrasiert. Die silbriggrauen Augen blitzten stets und er war einer der witzigsten Menschen den Ellinor und Rebecka kannten. Und er war homosexuell.
„Okay, was genau ist heute besser?“, erkundigte sich William.
„Bisher hat meine Mutter nicht angerufen.“, antwortete Josh trocken.
Rebecka lachte kurz auf. Ellinor verkniff es sich. William seufzte.
„Nun, es wird sicher wieder vorkommen. Wir haben darüber gesprochen, Josh.“, erwiderte William dann ruhig.
Josh schnalzte mit der Zunge und verdrehte fast dramatisch die Augen.
„Elli, wie siehts bei dir aus?“, fragte William geduldig weiter.
Ellinor hob langsam die Schultern und senkte sie wieder.
„Alles gut soweit.“, meinte sie.
William musterte sie kurz und nickte dann knapp: „Gut... Ich möchte euch mitteilen, dass heute Abend zwei Neuzugänge zu uns kommen.“
Ellinor und Rebecka sahen sich kurz an. Darauf hatten sie gewartet. Sie hatten William gestern schon zufällig, beim telefonieren belauscht.
„Noch so zwei gestörte Mädchen?“, lachte Josh.
„Hey!“, rief Rebecka und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen.
Ellinor grinste Josh nur an.
„Nein, zwei junge Männer.“, entgegnete William.
„Oh Gott, ja!“, stieß Josh hervor und legte die Hände wie bei einem Gebet aneinander. „Bitte lass wenigstens einen von beiden, vom anderen Ufer sein!“.
Ellinor und Rebecka lachten nun beide. William brummte aber seine Augen lachten mit.
„Ich habe beschlossen, die beiden hier aufzunnehmen, sozusagen.“, redete William dann weiter. „So wie euch drei. Und ich hoffe es wird gut.“
„Wo kommen sie her?“ fragte Rebecka direkt.
„Welche Vorgeschichte?“, warf Josh gleich ein.
„Ich denke, sie erzählen das am besten vielleicht alles selbst.“, sagte William ruhig.
2
„Oh man, ich bin so gespannt.“, meinte Rebecka bestimmt zum fünften mal schon.
Ellinor stöhnte auf: „Becka! Bitte!“.
„Ich hoffe sie sind wenigstens etwas ansehnlich.“ redete Rebecka weiter.
Auch das hatte sie schon einmal gesagt, nachdem sie bei der Sitzung mit William raus gegangen waren.
Sie hatten den Vormittag damit verbracht, die Pferde auf die Koppel zu lassen, den Paddock sauber zu machen, die Wassertränken aufzufüllen und auch bei den Rindern, von denen einige tragend sind, nach dem Rechten zu sehen. Josh hatte sich wie immer, derweile um Ordnung und Sauberkeit in der Küche und im halben Haus gekümmert, sowie das Mittagessen.
„Ich find es eigentlich gut, so wie es ist.“, meinte Ellinor während sie zum Essen zurück zum Haupthaus gingen.
„Na klar und den neuen Offenstall für die Pferde bauen wir ganz allein? Will sollte ja auch auf keine Leiter mehr steigen in seinem Alter, geschweige denn schwere Balken schleppen...“, antwortete Rebecka prompt.
Ellinor schwieg. Sie wusste das Rebecka recht hatte. Am ganzen Hof war viel zu machen und William wurde nicht jünger. Er war ausserdem immer noch Psychotherapeut in seiner Praxis im Nebengbäude des Hofes. Seine Frau Olivia war Allgemeinärztin in ihrer Praxis in der Stadt.
Ellinor bezweifelte stark das neue Patienten am Hof förderlich für die kleine Gruppe waren. Es war schließlich schon mal fast schief gegangen.
Nach dem Mittagessen waren Ellinor und Rebecka reiten. Sie machten einen schönen langen Geländeritt. Es war oft genau der Teil ihrer Therapie, der ihnen am besten tat. Josh hatte zu viel Respekt vor nahezu jedem Tier. Er war also freiwillig stets für Haus und Hof zuständig. Als die Mädchen zurück kamen, war die Holzlieferung für den Offenstall verfrüht gekommen. Sie hatten nicht vor nächster Woche damit gerechnet. Der Fahrer hatte alles im Hof abgeladen. William und Josh standen vor dem riesigen Stapel Holz.
Die beiden Hunde lagen neben dem Eingang des Haupthauses in der Sonne. Ellinor und Rebecka schafften schnell die beiden Pferde wieder auf die Koppel.
„Ohman.“, stöhnte Rebecka als sie zu William und Josh stießen. „Soll das hier liegen bleiben?“.
„Nein, das liegt in der halben Zufahrt.“, sagte William und schüttelte den Kopf. „Es muss hinter die Scheune. Wir sollten also gleich anfangen.“
„Du mit deinem Rücken?“, fragte Ellinor und sah William an.
„Ihr könnt das unmöglich allein machen.“, meinte der.
„Ja... Doch.“, versicherte Josh nun. „Alter Mann, geh in deine Praxis!“
„Ich habe heute keine Termine.“, erwiderte William.
„Also dann geh eine Heulieferung bestellen!“, sagte Rebecka. „In der Scheune das reicht keine zwei Wochen mehr.“.
„Ja und keiner von uns legt sich ausserdem mit Liv an, wenn es um deinen Rücken geht.“, ergänzte Ellinor und legte William die Hand auf den Oberarm.
William grunzte kurz und kniff den Mund zusammen: „Naja... gut. Ihr sagt Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht!“.
„Sicher nicht!“, meinte Josh.
William brummte, drehte sich um und stapfte zum Nebengbäude in seine Praxis.
„Auf geht’s!“, versuchte Rebecka gute Stimmung zu machen und stemmte die Hände in die Hüften.
