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Tom Knocker

 

 

NOVA

 

 

Die Kopfgeldjägerin

 

Ein Space-Punk-Roman

 

 

Copyright 2023

VORWORT DES AUTORS

In einem Kommentar zu Rousseaus kulturkritischer Philosophie las ich einmal den Satz: Die Technik entfremdet den Menschen von sich selbst, und wir schieben mit aller Perfektion nur eine Katastrophe vor uns her.

Doch jede Zeit interpretiert sich selber in andere Zeiten hinein. Ich finde es beispielsweise urkomisch, dass in STAR TREK aus den 1960ern und 70ern noch Hebelchen und Knöpfe bedient werden, weil sich die visionären Drehbuchautoren keinen Touchscreen auf einem Handy vorstellen konnten. Die Manier der Eroberungspolitik ist dagegen heute, gestern wie auch morgen bekannt.

Unbeschadet des ernsten Hintergrundes versteht sich dieser Science-Fiction-Roman daher als eine Satire. Vergesst diese Worte bitte nicht, bevor ihr gute oder schlech­te Sternebewertungen vom Himmel pflückt. Es folgt eine literarische Knalltüte unter dem Motto:

Lang lebe der Zeitgeist in der Zukunft!

PROLOG

Frau Dr. Antraxa schreitet mit einem Kleid so weiß wie Lithiumnitrat und einer Blutsteinhalskette durch den Korridor. Dann hält sie inne und blickt mit ihrem schmalen, blasshäutigen Gesicht aus einem Fenster.

Sie befindet sich im schwebenden Palast über der Metropole des Planeten Xalypso. Shuttle und Transportkapseln schwirren zwischen den Hochhäusern, während sich am Firmament zwei rote Sonnen zu kreuzen scheinen. In Wahrheit ist der nähere Himmelskörper nur ein Lavaplanet und kein Fixstern. Doch das Volk spricht von zwei Sonnen, und wenn sich die Leute erst mal an eine Benennung klammern – wer will ihnen da noch etwas Klügeres befehlen?

Mit einem verächtlichen Lächeln wendet sich Antraxa ab und geht zu einer schleusenartigen Tür, die von Androiden bewacht wird. Diese hochentwickelten Roboter ähneln Menschen in dunklen Militäruniformen. Dennoch wirken sie harmlos verglichen mit dem vorne stehenden X9P, einem Prototyp der neusten Generation. Er ist der Generalinspektor des Militärs und von einer geschmeidigen Rüstung mit schwarzem Visier ummantelt. Außerdem besitzt er mörderische Waffen und eine nahezu allwissende KI. Damit kann der X9P sämtliche Viren abwehren und sogar ein humaneres Verhalten simulieren als die Doktorin.

Abgesehen von ihren elektronischen Implantaten, die wie Drogen ihre Hormonleistungen und Wahrnehmungen steigern, ist Antraxa ein Mensch. Doch niemand kann sie auf den Feldern der Biotechnik und Medizin schlagen. Die Wissenschaft hat sie nicht nur geistes­aristokratisch gemacht, nein, die Wissenschaft ist ihr Gott.

Galant sagt der X9P: „Schönen Tag, Frau Dr. Antraxa.“

„Sie sind offenbar auf Zweckoptimismus getrimmt, was? Nun, der Patriarch hat mich rufen lassen.“

„Ja, er will mit uns beiden sprechen“, bestätigt der X9P.

Ohne irgendeine Handbewegung und nur mit seiner Datenvernetzung schleust er die Tür auf. Sogleich betritt er mit Antraxa einen Residenzsaal.

Eine barbusige Lakaiin verbeugt sich und balanciert eine Kristallplatte mit exotischen Früchten auf ihren Fingerspitzen. Antraxa mustert dieses noch unerfahrene Mädchen mit seinem Fußkettchen kühl. Obwohl die Doktorin als groß gewachsene Frau gilt, ist sie nur ein Stängelchen gegen den Patriarchen in seinem High-Tech-Thron.

Er richtet sich wie ein purpurnes Riesengeschwür mit Stiernacken und Scherenhänden auf. Auch wenn das Volk einen Patriarchen schlicht als männlichen Tyrannen sieht, so nennen ihn die Leute hintenrum doch ›Mutant‹, und in diesem Fall sind die Bezeichnungen richtig. Alles an ihm schillert ebenso furchterregend wie ehrfurchtgebietend.

