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Kapitel 1



Alltag

Endlich klingelt es und die Doppelstunde Geschichte ist zu Ende. Natürlich saß ich mal wieder nur zur Dekoration im Unterricht und gab mich als vollstens interessiert aus. So sehr ich mich auch bemühe, Geschi und leider auch Mathe werden meinen Abidurchschnitt erheblich verschlechtern. Mein einziges Ziel ist es, das irgendwie auszugleichen. In den anderen Fächern schlage ich mich recht gut, also bin ich noch guter Hoffnung.
Ein zehn Stunden Tag ist somit vorbei, nachdem ich alle fünf Minuten auf die Uhr an meinem linken Handgelenk geschaut habe, als sich der Unterricht schleppend zum Ende bewegte. Leider bedeuten zehn Stunden auch viele Hausaufgaben. Wie meine Laune ist, wenn ich nach Hause komme, kann man sich demnach gut ausrechnen.
Wenigstens habe ich das Glück mich nicht dem Stress der Busfahrerei stellen zu müssen. Bei der Kälte wäre das auch nicht sehr komfortabel.
So einen Januar hatten wir, dank dem Klimawandel, schon lange nicht mehr. Wie gut, dass mein teurer schwarzer Mantel, den ich mir letztens bei H&M gekauft habe, auch warm hält und nicht nur hübsch aussieht.
Mit einem flüchtigen „ Bis morgen " verabschiedete ich mich von meiner Freundin Thea und entfernte mich aus dem tristen Schulgebäude. Ich stapfte mit meinen hohen Stiefeln durch den Schnee, Richtung warmer Heimat. Dabei versuchte ich krampfhaft nicht auszurutschen. Der Pfad hinter der Schule könnte ruhig mal gepflastert werden, aber das wird nach all den Jahren auch nicht mehr passieren.
Unser kleines Haus, abseits vom Stadtleben, ist nicht weit entfernt und in diesem Viertel bekommt jeder Nachbar mit, wann ich aus dem Haus gehe und wann ich wieder komme.
"Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu..." trällerte ich leise vor mir her.
Manchmal fühle ich mich schon fast wie ein Opfer eines schlechten Krimis, in dem der sonst so nette Kerl von nebenan das süße, kleine Mädchen beschattet und ihr dann später im Gebüsch auflauert. Wenn ich dann irgendwann mal einen tollen Job habe, will ich auf jeden Fall ein schnuckeliges Haus mitten in einem Wald haben oder wo ringsum nur Felder sind, einfach abseits von dem ganzen Trubel.
Nach ein paar Minuten schliddern auf dem glatten Bürgersteig der Ringstraße, die am anderen Ende des Pfades liegt, stand ich an der Haustür. An ihr hängt noch immer der Weihnachtschmuck, den könnte meine Mom eigentlich mal abmachen.
Kaum steckte der Schlüssel im Schloss, hörte ich auch schon ein Wufzen hinter der Tür. Erschöpft vom langen Tag zu Hause angekommen, wurde ich von meine Husky Cherokee stürmisch begrüßt. Er ist ein wilder Hund, voller Tatendrang und liebt mich abgöttisch, obwohl er sich jeden Tag mein Gejammere über die Schule anhören muss.
" Hey mein Großer. Hast wohl wieder die ganze Zeit im kuscheligem Körbchen geschlafen, stimmts? lächelte ich ihn an.
„So ein Leben möchte ich auchmal haben. Einfach den ganzen Tag auf Frauchen warten erscheint mir viel entspannter, als die Schulbank zu drücken. " sagte ich sarkastisch und lehnte die Tür an.
Bellend wirbelte er um mich herum, während ich mir einen Weg, die Treppe hoch, zu meinem Zimmer erkämpfte. Die vielen Hefte, Ordner und leeren Blätter waren immernoch im ganzen Raum verteilt. Naja, ich bin eben ein wahres Genie und behersche das Chaos. Mich würde es aber auch nicht stören, wenn die Heinzelmännchen mir mal einen Besuch abstatten würden.