Sie fingen an Balken für Balken hinter die Scheune zu tragen und dort aufzustapeln. In der Sonne dauerte es nicht lange, bis sie anfingen zu schwitzen. William kam irgendwann wieder raus und beobachtete das Ganze. Es verging fast eine halbe Stunde. Josh verschnaufte kurz. Ellinor und Rebecka hoben zusammen einen der großen Balken hoch. Jeder an einem Ende.
„Die dicken langen Balken...“, fing William an und betrachtete sie. „Da pack ich mit an.“.
Ehe einer der drei was sagen konnte, knirschte der Schotter in der Auffahrt unter Autoreifen und Motorgeräusche waren zu hören. Alle drehten sich herum, um zu sehen, wer kommt. Ein alter rostiger dunkelgrüner Jeep fuhr auf den Hof. Die Sonne schien auf die Frontscheibe und spiegelte so, dass man nicht sehen konnte, wer drinnen saß. Das Auto kannte keiner von ihnen. Es parkte und der Motor ging aus. Rascall und Foxy hoben interessiert ihre Köpfe. Die Türen schwangen auf. Auf der Beifahrerseite stieg ein Riese aus. Alle fragten sich insgeheim sofort, wie er in das Auto passte. Er war nicht nur groß, sondern auch breit. Einige Tattoos waren an den Armen zu sehen. Die Haare dunkelblond und kurz, schroffe Gesichtszüge. Als er die Sonnenbrille abnahm, kamen hellbraune Augen zum Vorschein. Er schlug die Autotür zu, das man dachte der Jeep fällt auseinander. In dem Moment stieg der Fahrer ebenfalls aus. Auch er groß aber lange nicht so breit, kurze helle Haare. Er schlug weniger energisch die Autotür zu.
„William Thompson?“, fragte der Riese und kam auf William, Ellinor, Rebecka und Josh zu.
Der Fahrer direkt hinterher.
„Ja.“, antwortete William.
„Na toll und ich bin schmutzig und verschwitzt.“, raunte Rebecka leise, während Josh scharf durch die Nase Luft holte und Ellinor stattdessen die Luft anhielt.
„Victor Korell.“, stellte sich der Beifahrer mit tiefer Stimme vor und reichte William die Hand. „Und das ist Kyle Davis.“.
William ergriff erst Victors Hand und dann Kyles. Ellinor und Rebecka lösten sich aus ihrer Erstarrung und legten den Balken wieder ab. Joshs Augen wurden immer größer.
„Ihr seid schon da. Ich dachte, ihr kommt erst gegen Abend.“, sagte William überrascht. „Heute ist alles irgendwie eher als geplant.“
„Ja... Es verlief alles etwas anders.“, brummte Victor mit russischem Akzent.
Es war unglaublich wie weit hoch man schauen musste, wenn er direkt vor einem stand. Kyle stand neben ihm. Ellinor und sein Blick trafen sich. Er hatte stahlblaue Augen die einen direkt durchbohrten. In den Augenwinkeln winzig kleine Lachfältchen zu seinem toternsten Gesichtsausdruck.
„Na umso besser. Willkommen.Wir brauchen eure Hilfe. Das sind Rebecka, Josh und meine Nichte Ellinor.“, stellte William vor und zeigte auf jeden einzeln.
Rebecka lächelte etwas. Josh nickte den beiden Neuen knapp zu. Ellinor starrte immer noch. In der linken stahlblauen Iris von Kyle war ein brauner Fleck, in der rechten nicht. An seiner linken Schläfe zog sich eine dünne Narbe bis zur Stirn hoch und hörte am Haaransatz auf.
„Hallo.“, grüßte Victor und lächelte besonders Rebecka zurück.
„Hi.“, sagte Kyle knapp mit knurriger Stimme und Ellinor entriss sich dem Blick und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Vielleicht könnt ihr direkt die Balken hinter die Scheune bringen!“, meinte William. „Und danach könnt ihr ausladen und in eure Zimmer.“
„Klar, kein Problem.“, sagte Victor prompt und klemmte die Sonnenbrille oben in sein Tshirt.
„Sicher.“, fügte Kyle hinzu.
Die beiden hoben jeder einen Balken hoch als sei es nichts.
„Danke. Ich zeig euch wohin.“, sagte William und lief voraus. „Dann kann ich hinten gleich ausmessen.“
Victor folgte ihm direkt. Dann folgte Kyle mit einem flüchtigen Blick zu Ellinor.
„Scheiße, ich denke keiner von beiden ist schwul.“, jammerte Josh leise während er mit leicht schräg geneigten Kopf den beiden hinterher sah.
„Siehst du diese Armmuskeln?“, hauchte Rebecka. „Was machen die? Bäume mit der bloßen Hand fällen?“.
„Schon bisschen unverschämt, wie man so gut aussehen kann.“, fügte Josh hinzu. „Sind die aus einem Fitnesskalender entsprungen?“.
„Oh Gott, Leute!“, rief Ellinor und verdrehte die Augen. „Wartet mal ab, welchen psychischen Schaden die so mitbringen.“
„Nein Elli, versau es uns nicht!“, mahnte Josh und hob drohend den Zeigefinger. „Ich hab gesehen, wie du Mister Eisauge angesehen hast.“.
„Ja und er dich.“, lachte Rebecka.
„Ach, ein Scheiß. Ich war nur von der Narbe irritiert. Dieser Victor hat dich ja direkt ausgezogen mit den Augen.“, erwiderte Ellinor.
„Wegen ihrer Möpse.“, feixte Josh.
„Ja, die sind ja nicht zu übersehen.“, ergänzte Ellinor.
„Aaaach, witzig.“, rief Rebecka.
In dem Moment tauchten Victor und Kyle wieder hinter der Scheune auf und kamen auf die drei zu.
„Oh mein Gott, laufen sie in Zeitlupe oder gibt mein Hirn auf?“, whisperte Josh.
„Ich versuche ein Standbild zu machen aber es funktioniert nicht.“, murmelte Rebecka zurück.