Sein Generalinspektor verwendet allerdings die Anrede: „Sir!“

„Ah ja, endlich“, sagt der Mutant zu Dr. Antraxa. „Du fragst dich vielleicht, warum ich nach dir geschickt habe.“

„Ich fühle mich geehrt, aber gewiss nicht deshalb, weil ich Euch nochmals untersuchen müsste. Ihr wirkt kerngesund“, erwidert sie sachlich und trocken.

Schweigen.

Dann lacht der Mutant dröhnend. Indem er einen Schritt hierhin und dorthin macht, befiehlt er dem X9P: „Fasse unsere Erfolge zusammen.“

„Jawohl, unsere Raumschiffflotten haben die Planeten in den Nachbargalaxien erreicht, um Kolonien zu gründen und Rohstoffe für die Wissenschaft zu gewinnen. Sofern dort Ureinwohner existieren, werden wir sie mit diplomatischen oder militärischen Argumenten von unserem Fortschrittsstreben überzeugen.“

„Exakt“, bekräftigt der Patriarch. „Die Oligarchen wiegeln zwar verdammt noch mal die Bevölkerung wegen der astronomischen Kosten auf, aber was wollen sie denn? Einerseits murren die Menschen darüber, dass die Roboter ihnen die Arbeit wegnehmen und nichts als Wohlstand übriglassen. Andererseits haben sie Angst, dass sie den Wohlstand verlieren und wieder mehr arbeiten müssten. Wer soll aus die­sen Deppen schlau werden? Manchmal würde ich sie am liebsten in der Luft zerreißen.“

„Ich verstehe Euch“, versichert Antraxa. „Das alles wird Früchte tragen, aber noch sind sie fern und sauer.“

Wie auf ein Stichwort hin seufzt der Patriarch und winkt mit seiner bedrohlichen Scherenhand die Lakaiin näher herbei. „Bring mir gefälligst mal ein saftiges Stück Obst, Kleine!“

Leider zittert das Mädchen so arg, dass sie die Kristallplatte fallen lässt. Sie entschuldigt sich tausendmal und sammelt auf Knien das Scherbenkompott zusam­men, aber jetzt bricht aller Frust aus dem Mutanten heraus.

„Wie kannst du dich nur so ungeschickt, so schlampig vor mir ängstigen und mich damit kränken? Ich bin es leid, dass mich alle für ein Monster halten, bloß weil ich wie ein Monster aussehe! So krass nach dem äußeren Schein zu urteilen, ist der Gipfel der Undankbarkeit. Ich hatte nur einen Chemieunfall“, brüllt er. „Aber pah, es ist unter meiner Würde, dir mehr zu erzählen. Raus!“

Das Mädchen huscht aus dem Saal.

Tatsächlich haben sich bereits die Ahnen des Patriarchen eine Verseuchung zugezogen. Laut Dr. Antraxa lassen sich Entartungen dieses Levels nicht einmal mit hypermoderner Gentechnik rückgängig machen. All das hat den Patriarchen jedenfalls zu einer ungeheuren Superkompensation in der Machtpolitik verleitet.

Bockig setzt er sich wieder in seinen Thron, um irgendwas von seinen genialen Bedürfnissen und Kundgebungen zu nuscheln. Antraxa verfolgt das Schauspiel so ruhig wie der X9P.

Schließlich lehnt sich der Mutant vor, um Bestätigung oder gar Schmeicheleien von der Doktorin zu erhalten. Er sagt: „Ungeachtet meiner Forschungsprogramme fürs Allgemeinwohl gibt es im Universum doch auch das, was ich persönlich suche, nicht wahr? Das Element der Ewigen Schönheit?“

„Im Universum gibt es alles“, antwortet Antraxa. „Wir finden es, koste es, was es wolle, und dann werden Euch alle Menschen – lieben.“

Der Mutant lächelt verklärt.

