*Pechvögel und Spottdrosseln*
Wer den Schaden hat ...
Gitta Rübsaat (Hrsg.)
Autoren – Anthologie
Gemeinsam gegen die Not der Tiere
Unser Spendenziel sind Tiere in Not, Tiere, die aus der Tötung gerettet, ausgesetzt, unterernährt, krank und als verwahrlost aufgegriffen werden. Die Autoren verzichten auf jegliches Honorar, der Nettoerlös geht also vollständig als Spende an die Tierrettung „Arca Fabiana - Tierrettung Azoren e.V.“Allen Autoren ein herzliches Dankeschön und unser besonderer Dank gilt Heike Helfen, die uns das von ihr entworfene und gemalte Coverbild ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellt hat.
Die Originalausgabe erschien im Juni 2017 bei BookRix GmbH & Co.KG als e-book
und das Taschenbuch über Print on Demand by CreateSpace Herstellung: Amazon Distribution GmbH Leipzig
Copyright © 2017 Gitta Rübsaat (Hrsg. und Mitautor) Alle Rechte liegen bei den Autoren, Cover Illustration: ©Heike Helfen, Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung der Autoren zulässig. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen, so wie das Speichern und Verarbeiten in elektronischen Systemen.
Inhaltsverzeichnis
Pechvögel neigen ja von Natur aus dazu, in Schwärmen aufzutreten. Sie in einer Anthologie freizulassen, mag ein gewagtes Unterfangen sein. Was macht ein Pechvogel so den ganzen Tag - Trübsal blasen, mit Fortuna verhandeln zwecks Vergünstigungen? Der Pechvogel hat größere und kleinere Geschwister: Das Debakel ist zu unterscheiden vom Armageddon, auch wenn einem das zum jeweiligen Zeitpunkt als schlimmstes Malheur erscheint, das Schicksal kann sich steigern, holt da noch mehr an Pech für einen raus.
Es scheint, als habe man seinen persönlichen Fehlerteufel, der nur dafür verantwortlich ist, da einiges durcheinanderzubringen im Innerseelischen, ein Tohuwabohu erster Güte. Man hat ja schon eine gewisse Fehlertoleranz, einen Puffer gegen die Rempeleien des Zeitgeistes, der möchte, dass man in Reih und Glied mitmarschiert. Gelegentlich wird man des Spielfeldes verwiesen, Schiedsrichter Schicksal zeigt einem zum wiederholten Mal die Arschkarte; soll man ihm den Vogel zeigen? Was denkt sich das Schicksal, soll man auf der Reservebank Däumchen drehen?
Das Leben eine Drangsal. Doch wer entscheidet, ob die jeweilige Stunde als Malheur oder Bonheur zu bezeichnen ist?
Einen gewissen Spielraum hat man. Vielleicht ist es so wie mit Saatkrähen - Vogelscheuchen aufstellen - lassen sich die Pleitegeier, selbstklebenden Kuckucke vertreiben und auch die Sorte von Pechvögeln und Unglücksraben, die damit beauftragt scheinen, üble Butler-Dienste beim Grafen Bewusstsein zu praktizieren?
Verfügen die Pechvögel zumindest über Schwarmintelligenz? Was brüten die wieder aus? Manchmal denkt man sich, da muss ein Nest sein, jeder Tag der Woche scheint, den für ihn zuständigen Pech-Betreuer zu haben. Vielleicht sollte man zu Frau Holle in die Lehre gehen und sich resistenzhalber mit Kübeln voller Pech regelmäßig überschütten lassen? Das härtet ab. Wann startet das Goldmarie-Programm? Es ist ja keineswegs so, dass Fleiß, adrette Geisteshaltung mit Glück in Verbindung stehen; glücksverheißendes Tun - von wegen - so einfach ist es nicht.
In der Historie obsiegen die Gemeinen, die Vorlauten, die Krakeelenden. An sie erinnert man sich. Evolution und Historie favorisieren den Marktschreier-Typus. Ist das der Fehler der Pechvögel - dass sie es nicht wagen, ihre Schwingen zu nutzen, am Boden hocken und nicht mal in Gedanken zu Höhenflügen bereit sind? Die Spottdrosseln beherrschen das Feld. Ihre Taktik geht auf. Fortuna zeigt Thumbs up bzw. Flügelspitzen hoch. Fortuna als Adler, von dessen Flug man Rückschlüsse ziehen will über Künftiges, über Geneigtheit der Götter.
