Elisa wischte sich die Tränen aus den Augen. Immer wieder sank sie ins sich zusammen.
Konnte keine Ruhe finden!
Der Inhalt ihres Lebens, wo war er? Begraben, zwölf Fuß tief unter kalter Erde. Ein ganzes Jahr war nun schon vergangen, wo sie ihr geliebter Ferdinand verlassen hat.
Jeden Tag, den Gott sie am Morgen erwachen ließ, schleppte sie sich an sein Grab.
Warum hatte Gott ihn zu sich geholt? Warum musste sie alleine zurückbleiben!
Immer wieder bat sie ihn doch gnädig zu sein! Sie wollte nicht leben ohne Ferdinand.
Doch heute war etwas geschehen, was sie niemals vermutet hätte.
Ihre Trauer wandelte sich um in Wut, Unverständnis und Misstrauen. Ein Leben schien in sich zusammenzubrechen, wie ein Kartenhaus.
Alles fing an mit einem bunten Blumenstrauß, den sie auf dem Grab vorfand. Er war nicht von ihr!
Heute, ein ganz gewöhnlicher Dienstag, veränderte alles. Elisa ging wie jeden Morgen nach dem Frühstück an das Grab ihres Mannes. Ihr Tagwerk begann erst, wenn sie vom Friedhof zurückkam.
Von weitem sah sie sie schon! Eine junge dunkelhaarige hübsche Frau stand weinend am
Grab ihres Ferdinands. Elisa erschrak!
Beherzt ging Elisa auf sie zu und fragte: „Wer sind sie und was machen sie hier am Grab
meines Mannes?“ Betretene Stille kam auf und Elisa sah in ein trauriges und verweintes
Gesicht. „So reden sie doch, was machen sie hier“, fragte sie noch einmal mit zitternder Stimme?
„Ferdinand ist mein Vater“, entgegnete sie leise, kaum hörbar. Doch für Elisa war es wie ein gellender Schrei, der die Erde unter ihren Füßen zum Wanken brachte. Sie sank in sich zusammen, war nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Ihre Welt stand still.
Beherzt und dennoch vorsichtig griff die junge Frau nach ihr und hob sie mit einiger Mühe
von dem kalten und feuchten Boden hoch. „Bitte, liebe gute Frau, lassen sie es mich erklären.“, flehte sie und sofort rannen ihr wieder heiße Tränen die Wangen herunter.
Elisa schaute stumm zum Himmel! Mit aller Kraft riss sie sich los und schrie: „Wie können sie so etwas sagen? Mein Ferdinand würde so etwas nie tun. Sie sind eine Lügnerin!“
Traurig sank nun die junge Frau zu Boden, streichelte liebevoll und sehr zart mit ihren Händen die Erde, unter der ihr Vater begraben lag.
Eine gefühlte Ewigkeit sprach niemand ein Wort. Dann brach es aus ihr heraus. Ferdinand, ihr Mann war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, wie sie wissen. Er hat überlebt, aber nur deshalb, weil meine Mutter ihn gesund gepflegt hat. Ausgemergelt und von Hunger und Elend gezeichnet, fand meine Mutter ihn an einem eiskalten Wintermorgen vor unserer Haustüre. Niemand hätte auch nur einen Pfifferling für ihn gegeben. Sie peppelte ihn mit viel Energie und Herzblut wieder auf. Vater verliebte sich in meine Mutter, die auch ihren Mann, den ich nie kennen gelernt habe, im Krieg verlor. Zwei einsame Herzen, die durch ihre Zuneigung und Dankbarkeit zueinander fanden. Meine Mutter erzählte mir die ganze Geschichte auf ihrem Sterbebett. Ihr letzter Satz war: „Du musst ihn suchen mein Kind, auch wenn ich glaube, dass er letztendlich nur seine Frau Elisa geliebt hat. Dennoch ist er Dein Vater!“ Mit diesen Worten verließ sie mich und zurück blieb eine traurige Tochter, die nie ihren Vater kennen lernen durfte. Dies sind jetzt zwei Jahre her und seit dieser Zeit suche ich nach ihm. Erst vor einer Woche erfuhr ich durch Zufall, den Ort, wo er lebte. Doch ich komme zu spät! Es bricht mir das Herz, dass ich nur noch an seinem Grab stehen darf. Elisa, mein Name ist Fernanda. Zur Erinnerung an meinen Vater nannte mich Mutter so. Auch er wusste nichts von mir, gestand mir meine Mutter. Sie kannte keine Adresse von ihm und konnte es ihm somit auch nicht schreiben. Ein Leben lang glaubte ich, dass mein Vater im Krieg gefallen sei. Bitte Elisa, vergeben sie den beiden! Denn wäre meine Mutter nicht gewesen, säßen wir beide jetzt nicht hier und mein Vater wäre wahrscheinlich nicht zu Ihnen zurückgekehrt.