KAPITEL 1

Nova sitzt auf der Bettkante und dreht einen angekohlten Ventilring in ihren Fingern, während ihr rotblondes Haar nach vorne hängt. Ihre Augen sind stahlblau und schön, aber die rechte Pupille zieht sich wie ein schwarzes Loch im Sternenglanz zusammen. Eigentlich könnte sie dieses ringförmige Bauteil als nutzlos betrachten. Denn der dazugehörige Ho­ver Car – ein schwebendes Auto – und der Ingenieur existieren nicht mehr. Doch dieser Ingenieur ist ihr geliebter Mann gewesen.

Wozu soll sie selber noch leben? Nova fragt sich, ob sie nicht sterben will.

Jedenfalls kann sie Xalypso nicht leiden, und am allerwenigsten die City, wo sie aufgewachsen ist. Darum bewohnt sie alleine einen Bungalow hier in der Prärie beziehungsweise Step­pe, wie man auf der Erde synonym gesagt hätte.

Nova steckt den Ring zu der Laserpistole in ihrer Shorts, knotet ihr Haar zusammen und richtet sich mit einem terrakottafarbenen Top auf. Ihre Brüste sind mittelgroß, aber ihre Schenkel kräftig und ihre schlanke Taille von OP-Narben gezeichnet. Sie geht nach draußen.

Rundum stehen braunrote Felsen. Ihre Zacken sind nicht hoch, aber sie bieten ein bisschen Schutz vor Windstößen und Tierherden. Die gelblichen Gräser wirken etwas verbrannt.

Allerdings hat es frühmorgens geregnet und Novas Gewächshaus die Wassertropfen systematisch eingesaugt. Sie baut exotische Wurzelknollen an, Blattgemüse und Beerensorten.

Indem sie zu Handschuhen und einem kleinen Dreizack greift, macht sich Nova an ihre Gartenarbeit. Sie geht in die Hocke und sieht durch die Ultraglaswand die Räder ihres angestaubten Rovers.

Doch auf einmal bemerkt sie ein Sirren. Am Himmel erscheint ein Space Copter (sozusagen ein Hubschrauber ohne Schraubblätter, aber mit dem Drehmoment eines UFOs). Nova kann schon auf eine unheimliche Entfernung das Firmenlogo lesen und weiß, wer das ist. Na, sie stellt sich vor den Bungalow, stemmt ihre Hände in die Hüften und wartet.

Der Space Copter landet.

Ein Trupp Androiden steigt aus und bildet ein Spalier. Mittendurch stapft ein untersetzter Oligarch mit Halbglat­ze, Kulleraugen und klimatisierter Business-Montur.

„Nova!“, grüßt er. „Einen hübschen Garten hast du.“

„Danke, Babošov. Aber ich wette, du hast ihn schon über Satellitenkameras entdeckt und erinnerst dich an unser letztes Gespräch.“ Nova zieht ihre Handschuhe aus, als möchte sie etwas abschütteln. „Was also soll dieser Aufmarsch?“

„Tja, wir brauchen noch einmal deine Hilfe.“

„Ich arbeite nicht mehr als Kopfgeldjägerin. Von Mord zu leben, ist einfach nicht gut.“

„Du hast doch immer nur Kriminelle kaltgemacht. Ich bedaure es, wenn du es dir vorwirfst, dass dein netter Mann von einer Bombe getötet wurde. Ob das aber wirk­lich mit deinen Aufträgen zusammenhing, werden wir nie –“

Nova dreht sich von Babošov weg zur Haustür.

„Verstanden, ich werde das Thema nicht mehr erwähnen. Nur … was hast du noch zu verlieren, Nova?“ Seine Stimme klingt fest und bittend zugleich. „Darf ich nicht reinkommen und einen Gemüsesaft mit dir trinken?“

„Einen Gemüsesaft?“, fragt Nova über die Schulter.

„Ja, hast du keinen?“

„Doch, natürlich. Ich hab sogar Schmauchnusskonfekt.“

„Hmm, wenn das nicht gastfreundlich ist!“

Sie schüttelt den Kopf und geht gleichwohl mit ihm hinein. Die Androiden bleiben draußen.

Während Nova den Oligarchen an ihren Tisch sitzen lässt, schichtet sie das Konfekt zu einer Pyramide auf und macht den Saft mit einem Mixer, der sich selber reinigt. Ba­bošov zieht ein Röhrchen aus seinem Anzug und schluckt eine Pille.

„Was ist das?“, fragt Nova.