Aber war nicht schon Prometheus ein Leidtragender, dem der Adler übel mitgespielt hat? Was wollte er? Der Menschheit auf die Sprünge helfen, hat sich für sie eingesetzt. Ist ihm nicht gut bekommen. Eventuell gilt das für alle Pechvögel, dass sie nicht berücksichtigen, was Zeus will, der Oberboss. Eigene Wünsche hegen, damit kommt man Ihm ins Gehege?
Der Erlös dieser Anthologie kommt ausgesetzten, mishandelten, oft in die Tötung abgeschobenen Hunden zugute, die in gewissem Sinne auch Pechvögel sind: Das Leben hat sie stiefmütterlich behandelt. Gibt es gelegentlich eine Portion Glück für sie?
Schlafend lehnt der Mann im Forst
an eines umgestürzten Baumes Leiche.
Es war der alte Förster Horst,
das Holz - es war’ne Eiche.
Nicht weit davon, im Strauchgeäst,
sucht’ eine schwarze Krähe
nach einem schönen Krähennest,
möglichst dort in der Nähe.
Erblickte so den leuchtend Haarkranz
des einsamen Mannes im Wald,
dacht', da mach ich keinen langen Tanz,
das wird mein neues Nest sehr bald.
Welch ein schöner, günst‘ger Ort.
Sie ließ sich nieder auf der Glatze,
zupfte hier und zupfte dort,
was sie hat, das hatse.
Ergo: lass’ Dich nie im Walde nieder,
sonst hast Du auf dem Kopf Gefieder.
Sie kennen das sicher aus lustigen Pechvogel-Trickfilmen; da findet ein Mann auf der Straße ein Hufeisen, wirft es, dass es ihm Glück bringe, über die linke Schulter und zerknallt eine große Schaufensterscheibe.
Er rennt vor dem ihn verfolgenden Ladenbesitzer davon und übersieht in seiner Eile, dass zwei Arbeiter eine Glasscheibe quer über den Gehsteig tragen.
Er kracht voll dagegen, auch die Scheibe geht zu Bruch und nun verfolgen ihn auch noch die Arbeiter.
Ein ganzes Stück vor ihm schält sich ein kleines Mädchen eine Banane und wirft die Schale galant hinter sich, dem Mann direkt vor die Füße, der dann ... usw.
Ein Pechvogel gleicher Art scheint mein Nachbar und Spezi Edwin schon seit Kindertagen zu sein. Schon damals verging beinahe kein Tag, an dem ihm nicht ein Missgeschick erteilte. So hatte er seiner vierjährigen Schwester das Kreiseln beigebracht und ihr ans Schnurende drei richtig fette Knoten gemacht. Die Kleine holte kräftig mit der Peitsche aus, traf ihn, der seitlich hinter ihr stand, am rechten Auge.
Seine Mutter bekam vor Schreck fast einen Herzkasper, als sie Sohnemann erblickte, der mit seinem zugeschwollenen Auge, dem Glöckner von Notre Dame "Quasimodo" nicht unähnlich sah.
Die Geschwulst heilte dank Mamas Hausrezept (eine Packung frisches Hackfleisch) schnell ab, aber der Spitzname blieb an ihm hängen. Einziger Trost war, dass die Mädchen den Spottnamen zu Quasi verniedlichten, was sein Selbstwertgefühl wieder ins Gleichgewicht brachte.
Das Unglück verfolgte ihn aber weiter auf Schritt und Tritt. Seine Mutter hatte Edwin zu Weihnachten ein Paar Schneeschuhe geschenkt und am nächsten Tag probierte er sie im nah gelegenen Park aus. Es ging besser als gedacht, sogar ein Stemmbogen gelang, ohne dass er zu Fall kam.
Dann aber geschah, was geschehen musste; ein Schlitten kam von der Richtung ab und fuhr haarscharf über die gebogenen Spitzen seiner Ski, die natürlich abbrachen. Aus war es mit der Winterherrlichkeit und bis die Ski notdürftig geflickt waren - hieß es, den alten Schlitten aus dem Kohlenkeller wieder heraufzuholen.
Damals war es Mode, mehrere Schlitten aneinanderzukoppeln und natürlich tat er da auch mit. Ich weiß nicht genau, warum, aber jedenfalls löste sich sein Schlitten am großen vereisten Buckel und Edwin knallte voll an einen Baum.
