Cover

Kapitel 1

Dieser Ort war kein schöner Ort, so dunkel und kalt. Es war ein enger Raum, aber die wenigen Möbel machten ihn unsympathisch groß. In der Mitte stand ein Tisch. Er war nicht aus Holz wie die meisten Tische, sondern aus kaltem silbernem Metall. Wenn man die Hände darauf legte, bemerkte man seine Kälte. Jedoch war nicht nur der Tisch Schuld für diese unfassbar unangenehme Kälte, sondern auch die Tatsache, dass das einzige kleine Fenster weit offen stand und kleine weiße Schneeflocken hereinschwebten. Diese Schneeflocken waren wahrscheinlich das einzige liebevolle, und doch brachten sie diese eisige Kälte mit sich. Wie gern hätte Bee diese flauschigen kleinen Flocken angegriffen, und dann beobachtet wie sie langsam in ihren zierlichen Händen schmolzen. Aber Bee saß brav auf dem Sessel aus Metall, vor dem Tisch aus Metall und blickte sehnsüchtig aus dem kleinen Fenster.

"Bee Marie Baltram?"

Bee wandte den Blick weg vom Fenster. Vor ihr saß die wütend blickende Frau, die sie hierher gebracht hatte. Wie gerne wäre das kleine Mädchen einfach davongelaufen. Weit weg von der scheußlichen Frau. Aber das konnte sie nicht, da Bee viel zu klein und ängstlich war.

"Erzähl uns doch bitte von letzter Nacht."

Die Frau lächelte, aber es sah eher krampfhaft als liebevoll aus. Bee bemerkte ihre perfekt frisierten Haare. Keine einzige Strähne rutschte aus ihrem strengen pechschwarzen Zopf heraus. Wie lange sie wohl morgens vor dem Spiegel braucht?

"Also...", begann Bee.

Kapitel 2

Wie jeden Morgen wurde Bee von den Sonnenstrahlen, die durch die Gitterstäbe ihrs Fensters schienen, geweckt. Vorhänge bekam sie keine, oft versucht hatte sie es schon. Die Uhr an der rosa gestrichenen Wand zeigte 6 Uhr. Zeit zum Aufstehen. Bee strich sich die Haare aus dem Gesicht. Gerne hätte sie diese kürzer, jedoch wurde ihr auch dies verboten. Sie kroch unter der Decke hervor und stieg auf den warmen Fußboden. Sie sorgten immer dafür, dass es die Einwohner schön warm haben, deswegen auch die Fußbodenheizung. Bee war es so auch recht, obwohl sie manchmal die Kälte ihrer Heimat vermisste. Einen Kleiderschrank hatte Bee nicht. Sie musste jeden Morgen auf ihre Kleidung warten. Diese befand sich in einem Schacht in ihrem Zimmer. Dort verteilten sie es täglich für alle Einwohner. Viele meinten, die Kleidung würde extra für die Einwohner gewählt werden, weil dort Mikrochips versteckt wären. Bee war der Meinung, dass sie einfach nicht wollten, dass sich jemand Individuell fühlt und in gewisser Weise war es auch beruhigend sich nicht jeden Tag Sorgen darum zu machen, was man trägt. Heute bekam sie ein Kleid aus hellblauem leichtem Stoff, nicht zu auffällig aber auch hübsch.

Bee zog sich an und ging ins Badezimmer. Es war hell und schön und sah immer neu aus, dabei wohnten hier schon lange Menschen, und alle hatten immer exakt dasselbe Zimmer mit demselben Badezimmer. Neben dem Spiegel hingen Bilder von Frisuren. Diese Frisuren durften die Einwohner haben, alles andere war zu individuell. Bee hatte ihre langen, blonden Haare fast jeden Tag gleich. Einfach einmal durchfrisieren und fertig. Sie hatten ihr schon oft gesagt, Bee sollte mal eine der Flechfrisuren probieren, aber sie wollte nicht.

"Bee? Bist du munter?"