„Ich bin so gestraft mit euch.“, stöhnte Ellinor. „Würdet ihr jetzt bitte so einen scheiß Balken mit mir nach hinten tragen?!“.
„Ich glaube nicht.“, antwortete Rebecka trocken. „Wenn sie anfangen mit schwitzen, ziehen sie vielleicht ihre Shirts aus.“.
Josh lachte und Ellinor stöhnte erneut. Victor und Kyle waren inzwischen wieder bei ihnen.
„Macht ihr das öfter?“, fragte Rebecka „Schweres Zeug tragen?“.
Victor grinste etwas. Ellinor fragte sich ob es noch eine dämlichere Frage gegeben hätte.
„Wo wir herkommen fällen wir Bäume mit den bloßen Händen.“, antwortete er und hob erneut einen Balken hoch.
Josh lachte wieder auf. Rebecka zog die Augenbrauen hoch und kniff die Lippen zusammen. Ellinor schüttelte leicht den Kopf und atmete tief durch. Sie wollte ansetzen um einen Balken anzuheben aber Kyle kam ihr zuvor.
„Lasst nur! Wir machen das schon.“, sagte er.
Sie trugen erneut jeder einen Balken über den Hof.
„Er hat gehört was ich gesagt hab.“, flüsterte Rebecka.
„Ach was!“, entgegnete Ellinor laut.
„Leute, ich schwöre, ich kann hier noch eine ganze Weile zusehen.“, sagte Josh leise.
„Es ist einfach nicht zu fassen.“, stieß Ellinor hervor. „Würdet ihr jetzt bitte mit anfassen!“
„Ich schaff so einen Balken sicher auch allein.“, meinte Josh nun lässig. „Ich mache schließlich auch Kraftsport.“
„Junge, du bist Tänzer!“, rief Rebecka belustigt. „Willst du das Holz rüber tanzen?“.
Josh sah sie empört an. Ellinor musste jetzt grinsen.
„Und was machst du so ausser auf Pferden sitzen?“, zischte Josh Rebecka an.
„Du weißt wohl nicht, wie sehr reiten die Beinmuskulatur trainiert? Ich könnte dich ersticken mit meinen Oberschenkeln.“, erwiderte Rebecka prompt.
„Das kannst du auch mit deinen Brüsten.“, reagierte Josh sofort und lachte schrill.
Ellinor schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
„Womit hab ich das verdient?“, klagte sie.
Victor und Kyle kamen erneut zurück.
„Becka, fass jetzt zu!“, befahl Ellinor. „Deine Oberschenkel kannst du jetzt beim tragen unter Beweis stellen. Und Josh, du hälst jetzt bitte einfach die Klappe!“
„Das ist zu schwer.“, rief Victor ihnen entgegen. „Ihr tut euch bloß weh.“.
„Wow, wir haben grad noch paar Helden gebraucht hier.“, brummte Ellinor genervt.
„Du kannst uns später danken.“, meinte Kyle und sah sie kurz an.
In Ellinor krampfte irgendwas zusammen. Sie wich zurück als Kyle den Balken zu ihren Füßen hochhob.
„Ihr fällt bestimmt was ein.“, feixte Rebecka und Ellinor funkelte sie augenblicklich böse an.
Josh drehte sich grinsend weg. Victor und Kyle warfen sich einen belustigten Blick zu.
3
„Okay, kommt ihr zum Gespräch!“, sagte William zu Ellinor, Rebecka und Josh und ging zu den Stühlen rüber.
Sie standen in der Küche und gossen sich gerade Kaffee in Tassen. William hatte Kyle und Victor ihre Zimmer und das Haus bereits gezeigt.
„Ja klar.“, antwortete Rebecka und nahm ihre Tasse.
Einen weiteren Kaffee reichte sie Victor.
Er lächelte: „Danke.“.
Josh war noch am Kaffee einschenken. Kyle machte einen Schritt auf Ellinor zu, der das Herz stehen blieb. Sie wich etwas zurück und stieß an die Küchenzeile. Er nahm ihr die volle Kaffeetasse aus der Hand und sah sie kühl an.
„Danke.“, meinte er und nahm einen Schluck.
Er drehte sich rum und ging mit Victor zu William. Josh blieb der Mund offen stehen. Rebecka kicherte leise und verschluckte sich fast an ihrem Kaffee.
Ellinor schnappte nach Luft: „Er hat nicht gerade...“.
„Bleib stark!“, sagte Rebecka grinsend.
Josh reichte Ellinor wortlos eine neue Tasse Kaffee.
„Er hat ...“, fing Ellinor erneut an.
„Wir habens gesehen. Wir waren dabei.“, gluckste nun Josh.
Rebecka nahm Ellinor am Arm und zog sie mit sich zu den Stühlen. Josh folgte ihnen. Nun saßen sie da alle im Kreis.
„Also, schön das ihr da seid.“, legte William los. „Ich habe den Hof vor einigen Jahren gekauft und festgestellt das es zu viel Platz gibt hier. Deswegen habe ich das Projekt ins Leben gerufen, bei dem ich Menschen ermögliche ihr Leben zu ändern oder in den Griff zu bekommen. Ich bin hier eure Ansprechperson, für alles was euch bedrückt. Wir machen in der Regel, einmal am Tag so eine Gesprächsrunde. Wir sind hier ehrlich miteinander und wir verlassen uns aufeinander. Ihr wisst alle, das mein Projekt hier von Fördergeldern lebt und das ihr für eure Arbeit auf dem Hof bezahlt werdet. Ich schreibe im Gegenzug einen Bericht über eure Rehabilitation. Ihr habt euch alle selbst dafür beworben. Niemand ist hier, weil er gezwungen wurde. Ganz wichtig ist, alle hier sind frei von Drogen. Elli, Becki, Josh... vielleicht stellt ihr euch kurz vor!“.
