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Oh, mein Papa…

Meine Faust schlug mit einer Wucht auf den Bistrotisch, dass die Espressotassen hüpften und die Löffel klapperten:
„Kannst Du nicht endlich mal aufhören, Deinen Söhnen immer wieder ein solch versautes Frauenbild zu vermitteln?“ Mein Vater und mein 16jähriger Halbbruder Klaus schauten erschrocken und sprachlos zu, wie ich aufstand und ohne ein weiteres Wort die Caféteria des WDR-Gebäudes in Köln verließ.

Stocksauer lief ich zu meinem Auto und fuhr in einem Rutsch zurück nach Sindelfingen zu meiner Familie. Was war geschehen? Eine Tagung hatte mich für drei Tage nach Köln geführt und vor meiner Abreise traf ich meinen Vater, der als Intendant im Rundfunk arbeitete. Sein Sohn war gerade bei ihm zu Besuch und so waren wir zu dritt. KG, mein Vater, erzählte von seiner neuesten Flamme, einer 18jährigen jungen Schlagersängerin, an die er aber nur „ran“ käme, wenn er sie heiraten würde.

Und dann erläuterte er seinen Plan: „Klaus, Du musst mir helfen, Ilona über Weihnachten raus zu ekeln, Du kannst die alte Schnepfe ja sowieso nicht leiden. Hilfst Du mir?“ Klaus nickte begeistert und ich fragte nur entgeistert: „Alte Schnepfe? Alt? - Ilona ist 32!“
„Ja eben! Wenn Frauen Anstand besäßen, würden sie sich mit dreißig erschießen!“

Ich explodierte und nebenbei bemerkt: ich war 34 Jahre alt.


KG war der Erstgeborene von Ricarda und Karl in Berlin und von Anfang an Mamas Kronprinz, daran änderte auch zwei Jahre später die Geburt der Tochter Gisela nichts. Der Junge wurde verhätschelt und verwöhnt, vor allem als spürbar wurde, dass er offenbar großes Talent beim Klavierspielen entwickelte. Diesem Kind war eine große Karriere beschieden und es wurde alles dafür getan, dies zu fördern.

 

Meine Mutter lernte ihn im Berliner KADEWE kennen, als er für ein paar Groschen dort zu Reklamezwecken auf dem Bechsteinflügel Beethovens „Appassionata“ und die „Mondscheinsonate“ spielte.

Gitta, das „Kind dieser vie zu frühen Liebe“ wuchs die ersten Jahre in der väterlichen Familie auf, nur die Liebe meiner Eltern wuchs nicht mit, sondern verkümmerte, da KG ziemlich regelmäßig fremd ging.

Jahre später heiratete meine Mutter wieder und holte mich in die neue Familie. Der Wechsel war krass, den Neuen mochte ich nicht und er tat auch nichts dafür, dass sich das Verhältnis verbesserte. So hob ich mit den Jahren unwillkürlich meinen Vater auf einen Sockel und betete ihn förmlich an. Die Sommerferien verbrachte ich regelmäßig bei ihm und seiner neuen Familie und bekam durch ihn Einblick in die vermeintlich „große Welt“ der Stars und Sternchen, aber eben auch ein fundiertes Wissen im Musik- und Theaterwesen.

War ich mit ihm auf Reisen, hatten wir oft mir bis dato unbekannte weibliche Begleitung. Da die jungen Damen aber meist sehr nett zu mir waren, störte es mich nicht weiter, bis auf kleine Eifersüchteleien abgesehen. In München im Bayerischen Rundfunk stellte er mich als 16jährige sogar mal als seine Freundin vor. Ich war nicht etwa entsetzt, sondern stolz wie Oskar!

Als ich mit ihm und meinem Sohn zusammen in das Haus in Köln zog, waren wir beide frisch geschieden und seine Freundin Marlies blieb zunächst in Hamburg zurück. Sein Job beim Rundfunk legte ihm sozusagen die karrieregeilen Schlagersternchen vor die Füße: die Auswahl an Frischfleisch war somit üppiger als in jedem Metzgerladen.

In der Kölner Zeit veränderte sich mein Blick für und meine Haltung zu diesem Verhalten ein wenig. Ich fand es inzwischen nicht mehr so prickelnd, morgens nie zu wissen, welches Weibchen mir da jeweils im Flur oder am Frühstückstisch begegnete. Zwischendurch übte er dann immer mal Sittsamkeit, nämlich dann, wenn Marlies für ein paar Tage oder auch Wochen zu Besuch war.