Mimi war in ihr Zimmer gekommen. Mimi war die einzige dunkelhäutige der Einwohner. Sie kam einst aus einem Land, in dem es immer angenehm warm war, und die Menschen mitten in der Natur wohnten. Mimi erzählte gerne und oft vom Meer und sie erzählte auch immer von den Menschen, die Abends zusammen am Lagerfeuer am Strand tanzten. Mimi konnte gut erzählen. Bee kam es immer so vor als würde sie das Salz des Meeres selber riechen und die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spüren.

"Ja ich komme", antwortete Bee.

Mimi nahm Bees Hand und zerrte sie aus dem Zimmer.

"Oh Bee, ich freue mich so sehr auf heute, das kannst du dir gar nicht vorstellen."

Mimi grinste und zeigte ihre wunderschönen weißen Zähne. Se hatte ihre pechschwarzen Haare zu einem Dutt auf ihrem Kopf gebunden und sie trug sogar etwas Make-Up. Sie hatten ihr heute auch ein stralendes rotes Kleid gegeben. Mimi sah einfach wunderschön aus.

"Andre meinte das Haus ist richtig schön und ich habe sogar einen Garten mit Blumen und da darf ich Gemüse anbauen und oh Bee ich kann den ganzen Tag die Sonne spüren."

Mimi und Bee waren im Frühstückssaal angelangt. Es waren noch nicht viele da, denn die meisten waren keine Frühaufsteher. Der Frühstückssaal war ein großer heller Raum mit vielen Fenstern und bunten, freundlichen Farben. Es gab sogar kleine Sofas mit Tischen. Diese waren abgeschottet von den anderen und wurden als die "Festtagsecken" bezeichnet. Heute durfte Mimi auch in solch einer Ecke sitzen, da es ihr letzter Tag hier war.

"Komm Bee. Heute sind wir mal die Stars und essen in den Festtagsecken."

Mimi war voller Energie und lies sich richtig in das Sofa fallen. Bee setzte sich gegenüber. Wenn jemand feiert, darf er Gäste einladen und Mimi hatte Bee eingeladen.

Plötzlich wurde Mimis Gesicht ernster.

"Das heißt jetzt wohl, dass wir uns nie wieder sehen." Mimi sah bedrückt auf die Mädchen am Nebentisch die sich gerade einen Apfel teilten. Das hatten Mimi und Bee auch oft in der Vergangenheit getan.

"Dafür hast du jetzt ein Leben, das du dir immer schon gewünscht hast. Du und Andre und ein schönes Haus und vielleicht einmal Kinder. Sei doch nicht so traurig an deinem letzten Tag. Ich werde die paar Jahre schon ohne dich schaffen."

"Ach ich weiß Bee."

Man sah Mimi an, dass sie Bee vermissen würde und Bee würde Mimi noch viel mehr vermissen. Sie verstand sich nie mit den anderen Einwohnern und sie würde auch keine neuen Freunde mehr finden, aber sie wollte auch das Mimi glücklich ist und so sehr wie sie strahlte war das auch der Fall.

Mimi hatte sich vor ungefähr zwei Jahren verliebt. Der Glückliche war einer der Angestellten. Ein hübscher junger Mann, der für die Technik zuständig war. Als einmal der Lernomputer im Gemeinschaftsraum ausfiel, sah Mimi ihn das erste Mal und verliebte sich sofort. Andre und sie führten bald eine Beziehung und vor einem Monat, als Mimi 18 wurde, sprach er mit dem Obersten, ob sie nicht zusammenleben durften. Natürlich würde Mimi nie wie eine normale Frau leben dürfen, aber sie bekamen die Erlaubnis in ein Haus unter Beaufsichtigung zu ziehen.

Nach dem Essen begleitete Bee Mimi in ihr Zimmer. Mimi hatte bereits gepackt. Viel hatte sie ja nicht, da sie das meiste von ihnen bekamen.

"Ich will dir noch was geben, damit du mich nicht vergisst." Bee blickte etwas verlgen auf den Boden.

"Aber Bee ich werde dich doch nicht vergessen. Du wirst für immer meine allerbeste Freundin sein und wer weiß, vielleicht ziehst du auch mal in meine Gegend."

