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Leipzig im Ausnahmezustand

 

Stammtischausflug nach Leipzig. Genauestens geplant und durchgecheckt von unserer Oberstammtischfrau. Anfang April 2004 ging es per PKW gen Osten. Ein Wochenende so ganz nach unserem Geschmack sollte es werden: ein bisschen Sightseeing, ausreichend shoppen, lecker essen, ein bisschen Kultur und vor allem ungehindert miteinander quatschen und tratschen.

 

Frühlingsmäßig waren sie in Leipzig noch ziemlich hinten dran, alles eher grau in grau. Aber auf allen Straßen und als Ring um die Innenstadt – war trotzdem alles grün. Warum das denn? Polizei wo man hinschaute: kleine Autos, große Autos und ein Heer von grünuniformierten Zweibeinern, Männlein und Weiblein.

 

Wir landeten in unserem Hotel, gegenüber vom schönsten Bahnhof Deutschlands, checkten ein und drängten sogleich wieder ins Freie, um den ersten Stadtrundgang anzutreten. Nikolaikirche (in der „Wir sind das Volk“ Geschichte schrieb) nebst Abstecher in die „Nikolaischule“ in der ehemals gelehrt und nun die vollen Teller geleert werden. Steck-Passage, Börse, altes Rathaus, Mädler-Passage, Thomaskirche und vieles mehr abgeklappert, Orgelvesper und Motettentermine notiert.

 

Zurück zum Hotel – unsere kleine Brühlstrasse schon gut beparkt mit grünen Einsatzwagen. Nanu? Was war denn hier los? Im Hotelfoyer dominierte grün, olivgrün. Und dann sickerte es so langsam durch. Morgen, Samstag – Großdemo der und gegen die Neonazis. 1.500 Neonazis wollten vom Bahnhof zum Völkerschlachtdenkmal marschieren und dort eine Kundgebung abhalten. 4.000 Polizisten säumten den Weg und etwa 10.000 Linke und Autonome und viele Leipziger waren dagegen.

 

Na, Klasse, das war ja vielleicht ein Ding! Wir gratulierten unserer Oberstammtischfrau für dieses grandiose Timing und allen war etwas mulmig im Bauch. Dennoch: am Abend ging es wieder Richtung Altes Rathaus zum Paulaner zum Abendschmaus. Gut war’s, lecker war’s und die Stimmung stieg auch wieder bis ... ja, bis das Personal plötzlich begann, alle Fenster von außen mit großen Bretterverschlägen zu verschließen. Und bis von unserer Bedienung eine Antwort auf unsere wohl etwas naive Frage: „wie das denn da morgen wohl so abliefe?“ erhielten. Sie steigerte sich richtig rein in die immer bedrohlicher anmutende Berichterstattung. Randale erschien uns danach fast wie ein Kosewort. Nichts wie „heim“ ins grüne Hotel-Nest.

 

Dort saß so was wie eine Einsatzleitung rum – und diese wurde dann von uns interviewt, ob wir denn morgen vielleicht – sicherheitshalber - irgendwas zu beachten hätten, wenn wir so am Vormittag ein wenig shoppen gehen würden. Der gute Mann wird sich „irgendwas“ gedacht und es -auch sicherheitshalber- nicht ausgesprochen haben. Auf jeden Fall war das Resultat: „alles gestrichen“, nix shopping, nix Innenstadt – viel zu gefährlich für kleine Mädchen. Ha, und unser nachmittäglicher Ausflug zum Völkerschlachtdenkmal? Natürlich gestrichen – leider schon besetzt, kein ruhiger, ungefährlicher Platz morgen, denn da wollten nun mal die Neonazis hin, um ihre Versammlung abzuhalten. Was nun? Schaun’ wer mal, morgen ist auch noch ein Tag.

 

Tatsächlich! Es kam ein neuer Tag. Nachdem sich die gemütliche Allesprobieren-Frühstücks- sowie die Nurkaffeepotfraktion an der Rezeption wieder vereint hatten, wurde der touristische Konsumtrip endgültig gecancelt. Ersatzweise entstand die Idee, das neugeborene Elefantenbaby im Leipziger Zoo zu besuchen. Da ich nicht solange laufen konnte, musste ein Taxi her, kein Problem, oder? – Bitte ein Taxi! Die Nachfrage im Hotel ergab nur ein mitleidiges Lächeln der Rezeptionstante „Tut mir leid, heute riskiert keiner seinen Wagenpark. In die Innenstadt kommt niemand mehr rein und keiner mehr raus!“

 

Also Fußmarsch, denn die Einfahrt zur Tiefgarage, indem unsere Autos standen, war fest mit einem Eisengitter verrammelt. Dank stützender Arme meiner Stammtischschwestern erreichten wir alle den Zoo. Rundrum immer wieder Einsatzwagen, Autoschlangen durch die Umleitungen – irgendwie gespenstisch. Da passierte irgendwas, keiner wusste genau, was und wie das nun alles ablaufen würde, aber es hing wie ein unguter böser Geist über der Stadt.

 

Im Zoo lockerte sich diese Spannung sofort – dort schien es sicher zu sein, was wohl noch viele Touristen außer uns auch bewogen hatte, ihre Sightseeing-Tour heute in den Leipziger Zoo zu verlegen.

