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Harald ist schon wieder zu spät. Wenn er jetzt nicht gleich an der Achterbahn ist, gibt es wieder Ärger. Rausschmeißen wird sein Chef ihn nicht. Es ist verdammt schwierig, jemand neues zu finden, der beim Auf- und Abbauen hilft. Aber weniger Lohn gibt er ihm und das ist fast genauso schlimm.

Also rast er auf den Kirmesplatz. Hinter der Losbude kommt dieser verlauste Köter herausgeschossen und knallt gegen sein Auto. Gebremst hat er nur, weil sein Auto gerade noch mal den TÜV geschafft hat. Er hofft noch 2 Jahre damit fahren zu können.

Am Auto ist noch nicht mal eine Beule. Aber Regina steht vor ihrer Losbude und zetert sofort los. Sie ist die Frau seines Chefs, also kann er nicht einfach abhauen. Der blöde Köter humpelt ein bisschen. Na und!? Sie besteht darauf, dass er sofort mit ihr und dem Hund zur nächsten Tierklinik fährt und er die Rechnung bezahlt.

Das Wartezimmer ist ziemlich voll. Regina veranstaltet so ein Theater, dass jeder denken muss, der Hund stirbt, wenn er nicht sofort behandelt wird. Sie kann sofort mit ihrem Hund in einen Behandlungsraum gehen.

Wenigstens muss er so nicht so lange warten. Jetzt sitzt er zwischen den Leuten mit ihren Fiffis, Mietzen und Wellensittichen.

Die Oma ihm gegenüber sieht vornehm aus. Mit ihren rosa Haaren, Kostüm, Pumps und jede Menge Schmuck wirkt sie steinreich.

Frau Schultheiß arbeitet ehrenamtlich für eine Tierschutzorganisation und hat 2 Streuner in den Körben neben sich, die kastriert werden und dann wieder freigelassen werden. Sie erzählt gerade ihrer Nachbarin, dass sie sich jeden Montag den ganzen Tag um streunende Katzen kümmert. Zuhause hat sie eine Pflegestelle für Katzen in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Tierheim. Sie ist immer auf der Suche nach Menschen, die einer oder zwei Katzen ein neues Zuhause bieten können. Jetzt im Juni ist es wieder besonders schlimm. Sie hat alleine 10 Katzenbabies aus 3 Würfen zu versorgen.

Sie ist daran gewöhnt, möglichst viele Leute anzusprechen, damit sich irgendwann der eine oder andere entschließt, eine Katze bei sich aufzunehmen. Deshalb legt sie einen Stapel ihrer Visitenkarten auf den Tisch am Eingang.

Wer die Viecher so betüdelt, muss Geld haben. Die Frau hat gern Besuch – kann sie haben. Harald wird sich das mal anschauen.

Endlich kommt Regina mit ihrem Hund aus dem Behandlungszimmer. Leichte Gehirnerschütterung und ein paar Prellungen – also wirklich nichts. Sie ist jetzt beruhigt und nachdem Harald die Arztrechnung bezahlt hat, auch versöhnt.

85 ¤. Jetzt hat er gerade noch 7 ¤ in der Tasche. Auf dem Weg nach draußen kommt er an dem Tisch mit den Visitenkarte vorbei. Er steckt eine ein.

Montag hat er frei, also fährt er früh morgens hin. Ein merkwürdiges Haus. Es steht ganz einsam mitten im Feld und sieht aus wie ein altes Kloster.

Er fährt erstmal vorbei, dann sucht er einen Platz an dem sein Auto nicht so auffällt. Fast einen ganzen Kilometer entfernt findet er endlich ein kleines Wäldchen.

Hier stellt er sein Auto ab und läuft den ganzen Weg zum Haus zurück. Er findet die Haustür und klingelt. Niemand öffnet, das hat er gehofft. Das schwere Eingangstor hat ein Schloss das wahrscheinlich so alt ist, wie das Haus. Mit einem Dietrich ist die Tür ganz schnell auf. Das war leicht.

Er steht in einem großen Flur mit vielen Türen. Vorsichtig öffnet er die erste. Die Küche ist aufgeräumt und blitzsauber. Er öffnet einige Schränke.

Geschirr und wahnsinnige Mengen Katzenfutter. War bestimmt teuer. Geld findet er hier nicht.

Der nächste Raum ist das Wohnzimmer. Mindestens 20 Katzen haben hinter der Tür auf ihn gewartet. Er macht die Tür schnell wieder zu. Hier muss er später noch mal rein.