Er hatte Glück im Unglück, wenn man das so nennen darf, und kam mit einer Gehirnerschütterung und sechs Wochen Krankenhaus davon. Ein Gutes hatte die Sache allerdings, die Lehrer waren einige Zeit sehr nachsichtig mit ihm und gaben ihm bessere Noten als vorher.
Es schien, als wäre seine Pechsträhne zu Ende, aber dann spielte ihm das Schicksal einen weiteren bösen Streich.
Im Freiluftbad "Waldidyll" war ein Dreimetersprungturm mit einem langen gut gefederten Sprungbrett. Man wippte ein paar Mal, ließ sich in die Luft schleudern und glitt dann, die Arme natürlich angelegt (Seemannsköpper) in die Tiefe. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht, sagt man.
Nun, in seinem Fall brach das Brett.
Edwin stürzte ohne jegliche Kontrolle in die Tiefe, knallte mit dem Körper und einem Teil seines Schädels gegen die am Beckenrand angebrachten hölzernen Haltestangen. Diesmal dauerte sein Krankenhausaufenthalt ein halbes Jahr und da er sich sowieso schon vorher entschlossen hatte, die Schule nach Klasse 8 zu verlassen, ließ man ihn, trotz des Schulausfalles, in seiner alten Klasse. Das Abschlusszeugnis, ein Geschenk der Lehrer, die vielleicht froh waren, Edwin endlich los zu sein, war so gut, dass seine Frau Mama es gar nicht glauben wollte, was sie da für einen klugen Sohnemann zur Welt gebracht hatte.
Schon damals waren Achtklassenabgänger nicht gerade bei Arbeitgebern gefragt, aber Edwin bekam einen Lehrvertrag in einer großen Klempnerei, die sich auf die Sanierung von Kirchendächern und historischen Bauten spezialisiert hatte.
Nein, nein, er ist nie von einem Kirchendach gefallen oder hat sich in der Wetterfahne verhakt. Edwin hing auch nie hilflos zappelnd am Zeiger der Turmuhr, wie der amerikanische Komiker Harold Loyd im Film. Es geschah weitaus Schlimmeres ...
Sie hatten in der Werkstatt eine große eiserne Richtplatte. Der Meister wies Edwin an, einen Pack Kupferbleche dorthin zur weiteren Bearbeitung abzulegen. Das Pack war ziemlich schwer und Edwin war froh, als er es auf die etwa hüfthohe Richtplatte fallen lassen konnte.
Dummerweise war er der Richtplatte zu nahe gekommen und ohne dass er es merkte, hatte sich die Spitze seines edelsten Teiles auf die Fläche gelegt. Darauf knallte dann leider fast ein halber Zentner Kupfer. Edwin schrie wie am Spieße, hing fest wie die Fliege am Leimtopf und es dauerte eine Weile, bis die Kollegen kapierten, was geschehen war und ihn aus seiner fatalen Lage befreiten.
Bis in die Büros machte sein Missgeschick die Runde und Edwin hatte das Gefühl, dass besonders die weiblichen Angestellten, wenn sie ihn sahen, ein mitleidig dämliches Grinsen in den Mundwinkeln vor ihm zu verbergen suchten. Es sei noch angemerkt, dass er alles ohne irgendwelche bleibende Schäden überstand.
Man würde denken, das sei nun genug der Unglücksfälle, aber leider war dem nicht so. Dennoch während seiner Wehrpflicht, die gab es damals noch, hatte er sogar Glück im Unglück.
Innerhalb der Nachtwache war der Heizkessel unter Dampf zu halten, also Koks nachzufüllen. Edwin tat es, aber vergaß, den Wasserstand zu überprüfen. Es war nicht mehr viel Wasser im Kessel und auch der Rest verdampfte. Sämtliche Rohrleitungen im Haus zitterten wie im Fieber und machten einen Höllenlärm. Dann ein Knall, laut wie der Schuss einer Panzerhaubitze, das Sicherheitsventil hatte sich verabschiedet.
Zum Glück, sonst wäre der Kessel explodiert und die Kaserne vielleicht in die Luft geflogen. Der Schaden konnte ziemlich schnell repariert werden und so kam Edwin mit einer zweiwöchigen Ausgangssperre davon.