Ellinor trank sofort einen großen Schluck ihres Kaffees, um nicht anfangen zu müssen. Josh sah Rebecka erwartungsvoll an.
„Okay.“, meinte die und seufzte. „Ich bin 28 und komme von einer Kleinstadt, mehr als fünf Autostunden von hier. Ich bin fast zwei Jahre nun hier. Also eigentlich von Anfang an. Ich bin hier wegen einem Drogenabsturz und weil ich fast meinen Exfreund umgebracht habe. Das Gericht entschied das es Notwehr war, weil er mich attackierte und ich Angst um mein Leben hatte.“.
Victor nickte fast anerkennend. Kyle drehte die Kaffeetasse in den Händen und hob eine Augenbraue. Vermutlich hatte damit keiner von beiden gerechnet.
Josh setzte direkt hinterher zum Reden an: „Ich bin 26, und seit etwas mehr als einem Jahr hier auf dem Hof. Ich komme von hier, aus Golden Falls und habe aufgrund meines frühen Outings und dem Unverständnis meiner Eltern Depressionen, eine Persönlichkeitsstörung und ein paar Probleme mit Drogen gehabt.“
William nickte ihm gut zu und sah dann zu Ellinor.
„Ich bin 25 und von Anfang an hier. Also zwei Jahre.“, sagte sie. „Borderline Syndrom mit Selbtverletzung, durch eine versaute Kindheit. Das ist so die Richtung.“.
Kyle sah sie jetzt von oben bis unten und wieder nach oben an.
„Und nun zu euch!“, redete William weiter und sah ihn und Victor an.
„32 Jahre. Bandenkriminalität und Dealen... Meine Familie ist ein russischer Clan.“, gab Victor kurz und knapp von sich. „Wir kommen von der Küste. Gladstone.“
„Das sind nicht mal zwei Stunden von hier.“, meinte Rebecka.
Victor nickte: „Richtig. Kyle und ich kennen uns seit unserer Jugend. In etwa die selben Probleme.“.
Kyle lachte kurz auf und sah Victor an. Der lächelte etwas und wiegte den Kopf.
„Er meint, bis auf mein Aggressionsproblem.“, sagte Kyle nun. „Vic ist die Ruhe selbst und weil er gut aufpasst auf mich, hatte ich immer etwas mehr als Glück.“.
„Und?“, drängte William und sah ihn an.
„Und ich bin 31, war ein paar Monate im Knast und habe einen Entzug hinter mir.“, ergänzte Kyle. „Nein, ich habe nicht wegen Mord gesessen.“.
Ellinor musterte ihn.
„Habt ihr irgendwelche Fragen?“, fragte William, Victor und Kyle „Unseren Tagesablauf werdet ihr ab morgen mitbekommen. Die drei werden euch überall einweihen.“.
Kyle und Victor schüttelten knapp den Kopf.
„Ihr sollt so normal, wie möglich leben hier.“, fügte William hinzu. „Es ist auch so lange kein Alkohol verboten, bis es nicht zum Problem wird und ihr sollt euch gegenseitig als verlässliche Stütze dienen. Das heißt, es finden solche Gesprächskreise auch ohne mich statt und ihr werdet euch gegenseitig therapieren. Ihr seid alle keine 18 mehr und habt genug durch. Jeder von euch ist auf dem Standpunkt, das sich was ändern muss. Das ist der Inhalt des ganzen Projekts.“
Ellinor, Rebecka und Josh hatten Kyle und Victor, in Begleitung von Rascall und Foxy, den Hof mit dem Haupthaus, was früher mal eine Pension war und deshalb mehrere Zimmer mit jeweils eigenem Bad hat, gezeigt. Ausserdem das Nebengebäude und die Scheune, sowie den Paddock mit den Pferden und der angrenzenden Koppel, die riesige Weide mit den gewaltigen Rindern und die nähere Umgebung drumherum. Meistens redete Rebecka. Ab und zu Josh. Ellinor fast gar nicht. Mittlerweile war auch Williams Frau Olivia von der Arbeit gekommen. Die fröhliche schwarzhaarige Mexikanerin hatte die beiden neuen begrüßt und war dann mit William in die Stadt zum einkaufen gefahren. Josh feuerte den Grill im Hof an. Ellinor verschwand im Haus.
„Und erzählt ihr noch was von euch?“, fragte Rebecka, als sie sich auf dem Hof auf die Holzbänke um den großen Holztisch setzten.
„Was willst du denn wissen?“, fragte Victor zurück und zündete sich eine Zigarette an.
„Zum Beispiel, wie ihr darauf gekommen seid, euch genau hier zu bewerben?“, antwortete Rebecka.
Victor reichte das Feuerzeug an Kyle weiter, der sich ebenfalls eine Zigarette anzündete.
„Sein Bewährungshelfer hat uns das empfohlen.“, sagte Victor und nickte zu Kyle rüber. „Wir mussten unbedingt neu anfangen irgendwo.“.
„Hm, genau genommen hast du die Anträge, ohne mein Wissen, für uns beide ausgefüllt.“, warf ihm nun Kyle vor.
„Ja und du wirst mir noch dankbar sein.“, versicherte ihm Victor.
Kyle sah ihn ernst an und schnaubte leise.
„Deine Alternative wäre der Knast.“, beteuerte Victor.
„Was macht Elli?“, fragte nun Josh Rebecka . „Sie will doch jetzt nicht ernsthaft noch joggen?“.
„Doch.“, antwortete die.
Ellinor kam in dem Moment zurück in Laufleggins und bauchfreien Top. Trotz das sie recht zart und dünn war zeichneten sich an Bauch, Oberarmen und Oberschenkeln deutlich Muskeln ab. Unwillkürlich legte Kyle, als er an seiner Zigarette zog, den Kopf etwas schief um sie zu betrachten.
„Bis gleich!“, rief Ellinor nur hastig und hob kurz die Hand, bevor sie, gefolgt von Rascall und Foxy, über den Hof joggte.