Bee griff in den Ausschnitt ihres Kleides und holte einen Tannenzapfen hervor.

Mimi machte große Augen. "Aber das ist doch so wertvoll für dich behalte es doch!"

"Nein es gehört dir. Ich weiß, dass du gut darauf aufpasst"

"Danke"

Mimi schloss Bee in die Arme. Sie wusste wie viel der Tannenzapfen Bee bedeutete, denn er war das einzige, dass sie noch aus ihrer Heimat hatte.

Und dann ging Mimi. Mit dem Koffer in der linken und dem Tannenzapfen in der rechten Hand. Am Eingang wartete schon eine Frau auf sie, die sie in ihr neues Zuhause brachte. Mimi drehte sich noch kurz um.

"Ich werde dich vermissen Bee"

Kapitel 3

Die Tage ohne Mimi wurden immer langweiliger. Bee hatte keine Lust mehr zu Arbeiten, zu Essen, oder auf einer der wenigen Freizeitaktivitäten.

 

Es war ein wie immer warmer Nachmittag, als Bee von ihrer Arbeit als Näherin in den kleinen Park nach draußen ging. Die Laubbäume waren groß und prachtvoll grün. Nie hatte sie jemand rot werden sehen, oder ein paar kleine Blüten betrachten können. So wurde einem das Zeitgefühl genommen. Bee wusste nicht, was für eine Jahreszeit war, nicht einmal welches Jahr war. Sie wusste auch nicht wie alt sie war. Vielleicht war sie erst 15, und sah nur um einiges älter aus, oder sie war kurz vor ihrem 18. Geburtstag. Der 18. Geburtstag. Dieser war das einzige, abgesehen von den Verabschiedungen, dass hier gefeiert wurde. Es war auch wirklich etwas Besonderes, da man an diesem Tag endlich erfuhr, wie alt man war. Außerdem durfte man ab 18 weg von hier. Die meisten gingen weg, da sie sich verliebt hatten, und eine Familie gründen wollten. Der Rest blieb hier. Es gab keinen einzigen Fall, wo jemand gehen wollte, obwohl er keinen Partner gefunden hatte. Bee konnte das irgendwie verstehen, da das Leben hier organisiert und wohl behütet war. Den Bewohnern fehlte es an nichts und obwohl man sich nie frei entfalten konnte, war man doch zufrieden.

 

Bee ging die Allee von großen Bäumen entlang. Obwohl ihr ganzes Land von einer riesigen Kuppel überdeckt war, wirkte es so, als wäre man in einem richtigen Garten. Nur Sonnenstrahlen bekam auch die modernste Technik nicht hin. Das Licht wirkte immer künstlich, und obwohl es so warm war wärmte es nicht richtig. Bee verstand, dass Mimi weg von hier wollte. Mimi war wild und frei und konnte einfach nicht eingesperrt sein. Aber Bee? Bee war ruhig und einfach. Ihr viel es nicht schwer sich anzupassen und obwohl ab und zu ein sehnsüchtiger Gedanke von ihrer Heimat in ihr hochkam, schaffte sie es doch ihr früheres Leben zu verdrängen. Das einzige, dass sie etwas bedrückte war, dass sie so einsam wahr.

Am Ende der Allee war es nicht mehr weit von der Kuppel entfernt. Bee legte ihre Finger auf das Glas. Es war unnatürlich warm, so wie immer. Die Kuppel zeigte nicht, was hinter ihrem Garten lag, denn sie schimmerte in einem hellen beige. Bee legte ihren Kopf ganz nahe an das Glas. Sie spürte richtig den Drang einfach das Glas einzuschlagen und frei zu sein. Nein, diesen Gedanken musste sie verdrängen. Bee hatte es gut hier. Sie hatte einen guten Job und viel Freizeit und die Werter sahen auch nicht oft nach ihr, da sie nie auffällig war. Eine Gabe, um die Mimi immer gekämpft hatte. Die Wärter waren so gut wie immer in ihrer Nähe. Mimi erzählte sogar einmal davon, wie sie beim Duschen von einer weiblichen Wärterin beaufsichtigt wurde, weil sie einmal unter der Dusche gesungen hatte. Singen war natürlich strengstens verboten, schließlich soll sich hier jeder gleich fühlen, und Talente wie singen erreichten bloß dass manche etwas besser konnten. Ab den Moment sang Mimi nur mehr, wenn sie ganz sicher alleine war, und dass war sehr selten. Bee hoffte so sehr für sie, dass sie jetzt in ihrem Haus so viel singen durfte wie sie wollte.