Sonst passierte nicht viel ... Sehen wir mal davon ab, dass er während einer Schießübung fast zur Zielscheibe wurde, ihn beim Herbstmanöver um ein Haar ein Panzer überrollte und er sich im Abstand von drei Monaten erst den rechten, dann den linken Fuß verstauchte. Alles in allem gesehen, hatte er das Gefühl, diese Zeit ganz gut überstanden zu haben.
Dementsprechend groß sein Optimismus mit dem er wieder in das zivile Leben einstieg. Dass sein Betrieb Pleite gegangen war und er sich eine neue Beschäftigung suchen musste, fand er nicht allzu schlimm. Weit schlimmer fand er, dass ihm während seiner Abwesenheit, seine Freundin Uta ein paar gewaltige Hörner aufgesetzt hatte. Ihre Liebesbriefe und Treueschwüre waren nichts als "Kalter Kaffee" gewesen und der "Esel" hatte alles für bare Münze genommen.
Eine gemeinsame Bekannte, die er zufällig traf, wusste von der Angelegenheit und sprach ihm sehr freundlich Trost zu. Er fand das rührend und jammerte (gerissen wie er war) ein wenig, um noch mehr ihr Mitleid zu erregen, was auch ohne Schwierigkeiten gelang.
Sie willigte ein, sich mit ihm am Wochenende zu treffen, und er war klug genug, nicht mehr von seiner Verflossenen zu sprechen, sondern einzig ihr seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Diese Taktik hatte Erfolg und da sie sich gegenseitig wirklich mochten, war die Straße zur Zweisamkeit vorprogrammiert.
Edwins Onkel Herbert und gleichzeitig sein Taufpate, bot Edwin an, bei ihm in der Gärtnerei, der eine Baumschule angeschlossen war, tätig zu sein.
Der Verdienst war nicht allzu üppig, aber Edwin machte die Arbeit Spaß und sein Onkel sparte nicht mit Lob über seinen anstelligen, fleißigen Neffen. Und das obwohl dieser mit einem selbst gefertigten Superdünger, um ein Haar eine Parzelle Baumschösslinge vernichtet hätte.
Als schon am übernächsten Tag sich die Spitzen der Schösslinge braun färbten, spülte ein starker Regen die gefährliche Mixtur samt den zu Tode gekommen Pflanzenschädlingen von den Schösslingen. Mit Superdünger war nichts, aber als Insektenvernichtungsmittel war der Mix nahezu ideal.
Edwin, wahrscheinlich von Freundin Elvira bestärkt, begann zu begreifen, dass einem, ins Pech Geratenen, durchaus in der Folge Glück daraus erwachsen konnte. Ohne die Untreue seiner Erstfreundin Ute hätte er niemals Elvira richtig kennen und lieben gelernt. So gesehen war er doch eher ein Glückspilz, als ein Pechvogel. Als sich dann noch kurz vor der Hochzeit Nachwuchs ankündigte, war Edwin vollends davon überzeugt, dass seine Pechsträhne, wenn es überhaupt eine gewesen war, nunmehr ihr Ende gefunden hatte.
Der Tag fing so entspannt an. Wir saßen gemütlich beim Frühstück, wirklich Früüühstück, nämlich um halb acht.
Eigentlich wollte mein Sohn Felix um acht schon hinter Magdeburg sein, denn er hatte eine Anmeldung aus der Mitfahrgemeinschaft "blablacar", aus Staßfurt. Es eilte also eh schon, als er einen Anruf von der ADAC-Geschäftsstelle Stendal bekam. Der Peugeot, Großraumlimousine nebenbei bemerkt, könne da nicht stehen bleiben. Wie man (also Felix) darauf käme, dort einfach den Mietwagen abzustellen, sie hätten dort gar nichts mit dem Verleih und der Entgegennahme von ADAC-Mietwagen zu tun, nein, sie wären nur der Notdienst für abzuschleppende Fahrzeuge.
Felix wurde gleich sehr unruhig, denn er hatte ja überhaupt keine Zeit mehr. Bis nach München ist es halt kein Meerschweinsprung und seine Spätschicht begann pünktlich halb drei.
Wo man den Mietwagen statt dessen hinbringen sollte, wussten die Herren an beiden Enden der Telefonleitung auch nicht.