Mit fünfzehn Jahren kam dann auch mein erster Halbbruder Peter zu uns nach Köln, um unter Vaters Aufsicht vielleicht doch noch die Mittlere Reife zu schaffen. Wer auf diese grandiose Idee kam, ist mir bis heute ein Rätsel. Natürlich geriet er in den Dunstkreis von KG's amourösen Abenteuern, seilte sich aber nach zwei Jahren ermattet ab und blieb lange Zeit mit seiner ersten richtigen Liebe zusammen.


Ich zog 1969 mit Jean ins Schwabenland und KG verbandelte sich wieder mal mit Marlies und später mit seiner Assistentin Ilona. Wir sahen uns nur noch selten, allerdings war ich drei Jahre später bei seinem spektakulären Konzert-Comeback dabei, das in Berlin erst im Amerikahaus und dann im Sommer auf der Waldbühne mit Gershwin-Melodien stattfand.

Im Februar 1976 wollte ich mir abends im WDR eine Rundfunksendung anhören, die mein Vater moderierte. Der Ansager entschuldigte jedoch die Abwesenheit des Moderators mit einer plötzlichen Erkrankung. Sofort rief ich zuerst bei KG zuhause an, erreichte niemanden und klingelte dann beim WDR durch. Keine Auskunft, denn wie sollte ich durchs Telefon beweisen, dass ich die Tochter bin.

Am nächsten Tag informierte Ilona mich: Herzinfarkt, aber er lebe noch. Kardiologische Reha in Bad Oeynhausen. Einen Herzschrittmacher lehnte er ab mit der kurzen Begründung: „Entweder ganz oder gar nicht - mit Ersatzteilen will ich nicht leben.“

Ich sah ihn erst im Sommer wieder, als er zurück in Köln war und bekam einen gehörigen Schreck: das war nicht mein Vater, wie ich ihn kannte. Ich sah eher das Ebenbild seines Vaters Karl vor mir. KG war gerade mal 50 Jahre alt und ich erblickte die gebückte, weißhaarige Gestalt eines 80jährigen.

Doch er erholte sich schnell, kaufte sich noch ein Haus in einem kleinen Ort nahe Köln und stieg wieder voll im Rundfunk ein, moderierte, komponierte und schrieb einen Schlager nach dem anderen und spielte wieder Hansdampf in allen Gassen.

Und so aufgedreht und voller Elan begegnete er mir dann auch im Winter, als ich mich mit ihm und meinem Halbbruder Klaus in Köln traf. Er wollte mit einer 18jährigen ein neues Leben beginnen, nur dazu musste er erst einmal die Vorgängerin aus seinem Nest jagen. Und dazu wollte er seinen jüngsten Sohn missbrauchen.

Noch immer sauer kam ich in Sindelfingen an, am Telefon beschwichtigte er mich: „Nun reg Dich mal nicht auf oder gönnst Du mir das kleine Vergnügen nicht?“ – „Deine Vergnügungen sind mir völlig egal, aber Deine Einstellung zu Frauen und was Du Deinen Söhnen da vermittelst, geht auf keine Kuhhaut. Wie sollen die denn mal ein normales Familienleben führen, wenn sie lernen, dass Frauen je nach Bedarf austauschbar sind und mit 30 eh zum alten Eisen zählen? Da würde ich mich aber mal zu gerne mit Dir in Ruhe drüber unterhalten.“

Wir verabredeten uns für das nächste Jahr zu seinem Geburtstag am 5. April. Am 7. März klingelte nachts um halb zwei das Telefon. Am anderen Ende Ilona: „KG ist tot, vor einer halben Stunde gestorben, Herzinfarkt!“

Wir redeten fast eine Stunde lang, ich packte dann meinen Koffer, regelte ab sieben Uhr den Verbleib und die Versorgung meiner Kinder und danach setzte ich mich ins Auto und fuhr Richtung Köln.
Und neben allem Schmerz und der Trauer, schossen mir auch einige Gedanken durch den Kopf: „KG, ich habe Dich immer geliebt und werde Dich auch weiter lieben und sehr vermissen, aber Du musst zugeben, Du warst und bleibst ein Aas. Drückst Dich einfach vor unserem, für mich so wichtigen, Gespräch, verschwindest auf Nimmerwiedersehen und lässt mich hier für immer alleine…“

Impressum

Texte: © by gittarinaBeitrag zum Thema "Unwiederbringlich" beim Bio-Wettbewerb 11.11.
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das widme ich dem wichtigsten Menschen meiner Kindheit: Meinem Vater KG!

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