Mit Musik in den Ohren und einem schönen schwarzlackierten Flügel im Sinn, kehrte ich aus meinen Sommerferien zurück – von meinem Vater und seinem Haus voller Musik wieder in das musik- und flügellose Heim meiner Mutter.
Ich war wild entschlossen, ich werde Klavierunterricht nehmen, davon wird sie mich nicht abbringen können, sie wird es gar nicht erfahren, wie denn auch, wir hatten ja noch nicht mal ein kleines Klavier im Haus, geschweige denn einen Flügel. Es gab nur ganz selten Musik in diesen stillen Wänden. Ab und zu, wenn sie abends Gäste hatten, hörte ich hinter der geschlossenen Türe schon mal Tanzmusik.
Mein für sie mit Bedacht ausgewähltes Weihnachtsgeschenk, die Mondscheinsonate , zerbrach sie mit einem wütenden Blick auf ihren Knien. Dabei war ich mir so sicher gewesen, endlich mal das Richtige für sie gefunden zu haben, schließlich hatte sie bei diesen Klängen meinen Vater, den angehenden Pianisten, vor vielen Jahren in Berlin kennengelernt, als er im KaDeWe einen Bechstein-Flügel damit zum Klingen brachte.
Eine Klavierlehrerin hatte ich schnell gefunden, doch mein Taschengeld reichte nicht aus, um auch nur annähernd die Stunden zu bezahlen. Doch auch dieses Problem hatte sich bald erledigt, vor der Schule trug ich von nun an die Zeitungen in unserer kleinen Stadt aus und oft auch Prospekte unseres Kaufhauses. Meine Mutter wunderte sich zwar über diesen plötzlichen und ungewöhnlichen Eifer bei mir, aber es schien ihr sogar zu gefallen. Nur einmal meckerte sie, nicht über mich, sondern über die miese Bezahlung für die vielen Stunden, die ich nun nicht mehr zu Hause war.
Ich war gut beschäftigt, das stimmte, aber es machte mir nichts aus – dafür hatte ich ja zweimal in der Woche mein Highlight der besonderen Art: Klavierunterricht. Es lief alles wunderbar und unbemerkt. Da ich zuhause ja nicht üben konnte, was ich aber unbedingt wollte und sollte, nistete ich mich fast täglich bei meiner Freundin Karin ein. Die durfte nicht nur Klavierspielen, sie musste, weil ihre Eltern es unbedingt wollten. Doch sie hatte so gar keine Lust dazu und ließ mich nur zu gerne an den Flügel im Musikzimmer, während sie die heimlich gekauften Bravo Heftchen verschlang. Gestört wurden wir nie, nur ein einziges Mal nach vielen Monaten.
Die Tür ging auf und Karins Mutter kam herein, in der Hand ein kleines Tablett mit einem Limonadenglas. Ich sah sie sofort und unterbrach abrupt mein Spiel – und dann hörte ich sie: „Was machst du denn hier am Flügel? Ich denke, Karin übt und jetzt sehe ich, dass du – Pause - wo ist Karin?“ „Drüben in ihrem Zimmer“, erwiderte ich zaghaft, „sie muss noch was für die Schule lesen.“
Ich hoffte sehr, dass Karin das Debakel trotz anregender Lektüre mit bekommen hatte. Da erschien sie auch schon im Musikzimmer und sofort ging ihre Mutter auf sie los: „Du sagst mir, du musst üben, und das seit Wochen…“, und im plötzlichen Erkennen der offensichtlichen Realität drehte sie sich wieder zu mir, „…das war doch gerade die "Elise" nicht wahr? Dann warst du das die ganze Zeit?“ Ich konnte nichts mehr sagen, nur noch nicken, verstand jedoch überhaupt nicht, warum sie so erbost war.
„Aha, so ist das also. Da freue ich mich, dass meine Tochter endlich Spaß am Klavierspielen zeigt und eifrig übt und übt und dann bist du das und ihr lasst mich in dem Glauben, dass du dich“, jetzt wieder zu Karin gewandt, „endlich ernsthaft ans Üben gemacht hast.“
„Das ist doch nur, weil Gitta zuhause kein Klavier hat,“ versuchte Karin die Situation irgendwie zu entschärfen. Doch das Gegenteil geschah. Die Mutter fixierte nun wieder mich: „Was, ihr habt kein Klavier – wieso kauft man dir keins?“ Ich schüttelte nur den Kopf und murmelte in mich rein: „Keine Chance!“
Und was machte diese Frau? Sie ging zurück in den Flur, ließ die Tür zum Musikzimmer auf, und ich sah mit Entsetzen und purer Angst im Nacken, wie sie zum Telefonhörer greift. „Wie ist eure Nummer?“ – „3-2-2-4“, versuchte ich zu nuscheln, vielleicht würde sie sich ja verwählen – aber nein, die Begrüßung erfolgte rasch und dann: „Ihre Tochter spielt hier fast jeden Nachmittag Klavier, warum fragen Sie, na, weil sie vermutlich üben muss und Sie ja offensichtlich keins haben. Warum kaufen sie ihr denn keins, sie scheint recht begabt zu sein, was ich so ab und zu mit bekommen habe und einen Arzthaushalt wird sowas ja sicher nicht zu sehr belasten… - was, Sie wissen davon gar nichts, wollen sie mal mit ihr reden? Nein? Ja, ich sag ihr, dass sie sofort nach Hause kommen soll.“
Der Weg nach Hause war viel zu schnell bewältigt, ich hätte mir noch Kilometer um Kilometer gewünscht um möglichst nie anzukommen. Der Empfang war so eisig, wie ich ihn erwartet hatte und die Fragen und Anweisungen kamen schnell und wie aus der Pistole geschossen: wie lange geht das schon, wie heißt die Klavierlehrerin und der Zeitungsfritze, damit ich da anrufen kann – und jetzt Schluss damit, Hausarrest für unbegrenzte Zeit, setz Dich auf deinen Hosenboden und lern für die Schule, jetzt hast du Zeit dazu…
Und so endete jäh die vielleicht verheißungsvolle Pianistenkarriere einer knapp 15jährigen Göre, deren Mutter kein Klavier mochte…
Texte: gittarina
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2011
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