Ich versprach Felix dennoch, ich würde das auf jeden Fall klären und hinbekommen, er solle sich mal auf die Socken machen. Schnell schmierte ich noch ein paar Brötchen (also für Felix; hätte ich gewusst, wie lange ICH unterwegs sein werde, hätte ich sie besser mir selbst in die Tasche gesteckt).
An dieser Stelle müssen wir einmal Atem holen - ich habe dem Beginn der Berichterstattung noch etwas vorweg zu setzen: Dieser ADAC-Mietwagen wurde aus traurigem Anlass benötigt.
Der nigelnagelneue Hyundai Veloster Turbo, den mein Sohn sich schwer erarbeitet und sogar verdient hatte, stand zum zweiten Mal in Folge in einer Vertragswerkstatt in München - ohne dass sich bisher irgendetwas rührte oder rappelte, schon dreimal nicht der Motor selbst.
Aber das wäre schon wieder eine eigene Geschichte, die mittlerweile in die Hand eines Anwaltes übergeben wurde.
Jedenfalls kam er aus diesem Grund mit einem Mietwagen des ADAC in die alte Heimat. Dank seiner Premium-Mitgliedschaft konnte er das Fahrzeug, laut Schutzbrief drei Tage kostenlos nutzen.
Und der Tag von dem ich hier berichte, war Montag, der letzte der drei Tage.
Nun können wir also fortfahren.
Als Felix genau dieses tat, nämlich fort fahren - und zwar mit dem Auto seines Großvaters - hatte ich flugs überlegt, wie ich nach Stendal komme, da ich ja selbst kein Auto besitze.
Der Mann meiner Busenfreundin erklärte sich zum Glück sofort bereit, mich um 10 abzuholen und beim ADAC in Stendal auszusetzen.
Gesagt, getan.
Im Servicebüro bekam ich dann noch einmal Schelte wegen der Fahrlässigkeit meiner Handlung. Ich gab an, am gestrigen Sonntag beim Einwerfen des Autoschlüssels nur Zuschauer, nicht aber Ausführender gewesen zu sein.
Ja, aber wie man denn nur auf die IDEE kommen konnte, das Auto hier am Sonntag einfach abzustellen und den Schlüssel in den Briefkasten an der Bürotür zu werfen?!
„Weil man in München sagte, das Fahrzeug kann in der nächsten geeigneten ADAC-Geschäftsstelle im Umkreis des Ankunftsortes abgegeben werden und da es an einem Sonntag sein würde, könne mein Sohn den Fahrzeugschlüssel in ein dafür vorgesehenes Postfach werfen, die Fahrzeugpapiere aber bitte im Auto belassen. Und weil Google uns diese ADAC-Geschäftsstelle in Stendal anzeigte?“, antwortete ich, mit einem Fragezeichen am Ende, was Herrn W. wohl schnippisch vorkam und zu dieser Frage veranlasste: „Ach ja? Und wenn Google Ihnen sagt SPRING!, dann tun Sie das auch?“
Ich fand, dieser Vergleich hatte nun aber wirklich zwei verschieden lange Beine und bat ihn, mir die Autoschlüssel auszuhändigen. Eine Vollmacht, unterschrieben von Felix, hatte ich vorsorglich mitgenommen – und das war auch gut so.
Per WhatsApp hatte ich auf meinem Handy mittlerweile vom Sohn die Information, dass die ADAC-Mietwagen in Magdeburg, Breiter Weg 114A, abgegeben werden müssen. Das sei irgendwie am Hasselbachplatz.
So. Da weißte Bescheid.
Als ich mit dem Peugeot vom Hof rollte, war ich mir keineswegs sicher, dass ich damit wirklich im öffentlichen Straßenverkehr klar komme, aber bevor ich überschnappte, schaltete ich intuitiv in den „Leck-mich-am-Arsch-Modus“.
Bis nach Magdeburg, langhin, immer mittig und langen Hafer … ca. 75 km.
IN Magdeburg hab ich dann allerdings nochmal so viel Sprit verfahren. Ich bin ja so ein Landei und komme mit Großstadtverkehr - noch dazu mit Straßenbahnverkehr - nicht so locker zurecht.
Ich bin, um es mal etwas abzukürzen, mindestens dreimal im Kreis gefahren, habe vier Passanten nach dem „Hasselbachplatz“ gefragt, bekam teilweise gute Antworten, war mir aber sicher, dass ich den NIEMALS finden werde. Auch habe ich noch zweimal in der Geschäftsstelle des ADAC Magdeburg angerufen, laut Google (SPRING!): Sitz in „Breiter Weg 114A“.