„Übertreibs nicht!“, rief Josh hinterher.
Ellinor verschwand mit wippendem Zopf zur Ausfahrt hinaus. Die beiden Hunde mit ihr.
„Das braucht sie.“, sagte Rebecka nur weil Victor etwas fragend schaute.
„Ist ja nicht so, das sie müsste.“, meinte Josh lachend. „Ich meine, sie sieht aus wie'n verdammtes Model.“.
Victor nickte bestätigend. Kyle verkniff sich das Grinsen und zog weiter an der Zigarette.
„Sie joggt, um es zu vermeiden, sich selbst zu verletzen.“, sagte Rebecka nun. „Kein Rückfall seit fast zwei Jahren. Als ich hier her kam, hatte sie gerade das letzte mal frische Narben.“.
„Vielleicht lags auch nicht am Sportausgleich, sondern an dir, Liebes.“, schmeichelte Josh und zwinkerte ihr zu. „Nein aber ernsthaft, seit wir hier sind, sind wir alle sehr viel stabiler.“.
„Wow.“, höhnte jetzt Kyle und Victor sah ihn mahnend an.
Ellinor lief derweile über die Wiese bis zum Waldrand. Das Wetter war immer noch fantastisch, nur das es langsam kühler wurde. Die Hunde liefen an ihrer Seite. Gleichmäßig atmete sie im Lauftakt. Ihrer Meinung nach, verstand sich Rebecka jetzt schon am ersten Tag, ein bisschen zu gut mit Victor. Ausserdem befürchtete sie, das Kyle noch Ärger machen könnte. Irgendwie schien es nur eine Frage der Zeit, bis sie aneinander gerieten. Sie erreichte den Waldrand und lief weiter an der Kante entlang. Ihr Blick schweifte nach rechts in den Wald. Vögel zwitscherten. Irgendwo klopfte ein Specht. Die Abendsonne hing über den Bergen und leuchtete wunderschön durch die Bäume. Wo Kyle wohl so eine Narbe her hatte? Und wie gewaltbereit war er tatsächlich? Schnell schüttelte Ellinor den Kopf. Sie wollte gar nicht so sehr darüber nachdenken. Er hielt ziemlich viel von sich, so selbstsicher wie er auftrat.
4
Der nächste Morgen begann wolkig. Ellinor warf einen Blick auf das Thermometer an ihrem Fenster. 6 Grad. Ihr Blick schweifte in der Morgendämmerung über den Hof. Alles war ruhig. Sie hatte sich bereits angezogen und verließ ihr Zimmer. Sie ging die Treppe nach unten in den großen offenen Wohnbereich mit der Küche und dem langen Tisch mit den Stühlen. Auf der gegenüberliegenden Seite war der Kamin, die Sofas, einige Regale und der Fernseher. Ellinor war früh immer die erste, egal welcher Wochentag war. Sie stand gern zeitig auf. Nachdem sie Rascall und Foxy begrüßt hatte, die nachts immer auf den Sofas schliefen, und das Radio angeschalten hatte, kochte sie Kaffee. William und Olivia wohnten im Nebengebäude über der Praxis. Ellinor fing an zu der Musik aus dem Radio mit zu summen, während sie Tassen aus dem Schrank holte und auf den Tresen stellte. Gestern Abend war es nicht sehr spät geworden. Sie hatten gegrillt und geredet und die Stimmung war sehr entspannt und unterhaltsam gewesen. Dennoch hatte Ellinor nicht viel gesprochen. Sie tanzte nun zum Kühlschrank rüber und holte die Milch raus. Mit einer Drehung wollte sie diese zu den Tassen stellen und zuckte beim Anblick von Kyle zusammen, der etwas belustigt in die Küche kam. Beinahe hätte sie die Milch fallen lassen.
„Um Gottes Willen!“, stieß sie aus und schlug mit einer Hand auf ihr Brustbein.
Kyle lächelte amüsiert: „Ja, das höre ich öfter.“.
Ellinor stöhnte nur auf.
„Heute gut drauf?“, fragte Kyle und lehnte sich an die Küchenzeile.
Ellinor sah ihn fragend an.
„Wegen dem kleinen Tänzchen eben.“, meinte Kyle und wartete gar nicht ab ob Ellinor was entgegnete. „Über Borderliner hab ich mal was gelesen... Heute die Laune, morgen eine andere Laune...“
„Was nur beweist das du lesen kannst aber nicht das du Psychologie studiert hast.“, antwortete Ellinor kühl.
Kyle lächelte wieder und seine blauen Augen fixierten sie.
„Bist du immer so früh auf?“, fragte er dann weiter.
„Das könnte ich dich auch fragen.“, erwiderte Ellinor.
„Genau genommen, hab ich nicht besonders viel und gut geschlafen.“, sagte Kyle und verschränkte seine Arme vor der Brust.
Ellinor sah auf seine Armmuskeln und löste dann ganz schnell ihren Blick. Sie strich sich die Haare hinters Ohr. Wieder mal kein Haargummi dabei. Oben waren Geräusche zu hören und die mächtige Getalt von Victor erschien auf der Treppe.
„Guten Morgen.“, dröhnte er grinsend.
Es blieb kühl an diesem Vormittag. Die Sonne wollte nicht so richtig hervor kommen. Ellinor und Rebecka, zeigten Kyle und Victor nach dem Frühstück, die Versorgung der Tiere. Zu viert waren sie wesentlich schneller, als zu zweit. Danach sollten die beiden Männer bereits mit dem zusägen des Holzes, für den neuen Offenstall, anfangen. Ellinor und Rebecka gingen auf den Sandplatz mit zwei der jungen Verkauspferde. Es war Williams Hobby Pferde zu erwerben, sie auszubilden und wieder zu verkaufen. Die Mädchen liebten die Arbeit mit den Pferden.
Vom Platz aus, konnte man Kyle und Victor nebenbei zusehen.