Erstmal will er sich im Haus weiter umsehen. Er schleicht zur nächsten Tür: Schlafzimmer. Wenn Geld im Haus ist, dann wahrscheinlich hier oder im Wohnzimmer. Er reißt die Schranktüren auf, räumt alle Regale aus und wirft den Inhalt achtlos auf den Boden. Kein Geld. In den Nachttischschubladen ist auch nichts, nur uninteressanter Krempel. Das Schlafzimmer kann er vergessen.

Die nächste Tür führt in den Keller. Von unten schimmert Licht. Was ist das?

Er schleicht die Treppe herunter und öffnet vorsichtig die erste der beiden Türen. Er ist sprachlos. In dem Raum sind mindestens 100 grüne Pflanzen auf Tapeziertischen aufgereiht. Über jeder Pflanze hängt eine Lampe. Eine Cannabisplantage hat er hier nie im Leben erwartet. Die Pflanzen sind noch winzig, also gerade erst eingepflanzt.

Fassungslos öffnet er die nächste Tür. Das darf doch nicht wahr sein! Noch eine Cannabisplantage. Diesmal sind die Pflanzen größer, aber bis er die getrocknet hat und zu Geld machen kann ist noch viel Arbeit und jede Menge Zeit nötig. Schade.

Also zurück ins Wohnzimmer, da hat die Alte sicher ihr Geld versteckt.

In dem großen Wohnzimmer sitzen überall Katzen. Er versucht sie zu ignorieren und fängt mit dem Wohnzimmerschrank an. Dabei streichen die Katzen um seine Beine und schnurren vor Begeisterung über seinen Besuch.

Er tritt nach ihnen und versucht sie durch lautes Schimpfen zu verscheuchen. Das nützt gar nichts. Im Gegenteil. Sie finden dieses Spiel toll.

Sie schmiegen sich immer enger an ihn. Sein Gesicht und seine Hände jucken plötzlich. Mistviecher! Ist er etwa allergisch?

Plötzlich kriegt er keine Luft mehr. Er hat rasende Kopfschmerzen und dann wird ihm schwarz vor Augen. Er fällt auf den Teppich. Die Katzen begrüßen seinen Sturz mit Miauen und Schnurren – tolles Spiel.

Frau Schultheiß kommt am Abend erst spät nach Hause. Die Haustüre ist nicht abgeschlossen. Sie vergisst nie abzuschließen.
Einbrecher!

Sie nimmt ihre Gaspistole in die Hand und geht vorsichtig rein. Alles ruhig.

Sie öffnet die Kellertür. Keine Geräusche. Sie geht zum Wohnzimmer, um zu sehen, ob bei den Katzen alles in Ordnung ist. Der Einbrecher liegt zusammengekrümmt vor dem Wohnzimmerschrank. Was ist hier passiert?

Die Polizei und einen Krankenwagen rufen, ist ihr erster Gedanke. Sie hat das Telefon schon in der Hand, doch sie legt es wieder weg.

Die Polizei würde den Fall aufnehmen und dann das Haus durchsuchen. Das darf auf keinen Fall passieren!

Sie tastet nach dem Puls des Einbrechers - nichts. Aus ihrer Handtasche holt sie einen Spiegel und hält ihm den vor Mund und Nase – kein Atem. Was auch immer hier passiert ist, er ist tot.

Sie kann auf keinen Fall riskieren, die Polizei zu rufen.

Die Cannabispflanzen sind für sie noch wichtiger als die Katzen. Außerdem sind sie ihre wichtigste Einnamequelle.

Ihre Kunden sind nicht irgendwelche Dealer oder Junkies, sondern Kranke, deren Schmerzen hiermit gelindert werden. Die ersten Pflanzen hat sie mit ihrem Mann angebaut, als sein Krebs immer schlimmer wurde. Seine Schmerzen waren unerträglich und sie ist damals nach Österreich gefahren und hat die ersten Pflanzen erstanden.

Während seiner Krankheit hat sie eine Selbsthilfegruppe für Schmerzpatienten kennen gelernt. Nach seinem Tod vor 5 Jahren sind ihr diese Kontakte geblieben und neue dazugekommen. Immer mehr Patienten mit großen Schmerzen suchen und finden Hilfe durch Cannabis.

Dieses wichtige Lebenswerk lässt sie nicht von einem dahergelaufenen Einbrecher zerstören! Sie geht zum Gartenhaus, holt eine Schaufel und gräbt ein tiefes Loch im Garten.

In Heinsberg ist Kirmes. Die Achterbahn ist auch hier. An der Kasse klebt ein Schild: „Junger Mann zum mitreisen gesucht.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.12.2008

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