Ich stellte meine Tasche neben dem Schreibtisch ab und ging wieder runter in den Flur, wo Cherokee, mit der Leine im Maul, bereits auf mich wartete. Ihm war es sichtlich egal, dass ich eigentlich schon genug Luft draußen geschnappt hatte und stupste mich freudig mit der Nase am Bein an. Das war ein klares Zeichen dafür, dass ich mich in wenig beeilen sollte, anstatt meine zerzausten dunkelblonden Haare im Spiegel zu richten und den verwischten Masscara, der meine grünen Augen betont, mit einem Taschentuch zu beseitigen.
Ich legte ihm die Leine an und begab mich wieder in die eises Kälte.
Bei Schnee flippt er immer total aus, was irgendwie logisch für einen Husky ist. Ihm fiel es leichter sich auf den glatten Straßen aufrecht zu halten, während meine Beine sich versteiften. Die Autos, die an uns vorbei fuhren, schalteten einen Gang runter, als es hieß die todesmutige Kurve der Straße zu passieren. Dies war ein weiterer Grund, warum ich es noch nicht für nötig hielt einen Führerschein zu machen. Dazu gehört auch die Verantwortung, für die ich noch nicht bereit bin. Schrecken der Straßen gibt es meiner Meinung nach schon genug.
Der Park in unserer Nähe ist unsere tägliche Anlaufbahn. Freudig steuerte das zappelnde Etwas am anderen Ende der Leine gen Eisentor, welches als Eingang des Parks dient. Umrandet von einer steinernden Mauer, befindet er sich im Mittelpunkt der Wohnstraßen. Schon als Kind bin ich dort oft mit Freunden spielen gewesen. Die vielen Buchen und Kastanienbäume, die kreuz und quer auf den weiten Wiesen verteilt sind, sowie die wuchernden Gebüsche bieten großartige Versteckmöglichkeiten. Für die mystische Atmosphäre sorgen die hohen Tannen und der kleine Wald auf der Nord/ Westseite. Wie ein Schutzwall wird er von Brennnesseln umgeben. Früher nannte ich es immer den „Feuerring“. Der Teich auf der Ostseite sorgt für das entsprechende Gegenelement.
Nachdem wir das Tor passierten, erstreckte sich vor uns eine wunderschöne Winterlandschaft. Die kahlen Laubbäume entlange des Weges waren von weißer Schönheit umhüllt. Die Wege waren kaum von den Wiesen zu unterscheiden, doch auf Schnee zu laufen gestaltete sich viel einfacher, als auf dem rutschigem Asphalt. Durch die Kälte ist der Teich zugefroren und glitzerte wie funkelnde Sterne. In den Nachrichten warnt man davor die Seen zu betreten, zu hoch sei die Gefahr einzubrechen. Ich, als der Tollpatsch und Unglücksrabe schlechthin, werde auf keinen Fall mein Glück auf eine Probe stellen.
Cherokee war nun fast nicht mehr zu halten. Ich lies ihn von der Leine, obwohl das hier eigentlich verboten ist. Da sieht man mal wieder für was die Menschen alles Geld abzocken wollen, als würde die Hundesteuer nicht schon genug für neue Autos der Beamten einbringen.