Ja, das wäre richtig, es läge zudem auch direkt am Hasselbachplatz und man KÖNNE es gar nicht verfehlen.
Ach was?
WhatsApps mit Felix: Ich solle endlich das integrierte Navi einschalten und die Adresse eingeben. … Ich hatte es befürchtet, dabei war es ohne Navi schon schwer genug. Also navigierte ich auf einen privaten Parkplatz … war mir pupsegal … und studierte das Gerät. Ich glaube, meine Synapsen waren derart aufgeputscht, dass sie vor Anspannung schon nach einigen Minuten schnallten, wie das System funktioniert. Es führte mich auch ganz souverän auf langem Wege nach „Breiter Weg 114A“.
„SIE HABEN IHR ZIEL ERREICHT.“
Dort stand zu lesen: “Landesverwaltungsamt“. Ich habe die Kutsche einfach am Rande geparkt, obwohl dort nur Plätze für die LVA-Angestellten waren. Nein, der ADAC säße hier schon eine ganze Weile nicht mehr. Und man erklärte mir ein weiteres Mal den Weg zum Hasselbachplatz, wo man ganz sicher schon mehrere solcher Mietwagen gesehen hätte.
WhatsApps mit Felix: Sitz ADAC- Mitgliederservice laut Google: „Hasselbachplatz 4“. Und meine Frage: „Bist du etwa schon in München?“
Ja, wäre er schon eine ganze Weile.
Nun ja … er durch halb Deutschland in hastenichgesehen - und ich stundenlang durch Magdeburg.
Das Navi führte mich wirklich zum Hasselbachplatz Nr. 4. Natürlich nicht sofort, dank zweier neuer Baustellen habe ich die Geschäftsstelle zweimal umkreist - die gelben Schilder des ADAC immer schön fest im Blick. Bevor es auch noch in die dritte Runde ging, bin ich genervt auf einen Parkplatz gefahren, der ebenfalls nicht als öffentlich galt. Doch dies war mir nun die kleinste Sorge.
Meine Größere war die freundliche Auskunft des jungen ADAC-Mitgliederbetreuers: „Mietwagen nehmen wir ÜBER HAUPT NICHT an, dies geht nur und ausschließlich im „mobicenter24GmbH“. Und die sei in der Maxim-Gorki-Straße 11.“
Dies, Freunde des guten Gesangs, dies war der Moment, wo mir die Gesichtszüge entgleisten. Ich schluckte aber tapfer und sagte gar nichts. Er schrieb mir die Adresse auf einen Zettel und fragte, ob ich denn ein Navi hätte - na dann! Kein Problem, es wäre nicht allzu weit von hier.
Ha ha ha. Ja, Luftlinie ginge. Aber ich war nicht mit einem Flugzeug unterwegs.
Vielleicht hätte es auch viel besser geklappt, wenn die Stimme im Navi mir nicht dreimal am Stück an einer Stelle, an der es weder rechts noch links Abbiegemöglichkeiten gab, gesagt hätte: „JETZT rechts abbiegen.“
Ich war nun wirklich sehr verzweifelt und als ich in der Ferne das Schild des Bus-Bahnhofs sah, lenkte ich den Karren dorthin. Man merkt vielleicht, von der anfänglich sehr genialen Großraumlimousine ist zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr viel übrig.
Ich parkte ausnahmsweise mal vorschriftsmäßig. Nur - es gab in der Kutsche keine einzige Parkscheibe. Wirklich nicht. Mittlerweile pressierte es auch sehr, ich hätte mir schon gut und gerne dreimal das WC ansehen mögen.
So schrieb ich einfach auf einen gelben Zettel die Uhrzeit und lief in den Bahnhof. Dort ging ich sofort für einen Euro gepflegt zur Toilette und hob danach 20 Euro von meinem Konto ab, denn ich musste sowohl noch ein Rückfahrticket für die Bahn, als auch eine Geburtstagskarte für Gabi kaufen.
Am Ausgang des Omnibusbahnhofs stand ein Taxi - der Fahrer stand rauchend davor. Ich ging freundlich auf ihn zu und fragte: “Bekomme ich von Ihnen vielleicht kostenlos eine Auskunft?“ Naja, wenn´s denn unbedingt sein müsse.
