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Liebe machen – nein danke!

Als Kind habe ich mich oft und gerne nach der Schule in den Praxisräumen meines Großvaters Hans rumgetrieben. Ich fand das alles sehr interessant, die ganzen Instrumente, was mein Großvater so mit den Patienten anstellte und wie er sie behandelte. Denn ich war ja felsenfest davon überzeugt, dass ich eines Tages diese HNO-Praxis übernehmen würde. Unsere Praxishelferin Ada liebte ich über alles, ich hatte bei ihr das Gefühl, dass sie stets für mich da war. Sie übertrug mir auch immer kleine Arbeiten und lobte mich dann – das tat so gut.

Ich durfte dann die Tür zum Wartezimmer öffnen und „der Nächste bitte“ sagen, die Karteimappe ins nächste Zimmer zu meinem Großvater bringen, nach Praxisschluss beim Sterilisieren der Instrumente helfen und alles wieder schön ordentlich anordnen. Auch bei kleineren Kindern spannte mich Ada immer ein, denn – so sagte sie – wenn du dabei bist, sind die Kinder viel ruhiger und haben nicht mehr so viel Angst. Das machte mich natürlich sehr stolz und auch Hans erlebte ich in der Praxis irgendwie angenehmer als oben im Privatbereich.

Ich war so 9 oder 10 Jahre alt, es war im Frühsommer, draußen war es warm und deshalb stand die Terrassentür zum Garten auf. Meine Hündin Asta lag auf den Terrassenfliesen und wärmte sich ihren braunen Pelz. Sie wurde isoliert, weil sie gerade läufig war und somit im umzäunten Garten bleiben musste.

Als ich wieder mal die Tür zum Wartezimmer öffnete, schoss, bevor ich was dagegen machen konnte, ein schwarzer Blitz an mir vorbei, raste durch die beiden Räume und landete bei Asta. Und sofort begann eine spielerische Hatz der beiden durch das riesige Gartengelände. Ada schrie sich die Kehle wund und Hans brüllte Ada an, ob sie nicht besser aufpassen könne. Den feurigen Blitz kannten wir gut, er war ein bildschöner Cocker Spaniel namens Tacco und war schon seit Tagen sehr an Asta interessiert.

Zu verhindern war da nichts mehr, das tierische Liebespaar fand sich gar bald zusammen und so begann mit diesem Deckakt meine Aufklärung erster Teil. Ich wunderte mich nur, warum Hans nicht dazwischen ging, weil ich ja wusste, dass Asta eigentlich keine Kinder kriegen sollte. Ich fragte ihn und bekam kurz und harsch zur Antwort: „Wenn die zusammen hängen, kriegt man sie nicht mehr auseinander ohne Verletzung – nun ist es eh passiert!“

Ich war erschüttert: „Nie wieder?“

Hans grinste nur und Ada meinte dann zu mir: „Die lösen sich auch wieder, aber das dauert halt lange, keine Angst.“

Nun gut, aber diese Stellung und die so lange und unbequem, das sah für mich nicht besonders angenehm und glücklich aus und ich glaube, ich bedauerte in dem Moment alle Mütter dieser Erde. Die Vorstellung, dass Menschen sowas gerne machen und auch noch von "Liebe" schwärmten, das konnte ich mir nun so gar nicht vorstellen.

Es dauerte lange, bis Asta sich nach vorne weg bewegte und sich schüttelte. Glücklich sah sie nicht aus und ich meinte auch, von ihr ein leises Knurren zu hören, was ich nur zu gut verstehen konnte. Aufklärung Teil 2 erfolgte dann nach der Geburt, die leider nachts von statten ging und ich schlafend im Bett lag. Aber Ada zeigte mir dann, wo die Tierbabys raus kamen.

Also hatte ich für mich das Kapitel Aufklärung eigentlich abgehakt und beschlossen, nie einen Kerl an mich ranzulassen und auf jeden Fall keine Kinder haben zu wollen.Da ich kurz drauf auf dem Bauernhof einer Freundin auch noch sah, wie ein Bulle eine Kuh bestieg, war mein Urteil völlig klar und unumstößlich: ich nicht! Liebe machen? Nein, danke!

Natürlich teilte ich auch Ada meine Meinung dazu mit und da Ada auch keine Kinder hatte, war mir klar, dass sie die gleiche Meinung vertrat. Doch zu meinem Erstaunen fing sie an zu lachen und meinte: „Nein, bei Menschen sieht das schon anders aus, keine Sorge, außerdem ist das bei Tieren ein reiner Fortpflanzungstrieb, das hat mit Gefühlen und so nichts zu tun!“ Hm, das stellte mich nicht zufrieden, aber auch auf mein Drängen wollte sie nichts mehr dazu sagen, nur noch: „Frag mal Deine Mutti, die wird Dir das schon erklären.“

Meine Mutter? Die wäre die letzte Station gewesen, sie hätte ich nie gefragt. Auch wenn ich jetzt durch diesen Anschauungsunterricht viel besser verstand, warum sie mich nicht leiden konnte – aber fragen, nee, niemals. Und so zog ich enttäuscht wieder ab.

