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Schwierige Vorbereitungen

Irgendwann Anfang November fragte mich meine Freundin per Telefon: „Sag mal, was machst Du denn zu Deinem Vierzigsten? Wo wird denn gefeiert?“


Ähm, wie? Vierzig? Ich? Das hatte ich irgendwie nicht auf der Matte. „Keine Ahnung, habe da noch gar nicht drüber nachgedacht.“ – „Na, dann wird es aber Zeit, wird ja wohl ein ziemlicher Andrang!“
Nachdenklich legte ich den Hörer auf, mir war schlagartig klar, warum ich diesen Geburtstag nicht auf meinem Plan hatte. Lilo, meine Mutter, war mit 39 ihrem Krebsleiden erlegen und für mich, ich war damals 20 Jahre alt, war aus welchem Grunde auch immer, sonnenklar, dass ich nicht älter als sie werden kann. Wie ich zu dieser Annahme kam, keine Ahnung. Aber die Zahlenrechnung hörte bei mir bei 39 auf. War halt so.

Ha! Und nun wurde ich in knapp drei Wochen am Nikolaustag vierzig – nicht zu glauben. Die drei Wochen werde ich ja wohl noch… Quatsch, natürlich, was soll diese Unkerei. Also los, es gab schließlich noch viel zu tun.

Eines unserer Lieblingsrestaurants vermietete zu solchen Festen ihren wunderschönen Gewölbekeller, den wollte ich haben zu diesem Abend und er war noch frei – wunderbar! Aber dann kam die Frage nach der Personenzahl. Keine Ahnung, muss erst mal zählen, versuchte ich die Angabe zu verzögern. „Mehr als vierzig Personen packt das Gewölbe nicht, falls sie den Vorraum für Kapelle und zum Tanzen brauchen, nur das Sie das berücksichtigen!“ – „Na, vierzig passt doch wunderbar, ich werde meine Einladungen danach richten.“

Eine illustre Gästeliste hatte ich schnell fertig: Singles, Ehepaare bunt gemischt. Eine Kapelle erschien mir dann doch etwas übertrieben, zumal ich Heinzi, einen sehr netten Harmoniumspieler, kannte, der hier im Kurort so manchen Tanzabend allein bestritt. Und, oh Freude, er hatte Lust, am Nikolausabend auf meiner Feier das Volk zum Schwofen zu animieren. Also auch geregelt.

Hungrige Mäuler stopfen, stand nun auf meiner Liste. Hm, mein Lieblingsgeburtstagsessen konnte ich ja wohl schlecht anbieten. Grünkohl mit Bratkartoffeln, geräucherten Mettwürstchen und Kassler entsprach kaum dem allgemeinen Geschmack und war hier im Süden eher unbekannt war. Schade eigentlich!

‚Ach, was soll’s‘ – frage ich halt meinen Bratkartoffelhelden aus dem „Wilden Mann“, der für meine Begriffe weit und breit die besten ihrer Art zubereiten konnte. Soll der sich doch das Drumherum einfallen lassen. Aber auf meine Rote Grütze zum Nachtisch wollte ich auf keinen Fall verzichten.

Mein Meisterkoch bog mir dann einige Tage später erst mal bei, was man hier im Schwobeländle zum Abendbuffet gemeinhin anbot, erklärte sich dann aber bereit, nachdem er meine versteinerte Miene richtig deutete, sich was einfallen zu lassen, was auch meinen Geschmacksnerven mundete. Großzügig meinte er zum Schluss: „Naja, Sie bezahlen es ja schließlich auch!“ Womit er eindeutig Recht hatte.

Nach und nach trudelten die Zusagen ein, es war klar – das Gewölbe wird voll. Da mir in den nächsten Tagen natürlich noch einige Leutchen einfielen, die ich ja eigentlich auch hätte einladen können oder sogar sollen, wurden die wenigen Absagen gleich wieder ausgebügelt.

Letzte Besprechung mit allen, die irgendwie mit der Organisation zu tun hatten, erfolgte am zweiten Dezember und am vierten schlug das Wetter um. Den Schnee fand ich ja noch ganz lustig, passte irgendwie in die Stimmung, dachte ich. Einen Tag später, es schneite noch immer, kamen die ersten vorsichtigen Anfragen aus der weiteren Umgebung: „Wie sieht es denn bei Euch aus? Habt Ihr auch so viel Schnee?“ – „Hm, ja, aber es soll wärmer werden“, versuchte ich zu trösten. „Das ist ja noch schlimmer“, kam es entsetzt zurück, „das wird ja eine elende Rutschpartie!“ – „Dann kommt doch heute schon, ich krieg Euch schon irgendwie unter!“

Zuerst war es für mich selbstverständlich, dass ich die zwei Gästezimmer ohne Probleme belegen konnte, aber nach dem dritten, vierten, fünften und sechsten Anruf wäre es dann doch sehr, sehr eng geworden. Doch das Glück war mir hold, Bad Mergentheim, schon lange eine Kurstadt, verfügte über etliche Häuser, die einige Zimmer für private Kurgäste vermieteten. Zwar nicht unbedingt im Dezember, aber zu dieser ungewöhnlichen Zeit war dafür Platz satt vorhanden und ich konnte alle früher kommenden Gäste in einer Pension in meiner Nähe einquartieren.