 

Eigentlich hatte ich nach dem Erreichen des Ziels mein Tageslaufpensum erschöpft und fühlte mich auch völlig alle. Da kam die glorreiche Idee auf: die haben sicher einen Rollstuhl und schon stand er da und bevor mir das so richtig klar wurde, was da gerade geschah, saß ich drin. Bisher hatte ich nur zweimal freiwillig in einem Rolli gesessen und ein paar Kurven gedreht, da brauchte ich ihn noch nicht. Und nun war es ernst und ich knabberte eine ganze Weile daran, das zu verdauen und vor allem zu akzeptieren, dass ich zu schlapp war und nun durch den Zoo fremd geschoben wurde.

 

Das Elefantenbaby bekamen wir nicht zu Gesicht, es war noch zu jung und das Wetter zu schlecht für das Außengehege. Es schneite jetzt bereits. 

Wieder am Ausgang sahen wir Taxis fahren und es hielt sogar eins. „So nah wie möglich an unser Hotel, bitte sehr“ – „Kein Problem“ – los ging es.....schnurstracks Richtung Bahnhof, erste Umleitung, na, schön, zwei, drei, vier Versuche in die Innenstadt zu kommen, unmöglich.

 

Und der Taxifahrer, unbeirrt oder einfach nur verwirrt oder auf das Geld der blöden Touristen aus, fuhr wie ein Hornochse an unserer Straße vorbei und hielt erst, als wir es rigoros verlangten. Das war dann so etwa auf der anderen Seite vom Alten Rathaus – damit stand uns, meiner Begleiterin Annette und mir, in meinem Tempo mindestens eine halbe Stunde Fußmarsch bevor. Denn den geliehenen Rollstuhl mussten wir ja am Zooausgang wieder abgeben.

 

Auf dem Weg zum Hotel kaum Läden auf, alles zugerammelt, ziemlich tote Hose in der Stadt – aber da! Ein kleiner Krimskramladen hatte geöffnet – endlich shopping! Annette konnte ihre Süßen daheim noch beglücken und schleppte mich dann weiter ab. Der Rest der Truppe lag, die waren halt vom Zoo gleich zu Fuß ins Hotel gegangen, schon relaxend in den Hotelsesseln der Lobby und genossen diverse flüssige und gebackene Aufbaumittel.

 

Der restliche Kuchen wurde generös an den vermutlich ziemlich geschafften und müden bayerischen Polizeieinsatzleitertisch weitergereicht. Dort kam sofort Freude auf. Wir erfuhren, etwas vom Verlauf des bisherigen Geschehens und beim Anblick eines grimmig ausschauenden Jungneos, der durch die Lobby huschte, schwante uns Unheil für unser Abendprogramm. Wenn sich diese latente Aggression, die allein in diesem Gesicht zu erkennen war, in den Abend- und Nachtstunden in die Innenstadt ergoss – na, dann Prost Mahlzeit.

 

Wir hatten eine kleine Erholungspause verdient. Fenster öffnen im Zimmer war nicht sinnvoll, weil mit Geräusch verbunden, unangenehmen Geräuschen. Unerträglichen. Die Neonazis hatten das Völkerschlachtdenkmal nicht erreicht, da sie von der Demo-Masse eingekesselt wurden. Nun skandierten sie ihre Parolen vor dem Bahnhof und in den Seitenstraßen in unmittelbarer Nähe unseres Hotels und das waren wahrlich beunruhigende Laute.

Vermutlich wäre der geplante Ausflug am Nachmittag zum Völkerschlachtdenkmal das einzig Ungefährliche gewesen. Außer Polizei in Massen wären nur wir, sieben relativ friedliche Frauen aus Bad Mergentheim dort gewesen!

 

Und am Abend? Wagen wir es? Wir haben es einfach gewagt und uns auf den Weg gemacht. Wohl bewacht und beäugt von einer grünen Polizistengarde – auf in Auerbach’s Keller. Und es war klasse. Und es wurde noch besser in der Pfeffermühle. Wir kamen wohlbehalten hin und zurück und haben den Abend in vollen Zügen genossen.

 

Zurück im Hotel nur noch wenig „Grüne“ zu sehen, entweder noch im Einsatz oder schon Feierabend? Dafür gab es am Sonntagmorgen noch einmal Großaufmarsch im Hotel – Abreise aller grünen Männchen und Weibchen. Gesprächsfetzen flogen hin und her: „Haste den Typ noch erwischt?“, „Wie geht’s Deinem Rücken, war’s schlimm?“, „Bayern hat keine Ausfälle, aber die Bremer hat’s schwer erwischt“, „Standen ja auch an einer saublöden Ecke“.

 

Abreise – auch für uns. Wir hatten trotz und alledem einen tollen Stammtischausflug genießen können – und ich denke, die Dominanz der „Grünen“ hat uns, trotz aller mulmigen Gefühle auch eine gewisse Sicherheit vermittelt.

 

Dank ihnen!

Es grünt so grün,
wenn sich die Polizisten müh’n
und allesamt nach Leipzig zieh’n,
um Sicherheit im Land zu garantier’n .....

Impressum

Texte: © by Gittarina
Bildmaterialien: Archivfoto
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinen Stammtischschwestern als Erinnerung an unsere Tour nach Leipzig

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