Elisa schwieg noch immer. Doch irgendwie gab die Klammer um ihr wundes Herz nach. Die Worte von Fernanda bewegten sie, krochen in ihre Seele und Gott schenkte ihr ein gnädiges Herz. Vergebung machte sich breit in ihrem Inneren. Sie hatte Recht! Ohne diese Frau wäre sie sicher auch eine Kriegerwitwe und ein schönes Leben, was sie letztendlich doch mit Ihrem Ferdinand hatte, wäre ihr verwehrt geblieben. Sie erzählte nun Fernanda, dass ihr Vater friedlich eingeschlafen sei. Sonntags im Gottesdienst! Während der Kirchenchor das Lied sang „Großer Gott wir loben Dich“, nahm Ferdinand meine Hand und flüsterte: „Danke, meine geliebte Elisa.“ Dann sank sein Kopf nach unten und er verließ mich, ließ mich hier alleine zurück!“
„Elisa“, sprach nun Fernanda mit fester Stimme, „meinst du nicht, dass das Schicksal uns
beide zusammen geführt hat? Ich habe Niemanden, keine Mutter, keine Geschwister. Großeltern gibt es auch nicht mehr. Meine Erinnerung an sie ist verblasst, denn ich war noch ein Kleinkind, als sie verstarben. Ich weiß, das kommt für sie, gelinde ausgedrückt, sehr überraschend, aber ich habe daran gedacht, hier zu bleiben. Hier, wo mein Vater gelebt hat! Ich suche mir hier eine Bleibe und Arbeit. Vielleicht können wir ja irgendwann, wenn ein wenig Zeit ins Land gegangen ist, Freunde werden! Sie müssen mir jetzt nicht antworten! Sicher begegnen wir uns hin und wieder hier am Grab.
Man hörte den Wind in den Grashalmen singen, das Rascheln der Blätter, die müde von den Bäumen fielen. Eine friedliche Stille legte sich über die Gräber.
„Nein“, unterbrach Elisa das scheinbare Anhalten der Natur! Unser Haus ist groß genug,
viel zu groß für eine alleinstehende und alte Frau wie mich. Du ziehst zu mir, in das Haus Deines Vaters. Fahr zurück und hol Deine Sachen. Wir wollen Kummer und Vergangenes versuchen zu vergessen.“ Elisa spürte, dass es Gottes Wille war und alles Aufbäumen und Wehren war verschwunden. Ein überirdischer Friede machte sich in ihr breit.
Franz und Elisa hatten sich ein Leben lang Kinder gewünscht. Doch dieser Segen war Ihnen
nicht vergönnt. Trotz vieler flehentlicher Bitten an ihren Schöpfer war Ihnen diese
Bitte verwehrt geblieben. Kein Arzt konnte helfen. Sie mussten sich mit diesem
Schicksal zufrieden geben. Doch nun hatte sich alles gewandelt. Sie hatte zwar ihren geliebten Mann verloren, aber dafür vielleicht eine Tochter erhalten. Gottes Netze sind so fein gesponnen und die, die IHN lieben, dienen doch irgendwann alle Dinge zum Besten.
Es hat eine Weile gedauert, bis sich die beiden Frauen aneinander gewöhnten. Doch heute
spricht ein jeder in dem kleinen Dörfchen nicht mehr von der alleinstehenden Witwe Elisa, sondern man nennt sie: Elisa und ihre Tochter Fernanda.
Und wenn man heute in der frühen Morgenstunde über des kleinen Dörfchens Friedhof schaut,
knien an einem Grab zwei Frauen, die dankbar ihren Blick nach Oben richten.
Texte: Texte: alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: Coverrecht liegt bei der Autorin
Lektorat: /
Tag der Veröffentlichung: 11.03.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Wettbewerb Kurzgeschichten
der Gruppe K&G
Februar 2012