Natürlich feierten wir gemeinsam schon mal feuchtfröhlich in den Nikolausgeburtstag hinein. Gegen halb zwei machte sich die Meute auf den Weg zurück in ihr Quartier und Paulchen, der als erste das schützende Vordach über den Treppenstufen verließ und sich im Gehen noch den Mantelkragen zurecht rückte, landete mit einem Rutsch auf dem Hosenboden. Natürlich musste er neben seinem gestauchten Hinterteil auch noch das schadenfreudige Gelächter ertragen.

Es taute und uns umfing ein feuchter Nieselregen, der genau die befürchtete Rutschbahn erzeugte. Wie auf Eiern versuchte die angeschickerte Gesellschaft laut gackernd irgendwie ihre Pension zu entern und es gelang ihnen offensichtlich, denn mir wurde am folgenden Tag von keinem weiteren Ausrutscher berichtet.

Am nächsten Morgen galt mein erster sorgenvoller Blick nicht etwa meinem um ein Jahr gealtertem Gesicht, sondern dem Zustand der Straßen. Die sahen auch nicht besser aus als ich, sondern viel schlimmer. Der angetaute Schnee glitzerte und war aufgrund der Minusgrade wieder gefroren. Von Sonne keine Spur, sondern eher graue Schnee- oder Regenwolken. Es wurde wieder kälter und die ersten besorgten Anrufe aus der Umgebung legten mein Telefon lahm.

Da kam mir eine Idee: in der Klinik hatten wir einen 12Sitzer natürlich mit Winterreifen und unerschrockenem Fahrer, der unsere Patienten bei jedem Wetter vom Bahnhof abholte und hinbrachte und zweimal täglich auch Stadtfahrten mit den Leutchen machte, die allein nicht mehr den Berg runter und wieder rauf schafften. Ein Anruf und Jonny war begeistert, sich ein gutes Taschengeld nebenher zu verdienen.

Und Jonny war echt die Rettung, sonst wäre es sehr leer geblieben im Gewölbekeller. Unermüdlich karrte er die Gäste aus allen Richtungen von Bad Mergentheim an und ich hätte es ja kaum für möglich gehalten, der Keller füllte sich. Die blanken Gerätschaften für das warm-kalte Buffet blinkten im Kerzenlicht, nur einer fehlte: der „wilde Mann“ mit dem Essen. Ich hatte es kaum festgestellt, da kam von oben schon der Besitzer der "Jagdstuben" und grinste übers ganze Gesicht.

„Ich soll Ihnen ausrichten, dass Ihre „Rote Grütze“ auf der vereisten Treppe ausgerutscht ist und nun den Hinterausgang der Küche ziert, das Essen und die Vanillesoße kommen sofort und die Grütze kommt dann halt später nach!“ Na, das ging ja gut los, aber ein Grinsen konnte ich mir auch nicht verkneifen, da ich mir die rote Sauerei natürlich gleich bildlich vorstellte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht einen Moment an den ja offensichtlich gestürzten Grützeträger dachte. Hm! Schande über mich.

Die Tür ging auf und die Küchengarde kam herein und sofort verbreite sich ein appetitanregender Essensduft im Vorraum, der die Gäste recht schnell von ihren Plätzen hob, um das Buffet zu stürmen. Ein Besteckgeklapper hub an, auch volle Münder konnten noch durchaus mehr oder weniger verständliche Laute von sich geben und ich konnte vor lauter Beobachten und Staunen erst mal gar nichts essen. Aber das kannte ich ja schon von mir – erst mal gucken, ob es den anderen mundet, bevor ich selber überhaupt was runterkriege. Aber so langsam fiel auch von mir die Spannung ab.

Die nachgelieferte Rote Grütze wurde mit großem Gejohle begrüßt und endlich konnte sich Heinzi, der Harmoniumspieler, voll in die Tasten werfen und die Gäste auf die Tanzfläche locken. Die erwies sich allerdings als Bewegungs- und Rhythmuskiller, denn der Gewölbekeller wartete nicht mit dem üblichen, blankgebohnerten Parkett auf, sondern mit einem stumpfen Natursteinboden. Es wurde sich also nicht gerade ästhetisch, dafür aber im Verlauf der Stunden umso witziger bewegt. Dafür sorgte natürlich auch der Alkohol, der reichlich floss, da ja keiner mehr selbst fahren musste.

Nur Jonny, der arme Deibel, saß, nachdem er sich den Bauch vollgeschlagen hatte, bei Wasser und Salzstangen. So ab halb zwei in der Nacht trat er dann wieder seinen Fahrdienst an und irgendwann lieferte er auch mich bei mir zuhause ab.

Meine Angst, dass dieser Geburtstag völlig in die Hosen gehen würde, löste sich in Wohlgefallen auf, denn es wurde mein schönster Geburtstag.
Ich weiß es nicht mehr so ganz genau, aber mein letzter Gedanke, bevor Morpheus mich in seine Arme schloss, war wohl: „Also, 40 würde ich gerne noch öfter werden!“







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Texte: gittarina
Bildmaterialien: Archivbilder, Cover: http://www.padmobil.com/bilder/wallpaper.jpg
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2012

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