Am liebsten hätte ich gefragt, ob er bitte bis zur Maxim-Gorki-Straße 11 vor mir herfahren könne. Ganz ehrlich. Aber ich wusste nicht, ob meine 20 Euro dafür reichen würden. Er erklärte mir paffend, wie ich dorthin komme - nämlich gleich links rum, wenn ich hier runter fahre. Dann in Richtung Halberstadt, Ausfahrt Sudenburg - und dann sähe ich es schon ausgeschildert.
Ich nehme an, er hat mich in den April geschickt. Oder aber ich bin in der Tat die grottigste Fahrerin ever. Falls es jemand nachvollzieht und zu dem Schluss kommt, dass der Taxifahrer Recht hatte, so behalte er es barmherzig für sich, danke. Na jedenfalls; als ich zum zweiten Mal an dem Ausfahrtschild „Richtung Stendal“ vorbei kam, war ich sehr, sehr versucht, diese Richtung beizubehalten und zurückzufahren.
Aber ich drehte eine dritte Runde und fragte auf einem Parkplatz nochmals ein Ehepaar nach der Maxim-Gorki-Straße, vor allem der ADAC-Mietwagen-Annahme dort. Und siehe - es wurde gut. Ich war ganz nah am Ziel; musste nur noch um die Kurve und dann sah ich das Schild der Gelben Engel.
„mobicenter24 GmbH“ stand dort auf einem kleinen Schild an einem großen Haus auf einem ziemlich großen Betriebsgelände. Beide dort arbeitenden Damen waren angemessen freundlich und wickelten die Rücknahme des Wagens recht zügig ab.
Die eine Dame ging mit mir zwecks Inspektion zum Peugeot und bemerkte: “Zirka ein Sechstel der Tankfüllung fehlt, das könnten so ungefähr, na, so um die 25 Euro werden.“
Ich ging davon aus, dass dies mit Felix abgewickelt werden würde … aber weit gefehlt. Hier und jetzt müsse gezahlt werden, oder aber ich suche selbst eine Tankstelle auf, dann würde es etwas billiger werden. Da trat mir endlich der Schweiß auf die Stirn, ich sag´s euch. Ich hatte ja nur 20 Euro, na gut, noch ein paar lose Klimperlinge, die ich auf jeden Fall für mein Rückreiseticket benötigte - und mit der Karte konnte auch nicht mehr viel Hokuspokus veranstaltet werden.
Ich sah mich wirklich schon so gut wie in Polizeigewahrsam. Wie auch immer - auf keinen Fall würde ich hier mit dem Auto noch einmal vom Hof fahren; schon gleich nicht zu einer Tankstelle, womöglich noch am Hasselbachplatz, nein.
Zurück im Büro stellte der Computer zum Glück fest, dass der Tank noch zu 7/8 voll war. Ha! 18,75 Euro. (meine Güte, da passt ja ordentlich was rein) - Als wäre ich Krösus, reichte ich ihr meinen Schein über den Tresen. Das Rückgeld habe ich mir allerdings geben lassen.
Die Dame begleitete mich zur Tür und wünschte mir noch einen angenehmen Tag. Ich meinte, jetzt wäre es schön, wenn es bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle nicht so weit wäre, ich müsse gleich zum Hauptbahnhof. Die Mitarbeiterin guckte irritiert und zeigte nach links. „Wenn Sie über das Betriebsgelände gehen und die Straße überqueren, haben Sie linker Hand den Hauptbahnhof.
Wie bitte? Die Annahmestelle für die ADAC - Mietwagen befindet sich also genau an der Abfahrt „Hauptbahnhof“, an der ich zu Beginn meiner Odyssee vorbeigefahren bin. DAS nennt man selbstgemachte Pein wegen mangelhafter Vorbereitung.
Der Zug kam mit nur fünf Minuten Verspätung und die Fahrt zurück nach Haus war sehr angenehm.
Ich, Hubert Hundertmark, habe mich getraut, wie Sie wissen. Allerdings verliefen die Feierlichkeiten nicht ganz so, wie wir uns das dachten. Das fing schon damit an, dass Wilma leicht pikiert reagiert hatte, als ich ihr sagte, dass Onkel Robert nun doch, also quasi, bei der Hochzeit dabei sein könne. Er ist ja nun vor ein paar Monaten gestorben, was eine Teilnahme deutlich erschwert hatte. Da wir Hundertmarks sparsam sind und nichts vergeuden, hatte ich Onkel Roberts Zahngold einschmelzen und daraus unsere Trauringe schmieden lassen. Davon war Wilma wenig begeistert.