In rasender Schnelle sauste er über die, wie gepudert ausehenden, Wiesen und vergrub seine Schnauze in den tiefen Schnee. Ich bin immernoch der festen Überzeugung, dass er bei seinen Schnüffelaktionen ein wenig Kleingeld finden wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Mir war es nun auch wieder möglich meine Hände, die dem Gefrierpunkt nahe waren, in meinen Jackentaschen zu vergraben und meine Gedanken ein wenig schweifen zu lassen. Diese Spaziergänge sind der beste Ausgleich zur Schule. Allerdings erwische ich mich jedesmal, wie ich die nächsten zwei Stunden mit Erledigungen verplane, anstatt mal abzuschalten. Auf der anderen Seite wäre ich ohne meinen Hund ziemlich einsam und keiner würde mich nach draußen bewegen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Meine Mutter kommt erst spät von der Arbeit zurück und meine ach so lieben Freunde und Mitschüler interessiert es nicht sonderlich viel, was ich so in meiner Freizeit mache. Die Leute in der Schule sind in typischen Cliquen aufgeteilt und ich fühle mich zu keiner richtig hingezogen, zumindest nicht groß genug, um sie in meinen Alltag einzuspannen. Da wären z.B. die coolen Jungs, die trotz durchgelatschten Chucks völlig "hip" sind, die World of Warcraft Süchtigen ( dazu brauch ich bestimmt kein Kommentar abgeben) und natürlich die Schicki Micki Girls mit ihren quitschfarbenen Taschen, in den unnützlichsten Formen. Keine Ahnung wo sie die herhaben. Wahrscheinlich haben sie sich eines Nachts in XS- Lederhosen gezwengt, um dann allesamt die Handtaschenfabrik in Nußloch zu stürmen. Ich scheide mich von jeder dieser Beliebtheiten ab. Das bedeutet aber nicht, dass ich ein Außenseiter bin, der in der Ecke hockt und Bücher verschlingt. Zwar bin ich dafür bekannt, dass ich eine Leseratte bin ( nicht umsonst heißt bei mir grundsätzlich jede Schneeeule Hedwig), aber ich habe ein Talent dafür mich jeden anzupassen, wie ich gerade lustig bin. Das ist auch der Grund, warum mich keiner genau kennt und ich als ruhige Ana abgestempelt werde. Schon komisch wie ich mich in diese Leistungs- und soziale Gesellschaft einfügen kann, obwohl mein Innerstes danach schreit aus der Reihe zu tanzen. Lieber steh ich lächelnd vor meinen "klugen" Mitmenschen und denke mir insgeheim " Du Idiot laberst kompletten Müll! Siehst du nicht, dass sich schon die Fliegen um dich versammeln? "
Naja, mein einziger Vorteil ist, dass mein Dad aus Amerika stammt und ich einen halbwegs coolen Namen habe, Ana Johnson. Das Problem, welches dieser Name mitsich bringt, ist das Unwissen darüber wie der englische Name Ana ausgesprochen wird. Vor allem die älteren Herren unter den Lehrern können sich nicht daran gewöhnen und so werde ich zur naiven Anna. Damit habe ich mich abgefunden. Hauptsache ich werde nicht weiterhin nach meinem Dad befragt.
Ein kühler Wind zog auf und ich krempelte meinen Kragen etwas höher, damit sich eine fiese Erkältung ein bisschen mehr anstrengen muss, um meine Mandeln zu erreichen.
So langsam denke ich, dass sich Cherokee genug ausgetobt hat. Wir haben alle möglichen Wege passiert, die sich wie ein Rundlauf um den Teich schlengeln. Zudem wurden von ihm sämtliche Bäume inspiziert. Dieser Hund ist eine echte Rarität. Kein anderer freut sich so sehr bei miesem Wetter, sei es Wind oder Regen, raus zugehen. Das große Vergnügen, ihn danach halbwegs trocken zu kriegen, habe natürlich ich.
Das Eingangstor war bereits in Sicht und es fing an zu schneien.
" Okay mein lieber, time to go! " rief ich mit den Händen um meinen Mund gelegt. Meine Worte hatten jedoch den umgekehrten Effekt, des eigentlichen Sinnes.
Als hätte ich ihm ein Signal gegeben, stürmte er über die Wiese und dann in die Büsche am Rande des Teiches, bis er schließlich darin verschwand.
" Na großartig." dachte ich mir.

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Tag der Veröffentlichung: 13.01.2010

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