„Was denkst du?“, fragte Rebecka Ellinor nach einer Weile und nickte zu den beiden Männern rüber.
Ellinor sah hinüber: „Was meinst du?“.
„Sind okay oder nicht? Abgesehen davon das sie heiß sind.“, lachte Rebecka.
„Ich denke nicht, das sie es auf Dauer hier aushalten.“, meinte Ellinor unberührt. „Ihre Probleme sind andere als unsere.“.
„Ja. Darum geht es doch.“, erwiderte Rebecka. „Wir sollen uns gegenseitig helfen. Wenn wir alle die gleiche Macke hätten, wären wir ein jämmerlicher Haufen in einer Irrenanstalt.“.
Ellinor schwieg.
Nachdem Ellinor und Rebecka fertig waren mit den Jungpferden und sie wieder auf die Koppel geschafft hatten, sattelten sie ihre beiden Lieblingspferde und kamen wieder auf den Sandplatz. Victor und Kyle sahen von ihren Holzbalken auf und sahen den beiden Mädchen kurz beim reiten zu.
„Ich glaube Elli kann mit Tieren besser als mit Menschen.“, meinte Kyle dann.
Er beobachtete wie Ellinor auf dem braun-weißen Schecken saß. Ruhig und zufrieden mit einem stillen Lächeln. Hübsch und zerbrechlich. Er bemerkte das Victor ihn schmunzelnd ansah. Schnell beugte er sich wieder über das Holz und zeichnete an, wo gesägt werden sollte.
„Ich hab gesehen, wie bitterböse sie dich ansieht.“, lachte Victor. „Vielleicht liegts einfach nur an dir.“.
„Mach lieber weiter!“, stöhnte Kyle und klopfte mit dem Zollstock auf einen Balken.
„Nein, wir machen jetzt Pause.“, erwiderte Victor und legte die Säge ab. „Komm!“.
Er ging rüber zu den Mädchen. Kyle seufzte und ging ihm schließlich nach. Sie standen am Rand des Platzes, der nur zur Hälfte mit einem Holzzaun umzäunt war.
„Wenn ihr den Stall fertig habt, ist hier noch der Zaun zu bauen.“, sagte Rebecka zwinkernd und ritt an beiden auf der hellbraunen Stute vorbei. „Und im Keller vom Haupthaus ist noch zu renovieren.“.
„Und nicht zu vergessen, das Scheunendach hat Löcher.“, fügte Ellinor nun hinzu.
„Schon klar.“, rief Victor. „Für uns die Arbeit, für euch das Vergnügen.“.
Rebecka lachte: „Du kannst gern auf Carrie reiten.“.
Sie hielt die Stute neben Victor an. Der streichelte den Hals des Pferdes.
„Das willst du ihr nicht antun.“, meinte er. „Ich wiege so viel wie sie.“.
„Probier es mit Baileys On Ice!“, sagte Rebecka und zeigte auf Ellinors Schecken. „Er ist kräftiger.“.
„Nein, ich werde mich mit Sicherheit auf kein Pferd setzen.“, beteuerte Victor.
„Aber ich.“, meinte Kyle sofort und Ellinor hielt überrascht an.
Sie wechselte einen Blick mit Rebecka. Die nickte bestätigend. Dann stieg Ellinor ab und sah Kyle an.
„Na, dann los. Ich kann dich nur warnen, Bailey ist bisschen eigen.“, sagte sie.
Kyle ging auf sie und das Pferd zu: „Wie die Reiterin?“.
Rebecka lachte. Ellinor verdrehte die Augen. Kyle stieg auf den Wallach und ritt los.
„Du musst...“, fing Ellinor an aber brach im Satz ab.
Kyle trabte bereits und dann galoppierte er eine Runde.
„Er kanns.“, sagte Rebecka anerkennend. „Ein Naturtalent.“.
Kyle hielt wieder bei den Mädchen und Victor an und schwang sich aus dem Sattel.
„Du hast das schon mal gemacht.“, meinte Ellinor.
Kyle strich Baileys On Ice über den Kopf.
„Ja, hat er.“, sagte nun Victor.
„Das hättest du ja vorher sagen können!“, brummte Ellinor.
5
Nach dem Mittagessen, saßen die Fünf zusammen. Sie machten eine von William angeordnete Gesprächsrunde ohne ihn.
„Nun, über was reden wir?“, fragte Josh.
„Wie ist es denn für euch bisher so?“, fragte Rebecka Victor und Kyle.
„Schwer zu sagen.“, meinte Victor „Seltsam...“
„Erfahren wir mehr von euch?“, fragte Rebecka weiter.
Victor und Kyle warfen sich einen Blick zu.
„Wirklich interessant wäre es zu wissen, was dein Ex gemacht hat das du ihn fast umbringst.“, sagte nun Kyle.
„Kyle!“, mahnte Victor.
„Nein, schon gut.“, entgegnete Rebecka gelassen. „Er hat mich ein paar mal verprügelt. Zwei mal war ich im Krankenhaus. Durch ihn, hab ich diverse Drogen genommen. Ich war labil und jung. Als er mich in seinem Wahn, dann irgendwann mit bloßen Händen erwürgen wollte, habe ich blitzschnell mit einer Schere zugestochen. Und du Kyle, warum hast du denn ein Aggressionsproblem?“.
Kyle hielt kurz inne und setzte dann zum reden an: „Das ist mir so beigebracht worden. Mein Vater war ein Schläger und meine Mutter hat weg gesehen. Ende der unspektakulären Geschichte. Ich habe aber keine Frauen geschlagen, falls du darauf anspielst ...“.
„Hm... Meine Eltern sind so streng gläubig, das sie mich zwischendurch zum Exorzisten schaffen wollten.“, sagte Rebecka daraufhin. „Sie wollen keinen Kontakt zu mir, der Brut Satans.“.
Sie lachte auf.
Josh hob dramatisch die Hand: „Meine Eltern hätten ganz gern, das ich wieder normal bin. Sie haben sich scheiden lassen, nachdem klar war, das ich schwul bin und schieben mir natürlich die Schuld für alles zu.“.
„Auch geil.“, meinte Victor trocken. „Meine Eltern waren der Kopf organisierten Verbrechens und ich wurde da quasi rein geboren. Sie leben wieder in Russland, weil ihnen hier das Gefängnis droht. Ich selber hatte einfach riesiges Glück.“.
„Wie im Film.“, stellte Rebecka ehrfürchtig fest.
„Das ist alles nichts, gegen Elli's Familie.“, sagte Josh sofort und sah Ellinor auffordernd an.
Die stöhnte auf. Alle Augen richteten sich auf sie.
„Meine Mutter, was Williams Schwester war, war depressiv und ließ gern ihren Frust an mir aus. Ich wurde als kleines Kind zu Tanz und Schönheitwettberwerben geschleift, hatte schon früh einen strengen Ernährungs und Sportplan aber es war nie gut genug, für meine Mutter. Mein Vater war nie da, weil er ständig auf Geschäftsreisen war. Irgendwann kam raus das er Spielschulden hatte und dann wurde er eines Tages wegen der Schulden zusammen geschlagen und starb im Krankenhaus an den Hirnblutungen. Meine Mutter hat sich kurz darauf tot gesoffen. Will und Liv haben mich aufgenommen.“.
Kurzes Schweigen trat ein in der Runde.
„Wow... Wie kriegen wir die Stimmung jetzt wieder hoch?“, fragte Victor.
Rebecka klatschte in die Hände: „Reden wir doch darüber, das wir heute Abend alle ins Gold Nugget etwas trinken gehen!“.
„Oh Gott, nein!“, rief Ellinor.
„Oh Gott, ja!“, rief Josh schrill.
„Da sind wir vorbei gefahren gestern, als wir herkamen.“, meinte Kyle. „So ziemlich die einzige Bar in Golden Falls, oder?“.
„So ziemlich.“, meinte Rebecka.
„Zumindest die einzige, wo man sich tatsächlich sehen lassen kann.“, fügte Josh hinzu.
„Ich hatte schon Angst wir würden unsere kleine Farm nie verlassen.“, lachte Victor.
Den restlichen Nachmittag hatten die Fünf weiter mit dem Bau des Stalls verbracht. Gegen Abend trafen sie zum Essen mit William und Olivia zusammen.
„Also wenn ihr heute ausgeht, macht bitte nicht so lange!“, sagte William. „Ich habe mir etwas überlegt für morgen und dafür stehen wir ziemlich zeitig auf.“.
„Ohman.“, sagte Josh. „Klingt nach Arbeit.“.
William zuckte nur die Schultern: „Ihr werdet sehen. Wie lief euer Tag heute?“.
„Gut.“, meinte Rebecka zufrieden.
„Ihr habt ja gut was geschafft mit den Balken.“, meinte William.
„Wie sieht es mit dem anderen Job aus?“, fragte Kyle nun.
„Ich habe schon nachgefragt.“, antwortete William. „Keine Sorge. Ich mach das.“.
„Anderer Job?“, fragte Josh.
„Er hat so viel Schulden, das er zum abzahlen noch drei Jobs bräuchte.“, sagte Victor und zeigte mit dem Daumen neben sich auf Kyle.
„Woher sind die Schulden?“, fragte Olivia nun.
„Alles was ich verbrochen hab unter Drogeneinfluss.“, antwortete Kyle. „Bis hin zu Vandalismus.“.
Ellinor hatte es nicht vor aber sie schnaubte leise und es klang vorwurfsvoll. Kyle sah sie an.
„Wir sollten jetzt los machen!“, unterbrach Rebecka sofort. „Schließlich sollen wir nicht zu spät zurück sein.“.
„Was? Ich war noch nicht joggen!“, rief Ellinor.
„Meinst du nicht, du hattest heute genug Bewegung?“, meinte Victor.
„Spar dir die Energie für morgen!“, riet ihr William lächelnd.
Ellinor seufzte.
„Und ihr passt schön aufeinander auf, ja?“, befahl Olivia.
„Natürlich.“, bestätigte Josh und legte sich die Hand beschwörend auf die Brust.
Sie gingen alle in ihre Zimmer zum duschen und umziehen und trafen sich auf dem Hof.
„Ich fahre.“, rief Rebecka und sprang in Williams großen Jeep.
„Ich werde mich nicht auf die Rückbank quetschen.“, sagte Victor gleich und stieg auf der Beifahrerseite ein.
Ellinor rutschte in die Mitte der Rückbank. Kyle und Josh setzten sich rechts und links neben sie. Sie roch Joshs Parfüm, in dem er immer zu baden schien und merkte von der anderen Seite den warmen Oberarm von Kyle, der an ihrem anlag. Als sie kurz zu ihm schaute, blickte sie auf die Narbe an seiner Schläfe. Jetzt fiel ihr auf das in seinem Dreitagebart auch eine Narbe versteckt war. Sie zog sich auf der selben Seite von der Unterlippe zum Kinn. Kyle drehte den Kopf und sah sie an mit seinen ungewöhnlichen Eisaugen. Schnell drehte Ellinor den Kopf nach vorn. Dann fuhren sie vom Hof und die Straße entlang bevor sie auf die Hauptstraße abbogen. Das große Schild mit der Aufschrift Golden Falls stand am Straßenrand. In der Abenddämmerung erhoben sich hinter der Kleinstadt die Berge. Die kleinen Läden schlossen gerade. An der Tankstelle tankten ein paar Trucks. Rebecka bog ab auf einen Schotterplatz auf dem bereits ein paar Autos standen und parkte. Die Fünf stiegen aus. Musik drang aus dem Backsteinhaus über dessen Tür der geschwungene Schriftzug Gold Nugget hing.