Außerdem trafen meine Mutter und mein Bruder Kunibert erst mit erheblicher Verspätung in Buxtehude ein. Kunibert hatte im Autoradio von einem Großbrand in Adelebsen bei Göttingen gehört. Dort brannte die Lagerhalle einer Kunststofffabrik. Der Moderator sagte: „Umfahren Sie das Gebiet möglichst großzügig“. Das hat er dann auch getan, der Kunibert, obwohl der Ort weit ab von seiner Route lag. Aber wir Hundertmarks machen ja immer, was uns gesagt wird.
Kunibert sollte sich doch um die Musik kümmern, nachdem wir ja leider kein Klavier mieten konnten, Sie wissen schon. Die Stimmung unserer Gäste war recht getrübt. Ich hatte als Ersatz die Beethoven-CDs aus meiner Wohnung geholt.
„Danach kann man doch nicht tanzen“, meinte mein Kollege, der Hilmar Hintergesäß.
Ich musste ihm Recht geben. Kurz danach hatte sich das mit der Musik ohnehin erledigt. Die CDs sprangen ständig, so dass ich eingreifen musste. Ich griff zu Wilmas Handtasche, von der ich wusste, dass etwas Hilfreiches darin war. Das Reparaturshampoo half aber unerwarteterweise gar nicht, obwohl ich die gesamte Flasche aufbrauchte. Es gab einen fürchterlichen Knall, der Player sprühte Funken und die Sicherung flog heraus.
Mein anderer Bruder Herbert fummelte dann fast eine halbe Stunde am Sicherungskasten, bis der Schaden behoben war. Dann trudelten auch Kunibert und Mutti ein, beide völlig entnervt. Er nahm sich ein große Portion Nudelsalat, den Wilmas Schwester Wanda mitgebracht hatte.
Das habe ich leider zu spät gesehen, sonst hätte ich ihn gewarnt, den Kunibert. Er hat ja diese lästige Nussallergie und dummerweise enthielt der Salat eine ganze Menge kleingehackter Haselnüsse. Mein Bruder lief puterrot an und bekam Atemnot. Wir mussten den Notarzt rufen.
Das alles war der Stimmung nicht förderlich, so dass sehr viel Essen übrig blieb. Aber zum Glück habe ich es ja bei jenem Discounter gekauft, der neuerdings an seinen Kassen den netten Hinweis angebracht hat, dass man dort „Lebensmittel ohne Wenn und Aber zurückgeben kann“. Ich werde mich also mit den angebrochenen Mettbällchenpackungen, den Chipstüten und den vielen halbvollen Sektflaschen auf den Weg zu „Jenny“ machen.
Das Geld können wir gut gebrauchen, denn Kunibert wird mich verklagen, hat er angedroht. Bislang ist er als Anwalt, vorsichtig gesagt, wenig erfolgreich. Er braucht auch jeden Pfennig. Kunibert hat gesagt, dass ich als Veranstalter haftbar gemacht werden könne, weil ich keinen Warnhinweis an der Schüssel angebracht hatte.
Nach dem Umtausch werde ich mit Wilma zu dem kleinen Tümpel im Nachbarort fahren. Das Schuhgeschäft „Meier“ hat ein tolles Angebot. Dort gibt es „Schuhe für ein paar Kröten“. Ich bin mir absolut sicher, dass wir dort bestimmt genug dafür fangen können.
Es ist schwer, diese Geschichte zu erzählen. Bei manchen Dingen verstehe ich nicht, wie sie sich ereignen konnten. Der gesunde Menschenverstand spricht dagegen. Aber vieles ist nachvollziehbar. Das Nachvollziehbare darf man nur mit dem Herzen sehen. Keiner konnte wissen, dass es auf diese Art enden würde.
Die Beteiligten waren sehr betroffen, als es passierte. Mit einer solchen Reaktion rechnete kein normal denkender Mensch. Man vermutete, Rüdiger konnte nicht mehr klar
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Hrsg. Gitta Rübsaat
Bildmaterialien: Original: Heike Helfen
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2017
ISBN: 978-3-7438-1669-5
Alle Rechte vorbehalten