Im Wartezimmer stand ein großer Bücherschrank mit vielen dicken Büchern aus der Studienzeit meines Großvaters. Dort stöberte ich schon immer mal wieder gerne drin rum. Denn er war nur richtig verschlossen, wenn mein Geburtstag oder Weihnachten anstand – dort versteckten sie wohl immer meine Geschenke. Sonst steckte der Schlüssel und ich konnte nach Herzenslust die alten Medizinbücher mit ganz vielen Bildern angucken und lesen. Das wusste natürlich keiner, davon war ich felsenfest überzeugt, denn ich ging meist nur Samstagabend dorthin, wenn meine Mutter mit meinem Stiefvater ausgegangen war.

Seltsamerweise fand ich nach dem Gespräch mit Ada eine andere Anordnung der Bücher vor, denn ich achtete immer sehr genau darauf, die Wälzer immer genau an derselben Stelle wieder einzuordnen. Vier Bücher zur „Anatomie“ und ein Buch mit dem Titel „Geschlechtskrankheiten“ standen jetzt unmittelbar in greifbarer Nähe und als ich die Bücher zu dem großen Tisch brachte, sah ich Zettel an verschiedenen Stellen rausgucken.

Nun, ich hatte schon Notizzettel in manchem Buch gefunden, aber noch keine, die oben raus standen. Meine kindliche Neugier war geweckt, aber wie!

Und sie stieg noch, als ich feststellte, dass sich auf den Seiten hauptsächlich die unteren Körperteile befanden: weibliche und männliche so mit allem Drum und Dran. Und hochinteressant, was sich so drinnen alles befand. Bass erstaunt war ich auch von der bisher unbekannten Tatsache, dass bei den Jungens mehr Dran als Drin und bei uns Mädchen mehr Drin als Dran war. Interessant, ehrlich!

Ich muss sehr lange geblättert, gelesen und geschaut haben, denn ich war gerade wieder im Bett, da hörte ich den Haustürschlüssel und da die beiden damals noch durch mein Zimmer mussten, um zu ihrem Schlafzimmer zu kommen, habe ich mich schnell schlafend gestellt.

Natürlich war ich bei der nächsten Gelegenheit wieder am Bücherschrank und so nach und nach hatte ich für mein Gefühl ein fundiertes Wissen über die anatomischen Gegebenheiten, Schwangerschaft und Geburt. Nur… da ich nirgendwo einen Gegenbeweis zu dem tierischen Anschauungsunterricht fand, änderte es natürlich nichts an meiner Einstellung dazu.

Mit 12 Jahren kam ich auf eine andere Schule und befreundete mich sehr bald mit einer fast 14jährigen, die nach zweimaligem Sitzenbleiben auch weiterhin keine Lust hatte, in der Schule zu sitzen, sondern lieber in der Eisdiele oder am nahen Baggersee. Ich folgte ihr bereitwillig überall hin, mit dem Erfolg, dass wir beide nach den Herbstzeugnissen vom Gymnasium flogen. Ute musste in ein Internat und ich zurück auf die Realschule. Wir waren also nur ein knappes halbes Jahr zusammen.

Doch diese Zeit außerschulischem und sehr lebensnahem Unterricht reichte, um mein Bild von Liebe machen in eine andere Richtung zu lenken. Ute hatte nämlich schon einen Freund und lachte sich halbtot, als ich ihr mein Entsetzen über diesen brutalen Vermehrungsakt erklärte. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, warum dieses lebenslustige Mädchen sich sowas gefallen ließ.

Ich habe heute noch im Ohr, wie sie erst ganz spontan ausrief: „Quatsch, das macht man doch von vorne!“ und sich dann nicht mehr einkriegte.

Ute schien für mich mit allen Wassern gewaschen. Sie bemühte sich redlich, mir zu demonstrieren, wie das denn nun wirklich funktionierte und was sonst noch so alles dazu gehörte.

Und somit war das ansonsten total versemmelte Halbjahr auf dem Gymnasium zumindest in Sexualkunde ein voller Erfolg.

Impressum

Texte: gittarina
Bildmaterialien: http://www.angela-hamann.de/images/Alte%20Buecher.jpg
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2013

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