„Kyle, ich sag dir gleich, wir benehmen uns!“, warnte Victor.
Kyle hob beschwichtigend beide Hände.
„Kann ich drinnen bitte rum erzählen, wir hätten was am laufen?“, fragte Josh nun Kyle und sah ihn ernst an.
Ellinor und Rebecka lachten los.
„Mit Sicherheit nicht!“, drohte Kyle und sah dann Ellinor an. „Ach guck, das findest du witzig.“.
Ellinor zuckte lachend mit den Schultern. Josh und Victor lachten jetzt auch.
„Ich hab auf dem Hof schon einen Sekt mit Elli getrunken.“, sagte Rebecka. „Sie wird ziemlich erträglich mit etwas Alkohol.“
Ellinor schubste sie leicht: „Geh einfach!“.
Die Fünf gingen rein. Es waren noch ein paar Plätze frei aber es liefen schon einige Leute an der Bar auf und ab.
„Okay, setzt euch!“, rief Rebecka durch die Musik hindurch. „Ich hol was zu Trinken.“.
Sie steuerte die Bar an. Die anderen setzten sich an einen freien Tisch.
„Wir waren vier Wochen nicht hier.“, sagte Josh und ließ seinen Blick schweifen.
„Wegen mir hätte es noch länger sein können.“, meinte Ellinor.
Rebecka kam mit dem Arm voll Flaschenbier an den Tisch. Sie selbst trank Cola.
„Hier gibt’s tatsächlich auch Frauen.“, scherzte Victor der sich auch umgesehen hatte.
„Oh ja, sehr willige.“, fügte Josh hinzu und rümpfte die Nase.
Zwei junge stark geschminkte Frauen in knappen Party Outfits und künstlichen Fingernägeln, steuerten in dem Moment auf ihren Tisch zu.
„Oh nein, du hast sie herauf beschworen.“, stöhnte Ellinor und nahm einen Schluck aus der Flasche.
„Ich denke, sie haben das Frischfleisch schon gerochen, als wir noch auf dem Parkplatz waren.“, erwiderte Rebecka.
„Okay Jungs, egal was sie jetzt sagen, seht zu das sie die wenigen Klamotten die sie an haben auch anbehalten!“, scherzte Josh.
Und dann standen die Zwei auch schon am Tisch.
„Hey, lange nicht gesehen!“, zwitscherte die eine mit schwarz gefärbten Haaren los.
„Hey.“, seufzte Rebecka desinteressiert.
„In Begleitung heute?“, fragte die andere Platinblonde mit lila Haarsträhnen.
Victor und Kyle lehnten sich etwas belustigt zurück.
„Ja...“, fing Josh an. „Vic... Kyle... das sind Gina und Michelle.“.
Er zeigte erst auf die Schwarzhaarige und dann auf die andere.
Gina und Michelle lächelten breit.
„Wie schön.“, trällerte Gina. „Sagt bloß ihr wohnt auch auf dem Irrenhof?“.
„Ja, wir sind mit Abstand die schlimmsten Patienten.“, entgegnete Victor trocken.
Gina und Michelle kicherten.
„So schlimm kanns nicht sein.“, meinte Michelle und sah Kyle intensiv an.
Ellinor, Rebecka und Josh verdrehten fast gleichzeitig die Augen. Kyle trank seine Flasche mit einem Zug aus und reichte sie Michelle.
„Hol mal ein neues!“, befahl er.
Michelle nahm die Flasche als wäre es ein Pokal und tänzelte zur Bar.
„Immer noch keine Ehre das Mädchen.“, bedauerte Josh.
„Wir dachten schon, ihr kommt gar nicht mehr nach dem Vorfall.“, flötete Gina nun gehässig.
„Lass gut sein!“, sagte Ellinor und sah sie eindringlich an.
„Der Vorfall?“, fragte Victor.
Gina legte den Kopf schief: „Ihr lasst Jenna einfach so fallen, wo ihr doch so auf Zusammenhalt schwört?“.
„Du hast leider keine Ahnung. Also ignorieren wir das.“, sagte Rebecka gelassen.
Michelle kam mit einem neuen Bier zurück und reichte es zwinkernd Kyle. Der nahm es wortlos.
„So, ihr habt ja jetzt Hallo gesagt...“, fing Josh an. „Dann könntet ihr ja jetzt wieder...“.
„Oh, ich dachte wir reden noch bisschen mit Vic und Kyle.“, tat Michelle enttäuscht.
„Ich glaube nicht das der Gesprächsstoff reicht.“, sagte Kyle genervt.
„Sie haben den beiden nicht mal von Jenna erzählt.“, meinte Gina zu Michelle.
„Zieht ab!“, knurrte jetzt Victor sodass die beiden etwas zusammen zuckten.
Ellinor, Rebecka und Josh lächelten Gina und Michelle übertrieben zu. Die zwei schienen irritiert.
„Okay, ein ander mal. Wir sehen uns ja jetzt häufiger.“, säuselte Gina.
„Wir arbeiten unten im Supermarkt.“, fügte Michelle hinzu.
„Das überrascht mich jetzt nicht.“, witzelte Kyle.
„Hey Vorurteil!“, rief Rebecka und runzelte die Stirn.
Gina schwirrte mit Michelle davon.
„Na, da habt ihr uns ja direkt die Elite gezeigt.“, brummte Kyle.
„Und sie hat es nicht mal gestört, das du dich nicht für das Bier bedankt hast.“, lachte Josh.
„Dafür gingen direkt ihre Beine ein Stück auseinander. Habt ihr gesehen?“, feixte Victor.
Alle lachten.
„Wie kann man so sein?“, fragte Ellinor kopfschüttelnd.
„Wie kann man so aussehen?“,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Anke Susann Günther
Bildmaterialien: Kristian Schubert
Cover: Anke Susann Günther
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2020
ISBN: 978-3-7487-5058-1
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