„Ach, nur ein Metabolismus-Booster. Dadurch kann ich eine Unmenge Leckereien mit meinem Körper vernichten, ohne fetter zu werden und mich bewegen zu müssen. Ich bin nun mal ein fauler Geldsack.“

Nova meint: „Immerhin bist du ehrlich.“

Sie stellt die zwei Gläser mitsamt den Süßigkeiten auf den Tisch, nimmt ebenfalls Platz und beobachtet Babo­šov beim Schlemmen. Dabei denkt sie, dass er sich absichtlich so ruhig gibt, damit sie unruhig und noch neugieriger wird.

Genau in diesem Augenblick sagt er: „Lass mich dir erzählen, worum es geht, bevor du dir ein Urteil bildest. Unser Patriarch hat befohlen, verschiedene Produktionsprozesse auf die Kolonisierung fremder Planeten umzustellen. Wahr­scheinlich ist das sogar notwendig, weil unsere eigenen Ressourcen auf Xalypso beinahe als erschöpft gelten. Doch erstens lassen sich Geschäftsmänner wie ich nicht gerne an der Hundeleine führen, und zweitens handelt der Mutant – so berichten meine Spione – aus krankhafter Egozentrik. Leider ist sein Militär auf absolute Loyalität programmiert. Das ändert aber nichts daran, dass er dem Volk und der Wirtschaft schadet. Schon jetzt erhalten die Leute weniger Geld. Wenn der Patriarch nicht die Wunder findet, die er weiter und weiter im Universum sucht, ist das unser aller Ruin.“

Da auf Xalypso hauptsächlich die Roboter und Computer das Bruttosozialprodukt erwirtschaften, aber sich nicht mal Essen kaufen müssen, bekommen die Menschen vom Staat monatlich ein Budget zugeteilt. Folglich liegt die Arbeitslosigkeit bei normalen 70 Prozent. Die Leute versuchen der empfundenen Sinnlosigkeit durch zahllose Hobbys, Laster und Sekten zu entfliehen. Sogar Babošov entstammt einer solchen Durchschnittsfamilie. Allerdings hat er sich als Spekulant von Fabrikaten, Androiden und Immobilien nach oben gearbeitet. Ihm hängt der Ruf eines Opportunisten an. Gerade deshalb kennt er jedoch die psychischen Mechanismen der Menschen. Die größte politische Gefahr lauert darin, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr ihre Konsum-Riten pflegen können.

Nova trinkt von ihrem Gemüsesaft und philosophiert: „Lernen die Menschen denn jenseits der Wissenschaft nichts Existenzielles dazu? Laut den Legenden war unsere Heimat, die Erde, ein riesiger Garten mit einer faszinie­renden Artenvielfalt. Doch wir haben sie ausgeplündert. Wir haben sie missachtet, missverstanden, missbraucht – und die Rechnung dafür bekommen. Manche Leute meinen, dass sich der blaue Planet inzwischen erholt hat, manche nicht. Angeblich leben dort noch im­mer oder wieder Menschen, richtig? Auf jeden Fall sind wir überall im Universum wie Bakterienkulturen verstreut. Ja, die meisten von uns haben die Erde nach Klimakatastrophen verlassen, und nun wiederholen wir dieselben Fehler auf anderen Planeten.“

„Deswegen habe ich dich aufgesucht, weil es meines Erachtens noch nicht zu spät ist, dass wir aus der Vergangenheit lernen und die Schäden in Zukunft eindämmen. Es tut niemandem weh, wenn wir nur die Rohstoffe von zwei oder drei unbewohnten Planeten abbauen, aber das reicht dem Patriarchen und Dr. Antraxa nicht.“

„Dr. Antraxa?“, fragt Nova bestürzt.

In den brenzligsten Situationen standen die Überlebenschancen der Kopfgeldjägerin eins zu hundert. Doch die Doktorin hat sie jedes Mal mithilfe der Biotechnik wieder zusammengeflickt und stärker, schneller, übermenschlicher gemacht. Mittlerweile ist Nova zur Hälfte ein Cyborg.

Von Androiden unterscheidet sie sich dadurch, dass sie als Mensch geboren wurde. Doch macht das ihr Schicksal besser?

„Dr. Antraxa hat sich verändert“, sagt Babošov. „Sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.07.2023
ISBN: 978-3-7554-4797-9

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