 

Plötzlich hörte Bee ein Geräusch. Erschrocken nahm sie ihren Kopf von der Scheibe weg. Das Geräusch erwirrte sie, denn ihnen wurde immer gesagt, dass draußen nichts war und auch nichts überleben konnte. Bee hörte noch einmal hin. Das Geräusch war eindeutig ein Klopfen. Bee hatte noch nie darüber nachgedacht, dass auf der anderen Seite Menschen sein konnte. Sie dachte immer dort draußen würde es aussehen wie eine rießige Wüste mit weit und breit keine Zivilisation. Solche Wüsten, wie sie in den Büchern in der Bibliothek gezeigt wurden. Diese Tatsache erzählten die Wächter auch immer wieder wenn es Bewohner gab die danach fragten. Oft kam das nicht vor, aber Bee konnte sich noch an einen sehr neugierigen Jungen erinnern. Er war nicht lange hier. Wahrscheinlich war er kurz vor seinem 18. Geburtstag und er fand eine Partnerin. Aber im Inneren wusste Bee, dass etwas anderes passiert sein musste.

 

Das Klopfen wurde kurz lauter. Dann war wieder Stille. Nervös sah Bee sich um. Die wenigen Menschen, die im Garten waren, beachteten sie nicht und ein Wächter war auch nicht in Sicht. Bee nahm all ihren Mut zusammen und klopfte dreimal zurück. Noch immer war Stille. Dann bemerkte sie, dass das Klopfen nun weiter links war. Bee folgte dem Geräusch, wartete kurz ab und klopfte zurück. Das nächste Klopfen führte sie an die Seite des Geräteschuppens. Dort wuchsen Sträucher und wenn man hinter die Sträucher ging, war dort so ein Art toter Winkel. Dieser Platz wurde gerne zum Knutschen von frisch verliebten Paaren gewählt. Die Wächter wussten zwar davon, aber akzeptierten es. Schließlich wurde darauf hingearbeitet, dass jeder einen Partner fand. Das Klopfen hörte auf, und schon langsam kam sich Bee dumm vor. So ganz alleine, versteckt hinter Büschen, nur weil jemand an die Scheibe klopfte. Vielleicht war auch nur ein Vogel dagegen geflogen oder man hatte Bäume gepflanzt, die gegen das Glas schlugen. Da bemerkte sie, dass der Strauch, nahe der Scheibe, etwas raschelte. Das wäre Bee früher keineswegs seltsam vorgekommen, da dort wo sie herkam viele Tiere in den Wäldern wohnten, und es gab auch immer eine leichte Briese, die die Äste zum tanzen brachte. Unter der Kuppel gab es aber keinerlei dieser Vorkommnisse. Bee hockte sich auf den Boden und bog die Äste etwas zur Seite. Sie waren rau und stachelig. Ein Stachel bohrte sich tief in ihre Haut.

"Aua!"

Bee schaute schnell um sich. Keiner hatte ihren Schrei bemerkt. Sie musste aber trotzdem vorsichtig sein. Eigenes Handeln ist eines der schlimmsten Vergehen und dafür würde sie sicher eine der Strafen bekommen. Was genau diese Strafen sind wusste niemand so genau und ob sie wirklich so grausam seien wird nur unter den Bewohnern gemunkelt. Eines steht aber fest, jede Geschichte hat einen wahren Kern.

Bee zog den Stachel aus ihrer Hand. Zum Glück war in den nächsten Wochen keine medizinische Untersuchung geplant. Eine Wunde in ihrer Hand hätte nur bohrende Fragen gegeben.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /